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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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gestohlenen Sachen in Empfang nehmen und nöthigenfalls mit
ihnen sofort entfliehen können. Zum behendern Durchgang durch
das Fenster wird gewöhnlich von innen ein Stuhl unter die Fen-
sterbank gestellt. Nahet sich im Hause ein Widerstand, so ziehen
sich die Schränker zurück, sobald sie eine Ueberlegenheit oder einen
Succurs zu fürchten haben. Fühlen sie sich dem Widerstande
gewachsen, so wird auch zur Gewalt geschritten, der Widerstand
Leistende zu Boden geworfen, geknebelt und ihm unter schweren
Drohungen Schweigen geboten, und dies auch wol durch Ver-
stopfen des Mundes mit einem Tuche erzwungen. Obwol der
Schränker auf alles gefaßt ist, auch fast immer Waffen führt 1),
so kommen absichtliche Tödtungen jetzt nur selten vor. Die mei-
sten Todesfälle sind nur die unbeabsichtigte Folge erlittener Mis-
handlungen bei der Gegenwehr oder starken Aufregung der Ueber-
wältigten, welche meistens in leichter Nachtkleidung geknebelt auf
dem Fußboden oder der Hausflur zurückgelassen werden. 2) Kaum
sind die Schränker, wie das doch früher immer der Fall war,
jetzt irgendeinmal mit Knebelstricken versehen. Strumpfbänder,
abgeschnittene Uhrschnüre, Waschleinen, Handtücher, Pferdehalfter
u. dgl. werden bei dem unvermuthet gefundenen Widerstand mei-
stens im Hause selbst angetroffen und benutzt. Eine oft befolgte
Vorsicht der Schränker ist, die Schlafstubenthüren leise zu ver-
setzen durch vorgestellte Tische, Koffer, Kisten, oder auch dadurch,
daß sie eigene Schmiren davor stellen, obgleich sie sehr wohl wissen,

1) Fragt man den Schränker im Verhör, zu welchem Zwecke er das ge-
ladene Pistol bei sich führe, so bekommt man gewöhnlich zur Antwort: "zum
Schrecken" (vgl. die Etymologie von Glaseime, S. 19). Ebenso dienen die
schweren eichenen Handstöcke dazu, den Angreifern und Verfolgern "eins auf
den Schnabel zu geben". Bei einem Einbruche unweit Lübeck bewirkte ein
einziger Schlag mit einem solchen Handstocke sofortige Bewußtlosigkeit und
nach einigen Stunden den Tod.
2) Ein Schränker, dessen Hinrichtung ich beiwohnte, hatte mit seinen Chä-
wern in einer kalten Novembernacht eine alte Frau mit ihren Strumpfbändern
geknebelt und im Hemde auf die Hausflur hingelegt, wo sie morgens, wahr-
scheinlich vom Schlage gerührt, todt gefunden wurde.

geſtohlenen Sachen in Empfang nehmen und nöthigenfalls mit
ihnen ſofort entfliehen können. Zum behendern Durchgang durch
das Fenſter wird gewöhnlich von innen ein Stuhl unter die Fen-
ſterbank geſtellt. Nahet ſich im Hauſe ein Widerſtand, ſo ziehen
ſich die Schränker zurück, ſobald ſie eine Ueberlegenheit oder einen
Succurs zu fürchten haben. Fühlen ſie ſich dem Widerſtande
gewachſen, ſo wird auch zur Gewalt geſchritten, der Widerſtand
Leiſtende zu Boden geworfen, geknebelt und ihm unter ſchweren
Drohungen Schweigen geboten, und dies auch wol durch Ver-
ſtopfen des Mundes mit einem Tuche erzwungen. Obwol der
Schränker auf alles gefaßt iſt, auch faſt immer Waffen führt 1),
ſo kommen abſichtliche Tödtungen jetzt nur ſelten vor. Die mei-
ſten Todesfälle ſind nur die unbeabſichtigte Folge erlittener Mis-
handlungen bei der Gegenwehr oder ſtarken Aufregung der Ueber-
wältigten, welche meiſtens in leichter Nachtkleidung geknebelt auf
dem Fußboden oder der Hausflur zurückgelaſſen werden. 2) Kaum
ſind die Schränker, wie das doch früher immer der Fall war,
jetzt irgendeinmal mit Knebelſtricken verſehen. Strumpfbänder,
abgeſchnittene Uhrſchnüre, Waſchleinen, Handtücher, Pferdehalfter
u. dgl. werden bei dem unvermuthet gefundenen Widerſtand mei-
ſtens im Hauſe ſelbſt angetroffen und benutzt. Eine oft befolgte
Vorſicht der Schränker iſt, die Schlafſtubenthüren leiſe zu ver-
ſetzen durch vorgeſtellte Tiſche, Koffer, Kiſten, oder auch dadurch,
daß ſie eigene Schmiren davor ſtellen, obgleich ſie ſehr wohl wiſſen,

1) Fragt man den Schränker im Verhör, zu welchem Zwecke er das ge-
ladene Piſtol bei ſich führe, ſo bekommt man gewöhnlich zur Antwort: „zum
Schrecken“ (vgl. die Etymologie von Glaſeime, S. 19). Ebenſo dienen die
ſchweren eichenen Handſtöcke dazu, den Angreifern und Verfolgern „eins auf
den Schnabel zu geben“. Bei einem Einbruche unweit Lübeck bewirkte ein
einziger Schlag mit einem ſolchen Handſtocke ſofortige Bewußtloſigkeit und
nach einigen Stunden den Tod.
2) Ein Schränker, deſſen Hinrichtung ich beiwohnte, hatte mit ſeinen Chä-
wern in einer kalten Novembernacht eine alte Frau mit ihren Strumpfbändern
geknebelt und im Hemde auf die Hausflur hingelegt, wo ſie morgens, wahr-
ſcheinlich vom Schlage gerührt, todt gefunden wurde.
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[141/0153] geſtohlenen Sachen in Empfang nehmen und nöthigenfalls mit ihnen ſofort entfliehen können. Zum behendern Durchgang durch das Fenſter wird gewöhnlich von innen ein Stuhl unter die Fen- ſterbank geſtellt. Nahet ſich im Hauſe ein Widerſtand, ſo ziehen ſich die Schränker zurück, ſobald ſie eine Ueberlegenheit oder einen Succurs zu fürchten haben. Fühlen ſie ſich dem Widerſtande gewachſen, ſo wird auch zur Gewalt geſchritten, der Widerſtand Leiſtende zu Boden geworfen, geknebelt und ihm unter ſchweren Drohungen Schweigen geboten, und dies auch wol durch Ver- ſtopfen des Mundes mit einem Tuche erzwungen. Obwol der Schränker auf alles gefaßt iſt, auch faſt immer Waffen führt 1), ſo kommen abſichtliche Tödtungen jetzt nur ſelten vor. Die mei- ſten Todesfälle ſind nur die unbeabſichtigte Folge erlittener Mis- handlungen bei der Gegenwehr oder ſtarken Aufregung der Ueber- wältigten, welche meiſtens in leichter Nachtkleidung geknebelt auf dem Fußboden oder der Hausflur zurückgelaſſen werden. 2) Kaum ſind die Schränker, wie das doch früher immer der Fall war, jetzt irgendeinmal mit Knebelſtricken verſehen. Strumpfbänder, abgeſchnittene Uhrſchnüre, Waſchleinen, Handtücher, Pferdehalfter u. dgl. werden bei dem unvermuthet gefundenen Widerſtand mei- ſtens im Hauſe ſelbſt angetroffen und benutzt. Eine oft befolgte Vorſicht der Schränker iſt, die Schlafſtubenthüren leiſe zu ver- ſetzen durch vorgeſtellte Tiſche, Koffer, Kiſten, oder auch dadurch, daß ſie eigene Schmiren davor ſtellen, obgleich ſie ſehr wohl wiſſen, 1) Fragt man den Schränker im Verhör, zu welchem Zwecke er das ge- ladene Piſtol bei ſich führe, ſo bekommt man gewöhnlich zur Antwort: „zum Schrecken“ (vgl. die Etymologie von Glaſeime, S. 19). Ebenſo dienen die ſchweren eichenen Handſtöcke dazu, den Angreifern und Verfolgern „eins auf den Schnabel zu geben“. Bei einem Einbruche unweit Lübeck bewirkte ein einziger Schlag mit einem ſolchen Handſtocke ſofortige Bewußtloſigkeit und nach einigen Stunden den Tod. 2) Ein Schränker, deſſen Hinrichtung ich beiwohnte, hatte mit ſeinen Chä- wern in einer kalten Novembernacht eine alte Frau mit ihren Strumpfbändern geknebelt und im Hemde auf die Hausflur hingelegt, wo ſie morgens, wahr- ſcheinlich vom Schlage gerührt, todt gefunden wurde.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/153>, abgerufen am 21.11.2024.