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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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selten ein heimliches Davonschleichen Einzelner vorgekommen, im-
mer aber auch dann schwer gestraft ist. Ein in solcher Weise
sicher gestellter und als ausführbar erkundeter Diebstahl heißt "ein
ausgekochter (ausgekochemter) Massematten". 1)



Vierunddreißigstes Kapitel.
4) Die Kawure.

Die Kawure (jüdisch-deutsch kwuro, von [fremdsprachliches Material - fehlt], keber, Grab,
Grube) bedeutet im Jüdisch-Deutschen das Begräbniß, Grab,
Grabmal,
wird aber in der Gaunersprache für jeden Versteck,
Versteckort und für das Versteckte selbst gebraucht. Kawure
legen
heißt daher: verstecken, verbergen, verscharren; die Kawure
erheben
heißt: das Versteckte, Vergrabene hervorholen, heraus-
graben.

Dem Gauner muß natürlich daran liegen, die That mit
ihren Anzeigen zum mindesten bis zur Beseitigung der Gefahr zu
verbergen. Da er die Gewichtigkeit der Anzeigen vor, bei und
nach der That kennt, so richtet er besonders seinen Scharfblick
darauf, daß er sich aller seiner Diebsinstrumente entäußert, und
in gleicher Weise auch das Gestohlene kawure legt. Dies Ka-
wurelegen geschieht auf die verschiedenartigste Weise. Keinen

1) Thiele, a. a. O., I, 80, hat hierfür die nicht besonders in sein Wör-
terbuch aufgenommene, sondern nur nebenher, I, 235, unter "Blinde
machen"
aufgeführte Redensart: "Erst eine Blinde, dann eine
Schande machen".
Diese Redensart ist mir niemals, weder in meiner
Untersuchungspraxis, noch sonst in einem Wörterbuch vorgekommen. Wahr-
scheinlich hat Thiele auch den Ausdruck nicht aus Gaunermunde selbst
gehört, sondern entweder incorrect geschrieben gefunden oder falsch gelesen.
Das Wort Schande kommt nirgends in der Gaunersprache vor. Wahr-
scheinlich wird in dieser Redensart "Schaude" oder "Schaute" für
Schande gelten sollen, was allerdings Sinn hat und die specifische Thätig-
keit der Gauner beim Blindemachen verdeutlicht, auch im Schautenpicken beim
Schottenfellen eine analoge Erklärung findet. Vgl. Kap. 57.

ſelten ein heimliches Davonſchleichen Einzelner vorgekommen, im-
mer aber auch dann ſchwer geſtraft iſt. Ein in ſolcher Weiſe
ſicher geſtellter und als ausführbar erkundeter Diebſtahl heißt „ein
ausgekochter (ausgekochemter) Maſſematten“. 1)



Vierunddreißigſtes Kapitel.
4) Die Kawure.

Die Kawure (jüdiſch-deutſch kwuro, von [fremdsprachliches Material – fehlt], keber, Grab,
Grube) bedeutet im Jüdiſch-Deutſchen das Begräbniß, Grab,
Grabmal,
wird aber in der Gaunerſprache für jeden Verſteck,
Verſteckort und für das Verſteckte ſelbſt gebraucht. Kawure
legen
heißt daher: verſtecken, verbergen, verſcharren; die Kawure
erheben
heißt: das Verſteckte, Vergrabene hervorholen, heraus-
graben.

Dem Gauner muß natürlich daran liegen, die That mit
ihren Anzeigen zum mindeſten bis zur Beſeitigung der Gefahr zu
verbergen. Da er die Gewichtigkeit der Anzeigen vor, bei und
nach der That kennt, ſo richtet er beſonders ſeinen Scharfblick
darauf, daß er ſich aller ſeiner Diebsinſtrumente entäußert, und
in gleicher Weiſe auch das Geſtohlene kawure legt. Dies Ka-
wurelegen geſchieht auf die verſchiedenartigſte Weiſe. Keinen

1) Thiele, a. a. O., I, 80, hat hierfür die nicht beſonders in ſein Wör-
terbuch aufgenommene, ſondern nur nebenher, I, 235, unter „Blinde
machen“
aufgeführte Redensart: „Erſt eine Blinde, dann eine
Schande machen“.
Dieſe Redensart iſt mir niemals, weder in meiner
Unterſuchungspraxis, noch ſonſt in einem Wörterbuch vorgekommen. Wahr-
ſcheinlich hat Thiele auch den Ausdruck nicht aus Gaunermunde ſelbſt
gehört, ſondern entweder incorrect geſchrieben gefunden oder falſch geleſen.
Das Wort Schande kommt nirgends in der Gaunerſprache vor. Wahr-
ſcheinlich wird in dieſer Redensart „Schaude“ oder „Schaute“ für
Schande gelten ſollen, was allerdings Sinn hat und die ſpecifiſche Thätig-
keit der Gauner beim Blindemachen verdeutlicht, auch im Schautenpicken beim
Schottenfellen eine analoge Erklärung findet. Vgl. Kap. 57.
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[112/0124] ſelten ein heimliches Davonſchleichen Einzelner vorgekommen, im- mer aber auch dann ſchwer geſtraft iſt. Ein in ſolcher Weiſe ſicher geſtellter und als ausführbar erkundeter Diebſtahl heißt „ein ausgekochter (ausgekochemter) Maſſematten“. 1) Vierunddreißigſtes Kapitel. 4) Die Kawure. Die Kawure (jüdiſch-deutſch kwuro, von _ , keber, Grab, Grube) bedeutet im Jüdiſch-Deutſchen das Begräbniß, Grab, Grabmal, wird aber in der Gaunerſprache für jeden Verſteck, Verſteckort und für das Verſteckte ſelbſt gebraucht. Kawure legen heißt daher: verſtecken, verbergen, verſcharren; die Kawure erheben heißt: das Verſteckte, Vergrabene hervorholen, heraus- graben. Dem Gauner muß natürlich daran liegen, die That mit ihren Anzeigen zum mindeſten bis zur Beſeitigung der Gefahr zu verbergen. Da er die Gewichtigkeit der Anzeigen vor, bei und nach der That kennt, ſo richtet er beſonders ſeinen Scharfblick darauf, daß er ſich aller ſeiner Diebsinſtrumente entäußert, und in gleicher Weiſe auch das Geſtohlene kawure legt. Dies Ka- wurelegen geſchieht auf die verſchiedenartigſte Weiſe. Keinen 1) Thiele, a. a. O., I, 80, hat hierfür die nicht beſonders in ſein Wör- terbuch aufgenommene, ſondern nur nebenher, I, 235, unter „Blinde machen“ aufgeführte Redensart: „Erſt eine Blinde, dann eine Schande machen“. Dieſe Redensart iſt mir niemals, weder in meiner Unterſuchungspraxis, noch ſonſt in einem Wörterbuch vorgekommen. Wahr- ſcheinlich hat Thiele auch den Ausdruck nicht aus Gaunermunde ſelbſt gehört, ſondern entweder incorrect geſchrieben gefunden oder falſch geleſen. Das Wort Schande kommt nirgends in der Gaunerſprache vor. Wahr- ſcheinlich wird in dieſer Redensart „Schaude“ oder „Schaute“ für Schande gelten ſollen, was allerdings Sinn hat und die ſpecifiſche Thätig- keit der Gauner beim Blindemachen verdeutlicht, auch im Schautenpicken beim Schottenfellen eine analoge Erklärung findet. Vgl. Kap. 57.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/124>, abgerufen am 02.05.2024.