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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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in seiner ursprünglichen Gestalt als im Plagiat der rotwelschen
Grammatik eine ziemlich große Anzahl verschiedener Auflagen er-
lebte. Nichtsdestoweniger bildete sich aber das Gaunerthum selbst
immer weiter aus, indem es mit seiner feinen Lebensbeobachtung
überall seine Gelegenheit auszuspähen und auch alle politischen
Bewegungen sofort auszubeuten wußte, um sich sogar mit offener
Gewalt zum Räuberthum zu gruppiren. Auch der bis dahin als
social-politischer Factor unbeachtet gebliebene Bauernstand fing an
sich zur Masse zusammenzuthun und zuerst durch das Räuberthum
sich furchtbar bemerklich zu machen. Das Beispiel Frankreichs,
in welchem der König schon lange die rohe Masse der Bürger-
gemeinheiten gegen den übermüthigen Raubadel aufgeboten, mit
ihnen den Adel unterworfen und damit die unmittelbare Reichs-
hoheit für sich erworben, dafür aber auch gefährlicherweise der
rohen Masse ihre Gewalt gezeigt und den Geist der Revolution
in Frankreich heraufbeschworen hatte, wirkte nach Deutschland hin-
über. Schon zu Friedrich's III. Zeit hatten in Franken, Schwa-
ben und am Rhein Bauernunruhen stattgefunden. Jm fränki-
schen Dorfe Niklashausen hielt Hans von Böheim (genannt das
Pfeiferhänslein oder der Pauker) Bußpredigten gegen "Pfaffen-
thum und Fürstendruck", infolge deren die rohesten Aufstände und
die verwegensten räuberischen Gewaltthaten stattfanden. Bedenk-
licher war schon der sogenannte Bundschuh 1), zuerst 1493 im
Elsaß, 1505 bei Speier und 1513 im Breisgau, der wie jener
Aufstand durch massenhafte Hinrichtungen gedämpft wurde. Ein
Jahr später constituirte sich der "arme Konrad oder Kunz", der
durch einen Vertrag beigelegt wurde. Die lange bestehende Noth
und Unzufriedenheit der Bauern und kleinen Handwerker brachte
am 1. Jan. 1525 den Ausbruch jenes großen Bauernkriegs
zu Wege, in welchem unter Leitung der elendesten Abenteurer und

1) Seine Bewegung war nichts anderes als eine Aufregung der ver-
unkensten Elemente. Die Pläne gingen auf die Beseitigung der Leibeigen-
schaft, der Fürsten, des römischen Rechts, Freigebung der Jagd, Fischerei und
Waldungen und Aufhebung der Zölle, Steuern und Klöster.

in ſeiner urſprünglichen Geſtalt als im Plagiat der rotwelſchen
Grammatik eine ziemlich große Anzahl verſchiedener Auflagen er-
lebte. Nichtsdeſtoweniger bildete ſich aber das Gaunerthum ſelbſt
immer weiter aus, indem es mit ſeiner feinen Lebensbeobachtung
überall ſeine Gelegenheit auszuſpähen und auch alle politiſchen
Bewegungen ſofort auszubeuten wußte, um ſich ſogar mit offener
Gewalt zum Räuberthum zu gruppiren. Auch der bis dahin als
ſocial-politiſcher Factor unbeachtet gebliebene Bauernſtand fing an
ſich zur Maſſe zuſammenzuthun und zuerſt durch das Räuberthum
ſich furchtbar bemerklich zu machen. Das Beiſpiel Frankreichs,
in welchem der König ſchon lange die rohe Maſſe der Bürger-
gemeinheiten gegen den übermüthigen Raubadel aufgeboten, mit
ihnen den Adel unterworfen und damit die unmittelbare Reichs-
hoheit für ſich erworben, dafür aber auch gefährlicherweiſe der
rohen Maſſe ihre Gewalt gezeigt und den Geiſt der Revolution
in Frankreich heraufbeſchworen hatte, wirkte nach Deutſchland hin-
über. Schon zu Friedrich’s III. Zeit hatten in Franken, Schwa-
ben und am Rhein Bauernunruhen ſtattgefunden. Jm fränki-
ſchen Dorfe Niklashauſen hielt Hans von Böheim (genannt das
Pfeiferhänslein oder der Pauker) Bußpredigten gegen „Pfaffen-
thum und Fürſtendruck“, infolge deren die roheſten Aufſtände und
die verwegenſten räuberiſchen Gewaltthaten ſtattfanden. Bedenk-
licher war ſchon der ſogenannte Bundſchuh 1), zuerſt 1493 im
Elſaß, 1505 bei Speier und 1513 im Breisgau, der wie jener
Aufſtand durch maſſenhafte Hinrichtungen gedämpft wurde. Ein
Jahr ſpäter conſtituirte ſich der „arme Konrad oder Kunz“, der
durch einen Vertrag beigelegt wurde. Die lange beſtehende Noth
und Unzufriedenheit der Bauern und kleinen Handwerker brachte
am 1. Jan. 1525 den Ausbruch jenes großen Bauernkriegs
zu Wege, in welchem unter Leitung der elendeſten Abenteurer und

1) Seine Bewegung war nichts anderes als eine Aufregung der ver-
unkenſten Elemente. Die Pläne gingen auf die Beſeitigung der Leibeigen-
ſchaft, der Fürſten, des römiſchen Rechts, Freigebung der Jagd, Fiſcherei und
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[70/0086] in ſeiner urſprünglichen Geſtalt als im Plagiat der rotwelſchen Grammatik eine ziemlich große Anzahl verſchiedener Auflagen er- lebte. Nichtsdeſtoweniger bildete ſich aber das Gaunerthum ſelbſt immer weiter aus, indem es mit ſeiner feinen Lebensbeobachtung überall ſeine Gelegenheit auszuſpähen und auch alle politiſchen Bewegungen ſofort auszubeuten wußte, um ſich ſogar mit offener Gewalt zum Räuberthum zu gruppiren. Auch der bis dahin als ſocial-politiſcher Factor unbeachtet gebliebene Bauernſtand fing an ſich zur Maſſe zuſammenzuthun und zuerſt durch das Räuberthum ſich furchtbar bemerklich zu machen. Das Beiſpiel Frankreichs, in welchem der König ſchon lange die rohe Maſſe der Bürger- gemeinheiten gegen den übermüthigen Raubadel aufgeboten, mit ihnen den Adel unterworfen und damit die unmittelbare Reichs- hoheit für ſich erworben, dafür aber auch gefährlicherweiſe der rohen Maſſe ihre Gewalt gezeigt und den Geiſt der Revolution in Frankreich heraufbeſchworen hatte, wirkte nach Deutſchland hin- über. Schon zu Friedrich’s III. Zeit hatten in Franken, Schwa- ben und am Rhein Bauernunruhen ſtattgefunden. Jm fränki- ſchen Dorfe Niklashauſen hielt Hans von Böheim (genannt das Pfeiferhänslein oder der Pauker) Bußpredigten gegen „Pfaffen- thum und Fürſtendruck“, infolge deren die roheſten Aufſtände und die verwegenſten räuberiſchen Gewaltthaten ſtattfanden. Bedenk- licher war ſchon der ſogenannte Bundſchuh 1), zuerſt 1493 im Elſaß, 1505 bei Speier und 1513 im Breisgau, der wie jener Aufſtand durch maſſenhafte Hinrichtungen gedämpft wurde. Ein Jahr ſpäter conſtituirte ſich der „arme Konrad oder Kunz“, der durch einen Vertrag beigelegt wurde. Die lange beſtehende Noth und Unzufriedenheit der Bauern und kleinen Handwerker brachte am 1. Jan. 1525 den Ausbruch jenes großen Bauernkriegs zu Wege, in welchem unter Leitung der elendeſten Abenteurer und 1) Seine Bewegung war nichts anderes als eine Aufregung der ver- unkenſten Elemente. Die Pläne gingen auf die Beſeitigung der Leibeigen- ſchaft, der Fürſten, des römiſchen Rechts, Freigebung der Jagd, Fiſcherei und Waldungen und Aufhebung der Zölle, Steuern und Klöſter.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/86>, abgerufen am 21.11.2024.