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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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vorzunehmen und die richtige Analogie zu treffen. Diese Sicher-
heit drückte sich mit aller Bestimmtheit in der Entstehuug der
Stadtrechte aus, welche sich als eigentliches deutsches Polizeirecht
neben den Landrechten bildeten, während erst später dem römischen
Rechte gelang, sich allmählich den Weg in Deutschland zu bahnen,
wo es, trotz aller Protection, in den Städten zunächst sehr wohl
als exoterische Erscheinung erkannt und höchstens nur als Er-
gänzung vorhandener Defecte benutzt wurde, später jedoch zum
Nachtheil des deutschen Elements tiefer und weiter Wurzel faßte.

Der Kampf des trotz der mannichfaltigsten Angriffe rasch und
kräftig, selbst bis zum Uebermuth, aufblühenden Bürgerthums mit
den vielen Formen und Fesseln des Lehnswesens und der Hierarchie
ward mit der Zeit immer ernster und in seinen Folgen immer
bedenklicher für das Bürgerthum. Die Ursachen zu diesem Kampfe
waren schon bei der Construction des Lehnstaats gegeben. Karl
der Große wollte durch das Christenthum die Sittlichkeit des
Volks heben. Daher schon jetzt die bischöfliche Gewalt in welt-
lichen Sachen neben den kaiserlichen missi. Seine Nachfolger
gingen den betretenen Weg weiter, und so kam es bald, daß neben
der unkritischen und wirren Anhäufung der verschiedenen Straf-
gerichte, wie das Kaiserhofgericht, die Landgerichte, die städtischen
Jmmunitätsgerichte, Vogt- und Hofhörigkeitsgerichte und Bauer-
meistereien u. s. w., die Bischöfe namentlich seit Friedrich II. be-
sonders auch mit dem Blutbann beliehen wurden, worauf denn
auch die weltlichen Herren ihre Jmmunitätsprivilegien immer
weiter auszudehnen suchten und Centbezirke mit ihren Officialen
besetzten. Die von Rom aus regierte Geistlichkeit verfolgte mit
großer Consequenz und Geduld die Politik, zur Befestigung der
Hierarchie das römische Recht durchgehends zur Geltung in Deutsch-
land zu bringen, so fügsam sie auch in Einzelheiten dem deutschen
Wesen nachzugeben schien. Es galt ihr stets den offenen Con-
flict zu vermeiden, und mit feinem Geschick wußte sie bei dem
drohenden Zusammenstoß stets die kirchliche Disciplin vor-
zuschieben und zu temporisiren, um langsam aber gewiß den Sieg
zu erreichen, der bei offenem Kampfe sehr zweifelhaft gewesen wäre.

vorzunehmen und die richtige Analogie zu treffen. Dieſe Sicher-
heit drückte ſich mit aller Beſtimmtheit in der Entſtehuug der
Stadtrechte aus, welche ſich als eigentliches deutſches Polizeirecht
neben den Landrechten bildeten, während erſt ſpäter dem römiſchen
Rechte gelang, ſich allmählich den Weg in Deutſchland zu bahnen,
wo es, trotz aller Protection, in den Städten zunächſt ſehr wohl
als exoteriſche Erſcheinung erkannt und höchſtens nur als Er-
gänzung vorhandener Defecte benutzt wurde, ſpäter jedoch zum
Nachtheil des deutſchen Elements tiefer und weiter Wurzel faßte.

Der Kampf des trotz der mannichfaltigſten Angriffe raſch und
kräftig, ſelbſt bis zum Uebermuth, aufblühenden Bürgerthums mit
den vielen Formen und Feſſeln des Lehnsweſens und der Hierarchie
ward mit der Zeit immer ernſter und in ſeinen Folgen immer
bedenklicher für das Bürgerthum. Die Urſachen zu dieſem Kampfe
waren ſchon bei der Conſtruction des Lehnſtaats gegeben. Karl
der Große wollte durch das Chriſtenthum die Sittlichkeit des
Volks heben. Daher ſchon jetzt die biſchöfliche Gewalt in welt-
lichen Sachen neben den kaiſerlichen missi. Seine Nachfolger
gingen den betretenen Weg weiter, und ſo kam es bald, daß neben
der unkritiſchen und wirren Anhäufung der verſchiedenen Straf-
gerichte, wie das Kaiſerhofgericht, die Landgerichte, die ſtädtiſchen
Jmmunitätsgerichte, Vogt- und Hofhörigkeitsgerichte und Bauer-
meiſtereien u. ſ. w., die Biſchöfe namentlich ſeit Friedrich II. be-
ſonders auch mit dem Blutbann beliehen wurden, worauf denn
auch die weltlichen Herren ihre Jmmunitätsprivilegien immer
weiter auszudehnen ſuchten und Centbezirke mit ihren Officialen
beſetzten. Die von Rom aus regierte Geiſtlichkeit verfolgte mit
großer Conſequenz und Geduld die Politik, zur Befeſtigung der
Hierarchie das römiſche Recht durchgehends zur Geltung in Deutſch-
land zu bringen, ſo fügſam ſie auch in Einzelheiten dem deutſchen
Weſen nachzugeben ſchien. Es galt ihr ſtets den offenen Con-
flict zu vermeiden, und mit feinem Geſchick wußte ſie bei dem
drohenden Zuſammenſtoß ſtets die kirchliche Disciplin vor-
zuſchieben und zu temporiſiren, um langſam aber gewiß den Sieg
zu erreichen, der bei offenem Kampfe ſehr zweifelhaft geweſen wäre.

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[59/0075] vorzunehmen und die richtige Analogie zu treffen. Dieſe Sicher- heit drückte ſich mit aller Beſtimmtheit in der Entſtehuug der Stadtrechte aus, welche ſich als eigentliches deutſches Polizeirecht neben den Landrechten bildeten, während erſt ſpäter dem römiſchen Rechte gelang, ſich allmählich den Weg in Deutſchland zu bahnen, wo es, trotz aller Protection, in den Städten zunächſt ſehr wohl als exoteriſche Erſcheinung erkannt und höchſtens nur als Er- gänzung vorhandener Defecte benutzt wurde, ſpäter jedoch zum Nachtheil des deutſchen Elements tiefer und weiter Wurzel faßte. Der Kampf des trotz der mannichfaltigſten Angriffe raſch und kräftig, ſelbſt bis zum Uebermuth, aufblühenden Bürgerthums mit den vielen Formen und Feſſeln des Lehnsweſens und der Hierarchie ward mit der Zeit immer ernſter und in ſeinen Folgen immer bedenklicher für das Bürgerthum. Die Urſachen zu dieſem Kampfe waren ſchon bei der Conſtruction des Lehnſtaats gegeben. Karl der Große wollte durch das Chriſtenthum die Sittlichkeit des Volks heben. Daher ſchon jetzt die biſchöfliche Gewalt in welt- lichen Sachen neben den kaiſerlichen missi. Seine Nachfolger gingen den betretenen Weg weiter, und ſo kam es bald, daß neben der unkritiſchen und wirren Anhäufung der verſchiedenen Straf- gerichte, wie das Kaiſerhofgericht, die Landgerichte, die ſtädtiſchen Jmmunitätsgerichte, Vogt- und Hofhörigkeitsgerichte und Bauer- meiſtereien u. ſ. w., die Biſchöfe namentlich ſeit Friedrich II. be- ſonders auch mit dem Blutbann beliehen wurden, worauf denn auch die weltlichen Herren ihre Jmmunitätsprivilegien immer weiter auszudehnen ſuchten und Centbezirke mit ihren Officialen beſetzten. Die von Rom aus regierte Geiſtlichkeit verfolgte mit großer Conſequenz und Geduld die Politik, zur Befeſtigung der Hierarchie das römiſche Recht durchgehends zur Geltung in Deutſch- land zu bringen, ſo fügſam ſie auch in Einzelheiten dem deutſchen Weſen nachzugeben ſchien. Es galt ihr ſtets den offenen Con- flict zu vermeiden, und mit feinem Geſchick wußte ſie bei dem drohenden Zuſammenſtoß ſtets die kirchliche Disciplin vor- zuſchieben und zu temporiſiren, um langſam aber gewiß den Sieg zu erreichen, der bei offenem Kampfe ſehr zweifelhaft geweſen wäre.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/75>, abgerufen am 24.11.2024.