den baldowerten Massematten selbst handelt, und daß er zwischen Baldowern und Handeln längere Zeit, oft Jahre verstreichen läßt, um allen Verdacht schwinden zu lassen. Dafür geht der Gauner denn auch bei seiner Kunst so sicher, daß er oft einen schon erreichten Massematten längere Zeit liegen läßt und davongeht, bis er ver- muthen kann, daß er sich gebessert hat und der Mühe mehr ver- lohnt. Beispiele der Art sind nicht selten; eins der merkwürdigsten führt Thiele, a. a. O., I, 37, vom Gauner Wohlauer an.
Häufig wird auch beim Baldowern schon ein indirecter An- fang des Diebstahls selbst unternommen, z. B. ein Schlüssel ab- gezogen oder ein Wachsabdruck von ihm oder vom Schlüsselloch gemacht, ein Ueberfallhaken vor irgendeinem Fenster abgehängt, eine zum Einsteigen gelegene Fensterscheibe wie durch Zufall oder Ungeschicklichkeit eingestoßen, um bald darauf den frischen Kitt der neueingesetzten Scheibe desto leichter mit dem Messer lösen zu können, ein Hund vergiftet, Entfernungen mit Auge oder Schritt gemessen. Um eine möglichst genaue Kenntniß der ganzen Gelegenheit und die möglichste Sicherheit des Unternehmens zu gewinnen, wird unmittelbar vor der Ausführung des Diebstahls ein Mitglied der Chawrusse, oft auch eins nach dem andern, an den Ort des Diebstahls geschickt, um eine Blinde zu machen, d. h. nochmals überall genau nachzusehen, und eine Probe abzu- halten, wie nun unmittelbar vor der Ausübung die ganze Situa- tion ist. Der Ausgeschickte beginnt den Scheinangriff, um zu sehen, ob alles für das Unternehmen gesichert ist, bricht und klopft leise an der Einbruchstelle oder an den Fensterschaltern (Blinden), ob jemand erwacht oder bei der Hand ist, und wie es überhaupt augenblicklich mit der Bewachung des Hauses und seiner Umgebung durch Wächter oder Hunde aussieht. Jst die Ueberzeugung des Gelingens gewonnen, so wird rasch an das Werk gegangen. Jst die Gelegenheit bedenklich, so machen sich mehrere oder wol auch alle Genossen der Chawrusse nacheinander daran, die Blinde zu machen. Gewöhnlich entscheidet darauf die Majorität für oder gegen die Ausführung des Handels. Der gefaßte Beschluß bindet dann auch die Minorität, obschon nicht
den baldowerten Maſſematten ſelbſt handelt, und daß er zwiſchen Baldowern und Handeln längere Zeit, oft Jahre verſtreichen läßt, um allen Verdacht ſchwinden zu laſſen. Dafür geht der Gauner denn auch bei ſeiner Kunſt ſo ſicher, daß er oft einen ſchon erreichten Maſſematten längere Zeit liegen läßt und davongeht, bis er ver- muthen kann, daß er ſich gebeſſert hat und der Mühe mehr ver- lohnt. Beiſpiele der Art ſind nicht ſelten; eins der merkwürdigſten führt Thiele, a. a. O., I, 37, vom Gauner Wohlauer an.
Häufig wird auch beim Baldowern ſchon ein indirecter An- fang des Diebſtahls ſelbſt unternommen, z. B. ein Schlüſſel ab- gezogen oder ein Wachsabdruck von ihm oder vom Schlüſſelloch gemacht, ein Ueberfallhaken vor irgendeinem Fenſter abgehängt, eine zum Einſteigen gelegene Fenſterſcheibe wie durch Zufall oder Ungeſchicklichkeit eingeſtoßen, um bald darauf den friſchen Kitt der neueingeſetzten Scheibe deſto leichter mit dem Meſſer löſen zu können, ein Hund vergiftet, Entfernungen mit Auge oder Schritt gemeſſen. Um eine möglichſt genaue Kenntniß der ganzen Gelegenheit und die möglichſte Sicherheit des Unternehmens zu gewinnen, wird unmittelbar vor der Ausführung des Diebſtahls ein Mitglied der Chawruſſe, oft auch eins nach dem andern, an den Ort des Diebſtahls geſchickt, um eine Blinde zu machen, d. h. nochmals überall genau nachzuſehen, und eine Probe abzu- halten, wie nun unmittelbar vor der Ausübung die ganze Situa- tion iſt. Der Ausgeſchickte beginnt den Scheinangriff, um zu ſehen, ob alles für das Unternehmen geſichert iſt, bricht und klopft leiſe an der Einbruchſtelle oder an den Fenſterſchaltern (Blinden), ob jemand erwacht oder bei der Hand iſt, und wie es überhaupt augenblicklich mit der Bewachung des Hauſes und ſeiner Umgebung durch Wächter oder Hunde ausſieht. Jſt die Ueberzeugung des Gelingens gewonnen, ſo wird raſch an das Werk gegangen. Jſt die Gelegenheit bedenklich, ſo machen ſich mehrere oder wol auch alle Genoſſen der Chawruſſe nacheinander daran, die Blinde zu machen. Gewöhnlich entſcheidet darauf die Majorität für oder gegen die Ausführung des Handels. Der gefaßte Beſchluß bindet dann auch die Minorität, obſchon nicht
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den baldowerten Maſſematten ſelbſt handelt, und daß er zwiſchen
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denn auch bei ſeiner Kunſt ſo ſicher, daß er oft einen ſchon erreichten
Maſſematten längere Zeit liegen läßt und davongeht, bis er ver-
muthen kann, daß er ſich gebeſſert hat und der Mühe mehr ver-
lohnt. Beiſpiele der Art ſind nicht ſelten; eins der merkwürdigſten
führt Thiele, a. a. O., I, 37, vom Gauner Wohlauer an.
Häufig wird auch beim Baldowern ſchon ein indirecter An-
fang des Diebſtahls ſelbſt unternommen, z. B. ein Schlüſſel ab-
gezogen oder ein Wachsabdruck von ihm oder vom Schlüſſelloch
gemacht, ein Ueberfallhaken vor irgendeinem Fenſter abgehängt,
eine zum Einſteigen gelegene Fenſterſcheibe wie durch Zufall oder
Ungeſchicklichkeit eingeſtoßen, um bald darauf den friſchen Kitt
der neueingeſetzten Scheibe deſto leichter mit dem Meſſer löſen
zu können, ein Hund vergiftet, Entfernungen mit Auge oder
Schritt gemeſſen. Um eine möglichſt genaue Kenntniß der ganzen
Gelegenheit und die möglichſte Sicherheit des Unternehmens zu
gewinnen, wird unmittelbar vor der Ausführung des Diebſtahls
ein Mitglied der Chawruſſe, oft auch eins nach dem andern, an
den Ort des Diebſtahls geſchickt, um eine Blinde zu machen,
d. h. nochmals überall genau nachzuſehen, und eine Probe abzu-
halten, wie nun unmittelbar vor der Ausübung die ganze Situa-
tion iſt. Der Ausgeſchickte beginnt den Scheinangriff, um zu
ſehen, ob alles für das Unternehmen geſichert iſt, bricht und
klopft leiſe an der Einbruchſtelle oder an den Fenſterſchaltern
(Blinden), ob jemand erwacht oder bei der Hand iſt, und wie
es überhaupt augenblicklich mit der Bewachung des Hauſes und
ſeiner Umgebung durch Wächter oder Hunde ausſieht. Jſt die
Ueberzeugung des Gelingens gewonnen, ſo wird raſch an das
Werk gegangen. Jſt die Gelegenheit bedenklich, ſo machen ſich
mehrere oder wol auch alle Genoſſen der Chawruſſe nacheinander
daran, die Blinde zu machen. Gewöhnlich entſcheidet darauf die
Majorität für oder gegen die Ausführung des Handels. Der
gefaßte Beſchluß bindet dann auch die Minorität, obſchon nicht
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/123>, abgerufen am 21.11.2024.
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