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Allgemeine Zeitung. Nr. 182. Augsburg, 30. Juni 1840.

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kranke Marie, das arme geopferte Gretchen, deren Liebe und Unglück sich im Clavigo und Faust mit so tiefen herzzerreißenden Tönen "hingewühlt" findet. Aber Friederikens wirkliches Schicksal? fragen unsere Leser: der Ausgang ihres Lebens, nachdem sie Goethe's Liebe verloren hatte? Wie hat sie diesen Verlust ertragen, wie vielleicht sich ihn zugezogen? wie vielleicht jenen kaum vierzig Jahre nach ihrer Trennung geschriebenen Bericht in Dichtung und Wahrheit aufgenommen? Der Ort Sesenheim steht noch unversehrt im Elsaß, möglicherweise auch noch das Pfarrhaus mit Garten und Jasminlaube, darin Goethe den Schwestern die neue Melusina erzählte; möglicherweise auch noch das Wäldchen mit der ländlichen Inschrift "Friedrikens Ruhe" an einem Baume, und mit den mannichfach umbuschten himmelhellen Rahmenaussichten in die bunte Rheinebene. Ist noch kein Verehrer Goethe's, das zehnte und eilfte Buch von Dichtung und Wahrheit in der Hand, andächtig dorthin gepilgert, um die von der Liebe seines Dichters eingeweihte Stätte selbst zu betreten, und um vielleicht zugleich über das weitere Schicksal der liebenswürdigen Heldin jenes Romans an Ort und Stelle sichere Nachrichten einzuziehen und selbige vielleicht auch der Lesewelt mitzutheilen? Hat noch Niemand den doppelt reizenden Versuch ausgeführt, einmal daß er dem verklärten landschaftlichen Bilde Goethe's in seiner Seele durch den wirklichen Anblick jener Oertlichkeit Haltung und Frische verleihe, und zweitens, daß er den historischen Schleier der Dichtung, den Goethe über die Wirklichkeit und namentlich über den wirklichen Ausgang jenes Verhältnisses gezogen, durch forschendes Gespräch mit den Ueberbleibseln oder Nachkommen des darin verflochtenen Menschenkreises ein wenig zu lüften unternehme? - Und in der That, die Bekanntmachung eines solchen Versuchs ist es eben, die uns zu vorliegendem Aufsatz veranlaßt hat, und uns aufgefordert, sowohl das Wesentliche des Inhalts jener Schrift selbst, als auch unser kritisches Urtheil über einen Theil dieses Inhalts den Lesern dieses Blattes mitzutheilen.

(Beschluß folgt.)

Preußen und Deutschland gegenüber den pentarchistischen Grundsätzen und ihren neuesten Schutzrednern.

Wenn wir von den allgemeinen Erwägungen der Weltlage bei dem Trauerfalle des preußischen Hauses von den Gefahren und Hoffnungen derselben sogleich auf den obenbezeichneten Gegenstand übergehen, so wird das Niemanden Wunder nehmen, der sich erinnert, wie wesentlich in der Wirklichkeit das Interesse Preußens von Rußland durchkreuzt wird, dem der Pentarchist mit seinen Schildträgern (ich will das im guten ritterlichen Sinne verstanden haben) das europäische Uebergewicht zuwendet, und wie wesentlich die Ehre und das Glück von Deutschland, damit aber die Sicherheit von Europa sammt allen Gütern seiner Bildung durch die Vereitlung der ehrgeizigen und verderblichen Absichten bedingt ist, welche jene übelberathenen Schutz- und Lobredner der slavischen Macht gegen ihr wahres Interesse und, wie wir fortdauernd glauben, gegen ihren Willen vor den Augen von Europa beilegen. Es handelt sich also davon, dieses Verhältniß gerade jetzt in das Auge zu fassen, wo Europa nach der thatlosen Ruhe und dem duldsamen "Geschehenlassen und Sichhingeben" der letzten Jahre von Preußen einer neuen Thätigkeit nicht nur nach innen, sondern auch nach außen, und namentlich nach jener Seite hin entgegensieht, wo man schon längst einen der Ringe schadhaft gefunden, durch welche die Weltverhältnisse der Gegenwart verknüpft sind, um im Drange der Stürme und Leidenschaften vor Anker liegen zu können.

Rußland hat im Jahr 1806 Preußen zum Krieg gegen Napoleon aufgefordert, und ist erst im Feld erschienen, als Preußen schon unterlegen war. Es hat darauf seinen Bund mit dem gemeinsamen Feind geschlossen und durch Annahme eines Landestheils, der dem verlassenen Freunde entrissen ward, diesen Bund besiegelt. Es hat hierauf, da es, durch die Nemesis getroffen, in die früheren Verhältnisse zurückgeführt ward, und nun mit Preußens heroischer Hülfe den gemeinsamen Feind besiegt hatte, durch Beschlagnahme der ursprünglich an Preußen gefallenen polnischen Länder, seine Macht bis weit über die Weichsel zwischen Schlesien und Altpreußen auf eine dem Freunde verderbliche Weise hineingeschoben. Es hat hierauf mit Preußens Hülfe, zuletzt durch Eröffnung des Weichselüberganges auf preußischem Gebiet, die polnische Schilderhebung gebrochen, und dafür, nachdem die besiegte Nation auch des Schattens ihrer Unabhängigkeit entkleidet war, zum Dank jenes den preußischen Ostseeprovinzen feindselige System der Handels- und Verkehrssperre eingesetzt, wie es sagt, zum Schutz seiner Industrie, wie die Gegner sagen, um jene Länder auf dem Wege der Verzweiflung zu erwerben, auf jeden Fall zum gänzlichen Ruin des Wohlstandes der Unterthanen seines treuesten, beharrlichsten und ausdauerndsten Freundes, dem es noch obendrein durch die heiligsten Familienbande verknüpft war. Daran wird hier erinnert, nicht um anzuklagen, nicht um zu reizen, da wo Friede und Eintracht geboten wird, sondern um auf den Thatbestand, auf die Beschaffenheit des Grund und Bodens hinzudeuten, auf dem man das Gebäude der Eintracht erheben will, und auf die ernste Gefahr, welche zur Lösung und zum Bruche führen kann und vielleicht muß, wenn man sie andauernd walten, brüten und unterhöhlen läßt. Kann unter solchen Verhältnissen Sicherheit gedacht werden, kann man Liebe und Eintracht wecken, wo der Haß, den man mit reicher Hand ausgesäet, in den Gemüthern des Volks in voller Blüthe steht? Kann diese Lage dauern, kann bei ihrer Dauer der neue Beherrscher von Preußen auch beim besten Willen der Stimme des Testaments folgen, welche ihn ermahnt, den Weltfrieden durch Wahrung des Bündnisses nicht nur mit Oesterreich, sondern auch mit Rußland zu sichern; und ist auch nur eine leise Hoffnung vorhanden, daß jenes feindselige System der nachbarlichen Sperrung und Abtödtung aufgehoben und gemildert werde, wenn es wahr ist, was der Pentarchist als die Bestimmung und Absicht Rußlands herausstellt, und was sein Nachtreter und Vorredner als eine Art von russischer Schicksalsnothwendigkeit betrachtet, daß Rußland die nöthigen Positionen einnehmen müsse, um zu einem Prätorium zu gelangen, vor welchem Könige und Völker zu Gericht stehen sollen, wenn in dieser Phantasie eines europäischen Hochverraths nur etwas der Wirklichkeit und der Wahrheit der Dinge entspricht? Hier also ist eine wirkliche und eine große Gefahr, und es wird gestattet seyn, auf sie mit Ernst hinzuweisen, und zwar, wir wiederholen es, nicht um zu reizen und zu verletzen, sondern um ihre Entfernung zu rathen, die nur von Rußland ausgehen kann, und um diese Entfernung als eine Bedingung des Bestandes des russisch-preußischen Verhältnisses und der daran geknüpften Sicherheit von Europa zu bezeichnen.

Allerdings liegt es nicht in dem Berufe des publicistischen Schriftstellers, in die Ordnung der Verhältnisse rathgebend und zielsetzend einzugreifen. Er ermittelt den Thatbestand, bestimmt seine Natur und zeigt die Folgen, welche aus der Natur der Dinge mit Unausbleiblichkeit hervorgehen. Das aber werden wir, wenn wir zunächst von der Seite jenes tiefen preußisch-

kranke Marie, das arme geopferte Gretchen, deren Liebe und Unglück sich im Clavigo und Faust mit so tiefen herzzerreißenden Tönen „hingewühlt“ findet. Aber Friederikens wirkliches Schicksal? fragen unsere Leser: der Ausgang ihres Lebens, nachdem sie Goethe's Liebe verloren hatte? Wie hat sie diesen Verlust ertragen, wie vielleicht sich ihn zugezogen? wie vielleicht jenen kaum vierzig Jahre nach ihrer Trennung geschriebenen Bericht in Dichtung und Wahrheit aufgenommen? Der Ort Sesenheim steht noch unversehrt im Elsaß, möglicherweise auch noch das Pfarrhaus mit Garten und Jasminlaube, darin Goethe den Schwestern die neue Melusina erzählte; möglicherweise auch noch das Wäldchen mit der ländlichen Inschrift „Friedrikens Ruhe“ an einem Baume, und mit den mannichfach umbuschten himmelhellen Rahmenaussichten in die bunte Rheinebene. Ist noch kein Verehrer Goethe's, das zehnte und eilfte Buch von Dichtung und Wahrheit in der Hand, andächtig dorthin gepilgert, um die von der Liebe seines Dichters eingeweihte Stätte selbst zu betreten, und um vielleicht zugleich über das weitere Schicksal der liebenswürdigen Heldin jenes Romans an Ort und Stelle sichere Nachrichten einzuziehen und selbige vielleicht auch der Lesewelt mitzutheilen? Hat noch Niemand den doppelt reizenden Versuch ausgeführt, einmal daß er dem verklärten landschaftlichen Bilde Goethe's in seiner Seele durch den wirklichen Anblick jener Oertlichkeit Haltung und Frische verleihe, und zweitens, daß er den historischen Schleier der Dichtung, den Goethe über die Wirklichkeit und namentlich über den wirklichen Ausgang jenes Verhältnisses gezogen, durch forschendes Gespräch mit den Ueberbleibseln oder Nachkommen des darin verflochtenen Menschenkreises ein wenig zu lüften unternehme? – Und in der That, die Bekanntmachung eines solchen Versuchs ist es eben, die uns zu vorliegendem Aufsatz veranlaßt hat, und uns aufgefordert, sowohl das Wesentliche des Inhalts jener Schrift selbst, als auch unser kritisches Urtheil über einen Theil dieses Inhalts den Lesern dieses Blattes mitzutheilen.

(Beschluß folgt.)

Preußen und Deutschland gegenüber den pentarchistischen Grundsätzen und ihren neuesten Schutzrednern.

Wenn wir von den allgemeinen Erwägungen der Weltlage bei dem Trauerfalle des preußischen Hauses von den Gefahren und Hoffnungen derselben sogleich auf den obenbezeichneten Gegenstand übergehen, so wird das Niemanden Wunder nehmen, der sich erinnert, wie wesentlich in der Wirklichkeit das Interesse Preußens von Rußland durchkreuzt wird, dem der Pentarchist mit seinen Schildträgern (ich will das im guten ritterlichen Sinne verstanden haben) das europäische Uebergewicht zuwendet, und wie wesentlich die Ehre und das Glück von Deutschland, damit aber die Sicherheit von Europa sammt allen Gütern seiner Bildung durch die Vereitlung der ehrgeizigen und verderblichen Absichten bedingt ist, welche jene übelberathenen Schutz- und Lobredner der slavischen Macht gegen ihr wahres Interesse und, wie wir fortdauernd glauben, gegen ihren Willen vor den Augen von Europa beilegen. Es handelt sich also davon, dieses Verhältniß gerade jetzt in das Auge zu fassen, wo Europa nach der thatlosen Ruhe und dem duldsamen „Geschehenlassen und Sichhingeben“ der letzten Jahre von Preußen einer neuen Thätigkeit nicht nur nach innen, sondern auch nach außen, und namentlich nach jener Seite hin entgegensieht, wo man schon längst einen der Ringe schadhaft gefunden, durch welche die Weltverhältnisse der Gegenwart verknüpft sind, um im Drange der Stürme und Leidenschaften vor Anker liegen zu können.

Rußland hat im Jahr 1806 Preußen zum Krieg gegen Napoleon aufgefordert, und ist erst im Feld erschienen, als Preußen schon unterlegen war. Es hat darauf seinen Bund mit dem gemeinsamen Feind geschlossen und durch Annahme eines Landestheils, der dem verlassenen Freunde entrissen ward, diesen Bund besiegelt. Es hat hierauf, da es, durch die Nemesis getroffen, in die früheren Verhältnisse zurückgeführt ward, und nun mit Preußens heroischer Hülfe den gemeinsamen Feind besiegt hatte, durch Beschlagnahme der ursprünglich an Preußen gefallenen polnischen Länder, seine Macht bis weit über die Weichsel zwischen Schlesien und Altpreußen auf eine dem Freunde verderbliche Weise hineingeschoben. Es hat hierauf mit Preußens Hülfe, zuletzt durch Eröffnung des Weichselüberganges auf preußischem Gebiet, die polnische Schilderhebung gebrochen, und dafür, nachdem die besiegte Nation auch des Schattens ihrer Unabhängigkeit entkleidet war, zum Dank jenes den preußischen Ostseeprovinzen feindselige System der Handels- und Verkehrssperre eingesetzt, wie es sagt, zum Schutz seiner Industrie, wie die Gegner sagen, um jene Länder auf dem Wege der Verzweiflung zu erwerben, auf jeden Fall zum gänzlichen Ruin des Wohlstandes der Unterthanen seines treuesten, beharrlichsten und ausdauerndsten Freundes, dem es noch obendrein durch die heiligsten Familienbande verknüpft war. Daran wird hier erinnert, nicht um anzuklagen, nicht um zu reizen, da wo Friede und Eintracht geboten wird, sondern um auf den Thatbestand, auf die Beschaffenheit des Grund und Bodens hinzudeuten, auf dem man das Gebäude der Eintracht erheben will, und auf die ernste Gefahr, welche zur Lösung und zum Bruche führen kann und vielleicht muß, wenn man sie andauernd walten, brüten und unterhöhlen läßt. Kann unter solchen Verhältnissen Sicherheit gedacht werden, kann man Liebe und Eintracht wecken, wo der Haß, den man mit reicher Hand ausgesäet, in den Gemüthern des Volks in voller Blüthe steht? Kann diese Lage dauern, kann bei ihrer Dauer der neue Beherrscher von Preußen auch beim besten Willen der Stimme des Testaments folgen, welche ihn ermahnt, den Weltfrieden durch Wahrung des Bündnisses nicht nur mit Oesterreich, sondern auch mit Rußland zu sichern; und ist auch nur eine leise Hoffnung vorhanden, daß jenes feindselige System der nachbarlichen Sperrung und Abtödtung aufgehoben und gemildert werde, wenn es wahr ist, was der Pentarchist als die Bestimmung und Absicht Rußlands herausstellt, und was sein Nachtreter und Vorredner als eine Art von russischer Schicksalsnothwendigkeit betrachtet, daß Rußland die nöthigen Positionen einnehmen müsse, um zu einem Prätorium zu gelangen, vor welchem Könige und Völker zu Gericht stehen sollen, wenn in dieser Phantasie eines europäischen Hochverraths nur etwas der Wirklichkeit und der Wahrheit der Dinge entspricht? Hier also ist eine wirkliche und eine große Gefahr, und es wird gestattet seyn, auf sie mit Ernst hinzuweisen, und zwar, wir wiederholen es, nicht um zu reizen und zu verletzen, sondern um ihre Entfernung zu rathen, die nur von Rußland ausgehen kann, und um diese Entfernung als eine Bedingung des Bestandes des russisch-preußischen Verhältnisses und der daran geknüpften Sicherheit von Europa zu bezeichnen.

Allerdings liegt es nicht in dem Berufe des publicistischen Schriftstellers, in die Ordnung der Verhältnisse rathgebend und zielsetzend einzugreifen. Er ermittelt den Thatbestand, bestimmt seine Natur und zeigt die Folgen, welche aus der Natur der Dinge mit Unausbleiblichkeit hervorgehen. Das aber werden wir, wenn wir zunächst von der Seite jenes tiefen preußisch-

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[1442/0010] kranke Marie, das arme geopferte Gretchen, deren Liebe und Unglück sich im Clavigo und Faust mit so tiefen herzzerreißenden Tönen „hingewühlt“ findet. Aber Friederikens wirkliches Schicksal? fragen unsere Leser: der Ausgang ihres Lebens, nachdem sie Goethe's Liebe verloren hatte? Wie hat sie diesen Verlust ertragen, wie vielleicht sich ihn zugezogen? wie vielleicht jenen kaum vierzig Jahre nach ihrer Trennung geschriebenen Bericht in Dichtung und Wahrheit aufgenommen? Der Ort Sesenheim steht noch unversehrt im Elsaß, möglicherweise auch noch das Pfarrhaus mit Garten und Jasminlaube, darin Goethe den Schwestern die neue Melusina erzählte; möglicherweise auch noch das Wäldchen mit der ländlichen Inschrift „Friedrikens Ruhe“ an einem Baume, und mit den mannichfach umbuschten himmelhellen Rahmenaussichten in die bunte Rheinebene. Ist noch kein Verehrer Goethe's, das zehnte und eilfte Buch von Dichtung und Wahrheit in der Hand, andächtig dorthin gepilgert, um die von der Liebe seines Dichters eingeweihte Stätte selbst zu betreten, und um vielleicht zugleich über das weitere Schicksal der liebenswürdigen Heldin jenes Romans an Ort und Stelle sichere Nachrichten einzuziehen und selbige vielleicht auch der Lesewelt mitzutheilen? Hat noch Niemand den doppelt reizenden Versuch ausgeführt, einmal daß er dem verklärten landschaftlichen Bilde Goethe's in seiner Seele durch den wirklichen Anblick jener Oertlichkeit Haltung und Frische verleihe, und zweitens, daß er den historischen Schleier der Dichtung, den Goethe über die Wirklichkeit und namentlich über den wirklichen Ausgang jenes Verhältnisses gezogen, durch forschendes Gespräch mit den Ueberbleibseln oder Nachkommen des darin verflochtenen Menschenkreises ein wenig zu lüften unternehme? – Und in der That, die Bekanntmachung eines solchen Versuchs ist es eben, die uns zu vorliegendem Aufsatz veranlaßt hat, und uns aufgefordert, sowohl das Wesentliche des Inhalts jener Schrift selbst, als auch unser kritisches Urtheil über einen Theil dieses Inhalts den Lesern dieses Blattes mitzutheilen. (Beschluß folgt.) Preußen und Deutschland gegenüber den pentarchistischen Grundsätzen und ihren neuesten Schutzrednern. Wenn wir von den allgemeinen Erwägungen der Weltlage bei dem Trauerfalle des preußischen Hauses von den Gefahren und Hoffnungen derselben sogleich auf den obenbezeichneten Gegenstand übergehen, so wird das Niemanden Wunder nehmen, der sich erinnert, wie wesentlich in der Wirklichkeit das Interesse Preußens von Rußland durchkreuzt wird, dem der Pentarchist mit seinen Schildträgern (ich will das im guten ritterlichen Sinne verstanden haben) das europäische Uebergewicht zuwendet, und wie wesentlich die Ehre und das Glück von Deutschland, damit aber die Sicherheit von Europa sammt allen Gütern seiner Bildung durch die Vereitlung der ehrgeizigen und verderblichen Absichten bedingt ist, welche jene übelberathenen Schutz- und Lobredner der slavischen Macht gegen ihr wahres Interesse und, wie wir fortdauernd glauben, gegen ihren Willen vor den Augen von Europa beilegen. Es handelt sich also davon, dieses Verhältniß gerade jetzt in das Auge zu fassen, wo Europa nach der thatlosen Ruhe und dem duldsamen „Geschehenlassen und Sichhingeben“ der letzten Jahre von Preußen einer neuen Thätigkeit nicht nur nach innen, sondern auch nach außen, und namentlich nach jener Seite hin entgegensieht, wo man schon längst einen der Ringe schadhaft gefunden, durch welche die Weltverhältnisse der Gegenwart verknüpft sind, um im Drange der Stürme und Leidenschaften vor Anker liegen zu können. Rußland hat im Jahr 1806 Preußen zum Krieg gegen Napoleon aufgefordert, und ist erst im Feld erschienen, als Preußen schon unterlegen war. Es hat darauf seinen Bund mit dem gemeinsamen Feind geschlossen und durch Annahme eines Landestheils, der dem verlassenen Freunde entrissen ward, diesen Bund besiegelt. Es hat hierauf, da es, durch die Nemesis getroffen, in die früheren Verhältnisse zurückgeführt ward, und nun mit Preußens heroischer Hülfe den gemeinsamen Feind besiegt hatte, durch Beschlagnahme der ursprünglich an Preußen gefallenen polnischen Länder, seine Macht bis weit über die Weichsel zwischen Schlesien und Altpreußen auf eine dem Freunde verderbliche Weise hineingeschoben. Es hat hierauf mit Preußens Hülfe, zuletzt durch Eröffnung des Weichselüberganges auf preußischem Gebiet, die polnische Schilderhebung gebrochen, und dafür, nachdem die besiegte Nation auch des Schattens ihrer Unabhängigkeit entkleidet war, zum Dank jenes den preußischen Ostseeprovinzen feindselige System der Handels- und Verkehrssperre eingesetzt, wie es sagt, zum Schutz seiner Industrie, wie die Gegner sagen, um jene Länder auf dem Wege der Verzweiflung zu erwerben, auf jeden Fall zum gänzlichen Ruin des Wohlstandes der Unterthanen seines treuesten, beharrlichsten und ausdauerndsten Freundes, dem es noch obendrein durch die heiligsten Familienbande verknüpft war. Daran wird hier erinnert, nicht um anzuklagen, nicht um zu reizen, da wo Friede und Eintracht geboten wird, sondern um auf den Thatbestand, auf die Beschaffenheit des Grund und Bodens hinzudeuten, auf dem man das Gebäude der Eintracht erheben will, und auf die ernste Gefahr, welche zur Lösung und zum Bruche führen kann und vielleicht muß, wenn man sie andauernd walten, brüten und unterhöhlen läßt. Kann unter solchen Verhältnissen Sicherheit gedacht werden, kann man Liebe und Eintracht wecken, wo der Haß, den man mit reicher Hand ausgesäet, in den Gemüthern des Volks in voller Blüthe steht? Kann diese Lage dauern, kann bei ihrer Dauer der neue Beherrscher von Preußen auch beim besten Willen der Stimme des Testaments folgen, welche ihn ermahnt, den Weltfrieden durch Wahrung des Bündnisses nicht nur mit Oesterreich, sondern auch mit Rußland zu sichern; und ist auch nur eine leise Hoffnung vorhanden, daß jenes feindselige System der nachbarlichen Sperrung und Abtödtung aufgehoben und gemildert werde, wenn es wahr ist, was der Pentarchist als die Bestimmung und Absicht Rußlands herausstellt, und was sein Nachtreter und Vorredner als eine Art von russischer Schicksalsnothwendigkeit betrachtet, daß Rußland die nöthigen Positionen einnehmen müsse, um zu einem Prätorium zu gelangen, vor welchem Könige und Völker zu Gericht stehen sollen, wenn in dieser Phantasie eines europäischen Hochverraths nur etwas der Wirklichkeit und der Wahrheit der Dinge entspricht? Hier also ist eine wirkliche und eine große Gefahr, und es wird gestattet seyn, auf sie mit Ernst hinzuweisen, und zwar, wir wiederholen es, nicht um zu reizen und zu verletzen, sondern um ihre Entfernung zu rathen, die nur von Rußland ausgehen kann, und um diese Entfernung als eine Bedingung des Bestandes des russisch-preußischen Verhältnisses und der daran geknüpften Sicherheit von Europa zu bezeichnen. Allerdings liegt es nicht in dem Berufe des publicistischen Schriftstellers, in die Ordnung der Verhältnisse rathgebend und zielsetzend einzugreifen. Er ermittelt den Thatbestand, bestimmt seine Natur und zeigt die Folgen, welche aus der Natur der Dinge mit Unausbleiblichkeit hervorgehen. Das aber werden wir, wenn wir zunächst von der Seite jenes tiefen preußisch-

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 182. Augsburg, 30. Juni 1840, S. 1442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_182_18400630/10>, abgerufen am 24.11.2024.