Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 173. Augsburg, 21. Juni 1840.

Bild:
<< vorherige Seite


oder mit diesem verwechsle, welcher ich aber ernstlich attachirt bin." ... "25 Mai 1823. Nein, ich will nichts annehmen und von Niemand. Man kann nur seinen intimen Freund zum Patron haben, und ich habe die Liste der Freunde für immer geschlossen. Du bist der letzte, welcher darin steht, der letzte nach dem Datum; aber nach meiner Zuneigung zu dir kannst du nicht einmal der zweite seyn, das sagt mir mein Herz mit deutlicher Stimme. Endlich habe ich das zerstreute Londoner Leben aufgegeben, und habe mich mit dem Grafen Porro in einem Häuschen, welches man hier cottage nennt, am Ende der Stadt, etwa wie in Paris in Montrouge oder Chaillot, eingerichtet. Man ist da gerade wie auf dem Lande: von meinem Fenster aus habe ich die Aussicht auf den Regent-Canal und auf die am jenseitigen Ufer liegenden Cottages. Man sollte glauben, 100 Meilen von einer großen Stadt entfernt zu seyn, und gleichwohl kann man in 20 Minuten in der Oxford-Street oder Hyde-Park mitten unter den elegantesten Spaziergängern seyn. Unser Häuschen gehört Foscolo; ich bin gern dort, aber Auteuil wird doch immer mein Lieblingsort bleiben. Ich habe ihm ein, ich möchte sagen, zärtliches Andenken bewahrt; es mischt sich Traurigkeit darein, wenn ich bedenke, wie ich dich dort leiden sah. Vielleicht bleibe ich nächsten Herbst und selbst den Winter in meinem Häuschen; ich bedarf Zurückgezogenheit und Beschäftigung. Wenn ich so viel verdiene, als ich zum Leben brauche, werde ich meine Familie nachkommen lassen. Mit den Mitteln meiner Frau und dem, was ich durch Arbeiten verdienen kann, wird unser Hausstand sich schon machen. Wenn aber die Hoffnungen auf meine Mittel, Geld zu verdienen, mich täuschen sollten, so müssen wir uns in Würtemberg niederlassen, weil die Schweiz uns verschlossen ist."

"10 Sept. 1823. Ich arbeite mit Ausdauer, aber ohne Geschmack daran zu finden. Nichts langweilt mich mehr, als Zeitungsartikel schreiben zu müssen; sie werden mich an der Vollendung ernsterer Arbeiten hindern. Das ist, ich sehe es wohl ein, ein wichtiger Grund, sie nicht zu schreiben; aber einmal ist das Bedürfniß, einiges Geld zu verdienen, gebieterisch für mich, und Zeitungsartikel sind das einzige Mittel, sich immer ein Taschengeld zu erhalten, dann aber hoffe ich auch, daß, wenn ich nur erst einmal ein bißchen Uebung darin erlangt haben werde, diese Arbeit nur die Hälfte meiner Zeit in Anspruch nehmen wird, wo ich dann die andere Hälfte meinen alten Planen widmen kann.... Hast du Las-Cases gelesen? Wahrhaftig, man müßte das Gedächtniß verloren haben, wenn man allem dem, was Napoleon über seine schönen liberalen Projecte sagt, einigen Glauben schenken wollte. Er hat gesehen, daß die Richtung des Zeitgeistes seit 1814 der Freiheit galt, und wenn er 1815 seine neue Rolle ungeschickt gespielt hat, so hindert ihn das nicht, in dem Manifest, welches er durch Las-Cases an die Nachwelt richtet, uns blauen Dunst über das zu machen, was er gewollt, was er für die Freiheit zu unternehmen im Begriff gestanden habe. Was mich aber mit Napoleon aussöhnt, das sind seine Nachfolger: sie arbeiten Nacht und Tag an dem Rufe des Mannes, den sie gestürzt haben."

"18 Sept. 1823. Ich habe aus Turin willkommene Nachrichten erhalten, und erwarte mit Ungeduld ähnliche von Villa Santa-Rosa. Nächstes Frühjahr lasse ich sie zu mir herkommen, diese armen, meiner traurigen Bestimmung unwiderruflich verbündeten Geschöpfe. Du sollst sie bei ihrer Durchreise durch Paris sehen."

"30 Sept. 1823. Ich arbeite fortwährend auf dieselbe Weise, indem ich mein Leben auf Kosten aller meiner Projecte friste. Ich schreibe jetzt eine Abhandlung über die italienische Litteratur. Die Arbeit ist mir unter der Hand gewachsen. Indem ich das abenteuerliche Leben eines Jordano Bruno, Campanella und anderer durchlas, habe ich oft an dich gedacht. Und dieser florentinische Platonismus, aus welchem eine so kräftige und hochherzige Jugend hervorgegangen ist, welche das Vaterland gerettet haben würde, wenn sie es hätte dürfen; aber sie rettete wenigstens die Ehre. Wir Italiener des 19ten Jahrhunderts, wir haben nicht einmal diesen traurigen Vortheil gehabt. Es gibt Gedanken, Freund, welche einen das ganze Leben verfolgen; du verstehst mich und mußt mich beklagen. Welche Vorwürfe mache ich mir, und was würde ich darum geben, hätte ich jene 30 Tage meines politischen Lebens zurück, welche mit so viel Schrecknissen bezeichnet sind!..... Ich werde 40 Jahre alt; ich habe mich oft nach Glück gesehnt; ich hatte unermeßlichen Sinn dafür. Meine bittere Bestimmung war eine andere. Indessen ich habe eine Zukunft, ich habe Kinder; ich liebe und achte ihre Mutter; meine Kinder werden mich glücklich oder unglücklich machen. Wenn ich indeß meinen Leiden erliege, so fürchte ich nicht das leere, gräßliche Nichts, an welches ich nicht glauben kann und mag, und welches ich durch meinen Willen und Instinct, aus Mangel positiver Belege, mit Gewalt von mir weise.... Wenn ich schreibe, so will ich meine Ueberzeugung in meinen Büchern niederlegen, und auch mein Vaterland werde ich vor Augen haben; auch das Andenken meiner Mutter wird eine Gottheit seyn, welches mir mehr als ein Opfer gebieten wird. Dieses Gefühl ist eine der Springfedern meiner inneren Existenz. Ob gut oder schlecht, es ist. Es ist mir aus diesem allmächtigen Grunde unmöglich, ganz und gar den neuen Sitten und der neuen Epoche anzugehören...." "18 Oct. 1823. Ja, mein Freund, ich muß einen gewissen Aberglauben bei meinem inneren Leben und meinen Neigungen haben; was mir begegnet ist, bestärkt mich darin. Heute, am 18 Oct., an dem Tage, wo ich das vierzigste Jahr ad acta lege, und wo ich eingeschlossen, unsichtbar in meiner kleinen Einsiedelei bleibe, in Gedanken an meine Leiden, meine Zukunft versunken, wo ich meine theuersten Erinnerungen, meine zärtlichsten Bekanntschaften um mich herumversammle, bringt man mir deinen Brief vom 12 und deinen Plato. Von ächt römischer Race und von ächt römischem Blute, acceptire ich das Omen, wie zu den Zeiten Camillus' und Denta us'. Ich habe auf der Stelle die Feder ergriffen, um dir in diesem ersten Augenblicke lieblicher Stimmung zu antworten. Ach welch mysteriöses und göttliches Ding ist doch das menschliche Herz, wie sehr beklage ich die Lehren des Materialismus!"....

So verfloß das Jahr 1823; das neue Jahr fand ihn in einem Zustande von bald Muthlosigkeit, bald Exaltirtheit, welche ihm abwechselnd die Energie seiner Seele und das Elend seiner Lage einflößten. In den ersten Monaten von 1824 wurden seine Briefe nach und nach immer seltener, kürzer, düsterer; er rang gegen eine stets zunehmende Armuth, er machte sich ein Gewissen daraus, von seiner Familie, welche selbst sehr genirt war, Unterstützung zu verlangen, und konnte seine Bedürfnisse nicht von Arbeiten als Journalist bestreiten, wozu er nun einmal nicht gemacht war. Er entschloß sich, London zu verlassen und sich nach Nottingham zurückzuziehen, wo er unter einem fremden Namen sich sein Brod durch italienische und französische Stunden verdiente. Hin waren seine Plane von großen Werken, hin seine Träume von Ehre und Glück! Der Unglückliche sah sein Leben dahinschwinden in einer allerdings ehrenwerthen, aber end- und zwecklosen Beschäftigung. Er verzweifelte an der Zukunft, an sich selbst. Längere Zeit schrieb er mir gar nicht. Ich mußte von Andern erfahren, wie es ihm gehe. Aber bald wurde ich selbst in die unerwartetsten


oder mit diesem verwechsle, welcher ich aber ernstlich attachirt bin.“ ... „25 Mai 1823. Nein, ich will nichts annehmen und von Niemand. Man kann nur seinen intimen Freund zum Patron haben, und ich habe die Liste der Freunde für immer geschlossen. Du bist der letzte, welcher darin steht, der letzte nach dem Datum; aber nach meiner Zuneigung zu dir kannst du nicht einmal der zweite seyn, das sagt mir mein Herz mit deutlicher Stimme. Endlich habe ich das zerstreute Londoner Leben aufgegeben, und habe mich mit dem Grafen Porro in einem Häuschen, welches man hier cottage nennt, am Ende der Stadt, etwa wie in Paris in Montrouge oder Chaillot, eingerichtet. Man ist da gerade wie auf dem Lande: von meinem Fenster aus habe ich die Aussicht auf den Regent-Canal und auf die am jenseitigen Ufer liegenden Cottages. Man sollte glauben, 100 Meilen von einer großen Stadt entfernt zu seyn, und gleichwohl kann man in 20 Minuten in der Oxford-Street oder Hyde-Park mitten unter den elegantesten Spaziergängern seyn. Unser Häuschen gehört Foscolo; ich bin gern dort, aber Auteuil wird doch immer mein Lieblingsort bleiben. Ich habe ihm ein, ich möchte sagen, zärtliches Andenken bewahrt; es mischt sich Traurigkeit darein, wenn ich bedenke, wie ich dich dort leiden sah. Vielleicht bleibe ich nächsten Herbst und selbst den Winter in meinem Häuschen; ich bedarf Zurückgezogenheit und Beschäftigung. Wenn ich so viel verdiene, als ich zum Leben brauche, werde ich meine Familie nachkommen lassen. Mit den Mitteln meiner Frau und dem, was ich durch Arbeiten verdienen kann, wird unser Hausstand sich schon machen. Wenn aber die Hoffnungen auf meine Mittel, Geld zu verdienen, mich täuschen sollten, so müssen wir uns in Würtemberg niederlassen, weil die Schweiz uns verschlossen ist.“

„10 Sept. 1823. Ich arbeite mit Ausdauer, aber ohne Geschmack daran zu finden. Nichts langweilt mich mehr, als Zeitungsartikel schreiben zu müssen; sie werden mich an der Vollendung ernsterer Arbeiten hindern. Das ist, ich sehe es wohl ein, ein wichtiger Grund, sie nicht zu schreiben; aber einmal ist das Bedürfniß, einiges Geld zu verdienen, gebieterisch für mich, und Zeitungsartikel sind das einzige Mittel, sich immer ein Taschengeld zu erhalten, dann aber hoffe ich auch, daß, wenn ich nur erst einmal ein bißchen Uebung darin erlangt haben werde, diese Arbeit nur die Hälfte meiner Zeit in Anspruch nehmen wird, wo ich dann die andere Hälfte meinen alten Planen widmen kann.... Hast du Las-Cases gelesen? Wahrhaftig, man müßte das Gedächtniß verloren haben, wenn man allem dem, was Napoleon über seine schönen liberalen Projecte sagt, einigen Glauben schenken wollte. Er hat gesehen, daß die Richtung des Zeitgeistes seit 1814 der Freiheit galt, und wenn er 1815 seine neue Rolle ungeschickt gespielt hat, so hindert ihn das nicht, in dem Manifest, welches er durch Las-Cases an die Nachwelt richtet, uns blauen Dunst über das zu machen, was er gewollt, was er für die Freiheit zu unternehmen im Begriff gestanden habe. Was mich aber mit Napoleon aussöhnt, das sind seine Nachfolger: sie arbeiten Nacht und Tag an dem Rufe des Mannes, den sie gestürzt haben.“

„18 Sept. 1823. Ich habe aus Turin willkommene Nachrichten erhalten, und erwarte mit Ungeduld ähnliche von Villa Santa-Rosa. Nächstes Frühjahr lasse ich sie zu mir herkommen, diese armen, meiner traurigen Bestimmung unwiderruflich verbündeten Geschöpfe. Du sollst sie bei ihrer Durchreise durch Paris sehen.“

„30 Sept. 1823. Ich arbeite fortwährend auf dieselbe Weise, indem ich mein Leben auf Kosten aller meiner Projecte friste. Ich schreibe jetzt eine Abhandlung über die italienische Litteratur. Die Arbeit ist mir unter der Hand gewachsen. Indem ich das abenteuerliche Leben eines Jordano Bruno, Campanella und anderer durchlas, habe ich oft an dich gedacht. Und dieser florentinische Platonismus, aus welchem eine so kräftige und hochherzige Jugend hervorgegangen ist, welche das Vaterland gerettet haben würde, wenn sie es hätte dürfen; aber sie rettete wenigstens die Ehre. Wir Italiener des 19ten Jahrhunderts, wir haben nicht einmal diesen traurigen Vortheil gehabt. Es gibt Gedanken, Freund, welche einen das ganze Leben verfolgen; du verstehst mich und mußt mich beklagen. Welche Vorwürfe mache ich mir, und was würde ich darum geben, hätte ich jene 30 Tage meines politischen Lebens zurück, welche mit so viel Schrecknissen bezeichnet sind!..... Ich werde 40 Jahre alt; ich habe mich oft nach Glück gesehnt; ich hatte unermeßlichen Sinn dafür. Meine bittere Bestimmung war eine andere. Indessen ich habe eine Zukunft, ich habe Kinder; ich liebe und achte ihre Mutter; meine Kinder werden mich glücklich oder unglücklich machen. Wenn ich indeß meinen Leiden erliege, so fürchte ich nicht das leere, gräßliche Nichts, an welches ich nicht glauben kann und mag, und welches ich durch meinen Willen und Instinct, aus Mangel positiver Belege, mit Gewalt von mir weise.... Wenn ich schreibe, so will ich meine Ueberzeugung in meinen Büchern niederlegen, und auch mein Vaterland werde ich vor Augen haben; auch das Andenken meiner Mutter wird eine Gottheit seyn, welches mir mehr als ein Opfer gebieten wird. Dieses Gefühl ist eine der Springfedern meiner inneren Existenz. Ob gut oder schlecht, es ist. Es ist mir aus diesem allmächtigen Grunde unmöglich, ganz und gar den neuen Sitten und der neuen Epoche anzugehören....“ „18 Oct. 1823. Ja, mein Freund, ich muß einen gewissen Aberglauben bei meinem inneren Leben und meinen Neigungen haben; was mir begegnet ist, bestärkt mich darin. Heute, am 18 Oct., an dem Tage, wo ich das vierzigste Jahr ad acta lege, und wo ich eingeschlossen, unsichtbar in meiner kleinen Einsiedelei bleibe, in Gedanken an meine Leiden, meine Zukunft versunken, wo ich meine theuersten Erinnerungen, meine zärtlichsten Bekanntschaften um mich herumversammle, bringt man mir deinen Brief vom 12 und deinen Plato. Von ächt römischer Race und von ächt römischem Blute, acceptire ich das Omen, wie zu den Zeiten Camillus' und Denta us'. Ich habe auf der Stelle die Feder ergriffen, um dir in diesem ersten Augenblicke lieblicher Stimmung zu antworten. Ach welch mysteriöses und göttliches Ding ist doch das menschliche Herz, wie sehr beklage ich die Lehren des Materialismus!“....

So verfloß das Jahr 1823; das neue Jahr fand ihn in einem Zustande von bald Muthlosigkeit, bald Exaltirtheit, welche ihm abwechselnd die Energie seiner Seele und das Elend seiner Lage einflößten. In den ersten Monaten von 1824 wurden seine Briefe nach und nach immer seltener, kürzer, düsterer; er rang gegen eine stets zunehmende Armuth, er machte sich ein Gewissen daraus, von seiner Familie, welche selbst sehr genirt war, Unterstützung zu verlangen, und konnte seine Bedürfnisse nicht von Arbeiten als Journalist bestreiten, wozu er nun einmal nicht gemacht war. Er entschloß sich, London zu verlassen und sich nach Nottingham zurückzuziehen, wo er unter einem fremden Namen sich sein Brod durch italienische und französische Stunden verdiente. Hin waren seine Plane von großen Werken, hin seine Träume von Ehre und Glück! Der Unglückliche sah sein Leben dahinschwinden in einer allerdings ehrenwerthen, aber end- und zwecklosen Beschäftigung. Er verzweifelte an der Zukunft, an sich selbst. Längere Zeit schrieb er mir gar nicht. Ich mußte von Andern erfahren, wie es ihm gehe. Aber bald wurde ich selbst in die unerwartetsten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0013" n="1380"/><lb/>
oder mit diesem verwechsle, welcher ich aber ernstlich attachirt bin.&#x201C; ... &#x201E;25 Mai 1823. Nein, ich will nichts annehmen und von Niemand. Man kann nur seinen intimen Freund zum Patron haben, und ich habe die Liste der Freunde für immer geschlossen. Du bist der letzte, welcher darin steht, der letzte nach dem Datum; aber nach meiner Zuneigung zu dir kannst du nicht einmal der zweite seyn, das sagt mir mein Herz mit deutlicher Stimme. Endlich habe ich das zerstreute Londoner Leben aufgegeben, und habe mich mit dem Grafen Porro in einem Häuschen, welches man hier cottage nennt, am Ende der Stadt, etwa wie in Paris in Montrouge oder Chaillot, eingerichtet. Man ist da gerade wie auf dem Lande: von meinem Fenster aus habe ich die Aussicht auf den Regent-Canal und auf die am jenseitigen Ufer liegenden Cottages. Man sollte glauben, 100 Meilen von einer großen Stadt entfernt zu seyn, und gleichwohl kann man in 20 Minuten in der Oxford-Street oder Hyde-Park mitten unter den elegantesten Spaziergängern seyn. Unser Häuschen gehört Foscolo; ich bin gern dort, aber Auteuil wird doch immer mein Lieblingsort bleiben. Ich habe ihm ein, ich möchte sagen, zärtliches Andenken bewahrt; es mischt sich Traurigkeit darein, wenn ich bedenke, wie ich dich dort leiden sah. Vielleicht bleibe ich nächsten Herbst und selbst den Winter in meinem Häuschen; ich bedarf Zurückgezogenheit und Beschäftigung. Wenn ich so viel verdiene, als ich zum Leben brauche, werde ich meine Familie nachkommen lassen. Mit den Mitteln meiner Frau und dem, was ich durch Arbeiten verdienen kann, wird unser Hausstand sich schon machen. Wenn aber die Hoffnungen auf meine Mittel, Geld zu verdienen, mich täuschen sollten, so müssen wir uns in Würtemberg niederlassen, weil die Schweiz uns verschlossen ist.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;10 Sept. 1823. Ich arbeite mit Ausdauer, aber ohne Geschmack daran zu finden. Nichts langweilt mich mehr, als Zeitungsartikel schreiben zu müssen; sie werden mich an der Vollendung ernsterer Arbeiten hindern. Das ist, ich sehe es wohl ein, ein wichtiger Grund, sie nicht zu schreiben; aber einmal ist das Bedürfniß, einiges Geld zu verdienen, gebieterisch für mich, und Zeitungsartikel sind das einzige Mittel, sich immer ein Taschengeld zu erhalten, dann aber hoffe ich auch, daß, wenn ich nur erst einmal ein bißchen Uebung darin erlangt haben werde, diese Arbeit nur die Hälfte meiner Zeit in Anspruch nehmen wird, wo ich dann die andere Hälfte meinen alten Planen widmen kann.... Hast du Las-Cases gelesen? Wahrhaftig, man müßte das Gedächtniß verloren haben, wenn man allem dem, was Napoleon über seine schönen liberalen Projecte sagt, einigen Glauben schenken wollte. Er hat gesehen, daß die Richtung des Zeitgeistes seit 1814 der Freiheit galt, und wenn er 1815 seine neue Rolle ungeschickt gespielt hat, so hindert ihn das nicht, in dem Manifest, welches er durch Las-Cases an die Nachwelt richtet, uns blauen Dunst über das zu machen, was er gewollt, was er für die Freiheit zu unternehmen im Begriff gestanden habe. Was mich aber mit Napoleon aussöhnt, das sind seine Nachfolger: sie arbeiten Nacht und Tag an dem Rufe des Mannes, den sie gestürzt haben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;18 Sept. 1823. Ich habe aus Turin willkommene Nachrichten erhalten, und erwarte mit Ungeduld ähnliche von Villa Santa-Rosa. Nächstes Frühjahr lasse ich sie zu mir herkommen, diese armen, meiner traurigen Bestimmung unwiderruflich verbündeten Geschöpfe. Du sollst sie bei ihrer Durchreise durch Paris sehen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;30 Sept. 1823. Ich arbeite fortwährend auf dieselbe Weise, indem ich mein Leben auf Kosten aller meiner Projecte friste. Ich schreibe jetzt eine Abhandlung über die italienische Litteratur. Die Arbeit ist mir unter der Hand gewachsen. Indem ich das abenteuerliche Leben eines Jordano Bruno, Campanella und anderer durchlas, habe ich oft an dich gedacht. Und dieser florentinische Platonismus, aus welchem eine so kräftige und hochherzige Jugend hervorgegangen ist, welche das Vaterland gerettet haben würde, wenn sie es hätte dürfen; aber sie rettete wenigstens die Ehre. Wir Italiener des 19ten Jahrhunderts, wir haben nicht einmal diesen traurigen Vortheil gehabt. Es gibt Gedanken, Freund, welche einen das ganze Leben verfolgen; du verstehst mich und mußt mich beklagen. Welche Vorwürfe mache ich mir, und was würde ich darum geben, hätte ich jene 30 Tage meines politischen Lebens zurück, welche mit so viel Schrecknissen bezeichnet sind!..... Ich werde 40 Jahre alt; ich habe mich oft nach Glück gesehnt; ich hatte unermeßlichen Sinn dafür. Meine bittere Bestimmung war eine andere. Indessen ich habe eine Zukunft, ich habe Kinder; ich liebe und achte ihre Mutter; meine Kinder werden mich glücklich oder unglücklich machen. Wenn ich indeß meinen Leiden erliege, so fürchte ich nicht das leere, gräßliche Nichts, an welches ich nicht glauben kann und mag, und welches ich durch meinen Willen und Instinct, aus Mangel positiver Belege, mit Gewalt von mir weise.... Wenn ich schreibe, so will ich meine Ueberzeugung in meinen Büchern niederlegen, und auch mein Vaterland werde ich vor Augen haben; auch das Andenken meiner Mutter wird eine Gottheit seyn, welches mir mehr als ein Opfer gebieten wird. Dieses Gefühl ist eine der Springfedern meiner inneren Existenz. Ob gut oder schlecht, es ist. Es ist mir aus diesem allmächtigen Grunde unmöglich, ganz und gar den neuen Sitten und der neuen Epoche anzugehören....&#x201C; &#x201E;18 Oct. 1823. Ja, mein Freund, ich muß einen gewissen Aberglauben bei meinem inneren Leben und meinen Neigungen haben; was mir begegnet ist, bestärkt mich darin. Heute, am 18 Oct., an dem Tage, wo ich das vierzigste Jahr ad acta lege, und wo ich eingeschlossen, unsichtbar in meiner kleinen Einsiedelei bleibe, in Gedanken an meine Leiden, meine Zukunft versunken, wo ich meine theuersten Erinnerungen, meine zärtlichsten Bekanntschaften um mich herumversammle, bringt man mir deinen Brief vom 12 und deinen Plato. Von ächt römischer Race und von ächt römischem Blute, acceptire ich das Omen, wie zu den Zeiten Camillus' und Denta us'. Ich habe auf der Stelle die Feder ergriffen, um dir in diesem ersten Augenblicke lieblicher Stimmung zu antworten. Ach welch mysteriöses und göttliches Ding ist doch das menschliche Herz, wie sehr beklage ich die Lehren des Materialismus!&#x201C;....</p><lb/>
        <p>So verfloß das Jahr 1823; das neue Jahr fand ihn in einem Zustande von bald Muthlosigkeit, bald Exaltirtheit, welche ihm abwechselnd die Energie seiner Seele und das Elend seiner Lage einflößten. In den ersten Monaten von 1824 wurden seine Briefe nach und nach immer seltener, kürzer, düsterer; er rang gegen eine stets zunehmende Armuth, er machte sich ein Gewissen daraus, von seiner Familie, welche selbst sehr genirt war, Unterstützung zu verlangen, und konnte seine Bedürfnisse nicht von Arbeiten als Journalist bestreiten, wozu er nun einmal nicht gemacht war. Er entschloß sich, London zu verlassen und sich nach Nottingham zurückzuziehen, wo er unter einem fremden Namen sich sein Brod durch italienische und französische Stunden verdiente. Hin waren seine Plane von großen Werken, hin seine Träume von Ehre und Glück! Der Unglückliche sah sein Leben dahinschwinden in einer allerdings ehrenwerthen, aber end- und zwecklosen Beschäftigung. Er verzweifelte an der Zukunft, an sich selbst. Längere Zeit schrieb er mir gar nicht. Ich mußte von Andern erfahren, wie es ihm gehe. Aber bald wurde ich selbst in die unerwartetsten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1380/0013] oder mit diesem verwechsle, welcher ich aber ernstlich attachirt bin.“ ... „25 Mai 1823. Nein, ich will nichts annehmen und von Niemand. Man kann nur seinen intimen Freund zum Patron haben, und ich habe die Liste der Freunde für immer geschlossen. Du bist der letzte, welcher darin steht, der letzte nach dem Datum; aber nach meiner Zuneigung zu dir kannst du nicht einmal der zweite seyn, das sagt mir mein Herz mit deutlicher Stimme. Endlich habe ich das zerstreute Londoner Leben aufgegeben, und habe mich mit dem Grafen Porro in einem Häuschen, welches man hier cottage nennt, am Ende der Stadt, etwa wie in Paris in Montrouge oder Chaillot, eingerichtet. Man ist da gerade wie auf dem Lande: von meinem Fenster aus habe ich die Aussicht auf den Regent-Canal und auf die am jenseitigen Ufer liegenden Cottages. Man sollte glauben, 100 Meilen von einer großen Stadt entfernt zu seyn, und gleichwohl kann man in 20 Minuten in der Oxford-Street oder Hyde-Park mitten unter den elegantesten Spaziergängern seyn. Unser Häuschen gehört Foscolo; ich bin gern dort, aber Auteuil wird doch immer mein Lieblingsort bleiben. Ich habe ihm ein, ich möchte sagen, zärtliches Andenken bewahrt; es mischt sich Traurigkeit darein, wenn ich bedenke, wie ich dich dort leiden sah. Vielleicht bleibe ich nächsten Herbst und selbst den Winter in meinem Häuschen; ich bedarf Zurückgezogenheit und Beschäftigung. Wenn ich so viel verdiene, als ich zum Leben brauche, werde ich meine Familie nachkommen lassen. Mit den Mitteln meiner Frau und dem, was ich durch Arbeiten verdienen kann, wird unser Hausstand sich schon machen. Wenn aber die Hoffnungen auf meine Mittel, Geld zu verdienen, mich täuschen sollten, so müssen wir uns in Würtemberg niederlassen, weil die Schweiz uns verschlossen ist.“ „10 Sept. 1823. Ich arbeite mit Ausdauer, aber ohne Geschmack daran zu finden. Nichts langweilt mich mehr, als Zeitungsartikel schreiben zu müssen; sie werden mich an der Vollendung ernsterer Arbeiten hindern. Das ist, ich sehe es wohl ein, ein wichtiger Grund, sie nicht zu schreiben; aber einmal ist das Bedürfniß, einiges Geld zu verdienen, gebieterisch für mich, und Zeitungsartikel sind das einzige Mittel, sich immer ein Taschengeld zu erhalten, dann aber hoffe ich auch, daß, wenn ich nur erst einmal ein bißchen Uebung darin erlangt haben werde, diese Arbeit nur die Hälfte meiner Zeit in Anspruch nehmen wird, wo ich dann die andere Hälfte meinen alten Planen widmen kann.... Hast du Las-Cases gelesen? Wahrhaftig, man müßte das Gedächtniß verloren haben, wenn man allem dem, was Napoleon über seine schönen liberalen Projecte sagt, einigen Glauben schenken wollte. Er hat gesehen, daß die Richtung des Zeitgeistes seit 1814 der Freiheit galt, und wenn er 1815 seine neue Rolle ungeschickt gespielt hat, so hindert ihn das nicht, in dem Manifest, welches er durch Las-Cases an die Nachwelt richtet, uns blauen Dunst über das zu machen, was er gewollt, was er für die Freiheit zu unternehmen im Begriff gestanden habe. Was mich aber mit Napoleon aussöhnt, das sind seine Nachfolger: sie arbeiten Nacht und Tag an dem Rufe des Mannes, den sie gestürzt haben.“ „18 Sept. 1823. Ich habe aus Turin willkommene Nachrichten erhalten, und erwarte mit Ungeduld ähnliche von Villa Santa-Rosa. Nächstes Frühjahr lasse ich sie zu mir herkommen, diese armen, meiner traurigen Bestimmung unwiderruflich verbündeten Geschöpfe. Du sollst sie bei ihrer Durchreise durch Paris sehen.“ „30 Sept. 1823. Ich arbeite fortwährend auf dieselbe Weise, indem ich mein Leben auf Kosten aller meiner Projecte friste. Ich schreibe jetzt eine Abhandlung über die italienische Litteratur. Die Arbeit ist mir unter der Hand gewachsen. Indem ich das abenteuerliche Leben eines Jordano Bruno, Campanella und anderer durchlas, habe ich oft an dich gedacht. Und dieser florentinische Platonismus, aus welchem eine so kräftige und hochherzige Jugend hervorgegangen ist, welche das Vaterland gerettet haben würde, wenn sie es hätte dürfen; aber sie rettete wenigstens die Ehre. Wir Italiener des 19ten Jahrhunderts, wir haben nicht einmal diesen traurigen Vortheil gehabt. Es gibt Gedanken, Freund, welche einen das ganze Leben verfolgen; du verstehst mich und mußt mich beklagen. Welche Vorwürfe mache ich mir, und was würde ich darum geben, hätte ich jene 30 Tage meines politischen Lebens zurück, welche mit so viel Schrecknissen bezeichnet sind!..... Ich werde 40 Jahre alt; ich habe mich oft nach Glück gesehnt; ich hatte unermeßlichen Sinn dafür. Meine bittere Bestimmung war eine andere. Indessen ich habe eine Zukunft, ich habe Kinder; ich liebe und achte ihre Mutter; meine Kinder werden mich glücklich oder unglücklich machen. Wenn ich indeß meinen Leiden erliege, so fürchte ich nicht das leere, gräßliche Nichts, an welches ich nicht glauben kann und mag, und welches ich durch meinen Willen und Instinct, aus Mangel positiver Belege, mit Gewalt von mir weise.... Wenn ich schreibe, so will ich meine Ueberzeugung in meinen Büchern niederlegen, und auch mein Vaterland werde ich vor Augen haben; auch das Andenken meiner Mutter wird eine Gottheit seyn, welches mir mehr als ein Opfer gebieten wird. Dieses Gefühl ist eine der Springfedern meiner inneren Existenz. Ob gut oder schlecht, es ist. Es ist mir aus diesem allmächtigen Grunde unmöglich, ganz und gar den neuen Sitten und der neuen Epoche anzugehören....“ „18 Oct. 1823. Ja, mein Freund, ich muß einen gewissen Aberglauben bei meinem inneren Leben und meinen Neigungen haben; was mir begegnet ist, bestärkt mich darin. Heute, am 18 Oct., an dem Tage, wo ich das vierzigste Jahr ad acta lege, und wo ich eingeschlossen, unsichtbar in meiner kleinen Einsiedelei bleibe, in Gedanken an meine Leiden, meine Zukunft versunken, wo ich meine theuersten Erinnerungen, meine zärtlichsten Bekanntschaften um mich herumversammle, bringt man mir deinen Brief vom 12 und deinen Plato. Von ächt römischer Race und von ächt römischem Blute, acceptire ich das Omen, wie zu den Zeiten Camillus' und Denta us'. Ich habe auf der Stelle die Feder ergriffen, um dir in diesem ersten Augenblicke lieblicher Stimmung zu antworten. Ach welch mysteriöses und göttliches Ding ist doch das menschliche Herz, wie sehr beklage ich die Lehren des Materialismus!“.... So verfloß das Jahr 1823; das neue Jahr fand ihn in einem Zustande von bald Muthlosigkeit, bald Exaltirtheit, welche ihm abwechselnd die Energie seiner Seele und das Elend seiner Lage einflößten. In den ersten Monaten von 1824 wurden seine Briefe nach und nach immer seltener, kürzer, düsterer; er rang gegen eine stets zunehmende Armuth, er machte sich ein Gewissen daraus, von seiner Familie, welche selbst sehr genirt war, Unterstützung zu verlangen, und konnte seine Bedürfnisse nicht von Arbeiten als Journalist bestreiten, wozu er nun einmal nicht gemacht war. Er entschloß sich, London zu verlassen und sich nach Nottingham zurückzuziehen, wo er unter einem fremden Namen sich sein Brod durch italienische und französische Stunden verdiente. Hin waren seine Plane von großen Werken, hin seine Träume von Ehre und Glück! Der Unglückliche sah sein Leben dahinschwinden in einer allerdings ehrenwerthen, aber end- und zwecklosen Beschäftigung. Er verzweifelte an der Zukunft, an sich selbst. Längere Zeit schrieb er mir gar nicht. Ich mußte von Andern erfahren, wie es ihm gehe. Aber bald wurde ich selbst in die unerwartetsten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_173_18400621
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_173_18400621/13
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 173. Augsburg, 21. Juni 1840, S. 1380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_173_18400621/13>, abgerufen am 03.12.2024.