Allgemeine Zeitung. Nr. 174. Augsburg, 22. Juni 1840.Für eine Anzahl von Zuschauern sorgt die Pariser Neugier immer; doch war an dem Concordienplatz, wo die Truppen vorüber zogen, das Gedräng keineswegs erdrückend. Auf den beiden Terrassen, die den elyseischen Feldern gegenüber liegen, hatte ein begünstigtes Publicum Platz genommen; diese ausgewählte, durch Rang und Reichthum äußern Schmucks glänzende Gesellschaft, hier gleichsam von einer Logenreihe unter freiem Himmel herab eine lebenvolle Scene, die sich gleichfalls unter freiem Himmel abspann, betrachtend, mochte in beweglichen, zu jedem Uebergange schnell bereiten Phantasien das Bild jener Schauspiele des Alterthums hervorrufen, die zum Theil sich in einigen Ländern des südlichen Europa's bis auf den heutigen Tag erhielten. Die Marine (Palast des Marineministeriums), die den Concordienplatz an der Stelle begränzt, wo die Straße Rivoli in ihn, wie ein Strom in einen See ausmündet, hatte eine ziemliche Anzahl von bunten Frauen und vergnügten Kindern unter ihrem Säulendach versammelt. Das Gardemeuble, auf dem andern Ufer der Rue Royale, die sich gleichfalls in den Concordienplatz ergießt, und auf der einen Seite an der Marine hinläuft, war äußerst spärlich nur besetzt. Diese beiden Paläste, vollkommne Zwillinge durch ihren Umfang sowohl, als durch ihre Bauart, gehören sicher mit zu den schönsten Denkmalen dieser Hauptstadt. Sie verbreiten über den lebendigen, viel begangenen, viel befahrnen, und mit den mannichfachsten Verzierungen, wenn nicht überladenen, doch sehr bevölkerten Platz, dessen Einfassung sie theilweise bilden, einen Charakter großartiger Einfachheit und heiterer Majestät. Wer nicht unter den Bevorrechteten war, und doch auf den Terrassen des Gartens oder in den bezeichneten Palästen unterkam, hatte wenig Aussicht, etwas Rechtes von der Revue zu sehen. Seit den Anschlägen Alibauds und Fieschi's hielt die Polizei des Hofes in ihrer furchtsamen Weisheit das Volk, wo es nur immer ging, einige Pistolenschußweiten von dem geheiligten Leib des Monarchen entfernt; überall ist diese Vorsicht freilich nicht möglich, aber so oft der König ausfährt, kehrt man einiges Gesindel aus den Straßen weg, durch die er kommt, und Gesindel ist den Leuten Alles, was nicht rothe Hosen oder einen blauen Frack und einen Tschako trägt. Dasselbe System ward auch gestern wieder befolgt, der Theil von Paris, wo die Revue statthatte, vom frühen Morgen an hermetisch abgeschlossen und alle Zugänge von der Municipalgarde auf das unerbittlichste bewacht. Das Verbot des Einlasses war gegen jede Art bürgerlicher Kleidung ausgesprochen und das Einschwärzen unmöglich gemacht. Selbst den Garten der Tuilerien, den alle Welt liebt und genießt, weil jeder in ihm etwas findet, das ihm besonders lieb ist, man hat ihn dem einsamen Träumer, der beobachtet, wenn im Denken ihn die Menge störte, dem Muthwillen der Kinder, die oft mehr Klugheit und Energie in dem Wetteifer ihrer Spiele, als in der Reife späterer Jahre zeigen, und sogar dem arglosen Sonntagsvolk geraubt, das einmal in der Woche der engen Finsterniß seiner Boutiken entronnen, hier unter dem Schatten der gewohnten Bäume gedankenlos wandelt oder ausruht. Wohl sind die Hausväter dieser Menschenclasse alle Säulen der öffentlichen Ordnung und hatten daher bei der großen Parade zu erscheinen, doch den stillen Müttern, den Töchtern, die manchmal hübsch, öfter jedoch es nicht sind, und den allzeit verliebten Commis, dieser unschuldigen, harmlosen Heerde hätte man getrost die Gitter des Gartens öffnen können. Achtung gebietend war der Anblick der Linie; einzeln genommen hat der französische Soldat, namentlich der Soldat des Fußvolks, ein unscheinbares, gedrücktes, zwerghaftes Aussehen; bewegen sie sich aber in Reih und Glied, da kommt Haltung in die Leute, die sonst gewöhnlichen und fühllosen Gesichter beleben sich mit kriegerischem Muth, und man begreift, woher es kommt, daß der Sinn des französischen Volks dem Fremden gegenüber so stolz, so keck und so herausfordernd ist. Die Uniform ist fast häßlich zu nennen, allein man übersieht sie, mit dem rüstigen, kampflustigen Aussehen der Truppe beschäftigt. Sonst machen Kleider Leute, hier ist es umgewendet. Artillerie und Reiterei hoben durch ihre Gegenwart die martialische Seite der Feier noch glänzender hervor. Was die Reiterei insbesondere angeht, so schien sie mir zwar nicht durch Vollständigkeit der Regimenter ausgezeichnet, aber weit besser beritten, als man vielfach außerhalb Frankreich glaubt. Wenden wir uns nun zur Nationalgarde, so erhält das Sprüchwort: "Kleider machen Leute," wieder seine volle Geltung. Da ist Alles sauber gewaschen und gebügelt, gestrichen und gebürstet. Alles funkelt und schimmert, man macht sich steif und gibt sich ein Ansehen, als wollte man den Sultan und den Pascha von Aegypten zugleich umbringen, aber der Philister sieht doch oben und unten, hinten und vorn heraus. Man sah es den Herren gar zu sehr an, wie sauer ihnen die Mühe ward; die Grenadiere schienen der Bärenmütze, alle aber der Hitze zu erliegen. Daher ward auch jede freie Viertelstunde zu einem Ausfluge in die benachbarten Weinschenken benützt. Der Soldat erträgt den Durst, wie jede Entbehrung; der der Nationalgarde, wenn er einmal ins Feld rückt, hat nichts Besseres zu thun, als ihn zu löschen. Paris, 17 Jun. Wenn Louis Philipp in seinem Handschreiben an den Marschall Gerard sagt, daß er nie eine schönere und zahlreichere Revue der Nationalgarde gesehen habe, so bedarf dieß einer Erläuterung. Ohne von der großen Revue im J. 1830 auf dem Marsfelde zu reden, wo an hunderttausend Nationalgardisten versammelt waren, ohne selbst an die der Jahre 1831 und 1832 zu erinnern, ist uns gar wohl erinnerlich, in den Jahren 1833, als man gegen die Errichtung der forts detaches protestirte, und im Jahr 1834 und 1835 zahlreichere Musterungen gesehen zu haben. Dagegen scheint es, daß die letzten Jahre gegen die Revue vom Sonntag zurückstanden, und es kommt nun darauf an zu wissen, wem dieser größere Eifer der Bürgergarde zu gut geschrieben werden muß, ob nicht zunächst dem Ministerium vom 1 März, dessen Farbe und Politik man hiedurch billigen wollte? Die Frage wird schwer zu entscheiden seyn, immerhin aber scheint uns die Logik des Journal des Debats interessant, das aus dem Rufe der Nationalgarde: vive la Reforme electorale, den Schluß herleiten will, daß die Nationalgarde für den König und gegen das Ministerium Thiers sey, weil sie von dem König selbst die Reform verlange, also erwarte, und folglich von ihm mehr hoffe als von dem Ministerium Thiers! Diese Schlauheit ist zu fein, um von dem großen Haufen gehörig gewürdigt zu werden; wir, die wir zuweilen das Journal des Debats im heiligen Ingrimm gegen die Nationalgarde gesehen haben, die sich erkühnte, unter den Waffen irgend eine Meinung zu äußern, wir bemerkten nicht ohne Interesse den biegsamen Geist des neuen Oppositionsblattes. Seine Schule macht sich schnell, im Nothfall könnte es sich der Artikel des Courrier francais vom J. 1833 bedienen, die es damals ketzerisch fand, während der Courrier im Gewande der Debats vom J. 1833 nach allen Regeln des Schlusses den Nationalgardisten darthut, daß sie als solche keine Meinung haben und nur gehorchen dürfen. Was mehr als die ganze Nationalgarde gewirkt, war das 63ste Linieninfanterieregiment, das aus Afrika kommt, und mit seiner zerfetzten Standarte und seiner gebräunten Gesichtsfarbe an die jüngsten Kämpfe gegen die Araber erinnerte. Neben diesem Regimente war auch der Oberst, jetzt Brigadegeneral Für eine Anzahl von Zuschauern sorgt die Pariser Neugier immer; doch war an dem Concordienplatz, wo die Truppen vorüber zogen, das Gedräng keineswegs erdrückend. Auf den beiden Terrassen, die den elyseischen Feldern gegenüber liegen, hatte ein begünstigtes Publicum Platz genommen; diese ausgewählte, durch Rang und Reichthum äußern Schmucks glänzende Gesellschaft, hier gleichsam von einer Logenreihe unter freiem Himmel herab eine lebenvolle Scene, die sich gleichfalls unter freiem Himmel abspann, betrachtend, mochte in beweglichen, zu jedem Uebergange schnell bereiten Phantasien das Bild jener Schauspiele des Alterthums hervorrufen, die zum Theil sich in einigen Ländern des südlichen Europa's bis auf den heutigen Tag erhielten. Die Marine (Palast des Marineministeriums), die den Concordienplatz an der Stelle begränzt, wo die Straße Rivoli in ihn, wie ein Strom in einen See ausmündet, hatte eine ziemliche Anzahl von bunten Frauen und vergnügten Kindern unter ihrem Säulendach versammelt. Das Gardemeuble, auf dem andern Ufer der Rue Royale, die sich gleichfalls in den Concordienplatz ergießt, und auf der einen Seite an der Marine hinläuft, war äußerst spärlich nur besetzt. Diese beiden Paläste, vollkommne Zwillinge durch ihren Umfang sowohl, als durch ihre Bauart, gehören sicher mit zu den schönsten Denkmalen dieser Hauptstadt. Sie verbreiten über den lebendigen, viel begangenen, viel befahrnen, und mit den mannichfachsten Verzierungen, wenn nicht überladenen, doch sehr bevölkerten Platz, dessen Einfassung sie theilweise bilden, einen Charakter großartiger Einfachheit und heiterer Majestät. Wer nicht unter den Bevorrechteten war, und doch auf den Terrassen des Gartens oder in den bezeichneten Palästen unterkam, hatte wenig Aussicht, etwas Rechtes von der Revue zu sehen. Seit den Anschlägen Alibauds und Fieschi's hielt die Polizei des Hofes in ihrer furchtsamen Weisheit das Volk, wo es nur immer ging, einige Pistolenschußweiten von dem geheiligten Leib des Monarchen entfernt; überall ist diese Vorsicht freilich nicht möglich, aber so oft der König ausfährt, kehrt man einiges Gesindel aus den Straßen weg, durch die er kommt, und Gesindel ist den Leuten Alles, was nicht rothe Hosen oder einen blauen Frack und einen Tschako trägt. Dasselbe System ward auch gestern wieder befolgt, der Theil von Paris, wo die Revue statthatte, vom frühen Morgen an hermetisch abgeschlossen und alle Zugänge von der Municipalgarde auf das unerbittlichste bewacht. Das Verbot des Einlasses war gegen jede Art bürgerlicher Kleidung ausgesprochen und das Einschwärzen unmöglich gemacht. Selbst den Garten der Tuilerien, den alle Welt liebt und genießt, weil jeder in ihm etwas findet, das ihm besonders lieb ist, man hat ihn dem einsamen Träumer, der beobachtet, wenn im Denken ihn die Menge störte, dem Muthwillen der Kinder, die oft mehr Klugheit und Energie in dem Wetteifer ihrer Spiele, als in der Reife späterer Jahre zeigen, und sogar dem arglosen Sonntagsvolk geraubt, das einmal in der Woche der engen Finsterniß seiner Boutiken entronnen, hier unter dem Schatten der gewohnten Bäume gedankenlos wandelt oder ausruht. Wohl sind die Hausväter dieser Menschenclasse alle Säulen der öffentlichen Ordnung und hatten daher bei der großen Parade zu erscheinen, doch den stillen Müttern, den Töchtern, die manchmal hübsch, öfter jedoch es nicht sind, und den allzeit verliebten Commis, dieser unschuldigen, harmlosen Heerde hätte man getrost die Gitter des Gartens öffnen können. Achtung gebietend war der Anblick der Linie; einzeln genommen hat der französische Soldat, namentlich der Soldat des Fußvolks, ein unscheinbares, gedrücktes, zwerghaftes Aussehen; bewegen sie sich aber in Reih und Glied, da kommt Haltung in die Leute, die sonst gewöhnlichen und fühllosen Gesichter beleben sich mit kriegerischem Muth, und man begreift, woher es kommt, daß der Sinn des französischen Volks dem Fremden gegenüber so stolz, so keck und so herausfordernd ist. Die Uniform ist fast häßlich zu nennen, allein man übersieht sie, mit dem rüstigen, kampflustigen Aussehen der Truppe beschäftigt. Sonst machen Kleider Leute, hier ist es umgewendet. Artillerie und Reiterei hoben durch ihre Gegenwart die martialische Seite der Feier noch glänzender hervor. Was die Reiterei insbesondere angeht, so schien sie mir zwar nicht durch Vollständigkeit der Regimenter ausgezeichnet, aber weit besser beritten, als man vielfach außerhalb Frankreich glaubt. Wenden wir uns nun zur Nationalgarde, so erhält das Sprüchwort: „Kleider machen Leute,“ wieder seine volle Geltung. Da ist Alles sauber gewaschen und gebügelt, gestrichen und gebürstet. Alles funkelt und schimmert, man macht sich steif und gibt sich ein Ansehen, als wollte man den Sultan und den Pascha von Aegypten zugleich umbringen, aber der Philister sieht doch oben und unten, hinten und vorn heraus. Man sah es den Herren gar zu sehr an, wie sauer ihnen die Mühe ward; die Grenadiere schienen der Bärenmütze, alle aber der Hitze zu erliegen. Daher ward auch jede freie Viertelstunde zu einem Ausfluge in die benachbarten Weinschenken benützt. Der Soldat erträgt den Durst, wie jede Entbehrung; der der Nationalgarde, wenn er einmal ins Feld rückt, hat nichts Besseres zu thun, als ihn zu löschen. Paris, 17 Jun. Wenn Louis Philipp in seinem Handschreiben an den Marschall Gérard sagt, daß er nie eine schönere und zahlreichere Revue der Nationalgarde gesehen habe, so bedarf dieß einer Erläuterung. Ohne von der großen Revue im J. 1830 auf dem Marsfelde zu reden, wo an hunderttausend Nationalgardisten versammelt waren, ohne selbst an die der Jahre 1831 und 1832 zu erinnern, ist uns gar wohl erinnerlich, in den Jahren 1833, als man gegen die Errichtung der forts détachés protestirte, und im Jahr 1834 und 1835 zahlreichere Musterungen gesehen zu haben. Dagegen scheint es, daß die letzten Jahre gegen die Revue vom Sonntag zurückstanden, und es kommt nun darauf an zu wissen, wem dieser größere Eifer der Bürgergarde zu gut geschrieben werden muß, ob nicht zunächst dem Ministerium vom 1 März, dessen Farbe und Politik man hiedurch billigen wollte? Die Frage wird schwer zu entscheiden seyn, immerhin aber scheint uns die Logik des Journal des Débats interessant, das aus dem Rufe der Nationalgarde: vive la Réforme electorale, den Schluß herleiten will, daß die Nationalgarde für den König und gegen das Ministerium Thiers sey, weil sie von dem König selbst die Reform verlange, also erwarte, und folglich von ihm mehr hoffe als von dem Ministerium Thiers! Diese Schlauheit ist zu fein, um von dem großen Haufen gehörig gewürdigt zu werden; wir, die wir zuweilen das Journal des Débats im heiligen Ingrimm gegen die Nationalgarde gesehen haben, die sich erkühnte, unter den Waffen irgend eine Meinung zu äußern, wir bemerkten nicht ohne Interesse den biegsamen Geist des neuen Oppositionsblattes. Seine Schule macht sich schnell, im Nothfall könnte es sich der Artikel des Courrier français vom J. 1833 bedienen, die es damals ketzerisch fand, während der Courrier im Gewande der Débats vom J. 1833 nach allen Regeln des Schlusses den Nationalgardisten darthut, daß sie als solche keine Meinung haben und nur gehorchen dürfen. Was mehr als die ganze Nationalgarde gewirkt, war das 63ste Linieninfanterieregiment, das aus Afrika kommt, und mit seiner zerfetzten Standarte und seiner gebräunten Gesichtsfarbe an die jüngsten Kämpfe gegen die Araber erinnerte. Neben diesem Regimente war auch der Oberst, jetzt Brigadegeneral <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0005" n="1389"/> Für eine Anzahl von Zuschauern sorgt die Pariser Neugier immer; doch war an dem Concordienplatz, wo die Truppen vorüber zogen, das Gedräng keineswegs erdrückend. Auf den beiden Terrassen, die den elyseischen Feldern gegenüber liegen, hatte ein begünstigtes Publicum Platz genommen; diese ausgewählte, durch Rang und Reichthum äußern Schmucks glänzende Gesellschaft, hier gleichsam von einer Logenreihe unter freiem Himmel herab eine lebenvolle Scene, die sich gleichfalls unter freiem Himmel abspann, betrachtend, mochte in beweglichen, zu jedem Uebergange schnell bereiten Phantasien das Bild jener Schauspiele des Alterthums hervorrufen, die zum Theil sich in einigen Ländern des südlichen Europa's bis auf den heutigen Tag erhielten. Die Marine (Palast des Marineministeriums), die den Concordienplatz an der Stelle begränzt, wo die Straße Rivoli in ihn, wie ein Strom in einen See ausmündet, hatte eine ziemliche Anzahl von bunten Frauen und vergnügten Kindern unter ihrem Säulendach versammelt. Das Gardemeuble, auf dem andern Ufer der Rue Royale, die sich gleichfalls in den Concordienplatz ergießt, und auf der einen Seite an der Marine hinläuft, war äußerst spärlich nur besetzt. Diese beiden Paläste, vollkommne Zwillinge durch ihren Umfang sowohl, als durch ihre Bauart, gehören sicher mit zu den schönsten Denkmalen dieser Hauptstadt. Sie verbreiten über den lebendigen, viel begangenen, viel befahrnen, und mit den mannichfachsten Verzierungen, wenn nicht überladenen, doch sehr bevölkerten Platz, dessen Einfassung sie theilweise bilden, einen Charakter großartiger Einfachheit und heiterer Majestät. Wer nicht unter den Bevorrechteten war, und doch auf den Terrassen des Gartens oder in den bezeichneten Palästen unterkam, hatte wenig Aussicht, etwas Rechtes von der Revue zu sehen. Seit den Anschlägen Alibauds und Fieschi's hielt die Polizei des Hofes in ihrer furchtsamen Weisheit das Volk, wo es nur immer ging, einige Pistolenschußweiten von dem geheiligten Leib des Monarchen entfernt; überall ist diese Vorsicht freilich nicht möglich, aber so oft der König ausfährt, kehrt man einiges Gesindel aus den Straßen weg, durch die er kommt, und Gesindel ist den Leuten Alles, was nicht rothe Hosen oder einen blauen Frack und einen Tschako trägt. Dasselbe System ward auch gestern wieder befolgt, der Theil von Paris, wo die Revue statthatte, vom frühen Morgen an hermetisch abgeschlossen und alle Zugänge von der Municipalgarde auf das unerbittlichste bewacht. Das Verbot des Einlasses war gegen jede Art bürgerlicher Kleidung ausgesprochen und das Einschwärzen unmöglich gemacht. Selbst den Garten der Tuilerien, den alle Welt liebt und genießt, weil jeder in ihm etwas findet, das ihm besonders lieb ist, man hat ihn dem einsamen Träumer, der beobachtet, wenn im Denken ihn die Menge störte, dem Muthwillen der Kinder, die oft mehr Klugheit und Energie in dem Wetteifer ihrer Spiele, als in der Reife späterer Jahre zeigen, und sogar dem arglosen Sonntagsvolk geraubt, das einmal in der Woche der engen Finsterniß seiner Boutiken entronnen, hier unter dem Schatten der gewohnten Bäume gedankenlos wandelt oder ausruht. Wohl sind die Hausväter dieser Menschenclasse alle Säulen der öffentlichen Ordnung und hatten daher bei der großen Parade zu erscheinen, doch den stillen Müttern, den Töchtern, die manchmal hübsch, öfter jedoch es nicht sind, und den allzeit verliebten Commis, dieser unschuldigen, harmlosen Heerde hätte man getrost die Gitter des Gartens öffnen können. Achtung gebietend war der Anblick der Linie; einzeln genommen hat der französische Soldat, namentlich der Soldat des Fußvolks, ein unscheinbares, gedrücktes, zwerghaftes Aussehen; bewegen sie sich aber in Reih und Glied, da kommt Haltung in die Leute, die sonst gewöhnlichen und fühllosen Gesichter beleben sich mit kriegerischem Muth, und man begreift, woher es kommt, daß der Sinn des französischen Volks dem Fremden gegenüber so stolz, so keck und so herausfordernd ist. Die Uniform ist fast häßlich zu nennen, allein man übersieht sie, mit dem rüstigen, kampflustigen Aussehen der Truppe beschäftigt. Sonst machen Kleider Leute, hier ist es umgewendet. Artillerie und Reiterei hoben durch ihre Gegenwart die martialische Seite der Feier noch glänzender hervor. Was die Reiterei insbesondere angeht, so schien sie mir zwar nicht durch Vollständigkeit der Regimenter ausgezeichnet, aber weit besser beritten, als man vielfach außerhalb Frankreich glaubt. Wenden wir uns nun zur Nationalgarde, so erhält das Sprüchwort: „Kleider machen Leute,“ wieder seine volle Geltung. Da ist Alles sauber gewaschen und gebügelt, gestrichen und gebürstet. Alles funkelt und schimmert, man macht sich steif und gibt sich ein Ansehen, als wollte man den Sultan und den Pascha von Aegypten zugleich umbringen, aber der Philister sieht doch oben und unten, hinten und vorn heraus. Man sah es den Herren gar zu sehr an, wie sauer ihnen die Mühe ward; die Grenadiere schienen der Bärenmütze, alle aber der Hitze zu erliegen. Daher ward auch jede freie Viertelstunde zu einem Ausfluge in die benachbarten Weinschenken benützt. Der Soldat erträgt den Durst, wie jede Entbehrung; der der Nationalgarde, wenn er einmal ins Feld rückt, hat nichts Besseres zu thun, als ihn zu löschen.</p> </div><lb/> <div n="2"> <byline> <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 17 Jun.</dateline> <p> Wenn Louis Philipp in seinem Handschreiben an den Marschall Gérard sagt, daß er nie eine schönere und zahlreichere Revue der Nationalgarde gesehen habe, so bedarf dieß einer Erläuterung. Ohne von der großen Revue im J. 1830 auf dem Marsfelde zu reden, wo an hunderttausend Nationalgardisten versammelt waren, ohne selbst an die der Jahre 1831 und 1832 zu erinnern, ist uns gar wohl erinnerlich, in den Jahren 1833, als man gegen die Errichtung der forts détachés protestirte, und im Jahr 1834 und 1835 zahlreichere Musterungen gesehen zu haben. Dagegen scheint es, daß die letzten Jahre gegen die Revue vom Sonntag zurückstanden, und es kommt nun darauf an zu wissen, wem dieser größere Eifer der Bürgergarde zu gut geschrieben werden muß, ob nicht zunächst dem Ministerium vom 1 März, dessen Farbe und Politik man hiedurch billigen wollte? Die Frage wird schwer zu entscheiden seyn, immerhin aber scheint uns die Logik des Journal des Débats interessant, das aus dem Rufe der Nationalgarde: vive la Réforme electorale, den Schluß herleiten will, daß die Nationalgarde für den König und gegen das Ministerium Thiers sey, weil sie von dem König selbst die Reform verlange, also <hi rendition="#g">erwarte</hi>, und folglich von ihm mehr hoffe als von dem Ministerium Thiers! Diese Schlauheit ist zu fein, um von dem großen Haufen gehörig gewürdigt zu werden; wir, die wir zuweilen das Journal des Débats im heiligen Ingrimm gegen die Nationalgarde gesehen haben, die sich erkühnte, unter den Waffen irgend eine Meinung zu äußern, wir bemerkten nicht ohne Interesse den biegsamen Geist des neuen Oppositionsblattes. Seine Schule macht sich schnell, im Nothfall könnte es sich der Artikel des Courrier français vom J. 1833 bedienen, die es damals ketzerisch fand, während der Courrier im Gewande der Débats vom J. 1833 nach allen Regeln des Schlusses den Nationalgardisten darthut, daß sie als solche keine Meinung haben und nur gehorchen dürfen. Was mehr als die ganze Nationalgarde gewirkt, war das 63ste Linieninfanterieregiment, das aus Afrika kommt, und mit seiner zerfetzten Standarte und seiner gebräunten Gesichtsfarbe an die jüngsten Kämpfe gegen die Araber erinnerte. Neben diesem Regimente war auch der Oberst, jetzt Brigadegeneral<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1389/0005]
Für eine Anzahl von Zuschauern sorgt die Pariser Neugier immer; doch war an dem Concordienplatz, wo die Truppen vorüber zogen, das Gedräng keineswegs erdrückend. Auf den beiden Terrassen, die den elyseischen Feldern gegenüber liegen, hatte ein begünstigtes Publicum Platz genommen; diese ausgewählte, durch Rang und Reichthum äußern Schmucks glänzende Gesellschaft, hier gleichsam von einer Logenreihe unter freiem Himmel herab eine lebenvolle Scene, die sich gleichfalls unter freiem Himmel abspann, betrachtend, mochte in beweglichen, zu jedem Uebergange schnell bereiten Phantasien das Bild jener Schauspiele des Alterthums hervorrufen, die zum Theil sich in einigen Ländern des südlichen Europa's bis auf den heutigen Tag erhielten. Die Marine (Palast des Marineministeriums), die den Concordienplatz an der Stelle begränzt, wo die Straße Rivoli in ihn, wie ein Strom in einen See ausmündet, hatte eine ziemliche Anzahl von bunten Frauen und vergnügten Kindern unter ihrem Säulendach versammelt. Das Gardemeuble, auf dem andern Ufer der Rue Royale, die sich gleichfalls in den Concordienplatz ergießt, und auf der einen Seite an der Marine hinläuft, war äußerst spärlich nur besetzt. Diese beiden Paläste, vollkommne Zwillinge durch ihren Umfang sowohl, als durch ihre Bauart, gehören sicher mit zu den schönsten Denkmalen dieser Hauptstadt. Sie verbreiten über den lebendigen, viel begangenen, viel befahrnen, und mit den mannichfachsten Verzierungen, wenn nicht überladenen, doch sehr bevölkerten Platz, dessen Einfassung sie theilweise bilden, einen Charakter großartiger Einfachheit und heiterer Majestät. Wer nicht unter den Bevorrechteten war, und doch auf den Terrassen des Gartens oder in den bezeichneten Palästen unterkam, hatte wenig Aussicht, etwas Rechtes von der Revue zu sehen. Seit den Anschlägen Alibauds und Fieschi's hielt die Polizei des Hofes in ihrer furchtsamen Weisheit das Volk, wo es nur immer ging, einige Pistolenschußweiten von dem geheiligten Leib des Monarchen entfernt; überall ist diese Vorsicht freilich nicht möglich, aber so oft der König ausfährt, kehrt man einiges Gesindel aus den Straßen weg, durch die er kommt, und Gesindel ist den Leuten Alles, was nicht rothe Hosen oder einen blauen Frack und einen Tschako trägt. Dasselbe System ward auch gestern wieder befolgt, der Theil von Paris, wo die Revue statthatte, vom frühen Morgen an hermetisch abgeschlossen und alle Zugänge von der Municipalgarde auf das unerbittlichste bewacht. Das Verbot des Einlasses war gegen jede Art bürgerlicher Kleidung ausgesprochen und das Einschwärzen unmöglich gemacht. Selbst den Garten der Tuilerien, den alle Welt liebt und genießt, weil jeder in ihm etwas findet, das ihm besonders lieb ist, man hat ihn dem einsamen Träumer, der beobachtet, wenn im Denken ihn die Menge störte, dem Muthwillen der Kinder, die oft mehr Klugheit und Energie in dem Wetteifer ihrer Spiele, als in der Reife späterer Jahre zeigen, und sogar dem arglosen Sonntagsvolk geraubt, das einmal in der Woche der engen Finsterniß seiner Boutiken entronnen, hier unter dem Schatten der gewohnten Bäume gedankenlos wandelt oder ausruht. Wohl sind die Hausväter dieser Menschenclasse alle Säulen der öffentlichen Ordnung und hatten daher bei der großen Parade zu erscheinen, doch den stillen Müttern, den Töchtern, die manchmal hübsch, öfter jedoch es nicht sind, und den allzeit verliebten Commis, dieser unschuldigen, harmlosen Heerde hätte man getrost die Gitter des Gartens öffnen können. Achtung gebietend war der Anblick der Linie; einzeln genommen hat der französische Soldat, namentlich der Soldat des Fußvolks, ein unscheinbares, gedrücktes, zwerghaftes Aussehen; bewegen sie sich aber in Reih und Glied, da kommt Haltung in die Leute, die sonst gewöhnlichen und fühllosen Gesichter beleben sich mit kriegerischem Muth, und man begreift, woher es kommt, daß der Sinn des französischen Volks dem Fremden gegenüber so stolz, so keck und so herausfordernd ist. Die Uniform ist fast häßlich zu nennen, allein man übersieht sie, mit dem rüstigen, kampflustigen Aussehen der Truppe beschäftigt. Sonst machen Kleider Leute, hier ist es umgewendet. Artillerie und Reiterei hoben durch ihre Gegenwart die martialische Seite der Feier noch glänzender hervor. Was die Reiterei insbesondere angeht, so schien sie mir zwar nicht durch Vollständigkeit der Regimenter ausgezeichnet, aber weit besser beritten, als man vielfach außerhalb Frankreich glaubt. Wenden wir uns nun zur Nationalgarde, so erhält das Sprüchwort: „Kleider machen Leute,“ wieder seine volle Geltung. Da ist Alles sauber gewaschen und gebügelt, gestrichen und gebürstet. Alles funkelt und schimmert, man macht sich steif und gibt sich ein Ansehen, als wollte man den Sultan und den Pascha von Aegypten zugleich umbringen, aber der Philister sieht doch oben und unten, hinten und vorn heraus. Man sah es den Herren gar zu sehr an, wie sauer ihnen die Mühe ward; die Grenadiere schienen der Bärenmütze, alle aber der Hitze zu erliegen. Daher ward auch jede freie Viertelstunde zu einem Ausfluge in die benachbarten Weinschenken benützt. Der Soldat erträgt den Durst, wie jede Entbehrung; der der Nationalgarde, wenn er einmal ins Feld rückt, hat nichts Besseres zu thun, als ihn zu löschen.
_ Paris, 17 Jun. Wenn Louis Philipp in seinem Handschreiben an den Marschall Gérard sagt, daß er nie eine schönere und zahlreichere Revue der Nationalgarde gesehen habe, so bedarf dieß einer Erläuterung. Ohne von der großen Revue im J. 1830 auf dem Marsfelde zu reden, wo an hunderttausend Nationalgardisten versammelt waren, ohne selbst an die der Jahre 1831 und 1832 zu erinnern, ist uns gar wohl erinnerlich, in den Jahren 1833, als man gegen die Errichtung der forts détachés protestirte, und im Jahr 1834 und 1835 zahlreichere Musterungen gesehen zu haben. Dagegen scheint es, daß die letzten Jahre gegen die Revue vom Sonntag zurückstanden, und es kommt nun darauf an zu wissen, wem dieser größere Eifer der Bürgergarde zu gut geschrieben werden muß, ob nicht zunächst dem Ministerium vom 1 März, dessen Farbe und Politik man hiedurch billigen wollte? Die Frage wird schwer zu entscheiden seyn, immerhin aber scheint uns die Logik des Journal des Débats interessant, das aus dem Rufe der Nationalgarde: vive la Réforme electorale, den Schluß herleiten will, daß die Nationalgarde für den König und gegen das Ministerium Thiers sey, weil sie von dem König selbst die Reform verlange, also erwarte, und folglich von ihm mehr hoffe als von dem Ministerium Thiers! Diese Schlauheit ist zu fein, um von dem großen Haufen gehörig gewürdigt zu werden; wir, die wir zuweilen das Journal des Débats im heiligen Ingrimm gegen die Nationalgarde gesehen haben, die sich erkühnte, unter den Waffen irgend eine Meinung zu äußern, wir bemerkten nicht ohne Interesse den biegsamen Geist des neuen Oppositionsblattes. Seine Schule macht sich schnell, im Nothfall könnte es sich der Artikel des Courrier français vom J. 1833 bedienen, die es damals ketzerisch fand, während der Courrier im Gewande der Débats vom J. 1833 nach allen Regeln des Schlusses den Nationalgardisten darthut, daß sie als solche keine Meinung haben und nur gehorchen dürfen. Was mehr als die ganze Nationalgarde gewirkt, war das 63ste Linieninfanterieregiment, das aus Afrika kommt, und mit seiner zerfetzten Standarte und seiner gebräunten Gesichtsfarbe an die jüngsten Kämpfe gegen die Araber erinnerte. Neben diesem Regimente war auch der Oberst, jetzt Brigadegeneral
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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