Die gesellschaftlichen Verhältnisse des Gaunerthums bieten daher keinen besondern ethnographischen Stoff dar. Das Gauner- leben bewegt sich nur im tiefsten sittlichen Elend des niedrigsten Volkslebens, aus dessen Sphäre es mit seiner Kunst in alle obern Schichten zu dringen versucht; und hat nur das Eigenthümliche, daß es in diesem sittlichen Elend seine Vereinigung sucht. Bei der Flut und Ebbe des zu- und abziehenden Gesindels lagert sich der Schlamm der verworfensten Entsittlichung in den Wohnungen und in den Gaunerherbergen (Chessen-Spiesen oder Kochemer- Pennen) ab. Das unstete Leben und Umherschweifen des Gau- ners gibt ihm volle Freiheit, seiner ungeheuer wuchernden Sinn- lichkeit im weitesten Begriffe ungebändigt nachzugehen und somit die am heimatlichen Wohnort einigermaßen mögliche polizeiliche Controle zu eludiren. Selbst der an die furchtbarsten Erscheinun- gen des sittlichen Elends täglich gewohnte Polizeimann schreckt zurück, wenn er die Höhlen des Lasters betritt, in denen die Weihe und der Stempel des Elends ertheilt und hingenommen wird. Aber doch bringt der Gauner Behagen mit in diesen furcht- baren Aufenthalt, wenn er tief in der Nacht von seinen Aus- flügen zurückkehrt; ihn erwartet der behagliche Versteck unter seinesgleichen und die Wollust auf der, wenn auch mit Unge- ziefer übersäeten Streu; und alles Ekle schüttelt er von sich wie das Ungeziefer, wenn er den Fuß von dannen hebt, um weiter zu schweifen, sein Glück zu versuchen, zu prassen und wieder in andern Höhlen bei seinesgleichen auszuruhen.
Die Genußsucht und Sinnlichkeit des Gauners sowie seine Verschwendung grenzt an Raserei. Mancher Gauner hat zu verschiedenen malen schon ein bedeutendes Vermögen erworben gehabt, von dessen Renten er ein bequemes ruhiges Leben hätte führen können. Aber in kurzer Zeit wird der Reichthum ver- praßt. Der Gauner begreift sein Spiel und dessen Gefahr und Ausgang, und darum klammert er sich mit krankhafter Lust an das Leben an, das ihn hin- und herwirft und ihm eine amphi- bische Natur verleiht, sodaß es nur ihm allein möglich wird, im höchsten Genuß und im höchsten Elend zu leben. Der Zweck der
Die geſellſchaftlichen Verhältniſſe des Gaunerthums bieten daher keinen beſondern ethnographiſchen Stoff dar. Das Gauner- leben bewegt ſich nur im tiefſten ſittlichen Elend des niedrigſten Volkslebens, aus deſſen Sphäre es mit ſeiner Kunſt in alle obern Schichten zu dringen verſucht; und hat nur das Eigenthümliche, daß es in dieſem ſittlichen Elend ſeine Vereinigung ſucht. Bei der Flut und Ebbe des zu- und abziehenden Geſindels lagert ſich der Schlamm der verworfenſten Entſittlichung in den Wohnungen und in den Gaunerherbergen (Cheſſen-Spieſen oder Kochemer- Pennen) ab. Das unſtete Leben und Umherſchweifen des Gau- ners gibt ihm volle Freiheit, ſeiner ungeheuer wuchernden Sinn- lichkeit im weiteſten Begriffe ungebändigt nachzugehen und ſomit die am heimatlichen Wohnort einigermaßen mögliche polizeiliche Controle zu eludiren. Selbſt der an die furchtbarſten Erſcheinun- gen des ſittlichen Elends täglich gewohnte Polizeimann ſchreckt zurück, wenn er die Höhlen des Laſters betritt, in denen die Weihe und der Stempel des Elends ertheilt und hingenommen wird. Aber doch bringt der Gauner Behagen mit in dieſen furcht- baren Aufenthalt, wenn er tief in der Nacht von ſeinen Aus- flügen zurückkehrt; ihn erwartet der behagliche Verſteck unter ſeinesgleichen und die Wolluſt auf der, wenn auch mit Unge- ziefer überſäeten Streu; und alles Ekle ſchüttelt er von ſich wie das Ungeziefer, wenn er den Fuß von dannen hebt, um weiter zu ſchweifen, ſein Glück zu verſuchen, zu praſſen und wieder in andern Höhlen bei ſeinesgleichen auszuruhen.
Die Genußſucht und Sinnlichkeit des Gauners ſowie ſeine Verſchwendung grenzt an Raſerei. Mancher Gauner hat zu verſchiedenen malen ſchon ein bedeutendes Vermögen erworben gehabt, von deſſen Renten er ein bequemes ruhiges Leben hätte führen können. Aber in kurzer Zeit wird der Reichthum ver- praßt. Der Gauner begreift ſein Spiel und deſſen Gefahr und Ausgang, und darum klammert er ſich mit krankhafter Luſt an das Leben an, das ihn hin- und herwirft und ihm eine amphi- biſche Natur verleiht, ſodaß es nur ihm allein möglich wird, im höchſten Genuß und im höchſten Elend zu leben. Der Zweck der
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Die geſellſchaftlichen Verhältniſſe des Gaunerthums bieten
daher keinen beſondern ethnographiſchen Stoff dar. Das Gauner-
leben bewegt ſich nur im tiefſten ſittlichen Elend des niedrigſten
Volkslebens, aus deſſen Sphäre es mit ſeiner Kunſt in alle obern
Schichten zu dringen verſucht; und hat nur das Eigenthümliche,
daß es in dieſem ſittlichen Elend ſeine Vereinigung ſucht. Bei
der Flut und Ebbe des zu- und abziehenden Geſindels lagert ſich
der Schlamm der verworfenſten Entſittlichung in den Wohnungen
und in den Gaunerherbergen (Cheſſen-Spieſen oder Kochemer-
Pennen) ab. Das unſtete Leben und Umherſchweifen des Gau-
ners gibt ihm volle Freiheit, ſeiner ungeheuer wuchernden Sinn-
lichkeit im weiteſten Begriffe ungebändigt nachzugehen und ſomit
die am heimatlichen Wohnort einigermaßen mögliche polizeiliche
Controle zu eludiren. Selbſt der an die furchtbarſten Erſcheinun-
gen des ſittlichen Elends täglich gewohnte Polizeimann ſchreckt
zurück, wenn er die Höhlen des Laſters betritt, in denen die
Weihe und der Stempel des Elends ertheilt und hingenommen
wird. Aber doch bringt der Gauner Behagen mit in dieſen furcht-
baren Aufenthalt, wenn er tief in der Nacht von ſeinen Aus-
flügen zurückkehrt; ihn erwartet der behagliche Verſteck unter
ſeinesgleichen und die Wolluſt auf der, wenn auch mit Unge-
ziefer überſäeten Streu; und alles Ekle ſchüttelt er von ſich wie
das Ungeziefer, wenn er den Fuß von dannen hebt, um weiter
zu ſchweifen, ſein Glück zu verſuchen, zu praſſen und wieder in
andern Höhlen bei ſeinesgleichen auszuruhen.
Die Genußſucht und Sinnlichkeit des Gauners ſowie
ſeine Verſchwendung grenzt an Raſerei. Mancher Gauner hat
zu verſchiedenen malen ſchon ein bedeutendes Vermögen erworben
gehabt, von deſſen Renten er ein bequemes ruhiges Leben hätte
führen können. Aber in kurzer Zeit wird der Reichthum ver-
praßt. Der Gauner begreift ſein Spiel und deſſen Gefahr und
Ausgang, und darum klammert er ſich mit krankhafter Luſt an
das Leben an, das ihn hin- und herwirft und ihm eine amphi-
biſche Natur verleiht, ſodaß es nur ihm allein möglich wird, im
höchſten Genuß und im höchſten Elend zu leben. Der Zweck der
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/20>, abgerufen am 09.11.2024.
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