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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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trotz dieser nie versagten Gelegenheit zur Befriedigung thierischer
Lust sind die öffentlichen und Winkelbordels ebenso besuchte Ver-
kehrsorte der Gauner wie die Kochemerpennen, obschon auch in
diesen die Wollust mit ihrer ganzen Bereitwilligkeit zur Hand ist.
Die priesterliche Copulation ist bei den gaunerischen Verbindungen
Nebensache 1) und wird nicht eher nachgesucht, als bis obrigkeit-
licher Zwang oder sonstige äußere Vortheile sie zur Nothwendig-
keit machen. Die Aussteuer, die Kosten des bevorstehenden Ver-
lobungs- oder Hochzeitsmahls geben Anlaß, vorher einen Masse-
matten zur Bestreitung des Aufwandes zu handeln. Wie wenig
Frieden und wahres Glück eine solche Verbindung bringt, läßt
sich denken. Namentlich hat das nur zum gemeinen Magddienste
und zur bloßen Befriedigung thierischer Sinnlichkeit erniedrigte
Weib alle Gemeinheiten, Verwünschungen und Mishandlungen
zu tragen, welche von der Roheit des Mannes auf sie fallen,
und dazu auch noch zu gewärtigen, daß jener sie mit den Kindern
im Stiche läßt, besonders wenn die Zahl der letztern so groß
geworden ist, daß er sie nicht ernähren kann, oder daß sie ihn
sonst in seinen Gaunereien hinderlich sind, wobei denn oft rüh-
rende Züge von Mutterliebe hervortreten. Bei aller Aufopferung
der Mütter für die Kinder ist an Erziehung und sittliche Ausbil-
dung nicht zu denken. Was den Aeltern selbst fehlt, halten sie
auch für die Kinder entbehrlich. Dem Schulzwang entziehen
sich die Gauner durch ihr unstetes Umherschweifen. Was aber
die Aeltern können und treiben, sehen und lernen die Kinder bald,
und in dieser trüben Gemeinsamkeit wird die Erziehung so weit
vollendet, bis die Knaben, oft schon im siebenten und achten Jahre,

1) Eine ebenso oft veranstaltete wie gottlose Vergnügungsscene in den
Pennen ist das Chassnemelochnen (Hochzeitmachen), wobei ein Gauner die
Rolle des Geistlichen, ein anderer die des Kirchners u. s. w. übernimmt, und
ein gaunerisches Paar förmlich copulirt wird. Die ganze ruchlose Scene wird
nur gespielt, um eine Gelegenheit zu den verworfensten und schamlosesten Or-
gien und zur Herbeischaffung der Aussteuer und Hochzeitskosten durch einen
Massematten herbeizuführen. Ueber [fremdsprachliches Material - fehlt], schiddach, er hat verheirathet,
siehe die Derivata, Kap. 90, in der vorletzten Note.

trotz dieſer nie verſagten Gelegenheit zur Befriedigung thieriſcher
Luſt ſind die öffentlichen und Winkelbordels ebenſo beſuchte Ver-
kehrsorte der Gauner wie die Kochemerpennen, obſchon auch in
dieſen die Wolluſt mit ihrer ganzen Bereitwilligkeit zur Hand iſt.
Die prieſterliche Copulation iſt bei den gauneriſchen Verbindungen
Nebenſache 1) und wird nicht eher nachgeſucht, als bis obrigkeit-
licher Zwang oder ſonſtige äußere Vortheile ſie zur Nothwendig-
keit machen. Die Ausſteuer, die Koſten des bevorſtehenden Ver-
lobungs- oder Hochzeitsmahls geben Anlaß, vorher einen Maſſe-
matten zur Beſtreitung des Aufwandes zu handeln. Wie wenig
Frieden und wahres Glück eine ſolche Verbindung bringt, läßt
ſich denken. Namentlich hat das nur zum gemeinen Magddienſte
und zur bloßen Befriedigung thieriſcher Sinnlichkeit erniedrigte
Weib alle Gemeinheiten, Verwünſchungen und Mishandlungen
zu tragen, welche von der Roheit des Mannes auf ſie fallen,
und dazu auch noch zu gewärtigen, daß jener ſie mit den Kindern
im Stiche läßt, beſonders wenn die Zahl der letztern ſo groß
geworden iſt, daß er ſie nicht ernähren kann, oder daß ſie ihn
ſonſt in ſeinen Gaunereien hinderlich ſind, wobei denn oft rüh-
rende Züge von Mutterliebe hervortreten. Bei aller Aufopferung
der Mütter für die Kinder iſt an Erziehung und ſittliche Ausbil-
dung nicht zu denken. Was den Aeltern ſelbſt fehlt, halten ſie
auch für die Kinder entbehrlich. Dem Schulzwang entziehen
ſich die Gauner durch ihr unſtetes Umherſchweifen. Was aber
die Aeltern können und treiben, ſehen und lernen die Kinder bald,
und in dieſer trüben Gemeinſamkeit wird die Erziehung ſo weit
vollendet, bis die Knaben, oft ſchon im ſiebenten und achten Jahre,

1) Eine ebenſo oft veranſtaltete wie gottloſe Vergnügungsſcene in den
Pennen iſt das Chaſſnemelochnen (Hochzeitmachen), wobei ein Gauner die
Rolle des Geiſtlichen, ein anderer die des Kirchners u. ſ. w. übernimmt, und
ein gauneriſches Paar förmlich copulirt wird. Die ganze ruchloſe Scene wird
nur geſpielt, um eine Gelegenheit zu den verworfenſten und ſchamloſeſten Or-
gien und zur Herbeiſchaffung der Ausſteuer und Hochzeitskoſten durch einen
Maſſematten herbeizuführen. Ueber [fremdsprachliches Material – fehlt], schiddach, er hat verheirathet,
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[11/0023] trotz dieſer nie verſagten Gelegenheit zur Befriedigung thieriſcher Luſt ſind die öffentlichen und Winkelbordels ebenſo beſuchte Ver- kehrsorte der Gauner wie die Kochemerpennen, obſchon auch in dieſen die Wolluſt mit ihrer ganzen Bereitwilligkeit zur Hand iſt. Die prieſterliche Copulation iſt bei den gauneriſchen Verbindungen Nebenſache 1) und wird nicht eher nachgeſucht, als bis obrigkeit- licher Zwang oder ſonſtige äußere Vortheile ſie zur Nothwendig- keit machen. Die Ausſteuer, die Koſten des bevorſtehenden Ver- lobungs- oder Hochzeitsmahls geben Anlaß, vorher einen Maſſe- matten zur Beſtreitung des Aufwandes zu handeln. Wie wenig Frieden und wahres Glück eine ſolche Verbindung bringt, läßt ſich denken. Namentlich hat das nur zum gemeinen Magddienſte und zur bloßen Befriedigung thieriſcher Sinnlichkeit erniedrigte Weib alle Gemeinheiten, Verwünſchungen und Mishandlungen zu tragen, welche von der Roheit des Mannes auf ſie fallen, und dazu auch noch zu gewärtigen, daß jener ſie mit den Kindern im Stiche läßt, beſonders wenn die Zahl der letztern ſo groß geworden iſt, daß er ſie nicht ernähren kann, oder daß ſie ihn ſonſt in ſeinen Gaunereien hinderlich ſind, wobei denn oft rüh- rende Züge von Mutterliebe hervortreten. Bei aller Aufopferung der Mütter für die Kinder iſt an Erziehung und ſittliche Ausbil- dung nicht zu denken. Was den Aeltern ſelbſt fehlt, halten ſie auch für die Kinder entbehrlich. Dem Schulzwang entziehen ſich die Gauner durch ihr unſtetes Umherſchweifen. Was aber die Aeltern können und treiben, ſehen und lernen die Kinder bald, und in dieſer trüben Gemeinſamkeit wird die Erziehung ſo weit vollendet, bis die Knaben, oft ſchon im ſiebenten und achten Jahre, 1) Eine ebenſo oft veranſtaltete wie gottloſe Vergnügungsſcene in den Pennen iſt das Chaſſnemelochnen (Hochzeitmachen), wobei ein Gauner die Rolle des Geiſtlichen, ein anderer die des Kirchners u. ſ. w. übernimmt, und ein gauneriſches Paar förmlich copulirt wird. Die ganze ruchloſe Scene wird nur geſpielt, um eine Gelegenheit zu den verworfenſten und ſchamloſeſten Or- gien und zur Herbeiſchaffung der Ausſteuer und Hochzeitskoſten durch einen Maſſematten herbeizuführen. Ueber _ , schiddach, er hat verheirathet, ſiehe die Derivata, Kap. 90, in der vorletzten Note.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/23>, abgerufen am 28.03.2024.