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Allgemeine Zeitung. Nr. 182. Augsburg, 30. Juni 1840.

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Goethe und Friederike.

Goethe und Auguste, Goethe und Lilli, Goethe und Friedrike! Man lächle im Auslande nicht, wenn wir Deutschen, selbst in diesen, den allgemeinsten Weltfragen gewidmeten Blättern, so oft und gern auf jene einzelne, allerdings nicht politisch bedeutende Persönlichkeit zurückkommen, und zwischen den großen Bildern der Cabinetsspiele und Völkerbewegungen, die uns hier beschäftigen, auch die mehr idyllischen Züge des Lebens unsers Lieblingsdichters immer deutlicher vor unsern und der Welt Augen zu entwickeln uns gedrungen fühlen. Denn ist das Gefühl der Liebe, mit dem wir an Goethe hangen, nicht ein vaterländisches und mithin ein politisches? - ein Gefühl, in dem sich das ganze deutsche Volk als eins, und, bei der Frischheit des Eindrucks, den jenes erst kürzlich vollendete Leben uns gelassen, zugleich allen übrigen Völkern als überlegen empfindet. Zwar wissen wir sehr wohl, daß nicht sämmtliche Eigenschaften unsers Volks in Goethe ihren vollendeten Ausdruck gefunden haben - und wie vermöchte auch ein einziger einzelner Geist diesen ganzen unendlichen Kranz von Kräften wiederzuspiegeln! Wir wissen, daß namentlich jene christlich-sittliche Kraft des Glaubenseifers und des durchdringenden Widerstandes, die z. B. Luthers Leben so groß macht, daß jener geschichtlich-patriotische Gedankenschwung und jener heroische Weltverbesserungstrieb, die z. B. Klopstocks und Schillers Gedichte durchathmen, uns in Goethe's Leben und Dichtung nur schwach entwickelt entgegentreten; aber wir wissen auch, daß man im Kunstwerk seiner Seele diese christlich-heroischen Tugenden eben so wenig vermißt, als etwa den Zorn eines Gewitters neben dem friedlichen Abendroth, oder eine Demosthenische Strafrede auf den Lippen Platons, oder eine stolze Brunhildenähnliche Braue über dem süßlächelnden Auge der Geliebten. Denn heilige Kraft und Leidenschaft und Tugend überhaupt - wer wagt sie Goethen abzusprechen? ihm, dem leidenschaftlich stammelnden reinen Sänger der Liebe, ihm, dem unablässig ringenden siegreichen Heros des Empfindens und Erkennens, ihm, dem ahnungsvoll verknüpfenden Propheten aller Natur und Kunst und Lebenserfahrung und Wissenschaft! Ein Hercules des Wahrnehmens, ist er über alle Schatten und Wolken des hohlen, überlieferten Worts, von Stufe zu Stufe verklärter, zum Licht des wirklichen Anschauens und eigenen Erlebens emporgedrungen, ohne daß ihm doch bei dieser immer reiner werdenden Klarheit der Schleier der Dichtung jemals vor den Augen zerrissen, ohne daß bei dieser immer weiteren Ruhe die stürmische Flamme der Liebe jemals in seinem Busen erloschen wäre. Ob Deutschland dereinst, Goethen gegenüber, einen zweiten Meister des Worts besitzen soll, mächtig im Entschluß und Handeln, wie Goethe im reinen Gedanken seine Kraft hatte, groß im Heroischen und Geschichtlichen, wie Goethe im Persönlich-Natürlichen groß war? Wir wagen es nicht zu behaupten; aber das behaupten wir entschieden, daß ein solcher Meister, auch auf dieser entgegengesetzten dichterischen Bahn, doch seine eigentlichste Kunst und Tugend an keinem edlern Beispiel wird entwickeln mögen, als an Goethe's Vorbild, und daß er den Gipfel seiner thatenreichen Poesie zu keiner reineren Höhe wird emporschwingen können, als zu der Gipfelhöhe jener Goethe'schen erkenntnißreichen Poesie der Empfindung. Gleich einem seligen, bilderreichen Eiland der Unschuld und Leidenschaft, der Wahrheit und Dichtung, der Weiblichkeit und Erkenntniß, dreier Götterpaare, die es vereint beherrschen, thront jenes Goethe'sche Dichtungsland gleichsam außerhalb aller Stürme der Zeit und des Schicksals: und wenn es in dieser seiner abgesonderten Lage nicht geeignet ist, den nach dem Hafen der Weltreform strebenden Völkern als ein leitender Stützpunkt, ein Berg der Verheißung fortwährend vor Augen zu stehen, so eignet es sich um desto mehr zu einem stillen, labungsreichen, immer frisch ermuthigenden Asyl für den von langem Streben ermüdeten Ringer. Die Erinnerung an Goethe, ist kein Gedanke der die deutsche Jugend zum unmittelbaren Aufstand gegen inn' und äußre Feinde, zum politischen Protestantismus gegen Veraltetes und Entgeistetes, zum großen Auferstehungskampf der Menschheit unter die Waffen rufe, kein heroischer Eindruck, der das Schwert unserer That, den Blitz unsres Wortes unaufhaltsam aus der Scheide risse; aber sie ist ein tiefes stilles Gefühl, das unsern Arm zur Führung dieses Schwertes oder Blitzes mit frischen Säften nährt, ein inniges Bewußtseyn vom Einklang der Welt in jedem ihrer kleinsten Kreise mit den Trieben unsres Herzens und zugleich vom glücklichen Einklang dieser Triebe unter sich, seyen sie Liebe oder Thatendrang, in allen ihren natürlichen Regungen. Die Erinnerung an Goethe ist keine Fahne, die unsrer Kriegerschaar in die Schlacht vorwegflattere, aber ein magisches Ruhekissen, auf dem sich jeglicher Krieger den Vorabend oder am Morgen der Schlacht, umschwebt von allen Bildern seiner Lieben, am glücklichsten ausruht, um dann, ganz Mensch ganz Leben, im reinsten Vollgefühl seiner Kräfte dem Siege entgegenzueilen.

In dem biographisch-schöpferischen, poetisch-wirklichen Ganzen der Goethe'schen Dichtungen ist eine der reizendsten Gestalten die seiner Straßburger Geliebten, Friederike in Sesenheim. Wer von uns - ich wende mich insbesondere an die deutschen Jünglinge und Mädchen - hat die erinnerungsglänzenden, der Schilderung jenes ländlichen Verhältnisses gewidmeten Blätter in Dichtung und Wahrheit lesen können, ohne daß ihm seitdem das Bild des lieben Mädchens, mit all' ihrer keimenden Neigung, ihrer besonnen-heitern glücklichen Hingebung und endlich ihrer schweigenden Verlassenheit, unauslöschlich in der Seele geblieben wäre? Wie sie zuerst in deutsch-ländlicher Tracht mit schwer herabhangenden blonden Zöpfen, den Strohhut am Arm, in die Thüre tretend "gleich einem allerliebsten Stern an dem idyllischen Himmel jenes Landpredigerlebens aufgeht:" wie sie dann, beim Betreten des nach ihr genannten Wäldchens, dem verkleideten Gast, der ihr zärtlich entgegenläuft, mit tiefrem Athemholen und hoher Rosenröthe auf den Wangen staunend gegenübersteht: wie sie, beim lustigen Pfänderspiel im Schatten den ersten Kuß von den geweihten Lippen des Geliebten empfängt und bald darauf in jenem selben Wäldchen ihm unter inniger Umarmung gesteht, daß sie ihn von Herzen liebe: und wie sie endlich, nachdem er "Friederikens Ruhe" nun doch gestört, beim traurigen Abschiedsbesuch zum Pferde des Wegreitenden tritt, und ihm zum letztenmal - bis au auf ein flüchtiges Wiedersehen nach sieben Jahren - mit Thränen im Auge die Hand reicht! Das war das "geliebte Leben, die junge Rose," der der Dichter jenes gemalte Frühlingsband übersandte: das das liebliche Gesicht voll milder Freude und Zärtlichkeit, das er bei Nacht und Mondschein mit frischem feurigem Herzen zu besuchen ritt: das die Erwählte, der er noch scheidend verheißt, nach glücklich vollendeter Fahrt nicht ohne sie genießen zu wollen, und ihr schon das Hüttchen am Wiesenbach hinter Pappeln und Buchen malt, das sie einst beide zusammen bewohnen werden: und das endlich war vielleicht auch die verlassene

Goethe und Friederike.

Goethe und Auguste, Goethe und Lilli, Goethe und Friedrike! Man lächle im Auslande nicht, wenn wir Deutschen, selbst in diesen, den allgemeinsten Weltfragen gewidmeten Blättern, so oft und gern auf jene einzelne, allerdings nicht politisch bedeutende Persönlichkeit zurückkommen, und zwischen den großen Bildern der Cabinetsspiele und Völkerbewegungen, die uns hier beschäftigen, auch die mehr idyllischen Züge des Lebens unsers Lieblingsdichters immer deutlicher vor unsern und der Welt Augen zu entwickeln uns gedrungen fühlen. Denn ist das Gefühl der Liebe, mit dem wir an Goethe hangen, nicht ein vaterländisches und mithin ein politisches? – ein Gefühl, in dem sich das ganze deutsche Volk als eins, und, bei der Frischheit des Eindrucks, den jenes erst kürzlich vollendete Leben uns gelassen, zugleich allen übrigen Völkern als überlegen empfindet. Zwar wissen wir sehr wohl, daß nicht sämmtliche Eigenschaften unsers Volks in Goethe ihren vollendeten Ausdruck gefunden haben – und wie vermöchte auch ein einziger einzelner Geist diesen ganzen unendlichen Kranz von Kräften wiederzuspiegeln! Wir wissen, daß namentlich jene christlich-sittliche Kraft des Glaubenseifers und des durchdringenden Widerstandes, die z. B. Luthers Leben so groß macht, daß jener geschichtlich-patriotische Gedankenschwung und jener heroische Weltverbesserungstrieb, die z. B. Klopstocks und Schillers Gedichte durchathmen, uns in Goethe's Leben und Dichtung nur schwach entwickelt entgegentreten; aber wir wissen auch, daß man im Kunstwerk seiner Seele diese christlich-heroischen Tugenden eben so wenig vermißt, als etwa den Zorn eines Gewitters neben dem friedlichen Abendroth, oder eine Demosthenische Strafrede auf den Lippen Platons, oder eine stolze Brunhildenähnliche Braue über dem süßlächelnden Auge der Geliebten. Denn heilige Kraft und Leidenschaft und Tugend überhaupt – wer wagt sie Goethen abzusprechen? ihm, dem leidenschaftlich stammelnden reinen Sänger der Liebe, ihm, dem unablässig ringenden siegreichen Heros des Empfindens und Erkennens, ihm, dem ahnungsvoll verknüpfenden Propheten aller Natur und Kunst und Lebenserfahrung und Wissenschaft! Ein Hercules des Wahrnehmens, ist er über alle Schatten und Wolken des hohlen, überlieferten Worts, von Stufe zu Stufe verklärter, zum Licht des wirklichen Anschauens und eigenen Erlebens emporgedrungen, ohne daß ihm doch bei dieser immer reiner werdenden Klarheit der Schleier der Dichtung jemals vor den Augen zerrissen, ohne daß bei dieser immer weiteren Ruhe die stürmische Flamme der Liebe jemals in seinem Busen erloschen wäre. Ob Deutschland dereinst, Goethen gegenüber, einen zweiten Meister des Worts besitzen soll, mächtig im Entschluß und Handeln, wie Goethe im reinen Gedanken seine Kraft hatte, groß im Heroischen und Geschichtlichen, wie Goethe im Persönlich-Natürlichen groß war? Wir wagen es nicht zu behaupten; aber das behaupten wir entschieden, daß ein solcher Meister, auch auf dieser entgegengesetzten dichterischen Bahn, doch seine eigentlichste Kunst und Tugend an keinem edlern Beispiel wird entwickeln mögen, als an Goethe's Vorbild, und daß er den Gipfel seiner thatenreichen Poesie zu keiner reineren Höhe wird emporschwingen können, als zu der Gipfelhöhe jener Goethe'schen erkenntnißreichen Poesie der Empfindung. Gleich einem seligen, bilderreichen Eiland der Unschuld und Leidenschaft, der Wahrheit und Dichtung, der Weiblichkeit und Erkenntniß, dreier Götterpaare, die es vereint beherrschen, thront jenes Goethe'sche Dichtungsland gleichsam außerhalb aller Stürme der Zeit und des Schicksals: und wenn es in dieser seiner abgesonderten Lage nicht geeignet ist, den nach dem Hafen der Weltreform strebenden Völkern als ein leitender Stützpunkt, ein Berg der Verheißung fortwährend vor Augen zu stehen, so eignet es sich um desto mehr zu einem stillen, labungsreichen, immer frisch ermuthigenden Asyl für den von langem Streben ermüdeten Ringer. Die Erinnerung an Goethe, ist kein Gedanke der die deutsche Jugend zum unmittelbaren Aufstand gegen inn' und äußre Feinde, zum politischen Protestantismus gegen Veraltetes und Entgeistetes, zum großen Auferstehungskampf der Menschheit unter die Waffen rufe, kein heroischer Eindruck, der das Schwert unserer That, den Blitz unsres Wortes unaufhaltsam aus der Scheide risse; aber sie ist ein tiefes stilles Gefühl, das unsern Arm zur Führung dieses Schwertes oder Blitzes mit frischen Säften nährt, ein inniges Bewußtseyn vom Einklang der Welt in jedem ihrer kleinsten Kreise mit den Trieben unsres Herzens und zugleich vom glücklichen Einklang dieser Triebe unter sich, seyen sie Liebe oder Thatendrang, in allen ihren natürlichen Regungen. Die Erinnerung an Goethe ist keine Fahne, die unsrer Kriegerschaar in die Schlacht vorwegflattere, aber ein magisches Ruhekissen, auf dem sich jeglicher Krieger den Vorabend oder am Morgen der Schlacht, umschwebt von allen Bildern seiner Lieben, am glücklichsten ausruht, um dann, ganz Mensch ganz Leben, im reinsten Vollgefühl seiner Kräfte dem Siege entgegenzueilen.

In dem biographisch-schöpferischen, poetisch-wirklichen Ganzen der Goethe'schen Dichtungen ist eine der reizendsten Gestalten die seiner Straßburger Geliebten, Friederike in Sesenheim. Wer von uns – ich wende mich insbesondere an die deutschen Jünglinge und Mädchen – hat die erinnerungsglänzenden, der Schilderung jenes ländlichen Verhältnisses gewidmeten Blätter in Dichtung und Wahrheit lesen können, ohne daß ihm seitdem das Bild des lieben Mädchens, mit all' ihrer keimenden Neigung, ihrer besonnen-heitern glücklichen Hingebung und endlich ihrer schweigenden Verlassenheit, unauslöschlich in der Seele geblieben wäre? Wie sie zuerst in deutsch-ländlicher Tracht mit schwer herabhangenden blonden Zöpfen, den Strohhut am Arm, in die Thüre tretend „gleich einem allerliebsten Stern an dem idyllischen Himmel jenes Landpredigerlebens aufgeht:“ wie sie dann, beim Betreten des nach ihr genannten Wäldchens, dem verkleideten Gast, der ihr zärtlich entgegenläuft, mit tiefrem Athemholen und hoher Rosenröthe auf den Wangen staunend gegenübersteht: wie sie, beim lustigen Pfänderspiel im Schatten den ersten Kuß von den geweihten Lippen des Geliebten empfängt und bald darauf in jenem selben Wäldchen ihm unter inniger Umarmung gesteht, daß sie ihn von Herzen liebe: und wie sie endlich, nachdem er „Friederikens Ruhe“ nun doch gestört, beim traurigen Abschiedsbesuch zum Pferde des Wegreitenden tritt, und ihm zum letztenmal – bis au auf ein flüchtiges Wiedersehen nach sieben Jahren – mit Thränen im Auge die Hand reicht! Das war das „geliebte Leben, die junge Rose,“ der der Dichter jenes gemalte Frühlingsband übersandte: das das liebliche Gesicht voll milder Freude und Zärtlichkeit, das er bei Nacht und Mondschein mit frischem feurigem Herzen zu besuchen ritt: das die Erwählte, der er noch scheidend verheißt, nach glücklich vollendeter Fahrt nicht ohne sie genießen zu wollen, und ihr schon das Hüttchen am Wiesenbach hinter Pappeln und Buchen malt, das sie einst beide zusammen bewohnen werden: und das endlich war vielleicht auch die verlassene

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Ob Deutschland dereinst, Goethen gegenüber, einen zweiten Meister des Worts besitzen soll, mächtig im Entschluß und Handeln, wie Goethe im reinen Gedanken seine Kraft hatte, groß im Heroischen und Geschichtlichen, wie Goethe im Persönlich-Natürlichen groß war? Wir wagen es nicht zu behaupten; aber das behaupten wir entschieden, daß ein solcher Meister, auch auf dieser entgegengesetzten dichterischen Bahn, doch seine eigentlichste Kunst und Tugend an keinem edlern Beispiel wird entwickeln mögen, als an Goethe's Vorbild, und daß er den Gipfel seiner thatenreichen Poesie zu keiner reineren Höhe wird emporschwingen können, als zu der Gipfelhöhe jener Goethe'schen erkenntnißreichen Poesie der Empfindung. Gleich einem seligen, bilderreichen Eiland der Unschuld und Leidenschaft, der Wahrheit und Dichtung, der Weiblichkeit und Erkenntniß, dreier Götterpaare, die es vereint beherrschen, thront jenes Goethe'sche Dichtungsland gleichsam außerhalb aller Stürme der Zeit und des Schicksals: und wenn es in dieser seiner abgesonderten Lage nicht geeignet ist, den nach dem Hafen der Weltreform strebenden Völkern als ein leitender Stützpunkt, ein Berg der Verheißung fortwährend vor Augen zu stehen, so eignet es sich um desto mehr zu einem stillen, labungsreichen, immer frisch ermuthigenden Asyl für den von langem Streben ermüdeten Ringer. Die Erinnerung an Goethe, ist kein Gedanke der die deutsche Jugend zum unmittelbaren Aufstand gegen inn' und äußre Feinde, zum politischen Protestantismus gegen Veraltetes und Entgeistetes, zum großen Auferstehungskampf der Menschheit unter die Waffen rufe, kein heroischer Eindruck, der das Schwert unserer That, den Blitz unsres Wortes unaufhaltsam aus der Scheide risse; aber sie ist ein tiefes stilles Gefühl, das unsern Arm zur Führung dieses Schwertes oder Blitzes mit frischen Säften nährt, ein inniges Bewußtseyn vom Einklang der Welt in jedem ihrer kleinsten Kreise mit den Trieben unsres Herzens und zugleich vom glücklichen Einklang dieser Triebe unter sich, seyen sie Liebe oder Thatendrang, in allen ihren natürlichen Regungen. Die Erinnerung an Goethe ist keine Fahne, die unsrer Kriegerschaar in die Schlacht vorwegflattere, aber ein magisches Ruhekissen, auf dem sich jeglicher Krieger den Vorabend oder am Morgen der Schlacht, umschwebt von allen Bildern seiner Lieben, am glücklichsten ausruht, um dann, ganz Mensch ganz Leben, im reinsten Vollgefühl seiner Kräfte dem Siege entgegenzueilen.</p><lb/>
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[1441/0009] Goethe und Friederike. Goethe und Auguste, Goethe und Lilli, Goethe und Friedrike! Man lächle im Auslande nicht, wenn wir Deutschen, selbst in diesen, den allgemeinsten Weltfragen gewidmeten Blättern, so oft und gern auf jene einzelne, allerdings nicht politisch bedeutende Persönlichkeit zurückkommen, und zwischen den großen Bildern der Cabinetsspiele und Völkerbewegungen, die uns hier beschäftigen, auch die mehr idyllischen Züge des Lebens unsers Lieblingsdichters immer deutlicher vor unsern und der Welt Augen zu entwickeln uns gedrungen fühlen. Denn ist das Gefühl der Liebe, mit dem wir an Goethe hangen, nicht ein vaterländisches und mithin ein politisches? – ein Gefühl, in dem sich das ganze deutsche Volk als eins, und, bei der Frischheit des Eindrucks, den jenes erst kürzlich vollendete Leben uns gelassen, zugleich allen übrigen Völkern als überlegen empfindet. Zwar wissen wir sehr wohl, daß nicht sämmtliche Eigenschaften unsers Volks in Goethe ihren vollendeten Ausdruck gefunden haben – und wie vermöchte auch ein einziger einzelner Geist diesen ganzen unendlichen Kranz von Kräften wiederzuspiegeln! Wir wissen, daß namentlich jene christlich-sittliche Kraft des Glaubenseifers und des durchdringenden Widerstandes, die z. B. Luthers Leben so groß macht, daß jener geschichtlich-patriotische Gedankenschwung und jener heroische Weltverbesserungstrieb, die z. B. Klopstocks und Schillers Gedichte durchathmen, uns in Goethe's Leben und Dichtung nur schwach entwickelt entgegentreten; aber wir wissen auch, daß man im Kunstwerk seiner Seele diese christlich-heroischen Tugenden eben so wenig vermißt, als etwa den Zorn eines Gewitters neben dem friedlichen Abendroth, oder eine Demosthenische Strafrede auf den Lippen Platons, oder eine stolze Brunhildenähnliche Braue über dem süßlächelnden Auge der Geliebten. Denn heilige Kraft und Leidenschaft und Tugend überhaupt – wer wagt sie Goethen abzusprechen? ihm, dem leidenschaftlich stammelnden reinen Sänger der Liebe, ihm, dem unablässig ringenden siegreichen Heros des Empfindens und Erkennens, ihm, dem ahnungsvoll verknüpfenden Propheten aller Natur und Kunst und Lebenserfahrung und Wissenschaft! Ein Hercules des Wahrnehmens, ist er über alle Schatten und Wolken des hohlen, überlieferten Worts, von Stufe zu Stufe verklärter, zum Licht des wirklichen Anschauens und eigenen Erlebens emporgedrungen, ohne daß ihm doch bei dieser immer reiner werdenden Klarheit der Schleier der Dichtung jemals vor den Augen zerrissen, ohne daß bei dieser immer weiteren Ruhe die stürmische Flamme der Liebe jemals in seinem Busen erloschen wäre. Ob Deutschland dereinst, Goethen gegenüber, einen zweiten Meister des Worts besitzen soll, mächtig im Entschluß und Handeln, wie Goethe im reinen Gedanken seine Kraft hatte, groß im Heroischen und Geschichtlichen, wie Goethe im Persönlich-Natürlichen groß war? Wir wagen es nicht zu behaupten; aber das behaupten wir entschieden, daß ein solcher Meister, auch auf dieser entgegengesetzten dichterischen Bahn, doch seine eigentlichste Kunst und Tugend an keinem edlern Beispiel wird entwickeln mögen, als an Goethe's Vorbild, und daß er den Gipfel seiner thatenreichen Poesie zu keiner reineren Höhe wird emporschwingen können, als zu der Gipfelhöhe jener Goethe'schen erkenntnißreichen Poesie der Empfindung. Gleich einem seligen, bilderreichen Eiland der Unschuld und Leidenschaft, der Wahrheit und Dichtung, der Weiblichkeit und Erkenntniß, dreier Götterpaare, die es vereint beherrschen, thront jenes Goethe'sche Dichtungsland gleichsam außerhalb aller Stürme der Zeit und des Schicksals: und wenn es in dieser seiner abgesonderten Lage nicht geeignet ist, den nach dem Hafen der Weltreform strebenden Völkern als ein leitender Stützpunkt, ein Berg der Verheißung fortwährend vor Augen zu stehen, so eignet es sich um desto mehr zu einem stillen, labungsreichen, immer frisch ermuthigenden Asyl für den von langem Streben ermüdeten Ringer. Die Erinnerung an Goethe, ist kein Gedanke der die deutsche Jugend zum unmittelbaren Aufstand gegen inn' und äußre Feinde, zum politischen Protestantismus gegen Veraltetes und Entgeistetes, zum großen Auferstehungskampf der Menschheit unter die Waffen rufe, kein heroischer Eindruck, der das Schwert unserer That, den Blitz unsres Wortes unaufhaltsam aus der Scheide risse; aber sie ist ein tiefes stilles Gefühl, das unsern Arm zur Führung dieses Schwertes oder Blitzes mit frischen Säften nährt, ein inniges Bewußtseyn vom Einklang der Welt in jedem ihrer kleinsten Kreise mit den Trieben unsres Herzens und zugleich vom glücklichen Einklang dieser Triebe unter sich, seyen sie Liebe oder Thatendrang, in allen ihren natürlichen Regungen. Die Erinnerung an Goethe ist keine Fahne, die unsrer Kriegerschaar in die Schlacht vorwegflattere, aber ein magisches Ruhekissen, auf dem sich jeglicher Krieger den Vorabend oder am Morgen der Schlacht, umschwebt von allen Bildern seiner Lieben, am glücklichsten ausruht, um dann, ganz Mensch ganz Leben, im reinsten Vollgefühl seiner Kräfte dem Siege entgegenzueilen. In dem biographisch-schöpferischen, poetisch-wirklichen Ganzen der Goethe'schen Dichtungen ist eine der reizendsten Gestalten die seiner Straßburger Geliebten, Friederike in Sesenheim. Wer von uns – ich wende mich insbesondere an die deutschen Jünglinge und Mädchen – hat die erinnerungsglänzenden, der Schilderung jenes ländlichen Verhältnisses gewidmeten Blätter in Dichtung und Wahrheit lesen können, ohne daß ihm seitdem das Bild des lieben Mädchens, mit all' ihrer keimenden Neigung, ihrer besonnen-heitern glücklichen Hingebung und endlich ihrer schweigenden Verlassenheit, unauslöschlich in der Seele geblieben wäre? Wie sie zuerst in deutsch-ländlicher Tracht mit schwer herabhangenden blonden Zöpfen, den Strohhut am Arm, in die Thüre tretend „gleich einem allerliebsten Stern an dem idyllischen Himmel jenes Landpredigerlebens aufgeht:“ wie sie dann, beim Betreten des nach ihr genannten Wäldchens, dem verkleideten Gast, der ihr zärtlich entgegenläuft, mit tiefrem Athemholen und hoher Rosenröthe auf den Wangen staunend gegenübersteht: wie sie, beim lustigen Pfänderspiel im Schatten den ersten Kuß von den geweihten Lippen des Geliebten empfängt und bald darauf in jenem selben Wäldchen ihm unter inniger Umarmung gesteht, daß sie ihn von Herzen liebe: und wie sie endlich, nachdem er „Friederikens Ruhe“ nun doch gestört, beim traurigen Abschiedsbesuch zum Pferde des Wegreitenden tritt, und ihm zum letztenmal – bis au auf ein flüchtiges Wiedersehen nach sieben Jahren – mit Thränen im Auge die Hand reicht! Das war das „geliebte Leben, die junge Rose,“ der der Dichter jenes gemalte Frühlingsband übersandte: das das liebliche Gesicht voll milder Freude und Zärtlichkeit, das er bei Nacht und Mondschein mit frischem feurigem Herzen zu besuchen ritt: das die Erwählte, der er noch scheidend verheißt, nach glücklich vollendeter Fahrt nicht ohne sie genießen zu wollen, und ihr schon das Hüttchen am Wiesenbach hinter Pappeln und Buchen malt, das sie einst beide zusammen bewohnen werden: und das endlich war vielleicht auch die verlassene

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 182. Augsburg, 30. Juni 1840, S. 1441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_182_18400630/9>, abgerufen am 21.11.2024.