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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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letariers zeichnen läßt, so wenig läßt sich eine Zeichnung des
Gauners geben. Die Gaunerphysiognomie ist jedoch noch
immer eine Bezeichnung im Munde des Volks. Betrachtet man
die Holzschnitte und Kupferstiche in den alten Gaunerbüchern, so
gibt man es sofort auf, in diesen fratzenhaften Zügen, die wie
eine Darstellung anatomischer Merkwürdigkeiten oder Misgeburten
vor die Augen treten, ein anderes Porträt zu finden als das der
kahlen sittlichen Entrüstung des Zeichners oder Kupferstechers. 1)
Vergleicht man damit die meistens gut gerathenen Kupferstiche zu
Anfang dieses Jahrhunderts, so findet man im Gesichte des Hessel,
Streitmatter und selbst des kahlköpfigen Juden Schmaye Nathan
keinen eigenthümlichen Typus. Dasselbe ist der Fall bei den
Grolman'schen Porträts, bei denen meistens sogar die idiote
Schädelbildung vorherrscht. Jm Gesicht des Oberlander ist bei
weitem mehr Zug der Leidenschaft als originelle Typusbildung;
Abraham Moses zeichnet sich mehr durch sein negerartiges Profil,
als durch irgendeinen andern Typus aus, und bei Konrad An-
schuh ist nur der schielende Blick abstoßend. Jn der widerlichen
Darstellung der vier abgehauenen Räuberköpfe bei Pfister findet
man den Räuberzug einzig und allein nur zwischen Bret und
Hals, da wo dieser vom Schwerte durchschnitten ist. Jn der
Polizei- und Jnquirentenpraxis wird man völlig über die Phy-
siognomik enttäuscht, und wem es an Erfahrung fehlt, der mag
in den vielen Photographien, welche die heutigen Polizeiblätter,
und namentlich der dresdener Polizeianzeiger, in trefflichster Weise
bringen, die meistens gutmüthigen Gesichter mit den raffinirtesten
Gaunereien vergleichen.



1) Selbst die Holzschnitte früherer Jahrhunderte sind zum Theil viel
besser als die spätern Kupferstiche bis weit in das 18. Jahrhundert hinein.
Man vergleiche z. B. nur den gehängten Juden in Münster's Kosmogra-
phie bei der Beschreibung der Stadt Basel aus dem 16. Jahrhundert mit
den scheußlich markirten Bildnissen der rehburger Räuber und Spitzbuben
aus dem 18. Jahrhundert. Eine rühmliche Ausnahme machen jedoch die treff-
lichen berliner, dresdener und koburger Kupferstiche schon zu Anfang des
vorigen Jahrhunderts.

letariers zeichnen läßt, ſo wenig läßt ſich eine Zeichnung des
Gauners geben. Die Gaunerphyſiognomie iſt jedoch noch
immer eine Bezeichnung im Munde des Volks. Betrachtet man
die Holzſchnitte und Kupferſtiche in den alten Gaunerbüchern, ſo
gibt man es ſofort auf, in dieſen fratzenhaften Zügen, die wie
eine Darſtellung anatomiſcher Merkwürdigkeiten oder Misgeburten
vor die Augen treten, ein anderes Porträt zu finden als das der
kahlen ſittlichen Entrüſtung des Zeichners oder Kupferſtechers. 1)
Vergleicht man damit die meiſtens gut gerathenen Kupferſtiche zu
Anfang dieſes Jahrhunderts, ſo findet man im Geſichte des Heſſel,
Streitmatter und ſelbſt des kahlköpfigen Juden Schmaye Nathan
keinen eigenthümlichen Typus. Daſſelbe iſt der Fall bei den
Grolman’ſchen Porträts, bei denen meiſtens ſogar die idiote
Schädelbildung vorherrſcht. Jm Geſicht des Oberlander iſt bei
weitem mehr Zug der Leidenſchaft als originelle Typusbildung;
Abraham Moſes zeichnet ſich mehr durch ſein negerartiges Profil,
als durch irgendeinen andern Typus aus, und bei Konrad An-
ſchuh iſt nur der ſchielende Blick abſtoßend. Jn der widerlichen
Darſtellung der vier abgehauenen Räuberköpfe bei Pfiſter findet
man den Räuberzug einzig und allein nur zwiſchen Bret und
Hals, da wo dieſer vom Schwerte durchſchnitten iſt. Jn der
Polizei- und Jnquirentenpraxis wird man völlig über die Phy-
ſiognomik enttäuſcht, und wem es an Erfahrung fehlt, der mag
in den vielen Photographien, welche die heutigen Polizeiblätter,
und namentlich der dresdener Polizeianzeiger, in trefflichſter Weiſe
bringen, die meiſtens gutmüthigen Geſichter mit den raffinirteſten
Gaunereien vergleichen.



1) Selbſt die Holzſchnitte früherer Jahrhunderte ſind zum Theil viel
beſſer als die ſpätern Kupferſtiche bis weit in das 18. Jahrhundert hinein.
Man vergleiche z. B. nur den gehängten Juden in Münſter’s Kosmogra-
phie bei der Beſchreibung der Stadt Baſel aus dem 16. Jahrhundert mit
den ſcheußlich markirten Bildniſſen der rehburger Räuber und Spitzbuben
aus dem 18. Jahrhundert. Eine rühmliche Ausnahme machen jedoch die treff-
lichen berliner, dresdener und koburger Kupferſtiche ſchon zu Anfang des
vorigen Jahrhunderts.
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[4/0016] letariers zeichnen läßt, ſo wenig läßt ſich eine Zeichnung des Gauners geben. Die Gaunerphyſiognomie iſt jedoch noch immer eine Bezeichnung im Munde des Volks. Betrachtet man die Holzſchnitte und Kupferſtiche in den alten Gaunerbüchern, ſo gibt man es ſofort auf, in dieſen fratzenhaften Zügen, die wie eine Darſtellung anatomiſcher Merkwürdigkeiten oder Misgeburten vor die Augen treten, ein anderes Porträt zu finden als das der kahlen ſittlichen Entrüſtung des Zeichners oder Kupferſtechers. 1) Vergleicht man damit die meiſtens gut gerathenen Kupferſtiche zu Anfang dieſes Jahrhunderts, ſo findet man im Geſichte des Heſſel, Streitmatter und ſelbſt des kahlköpfigen Juden Schmaye Nathan keinen eigenthümlichen Typus. Daſſelbe iſt der Fall bei den Grolman’ſchen Porträts, bei denen meiſtens ſogar die idiote Schädelbildung vorherrſcht. Jm Geſicht des Oberlander iſt bei weitem mehr Zug der Leidenſchaft als originelle Typusbildung; Abraham Moſes zeichnet ſich mehr durch ſein negerartiges Profil, als durch irgendeinen andern Typus aus, und bei Konrad An- ſchuh iſt nur der ſchielende Blick abſtoßend. Jn der widerlichen Darſtellung der vier abgehauenen Räuberköpfe bei Pfiſter findet man den Räuberzug einzig und allein nur zwiſchen Bret und Hals, da wo dieſer vom Schwerte durchſchnitten iſt. Jn der Polizei- und Jnquirentenpraxis wird man völlig über die Phy- ſiognomik enttäuſcht, und wem es an Erfahrung fehlt, der mag in den vielen Photographien, welche die heutigen Polizeiblätter, und namentlich der dresdener Polizeianzeiger, in trefflichſter Weiſe bringen, die meiſtens gutmüthigen Geſichter mit den raffinirteſten Gaunereien vergleichen. 1) Selbſt die Holzſchnitte früherer Jahrhunderte ſind zum Theil viel beſſer als die ſpätern Kupferſtiche bis weit in das 18. Jahrhundert hinein. Man vergleiche z. B. nur den gehängten Juden in Münſter’s Kosmogra- phie bei der Beſchreibung der Stadt Baſel aus dem 16. Jahrhundert mit den ſcheußlich markirten Bildniſſen der rehburger Räuber und Spitzbuben aus dem 18. Jahrhundert. Eine rühmliche Ausnahme machen jedoch die treff- lichen berliner, dresdener und koburger Kupferſtiche ſchon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/16>, abgerufen am 16.04.2024.