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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Theil des Hauses von der Krone des Schornsteins bis zum
Brunnen im Keller, keine Wand, keinen Stein, keinen Balken,
keinen Fußboden, keine Fußplatte, keinen Abort, keinen Stall,
keine Scheune, keinen Stroh- und Misthaufen, keinen Graben,
keine Brücke, kein Hausgeräth, kein Kleidungsstück, ja kaum eine
Körperöffnung oder Körperhöhlung gibt es, welche nicht zur Ka-
wure benutzt werden könnte. 1) Man bekommt einen Begriff von
den tausend und aber tausend Gelegenheiten, wenn man erst
mehrere Recherchen mitgemacht hat. Die Gelegenheit der Kawure
ist meistens so scheinlos, daß man ebenso oft kaum begreift, wie
der Gauner einen solchen Versteck wählen mochte, als man sich
wundern muß, daß man doch an jenem Ort das Versteckte finden
konnte. Aber aus der Gelegenheit des Fundes und Verstecks be-
greift man fast immer die ganze Situation des Verbrechers beim
Diebstahl. Man kann auch aus der Combination der bei dem
Verbrechen und dem Orte des Verbrechens hervortretenden Um-
stände ziemlich sichere Schlüsse auf die Thäterschaft und Kawure
ziehen, obwol sich dabei keine Regeln geben lassen, als den schar-
fen Blick auch auf das Unscheinliche zu richten und sich keine
Mühe verdrießen zu lassen.

Die auffällige Gegenwart eines fremden Menschen auf einem
Vorplatze oder in einem verschlossen gehaltenen Raume gibt Ver-
dacht gegen ihn, und sogar wol Anlaß, ihn zu visitiren. Das
weiß der Makkener und hat daher den Grundsatz, seine Klamo-

1) Unlängst wurde hier in Lübeck eine Gaunerin nach gestohlenen schwe-
dischen Banknoten vergeblich visitirt, bis sich dieselben bei der Visitation ihrer
vierjährigen Tochter in deren Mäntelchen eingenäht fanden. Ein Fälscher
hatte hier in Lübeck an der lebhaftesten Passage hart am Holsteinthor unter
einer Birke in einem Gartenbeet sein Geräth und eine bedeutende Menge ge-
fälschter Kassenscheine versteckt. Löwenthal hatte unter dem Schieber eines
Vogelbauers und unter der Erde eines Blumentopfs gestohlenes Gold ver-
steckt. Ein aus einem benachbarten Zuchthause ausgebrochener Räuber gestand
mir, daß er die bei ihm gefundenen Klamoniss sofort nach seiner Entweichung
aus der Nähe seiner schon längst verkauften väterlichen Dorfwohnung, wo er
sie mehrere Jahre vorher kawure gelegt hatte, wieder hervorgeholt habe,
um sie abermals in Gebrauch zu setzen.
Ave-Lallemant, Gaunerthum. II. 8

Theil des Hauſes von der Krone des Schornſteins bis zum
Brunnen im Keller, keine Wand, keinen Stein, keinen Balken,
keinen Fußboden, keine Fußplatte, keinen Abort, keinen Stall,
keine Scheune, keinen Stroh- und Miſthaufen, keinen Graben,
keine Brücke, kein Hausgeräth, kein Kleidungsſtück, ja kaum eine
Körperöffnung oder Körperhöhlung gibt es, welche nicht zur Ka-
wure benutzt werden könnte. 1) Man bekommt einen Begriff von
den tauſend und aber tauſend Gelegenheiten, wenn man erſt
mehrere Recherchen mitgemacht hat. Die Gelegenheit der Kawure
iſt meiſtens ſo ſcheinlos, daß man ebenſo oft kaum begreift, wie
der Gauner einen ſolchen Verſteck wählen mochte, als man ſich
wundern muß, daß man doch an jenem Ort das Verſteckte finden
konnte. Aber aus der Gelegenheit des Fundes und Verſtecks be-
greift man faſt immer die ganze Situation des Verbrechers beim
Diebſtahl. Man kann auch aus der Combination der bei dem
Verbrechen und dem Orte des Verbrechens hervortretenden Um-
ſtände ziemlich ſichere Schlüſſe auf die Thäterſchaft und Kawure
ziehen, obwol ſich dabei keine Regeln geben laſſen, als den ſchar-
fen Blick auch auf das Unſcheinliche zu richten und ſich keine
Mühe verdrießen zu laſſen.

Die auffällige Gegenwart eines fremden Menſchen auf einem
Vorplatze oder in einem verſchloſſen gehaltenen Raume gibt Ver-
dacht gegen ihn, und ſogar wol Anlaß, ihn zu viſitiren. Das
weiß der Makkener und hat daher den Grundſatz, ſeine Klamo-

1) Unlängſt wurde hier in Lübeck eine Gaunerin nach geſtohlenen ſchwe-
diſchen Banknoten vergeblich viſitirt, bis ſich dieſelben bei der Viſitation ihrer
vierjährigen Tochter in deren Mäntelchen eingenäht fanden. Ein Fälſcher
hatte hier in Lübeck an der lebhafteſten Paſſage hart am Holſteinthor unter
einer Birke in einem Gartenbeet ſein Geräth und eine bedeutende Menge ge-
fälſchter Kaſſenſcheine verſteckt. Löwenthal hatte unter dem Schieber eines
Vogelbauers und unter der Erde eines Blumentopfs geſtohlenes Gold ver-
ſteckt. Ein aus einem benachbarten Zuchthauſe ausgebrochener Räuber geſtand
mir, daß er die bei ihm gefundenen Klamoniſſ ſofort nach ſeiner Entweichung
aus der Nähe ſeiner ſchon längſt verkauften väterlichen Dorfwohnung, wo er
ſie mehrere Jahre vorher kawure gelegt hatte, wieder hervorgeholt habe,
um ſie abermals in Gebrauch zu ſetzen.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 8
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[113/0125] Theil des Hauſes von der Krone des Schornſteins bis zum Brunnen im Keller, keine Wand, keinen Stein, keinen Balken, keinen Fußboden, keine Fußplatte, keinen Abort, keinen Stall, keine Scheune, keinen Stroh- und Miſthaufen, keinen Graben, keine Brücke, kein Hausgeräth, kein Kleidungsſtück, ja kaum eine Körperöffnung oder Körperhöhlung gibt es, welche nicht zur Ka- wure benutzt werden könnte. 1) Man bekommt einen Begriff von den tauſend und aber tauſend Gelegenheiten, wenn man erſt mehrere Recherchen mitgemacht hat. Die Gelegenheit der Kawure iſt meiſtens ſo ſcheinlos, daß man ebenſo oft kaum begreift, wie der Gauner einen ſolchen Verſteck wählen mochte, als man ſich wundern muß, daß man doch an jenem Ort das Verſteckte finden konnte. Aber aus der Gelegenheit des Fundes und Verſtecks be- greift man faſt immer die ganze Situation des Verbrechers beim Diebſtahl. Man kann auch aus der Combination der bei dem Verbrechen und dem Orte des Verbrechens hervortretenden Um- ſtände ziemlich ſichere Schlüſſe auf die Thäterſchaft und Kawure ziehen, obwol ſich dabei keine Regeln geben laſſen, als den ſchar- fen Blick auch auf das Unſcheinliche zu richten und ſich keine Mühe verdrießen zu laſſen. Die auffällige Gegenwart eines fremden Menſchen auf einem Vorplatze oder in einem verſchloſſen gehaltenen Raume gibt Ver- dacht gegen ihn, und ſogar wol Anlaß, ihn zu viſitiren. Das weiß der Makkener und hat daher den Grundſatz, ſeine Klamo- 1) Unlängſt wurde hier in Lübeck eine Gaunerin nach geſtohlenen ſchwe- diſchen Banknoten vergeblich viſitirt, bis ſich dieſelben bei der Viſitation ihrer vierjährigen Tochter in deren Mäntelchen eingenäht fanden. Ein Fälſcher hatte hier in Lübeck an der lebhafteſten Paſſage hart am Holſteinthor unter einer Birke in einem Gartenbeet ſein Geräth und eine bedeutende Menge ge- fälſchter Kaſſenſcheine verſteckt. Löwenthal hatte unter dem Schieber eines Vogelbauers und unter der Erde eines Blumentopfs geſtohlenes Gold ver- ſteckt. Ein aus einem benachbarten Zuchthauſe ausgebrochener Räuber geſtand mir, daß er die bei ihm gefundenen Klamoniſſ ſofort nach ſeiner Entweichung aus der Nähe ſeiner ſchon längſt verkauften väterlichen Dorfwohnung, wo er ſie mehrere Jahre vorher kawure gelegt hatte, wieder hervorgeholt habe, um ſie abermals in Gebrauch zu ſetzen. Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 8

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/125>, abgerufen am 02.05.2024.