Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.thümlichkeit, obschon der Aberglaube mit ganz entschiedenem Ein- 1) So findet sich, daß schon in den Zeiten des bittersten Judenhasses und
der schmählichsten Excesse des Pöbels gegen die Juden gerade der Aberglaube es war, der die christlichen Gauner zur herablassenden Verbrüderung mit Juden führte, indem es von Alters her der noch bis in die neueste Zeit herabreichende Gaunerglaube war, daß ein Kirchendiebstahl nicht anders gelingen und unent- deckt bleiben könne, als wenn mindestens ein Jude sich bei demselben betheiligte. thümlichkeit, obſchon der Aberglaube mit ganz entſchiedenem Ein- 1) So findet ſich, daß ſchon in den Zeiten des bitterſten Judenhaſſes und
der ſchmählichſten Exceſſe des Pöbels gegen die Juden gerade der Aberglaube es war, der die chriſtlichen Gauner zur herablaſſenden Verbrüderung mit Juden führte, indem es von Alters her der noch bis in die neueſte Zeit herabreichende Gaunerglaube war, daß ein Kirchendiebſtahl nicht anders gelingen und unent- deckt bleiben könne, als wenn mindeſtens ein Jude ſich bei demſelben betheiligte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0019" n="7"/> thümlichkeit, obſchon der Aberglaube mit ganz entſchiedenem Ein-<lb/> fluß dem deutſchen Gaunerthum eine ſehr eigenthümliche Rich-<lb/> tung und Färbung gegeben hat, und in dieſem noch immer einen<lb/> Hauptträger findet, wie ſpäter gezeigt werden ſoll. <note place="foot" n="1)">So findet ſich, daß ſchon in den Zeiten des bitterſten Judenhaſſes und<lb/> der ſchmählichſten Exceſſe des Pöbels gegen die Juden gerade der Aberglaube<lb/> es war, der die chriſtlichen Gauner zur herablaſſenden Verbrüderung mit Juden<lb/> führte, indem es von Alters her der noch bis in die neueſte Zeit herabreichende<lb/> Gaunerglaube war, daß ein Kirchendiebſtahl nicht anders gelingen und unent-<lb/> deckt bleiben könne, als wenn mindeſtens <hi rendition="#g">ein</hi> Jude ſich bei demſelben betheiligte.</note> Selbſt die<lb/> mit unvertilgbarer Zähigkeit feſtgehaltene, namentlich durch die<lb/> polniſchen Juden, beſonders auch in den drei erſten Decennien<lb/> dieſes Jahrhunderts, ſcharf repräſentirte, urſprünglich leibliche und<lb/> geiſtige Eigenthümlichkeit der Juden macht ſich in den <hi rendition="#g">gauner-<lb/> geſellſchaftlichen Verkehrsverhältniſſen</hi> weniger geltend,<lb/> obſchon der jüdiſche Gauner mit viel mehr Ruhe, Ueberlegung<lb/> und Conſequenz zu Werke geht, und überhaupt die Gaunerei ganz<lb/> beſonders mit dem vollen Ernſt eines geſchäftlichen Betriebes<lb/> ausübt, und, weit entfernt, das Geſtohlene ſo ſinnlos wie die<lb/> chriſtlichen Gauner zu verſchleudern, lieber ſich der Gefahr aus-<lb/> ſetzt, daſſelbe, ohne Vermittelung Dritter, ſelbſt zu verwerthen, um<lb/> den möglichſten Gewinn ſeines Fleißes und ſeiner Anſtrengung<lb/> ungetheilt zu erhalten. Auch werden einzelne Gaunermanöver,<lb/> zu denen ſelten eine Chriſtenhand geſchickt genug iſt, wie z. B.<lb/> das Linkwechſeln oder Chilfen, faſt ausſchließlich von Juden be-<lb/> trieben. Die ſocialen Verhältniſſe der jüdiſchen und chriſtlichen<lb/> Gauner ſind aber einander gleich, ohne daß die Genüge, welche<lb/> erſtere den Formalitäten ihres Cultus leiſten, weſentlichen Ein-<lb/> fluß auf dieſe Verhältniſſe ſelbſt ausübt. Die ſchon lange und<lb/> mit vieler Mühe und großen Opfern unternommene Coloniſation<lb/> und Cultivirung der Zigeuner hat zum mindeſten den Erfolg ge-<lb/> habt, daß die Zigeuner nicht mehr als nationalgeſonderte eigen-<lb/> thümliche Gruppe im deutſchen Gaunerthum erſcheinen, in welches<lb/> ſie vielmehr ſoweit gänzlich aufgegangen ſind, als ſie ſich noch<lb/> immer an Gaunereien betheiligen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [7/0019]
thümlichkeit, obſchon der Aberglaube mit ganz entſchiedenem Ein-
fluß dem deutſchen Gaunerthum eine ſehr eigenthümliche Rich-
tung und Färbung gegeben hat, und in dieſem noch immer einen
Hauptträger findet, wie ſpäter gezeigt werden ſoll. 1) Selbſt die
mit unvertilgbarer Zähigkeit feſtgehaltene, namentlich durch die
polniſchen Juden, beſonders auch in den drei erſten Decennien
dieſes Jahrhunderts, ſcharf repräſentirte, urſprünglich leibliche und
geiſtige Eigenthümlichkeit der Juden macht ſich in den gauner-
geſellſchaftlichen Verkehrsverhältniſſen weniger geltend,
obſchon der jüdiſche Gauner mit viel mehr Ruhe, Ueberlegung
und Conſequenz zu Werke geht, und überhaupt die Gaunerei ganz
beſonders mit dem vollen Ernſt eines geſchäftlichen Betriebes
ausübt, und, weit entfernt, das Geſtohlene ſo ſinnlos wie die
chriſtlichen Gauner zu verſchleudern, lieber ſich der Gefahr aus-
ſetzt, daſſelbe, ohne Vermittelung Dritter, ſelbſt zu verwerthen, um
den möglichſten Gewinn ſeines Fleißes und ſeiner Anſtrengung
ungetheilt zu erhalten. Auch werden einzelne Gaunermanöver,
zu denen ſelten eine Chriſtenhand geſchickt genug iſt, wie z. B.
das Linkwechſeln oder Chilfen, faſt ausſchließlich von Juden be-
trieben. Die ſocialen Verhältniſſe der jüdiſchen und chriſtlichen
Gauner ſind aber einander gleich, ohne daß die Genüge, welche
erſtere den Formalitäten ihres Cultus leiſten, weſentlichen Ein-
fluß auf dieſe Verhältniſſe ſelbſt ausübt. Die ſchon lange und
mit vieler Mühe und großen Opfern unternommene Coloniſation
und Cultivirung der Zigeuner hat zum mindeſten den Erfolg ge-
habt, daß die Zigeuner nicht mehr als nationalgeſonderte eigen-
thümliche Gruppe im deutſchen Gaunerthum erſcheinen, in welches
ſie vielmehr ſoweit gänzlich aufgegangen ſind, als ſie ſich noch
immer an Gaunereien betheiligen.
1) So findet ſich, daß ſchon in den Zeiten des bitterſten Judenhaſſes und
der ſchmählichſten Exceſſe des Pöbels gegen die Juden gerade der Aberglaube
es war, der die chriſtlichen Gauner zur herablaſſenden Verbrüderung mit Juden
führte, indem es von Alters her der noch bis in die neueſte Zeit herabreichende
Gaunerglaube war, daß ein Kirchendiebſtahl nicht anders gelingen und unent-
deckt bleiben könne, als wenn mindeſtens ein Jude ſich bei demſelben betheiligte.
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