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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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Gauen, war die Aufnahme des Fremden, der als Gast oder her-
komender Man
in das Land trat, trotz der zur strengen Pflicht
gemachten Gastfreundschaft 1), eigenthümlich. Der Fremde konnte,
weil er sich nicht in der Rechtsgenossenschaft der Mark und Land-
schaft befand, in welche er kam, im Grunde keinen Anspruch auf
ihren Schutz und Frieden machen. 2) Jn einzelnen Landstrichen
geriethen die Fremden in Unfreiheit, wenn sie sich über Jahr und
Tag aufhielten. 3) Doch scheinen hier gerade in Rücksicht auf die
öffentliche Ordnung und Sicherheit Unterschiede gemacht worden
zu sein. Einmal hatte doch der Fremde die Befugniß, sobald er
gegen einen Gaubewohner eine Klage hatte, sofortiges Recht,
"Gastgericht, Notgericht", zu fordern, damit er nicht in seiner
Tageweide aufgehalten wurde. 4) Ferner hatte er, wenn er seine
Reise offen und frei fortsetzte, im Walde ein Horn blies, um nicht
für einen Dieb angesehen zu werden, und sich auf dem gebahnten
Wege hielt, das Recht, ungestraft Nahrung für sich und sein er-
müdetes Pferd unterwegs zu nehmen 5), sobald er keine mensch-

1) Die Lex Burg., 38, 1, bestraft den, der die Aufnahme des
Fremden in sein Haus weigert, mit drei Solidi.
2) Grimm, a. a. O., S. 397.
3) Grimm, a. a. O., S. 399. Die Stelle der Lex salica, 48, 2,
welche Grimm anführt, spricht allerdings das Gegentheil aus: "securus
sicut alii vicini consistat
", und scheint in der That die einzige Stelle in
dieser Art zu sein. Was heißt aber das "securus consistat"? Darf der
Fremde als Freier im Gau bleiben, oder darf er frei abziehen? -- Uebrigens
bezweifelt Grimm, daß durch Niederlassung unter Freie jene Knechtschaft ent-
sprungen sei. Es scheint jedoch schon nach den Stellen S. 399 und 327
ein Unterschied gemacht worden zu sein.
4) Grimm führt, a. a. O., S. 402, aus dem "Bischweiler Weisthum"
(1499) die Stelle an: "Jtem keme ein fremder man und begehrte ein not-
gericht, dem soll man unverzogenliche gehorsam sein."
5) z. B. zwei oder drei Garben Korn, drei Aepfel, vier Trauben; auch
darf er fischen und die Fische an Ort und Stelle am Feuer sieden, Zweige
abhauen. Lex Visigoth., VIII., tit. 2, 3, ermahnt den Reisenden zum vor-
sichtigen Umgehen mit Feuer und verpflichtet den Nachlässigen zum Ersatz des
durch Feuer angerichteten Schadens. Ebenso darf nach tit. 4, 27, der Rei-
sende sein Zugvieh nicht länger als zwei Tage auf offener Weide grasen
lassen u. s. w. So auch der "Sachsenspiegel" (lib. 2, art. 68): "Erliegt

Gauen, war die Aufnahme des Fremden, der als Gaſt oder her-
komender Man
in das Land trat, trotz der zur ſtrengen Pflicht
gemachten Gaſtfreundſchaft 1), eigenthümlich. Der Fremde konnte,
weil er ſich nicht in der Rechtsgenoſſenſchaft der Mark und Land-
ſchaft befand, in welche er kam, im Grunde keinen Anſpruch auf
ihren Schutz und Frieden machen. 2) Jn einzelnen Landſtrichen
geriethen die Fremden in Unfreiheit, wenn ſie ſich über Jahr und
Tag aufhielten. 3) Doch ſcheinen hier gerade in Rückſicht auf die
öffentliche Ordnung und Sicherheit Unterſchiede gemacht worden
zu ſein. Einmal hatte doch der Fremde die Befugniß, ſobald er
gegen einen Gaubewohner eine Klage hatte, ſofortiges Recht,
„Gaſtgericht, Notgericht“, zu fordern, damit er nicht in ſeiner
Tageweide aufgehalten wurde. 4) Ferner hatte er, wenn er ſeine
Reiſe offen und frei fortſetzte, im Walde ein Horn blies, um nicht
für einen Dieb angeſehen zu werden, und ſich auf dem gebahnten
Wege hielt, das Recht, ungeſtraft Nahrung für ſich und ſein er-
müdetes Pferd unterwegs zu nehmen 5), ſobald er keine menſch-

1) Die Lex Burg., 38, 1, beſtraft den, der die Aufnahme des
Fremden in ſein Haus weigert, mit drei Solidi.
2) Grimm, a. a. O., S. 397.
3) Grimm, a. a. O., S. 399. Die Stelle der Lex salica, 48, 2,
welche Grimm anführt, ſpricht allerdings das Gegentheil aus: „securus
sicut alii vicini consistat
“, und ſcheint in der That die einzige Stelle in
dieſer Art zu ſein. Was heißt aber das „securus consistat“? Darf der
Fremde als Freier im Gau bleiben, oder darf er frei abziehen? — Uebrigens
bezweifelt Grimm, daß durch Niederlaſſung unter Freie jene Knechtſchaft ent-
ſprungen ſei. Es ſcheint jedoch ſchon nach den Stellen S. 399 und 327
ein Unterſchied gemacht worden zu ſein.
4) Grimm führt, a. a. O., S. 402, aus dem „Biſchweiler Weisthum“
(1499) die Stelle an: „Jtem keme ein fremder man und begehrte ein not-
gericht, dem ſoll man unverzogenliche gehorſam ſein.“
5) z. B. zwei oder drei Garben Korn, drei Aepfel, vier Trauben; auch
darf er fiſchen und die Fiſche an Ort und Stelle am Feuer ſieden, Zweige
abhauen. Lex Visigoth., VIII., tit. 2, 3, ermahnt den Reiſenden zum vor-
ſichtigen Umgehen mit Feuer und verpflichtet den Nachläſſigen zum Erſatz des
durch Feuer angerichteten Schadens. Ebenſo darf nach tit. 4, 27, der Rei-
ſende ſein Zugvieh nicht länger als zwei Tage auf offener Weide graſen
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[38/0054] Gauen, war die Aufnahme des Fremden, der als Gaſt oder her- komender Man in das Land trat, trotz der zur ſtrengen Pflicht gemachten Gaſtfreundſchaft 1), eigenthümlich. Der Fremde konnte, weil er ſich nicht in der Rechtsgenoſſenſchaft der Mark und Land- ſchaft befand, in welche er kam, im Grunde keinen Anſpruch auf ihren Schutz und Frieden machen. 2) Jn einzelnen Landſtrichen geriethen die Fremden in Unfreiheit, wenn ſie ſich über Jahr und Tag aufhielten. 3) Doch ſcheinen hier gerade in Rückſicht auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit Unterſchiede gemacht worden zu ſein. Einmal hatte doch der Fremde die Befugniß, ſobald er gegen einen Gaubewohner eine Klage hatte, ſofortiges Recht, „Gaſtgericht, Notgericht“, zu fordern, damit er nicht in ſeiner Tageweide aufgehalten wurde. 4) Ferner hatte er, wenn er ſeine Reiſe offen und frei fortſetzte, im Walde ein Horn blies, um nicht für einen Dieb angeſehen zu werden, und ſich auf dem gebahnten Wege hielt, das Recht, ungeſtraft Nahrung für ſich und ſein er- müdetes Pferd unterwegs zu nehmen 5), ſobald er keine menſch- 1) Die Lex Burg., 38, 1, beſtraft den, der die Aufnahme des Fremden in ſein Haus weigert, mit drei Solidi. 2) Grimm, a. a. O., S. 397. 3) Grimm, a. a. O., S. 399. Die Stelle der Lex salica, 48, 2, welche Grimm anführt, ſpricht allerdings das Gegentheil aus: „securus sicut alii vicini consistat“, und ſcheint in der That die einzige Stelle in dieſer Art zu ſein. Was heißt aber das „securus consistat“? Darf der Fremde als Freier im Gau bleiben, oder darf er frei abziehen? — Uebrigens bezweifelt Grimm, daß durch Niederlaſſung unter Freie jene Knechtſchaft ent- ſprungen ſei. Es ſcheint jedoch ſchon nach den Stellen S. 399 und 327 ein Unterſchied gemacht worden zu ſein. 4) Grimm führt, a. a. O., S. 402, aus dem „Biſchweiler Weisthum“ (1499) die Stelle an: „Jtem keme ein fremder man und begehrte ein not- gericht, dem ſoll man unverzogenliche gehorſam ſein.“ 5) z. B. zwei oder drei Garben Korn, drei Aepfel, vier Trauben; auch darf er fiſchen und die Fiſche an Ort und Stelle am Feuer ſieden, Zweige abhauen. Lex Visigoth., VIII., tit. 2, 3, ermahnt den Reiſenden zum vor- ſichtigen Umgehen mit Feuer und verpflichtet den Nachläſſigen zum Erſatz des durch Feuer angerichteten Schadens. Ebenſo darf nach tit. 4, 27, der Rei- ſende ſein Zugvieh nicht länger als zwei Tage auf offener Weide graſen laſſen u. ſ. w. So auch der „Sachſenſpiegel“ (lib. 2, art. 68): „Erliegt

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/54>, abgerufen am 21.11.2024.