Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.bittere Klage, und sagt unter anderm: "Plerique simulant debita. Dies werkthätige und schon vielfach gemisbrauchte Christen- 1) Dies controlirte Bettelwesen hat sich durch das ganze Mittelalter und
noch weit über dasselbe hinaus erhalten. Auf dem Kohlenberg bei Basel war die Freistätte für alle, auch fremde Bettler (Giler und Lahme), welche von hier aus die Stadt durchstreiften und sich meistens um die Kirche lagerten, sogar auch ihr Handwerk in der Kirche trieben, sodaß der Rath 1429 ver- ordnen mußte, es solle kein Giler noch Bettler in das Münster gehen, dort sitzen oder während der Messe liegen, sondern sie sollen im Kreuzgang oder vor der Thüre bleiben. Die Erlaubniß zum Betteln mußten die Fremden sich vom Reichsvogte erbitten, der ihnen dreitägigen Aufenthalt zum Betteln gab, aber darauf zu wachen hatte, daß "recht gebettelt wurde". Der Reichsvogt bekam einen Antheil vom Erbettelten und war Erbe der Verlassenschaft eines gestorbenen Bettlers. Jn den baseler Steuerverzeichnissen von 1391 kommen einzelne Bettler vor, die besteuert waren und namentlich genannt werden; und 1419 verordnete der Rath, daß jeder Bürger, der ins Siechenhaus wolle, zuvor 5 Pfund Pfennige zusammenbettle. Vgl. das schon erwähnte treffliche Werk der Baseler historischen Gesellschaft, "Basel im 14. Jahrhundert" (1856) S. 111 fg. Nach der Ordnung für den Prachervogt (Bettelvogt) der Stadt Lübeck von 1527 erhielt derselbe von jedem Bettler und jeder Bettlerin jährlich 6 Pfennige. Seine Pflicht war, dahin zu sehen, daß dieselben "ein Ge- schick hebben mit almissen biddende und up den karkhavn to sittende". Fremde Bettler mußte er aus der Stadt weisen. Nach der Ordnung von 1553 mußte der Büttelmeister mit den Frohnen Sonntags morgens auf alle Kirchhöfe gehen und die Bettler in die Predigt weisen, ihnen auch verbieten, ihre Wunden schamlos zur Schau zu stellen. Vgl. Dr. J. F. Hach, "Das alte Lübeckische Recht" (Lübeck 1839), S. 147 und 149. bittere Klage, und ſagt unter anderm: „Plerique simulant debita. Dies werkthätige und ſchon vielfach gemisbrauchte Chriſten- 1) Dies controlirte Bettelweſen hat ſich durch das ganze Mittelalter und
noch weit über daſſelbe hinaus erhalten. Auf dem Kohlenberg bei Baſel war die Freiſtätte für alle, auch fremde Bettler (Giler und Lahme), welche von hier aus die Stadt durchſtreiften und ſich meiſtens um die Kirche lagerten, ſogar auch ihr Handwerk in der Kirche trieben, ſodaß der Rath 1429 ver- ordnen mußte, es ſolle kein Giler noch Bettler in das Münſter gehen, dort ſitzen oder während der Meſſe liegen, ſondern ſie ſollen im Kreuzgang oder vor der Thüre bleiben. Die Erlaubniß zum Betteln mußten die Fremden ſich vom Reichsvogte erbitten, der ihnen dreitägigen Aufenthalt zum Betteln gab, aber darauf zu wachen hatte, daß „recht gebettelt wurde“. Der Reichsvogt bekam einen Antheil vom Erbettelten und war Erbe der Verlaſſenſchaft eines geſtorbenen Bettlers. Jn den baſeler Steuerverzeichniſſen von 1391 kommen einzelne Bettler vor, die beſteuert waren und namentlich genannt werden; und 1419 verordnete der Rath, daß jeder Bürger, der ins Siechenhaus wolle, zuvor 5 Pfund Pfennige zuſammenbettle. Vgl. das ſchon erwähnte treffliche Werk der Baſeler hiſtoriſchen Geſellſchaft, „Baſel im 14. Jahrhundert“ (1856) S. 111 fg. Nach der Ordnung für den Prachervogt (Bettelvogt) der Stadt Lübeck von 1527 erhielt derſelbe von jedem Bettler und jeder Bettlerin jährlich 6 Pfennige. Seine Pflicht war, dahin zu ſehen, daß dieſelben „ein Ge- ſchick hebben mit almiſſen biddende und up den karkhavn to ſittende“. Fremde Bettler mußte er aus der Stadt weiſen. Nach der Ordnung von 1553 mußte der Büttelmeiſter mit den Frohnen Sonntags morgens auf alle Kirchhöfe gehen und die Bettler in die Predigt weiſen, ihnen auch verbieten, ihre Wunden ſchamlos zur Schau zu ſtellen. Vgl. Dr. J. F. Hach, „Das alte Lübeckiſche Recht“ (Lübeck 1839), S. 147 und 149. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0058" n="42"/> bittere Klage, und ſagt unter anderm: <hi rendition="#aq">„Plerique simulant debita.<lb/> Sit veri examen. Exutos se per latrocinia deplorant: Aut<lb/> injuria fidem faciat aut cognitio personae, quo propensius ju-<lb/> ventur.</hi>“ Schon ſieht man, wie um die Kirchen ſich alles bunt<lb/> durcheinander drängt <note place="foot" n="1)">Dies controlirte Bettelweſen hat ſich durch das ganze Mittelalter und<lb/> noch weit über daſſelbe hinaus erhalten. Auf dem Kohlenberg bei Baſel war<lb/> die Freiſtätte für alle, auch <hi rendition="#g">fremde</hi> Bettler (Giler und Lahme), welche von<lb/> hier aus die Stadt durchſtreiften und ſich meiſtens um die Kirche lagerten,<lb/> ſogar auch ihr Handwerk in der Kirche trieben, ſodaß der Rath 1429 ver-<lb/> ordnen mußte, es ſolle kein Giler noch Bettler in das Münſter gehen, dort<lb/> ſitzen oder während der Meſſe liegen, ſondern ſie ſollen im Kreuzgang oder<lb/> vor der Thüre bleiben. Die Erlaubniß zum Betteln mußten die Fremden ſich<lb/> vom Reichsvogte erbitten, der ihnen dreitägigen Aufenthalt zum Betteln gab,<lb/> aber darauf zu wachen hatte, daß „recht gebettelt wurde“. Der Reichsvogt<lb/> bekam einen Antheil vom Erbettelten und war Erbe der Verlaſſenſchaft eines<lb/> geſtorbenen Bettlers. Jn den baſeler Steuerverzeichniſſen von 1391 kommen<lb/> einzelne Bettler vor, die beſteuert waren und namentlich genannt werden;<lb/> und 1419 verordnete der Rath, daß jeder Bürger, der ins Siechenhaus<lb/> wolle, zuvor 5 Pfund Pfennige zuſammenbettle. Vgl. das ſchon erwähnte<lb/> treffliche Werk der Baſeler hiſtoriſchen Geſellſchaft, „Baſel im 14. Jahrhundert“<lb/> (1856) S. 111 fg. Nach der Ordnung für den Prachervogt (Bettelvogt) der<lb/> Stadt Lübeck von 1527 erhielt derſelbe von jedem Bettler und jeder Bettlerin<lb/> jährlich 6 Pfennige. Seine Pflicht war, dahin zu ſehen, daß dieſelben „ein Ge-<lb/> ſchick hebben mit almiſſen biddende und up den karkhavn to ſittende“. Fremde<lb/> Bettler mußte er aus der Stadt weiſen. Nach der Ordnung von 1553 mußte<lb/> der Büttelmeiſter mit den Frohnen Sonntags morgens auf alle Kirchhöfe gehen<lb/> und die Bettler in die Predigt weiſen, ihnen auch verbieten, ihre Wunden<lb/> ſchamlos zur Schau zu ſtellen. Vgl. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> J. F. Hach, „Das alte Lübeckiſche<lb/> Recht“ (Lübeck 1839), S. 147 und 149.</note>, Fromme, Mildthätige, Kaufleute, Bettler<lb/> und Geſindel allerlei Art, das durch entlaufene Sklaven maſſen-<lb/> haft verſtärkt wurde, ſodaß die Concurrenz in den Städten zu groß<lb/> wurde und nun auch die Frommen auf dem flachen Lande heim-<lb/> geſucht wurden.</p><lb/> <p>Dies werkthätige und ſchon vielfach gemisbrauchte Chriſten-<lb/> thum kam nach Deutſchland, wenn auch nicht gleich mit der vollen<lb/> Beigabe des ausgeprägten Bettlerthums, doch mit allen Keimen<lb/> zu deſſen raſcher Ausbildung auf deutſchem Boden, wo das<lb/> Bettler- und Vagantenweſen ſich dann auch wirklich raſch genug<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [42/0058]
bittere Klage, und ſagt unter anderm: „Plerique simulant debita.
Sit veri examen. Exutos se per latrocinia deplorant: Aut
injuria fidem faciat aut cognitio personae, quo propensius ju-
ventur.“ Schon ſieht man, wie um die Kirchen ſich alles bunt
durcheinander drängt 1), Fromme, Mildthätige, Kaufleute, Bettler
und Geſindel allerlei Art, das durch entlaufene Sklaven maſſen-
haft verſtärkt wurde, ſodaß die Concurrenz in den Städten zu groß
wurde und nun auch die Frommen auf dem flachen Lande heim-
geſucht wurden.
Dies werkthätige und ſchon vielfach gemisbrauchte Chriſten-
thum kam nach Deutſchland, wenn auch nicht gleich mit der vollen
Beigabe des ausgeprägten Bettlerthums, doch mit allen Keimen
zu deſſen raſcher Ausbildung auf deutſchem Boden, wo das
Bettler- und Vagantenweſen ſich dann auch wirklich raſch genug
1) Dies controlirte Bettelweſen hat ſich durch das ganze Mittelalter und
noch weit über daſſelbe hinaus erhalten. Auf dem Kohlenberg bei Baſel war
die Freiſtätte für alle, auch fremde Bettler (Giler und Lahme), welche von
hier aus die Stadt durchſtreiften und ſich meiſtens um die Kirche lagerten,
ſogar auch ihr Handwerk in der Kirche trieben, ſodaß der Rath 1429 ver-
ordnen mußte, es ſolle kein Giler noch Bettler in das Münſter gehen, dort
ſitzen oder während der Meſſe liegen, ſondern ſie ſollen im Kreuzgang oder
vor der Thüre bleiben. Die Erlaubniß zum Betteln mußten die Fremden ſich
vom Reichsvogte erbitten, der ihnen dreitägigen Aufenthalt zum Betteln gab,
aber darauf zu wachen hatte, daß „recht gebettelt wurde“. Der Reichsvogt
bekam einen Antheil vom Erbettelten und war Erbe der Verlaſſenſchaft eines
geſtorbenen Bettlers. Jn den baſeler Steuerverzeichniſſen von 1391 kommen
einzelne Bettler vor, die beſteuert waren und namentlich genannt werden;
und 1419 verordnete der Rath, daß jeder Bürger, der ins Siechenhaus
wolle, zuvor 5 Pfund Pfennige zuſammenbettle. Vgl. das ſchon erwähnte
treffliche Werk der Baſeler hiſtoriſchen Geſellſchaft, „Baſel im 14. Jahrhundert“
(1856) S. 111 fg. Nach der Ordnung für den Prachervogt (Bettelvogt) der
Stadt Lübeck von 1527 erhielt derſelbe von jedem Bettler und jeder Bettlerin
jährlich 6 Pfennige. Seine Pflicht war, dahin zu ſehen, daß dieſelben „ein Ge-
ſchick hebben mit almiſſen biddende und up den karkhavn to ſittende“. Fremde
Bettler mußte er aus der Stadt weiſen. Nach der Ordnung von 1553 mußte
der Büttelmeiſter mit den Frohnen Sonntags morgens auf alle Kirchhöfe gehen
und die Bettler in die Predigt weiſen, ihnen auch verbieten, ihre Wunden
ſchamlos zur Schau zu ſtellen. Vgl. Dr. J. F. Hach, „Das alte Lübeckiſche
Recht“ (Lübeck 1839), S. 147 und 149.
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