Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.verbundenen Mitgliedern einer Einzel- oder Verwandtschaftsgruppe Widersteht auch der Gefangenwärter aller Verlockung durch Jst die Beförderung der Briefe ein Gegenstand der raffinirte- 1) Besonders wird dabei darauf gerechnet, daß bequeme Beamte sich von
Gefangenen allerlei Dienste und Handreichungen leisten lassen, wobei dann durch Vermittelung der dazu verwandten Gefangenen der Kassperei Thür und Thor geöffnet ist. verbundenen Mitgliedern einer Einzel- oder Verwandtſchaftsgruppe Widerſteht auch der Gefangenwärter aller Verlockung durch Jſt die Beförderung der Briefe ein Gegenſtand der raffinirte- 1) Beſonders wird dabei darauf gerechnet, daß bequeme Beamte ſich von
Gefangenen allerlei Dienſte und Handreichungen leiſten laſſen, wobei dann durch Vermittelung der dazu verwandten Gefangenen der Kaſſperei Thür und Thor geöffnet iſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0107" n="95"/> verbundenen Mitgliedern einer Einzel- oder Verwandtſchaftsgruppe<lb/> verabredet ſind.</p><lb/> <p>Widerſteht auch der Gefangenwärter aller Verlockung durch<lb/> Schmeichelei, Vertraulichkeit, affectirte Kümmerniß, Gefälligkeit,<lb/> Verſprechungen und Gold, ſo wird er doch oft gegen ſeinen Wil-<lb/> len und ungeachtet aller Wachſamkeit zum Träger der Geheimniſſe<lb/> des Gauners gemacht. Der geriebene Gauner kritzelt auf dem<lb/> Trink- und Eßgeſchirr, ſei es von Metall oder Holz, mit leichten<lb/> Zügen ſeine Notizen hin, und benutzt ſelbſt das Nachtgeſchirr dazu,<lb/> in der Berechnung, daß dies Geſchirr von einer Zelle zur andern<lb/> gewechſelt werden kann. <note place="foot" n="1)">Beſonders wird dabei darauf gerechnet, daß bequeme Beamte ſich von<lb/> Gefangenen allerlei Dienſte und Handreichungen leiſten laſſen, wobei dann durch<lb/> Vermittelung der dazu verwandten Gefangenen der Kaſſperei Thür und Thor<lb/> geöffnet iſt.</note> Um des Wärters Aufmerkſamkeit zu<lb/> täuſchen, reinigt er alles Geſchirr ſelbſt vor deſſen Augen, damit<lb/> jener es nicht weiter anſieht, ſondern ſorglos weglegt und weiter-<lb/> bringt. Selbſt auf dem Holz zwiſchen den Borſten eines Hand-<lb/> fegers oder einer Bürſte kann ein Papierkügelchen mit Brot an-<lb/> geklebt ſein. Jmmer ſollte daher jegliches Geräth und Geſchirr<lb/> einer Zelle mit der Zellennummer verſehen, und nur für den Ge-<lb/> brauch dieſer Zelle, niemals aber für den Gebrauch einer andern<lb/> Zelle hergegeben werden. Andere Beiſpiele der Ueberliſtung ein-<lb/> fältiger Gefangenwärter ſind in nicht geringer Zahl vorhanden,<lb/> und aus dem Umſtande zu erklären, daß der Gauner ebenſo gut<lb/> den Gefangenwärter ſtudirt als den Jnquirenten, und oft ſchon<lb/> vor der perſönlichen Berührung mit ihm weiß, mit wem er es<lb/> zu thun hat. Ein guter Jnquirent und ein guter Gefangenwär-<lb/> ter erwirbt ſich bei weitem raſcher unter den Gaunern einen<lb/> Namen, als in der Beamtenwelt.</p><lb/> <p>Jſt die Beförderung der Briefe ein Gegenſtand der raffinirte-<lb/> ſten Schlauheit und gewandteſten Benutzung der Gelegenheit und<lb/> Perſonen, ſo iſt doch auf alle Fälle auch ſtets der <hi rendition="#g">Jnhalt</hi> der<lb/> Briefe an ſich ſo fein und myſtiſch gehalten, daß es einer ge-<lb/> nauen Kenntniß der Gaunerſprache und Gaunergeheimniſſe bedarf,<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [95/0107]
verbundenen Mitgliedern einer Einzel- oder Verwandtſchaftsgruppe
verabredet ſind.
Widerſteht auch der Gefangenwärter aller Verlockung durch
Schmeichelei, Vertraulichkeit, affectirte Kümmerniß, Gefälligkeit,
Verſprechungen und Gold, ſo wird er doch oft gegen ſeinen Wil-
len und ungeachtet aller Wachſamkeit zum Träger der Geheimniſſe
des Gauners gemacht. Der geriebene Gauner kritzelt auf dem
Trink- und Eßgeſchirr, ſei es von Metall oder Holz, mit leichten
Zügen ſeine Notizen hin, und benutzt ſelbſt das Nachtgeſchirr dazu,
in der Berechnung, daß dies Geſchirr von einer Zelle zur andern
gewechſelt werden kann. 1) Um des Wärters Aufmerkſamkeit zu
täuſchen, reinigt er alles Geſchirr ſelbſt vor deſſen Augen, damit
jener es nicht weiter anſieht, ſondern ſorglos weglegt und weiter-
bringt. Selbſt auf dem Holz zwiſchen den Borſten eines Hand-
fegers oder einer Bürſte kann ein Papierkügelchen mit Brot an-
geklebt ſein. Jmmer ſollte daher jegliches Geräth und Geſchirr
einer Zelle mit der Zellennummer verſehen, und nur für den Ge-
brauch dieſer Zelle, niemals aber für den Gebrauch einer andern
Zelle hergegeben werden. Andere Beiſpiele der Ueberliſtung ein-
fältiger Gefangenwärter ſind in nicht geringer Zahl vorhanden,
und aus dem Umſtande zu erklären, daß der Gauner ebenſo gut
den Gefangenwärter ſtudirt als den Jnquirenten, und oft ſchon
vor der perſönlichen Berührung mit ihm weiß, mit wem er es
zu thun hat. Ein guter Jnquirent und ein guter Gefangenwär-
ter erwirbt ſich bei weitem raſcher unter den Gaunern einen
Namen, als in der Beamtenwelt.
Jſt die Beförderung der Briefe ein Gegenſtand der raffinirte-
ſten Schlauheit und gewandteſten Benutzung der Gelegenheit und
Perſonen, ſo iſt doch auf alle Fälle auch ſtets der Jnhalt der
Briefe an ſich ſo fein und myſtiſch gehalten, daß es einer ge-
nauen Kenntniß der Gaunerſprache und Gaunergeheimniſſe bedarf,
1) Beſonders wird dabei darauf gerechnet, daß bequeme Beamte ſich von
Gefangenen allerlei Dienſte und Handreichungen leiſten laſſen, wobei dann durch
Vermittelung der dazu verwandten Gefangenen der Kaſſperei Thür und Thor
geöffnet iſt.
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