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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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und geschicktes Schnellen ein Goldstück nach dem andern gegen
den Daumen, und mit Hülfe des letztern gegen den halb und
beweglich gekrümmten Mittelfinger und sodann unter den lose
geschlossenen vierten und fünften Finger zu bringen, welche die in
die Hand geschnellten Geldstücke festhalten. 1) Uebung und Ge-
schicklichkeit machen dies Manöver so behende wie unmerklich. Eine
wesentliche Förderung dabei ist aber die Stellung des Chalfen,
der stets so sich hinstellt und die Hand so hält, daß der Be-
stohlene ihm nicht in und unter die Hand sehen, sondern
nur die obere Handfläche von der Seite des kleinen Fingers her
überblicken kann. 2) Hat der Chalfen auf diese Weise gestohlen,
so leert er die Hand in eine Tasche, zum Schein nach der Börse,

1) Das Manöver, das eigentliche Stippen, ist ganz einzig in seiner
Art und gar nicht zu beschreiben. Man hat früher wohl geglaubt, daß die
Chalfen Pulver von Kolophonium oder Gummi arabicum in der Westentasche
führten, oder auch die Fingernägel eigenthümlich schnitten. Dem ist aber nicht
so. Die Finger sind ganz frei und die Nägel gewöhnlich geschnitten. Auch
stiehlt der Chalfen nie ein Stück, das flach auf dem Tisch liegt, sondern immer
aus dem Haufen, wo also das Geld hoch oder hohl liegt. Die ganze Fertig-
keit besteht in der Schnellkraft des Zeigefingers und des Daumens und in der
helfenden Bewegung des Mittelfingers, welcher der nächste eigentliche Empfänger
des Geldstücks ist, und mit dem Daumen auf einen Moment zusammenfällt.
Nur ein einziges mal ist es mir mit unsaglicher Mühe, und wesentlich durch
Stimuliren der Eitelkeit eines gefangenen Chalfen gelungen, das Manöver zu
sehen, das mit Blitzesschnelle geschieht und außerordentliche Uebung erfordern
muß. Merkwürdig ist, daß man niemals von andern als jüdischen Chalfen
hört. Es gibt Chalfen, die sogar mit beiden Händen chalfenen können. Der
1707 zu London gehenkte John Hall chilfte in der Weise, daß er sich gegen
Goldstücke kleine Silbermünzen geben ließ und beim Aufzählen der letztern
mehrere Stücke in die flache Hand zu kleben wußte. Versuche der Art sind
auch neuerdings vorgekommen und entdeckt worden.
2) Mir ist ein Chalfen vorgekommen, der auf sehr verwegene Weise in
einem Materialwaarenladen hannöverische Thaler mit gutem Agio gegen
klein Courant wechselte. Der Kaufmann öffnete bereitwillig seine Kassenschub-
lade unter der Platte des Ladentisches. Der Chalfen lehnte sich über den
breiten Ladentisch hinweg über die offene Schublade und stahl, wie später her-
auskam, in dieser gewagten Stellung, in welcher der arglose Kaufmann minde-
stens doch den Daumen theilweise erblicken mußte, indem er sich ebenfalls über
die Schublade beugte, vier Thalerstücke in einem Momente.

und geſchicktes Schnellen ein Goldſtück nach dem andern gegen
den Daumen, und mit Hülfe des letztern gegen den halb und
beweglich gekrümmten Mittelfinger und ſodann unter den loſe
geſchloſſenen vierten und fünften Finger zu bringen, welche die in
die Hand geſchnellten Geldſtücke feſthalten. 1) Uebung und Ge-
ſchicklichkeit machen dies Manöver ſo behende wie unmerklich. Eine
weſentliche Förderung dabei iſt aber die Stellung des Chalfen,
der ſtets ſo ſich hinſtellt und die Hand ſo hält, daß der Be-
ſtohlene ihm nicht in und unter die Hand ſehen, ſondern
nur die obere Handfläche von der Seite des kleinen Fingers her
überblicken kann. 2) Hat der Chalfen auf dieſe Weiſe geſtohlen,
ſo leert er die Hand in eine Taſche, zum Schein nach der Börſe,

1) Das Manöver, das eigentliche Stippen, iſt ganz einzig in ſeiner
Art und gar nicht zu beſchreiben. Man hat früher wohl geglaubt, daß die
Chalfen Pulver von Kolophonium oder Gummi arabicum in der Weſtentaſche
führten, oder auch die Fingernägel eigenthümlich ſchnitten. Dem iſt aber nicht
ſo. Die Finger ſind ganz frei und die Nägel gewöhnlich geſchnitten. Auch
ſtiehlt der Chalfen nie ein Stück, das flach auf dem Tiſch liegt, ſondern immer
aus dem Haufen, wo alſo das Geld hoch oder hohl liegt. Die ganze Fertig-
keit beſteht in der Schnellkraft des Zeigefingers und des Daumens und in der
helfenden Bewegung des Mittelfingers, welcher der nächſte eigentliche Empfänger
des Geldſtücks iſt, und mit dem Daumen auf einen Moment zuſammenfällt.
Nur ein einziges mal iſt es mir mit unſaglicher Mühe, und weſentlich durch
Stimuliren der Eitelkeit eines gefangenen Chalfen gelungen, das Manöver zu
ſehen, das mit Blitzesſchnelle geſchieht und außerordentliche Uebung erfordern
muß. Merkwürdig iſt, daß man niemals von andern als jüdiſchen Chalfen
hört. Es gibt Chalfen, die ſogar mit beiden Händen chalfenen können. Der
1707 zu London gehenkte John Hall chilfte in der Weiſe, daß er ſich gegen
Goldſtücke kleine Silbermünzen geben ließ und beim Aufzählen der letztern
mehrere Stücke in die flache Hand zu kleben wußte. Verſuche der Art ſind
auch neuerdings vorgekommen und entdeckt worden.
2) Mir iſt ein Chalfen vorgekommen, der auf ſehr verwegene Weiſe in
einem Materialwaarenladen hannöveriſche Thaler mit gutem Agio gegen
klein Courant wechſelte. Der Kaufmann öffnete bereitwillig ſeine Kaſſenſchub-
lade unter der Platte des Ladentiſches. Der Chalfen lehnte ſich über den
breiten Ladentiſch hinweg über die offene Schublade und ſtahl, wie ſpäter her-
auskam, in dieſer gewagten Stellung, in welcher der argloſe Kaufmann minde-
ſtens doch den Daumen theilweiſe erblicken mußte, indem er ſich ebenfalls über
die Schublade beugte, vier Thalerſtücke in einem Momente.
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[202/0214] und geſchicktes Schnellen ein Goldſtück nach dem andern gegen den Daumen, und mit Hülfe des letztern gegen den halb und beweglich gekrümmten Mittelfinger und ſodann unter den loſe geſchloſſenen vierten und fünften Finger zu bringen, welche die in die Hand geſchnellten Geldſtücke feſthalten. 1) Uebung und Ge- ſchicklichkeit machen dies Manöver ſo behende wie unmerklich. Eine weſentliche Förderung dabei iſt aber die Stellung des Chalfen, der ſtets ſo ſich hinſtellt und die Hand ſo hält, daß der Be- ſtohlene ihm nicht in und unter die Hand ſehen, ſondern nur die obere Handfläche von der Seite des kleinen Fingers her überblicken kann. 2) Hat der Chalfen auf dieſe Weiſe geſtohlen, ſo leert er die Hand in eine Taſche, zum Schein nach der Börſe, 1) Das Manöver, das eigentliche Stippen, iſt ganz einzig in ſeiner Art und gar nicht zu beſchreiben. Man hat früher wohl geglaubt, daß die Chalfen Pulver von Kolophonium oder Gummi arabicum in der Weſtentaſche führten, oder auch die Fingernägel eigenthümlich ſchnitten. Dem iſt aber nicht ſo. Die Finger ſind ganz frei und die Nägel gewöhnlich geſchnitten. Auch ſtiehlt der Chalfen nie ein Stück, das flach auf dem Tiſch liegt, ſondern immer aus dem Haufen, wo alſo das Geld hoch oder hohl liegt. Die ganze Fertig- keit beſteht in der Schnellkraft des Zeigefingers und des Daumens und in der helfenden Bewegung des Mittelfingers, welcher der nächſte eigentliche Empfänger des Geldſtücks iſt, und mit dem Daumen auf einen Moment zuſammenfällt. Nur ein einziges mal iſt es mir mit unſaglicher Mühe, und weſentlich durch Stimuliren der Eitelkeit eines gefangenen Chalfen gelungen, das Manöver zu ſehen, das mit Blitzesſchnelle geſchieht und außerordentliche Uebung erfordern muß. Merkwürdig iſt, daß man niemals von andern als jüdiſchen Chalfen hört. Es gibt Chalfen, die ſogar mit beiden Händen chalfenen können. Der 1707 zu London gehenkte John Hall chilfte in der Weiſe, daß er ſich gegen Goldſtücke kleine Silbermünzen geben ließ und beim Aufzählen der letztern mehrere Stücke in die flache Hand zu kleben wußte. Verſuche der Art ſind auch neuerdings vorgekommen und entdeckt worden. 2) Mir iſt ein Chalfen vorgekommen, der auf ſehr verwegene Weiſe in einem Materialwaarenladen hannöveriſche Thaler mit gutem Agio gegen klein Courant wechſelte. Der Kaufmann öffnete bereitwillig ſeine Kaſſenſchub- lade unter der Platte des Ladentiſches. Der Chalfen lehnte ſich über den breiten Ladentiſch hinweg über die offene Schublade und ſtahl, wie ſpäter her- auskam, in dieſer gewagten Stellung, in welcher der argloſe Kaufmann minde- ſtens doch den Daumen theilweiſe erblicken mußte, indem er ſich ebenfalls über die Schublade beugte, vier Thalerſtücke in einem Momente.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/214>, abgerufen am 24.04.2024.