Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

zum Baldowern und Torfdrucken reif sind und in die Genossen-
schaft der Männer eintreten, die Mädchen mit ihren noch kind-
lichen, aber durch das Zusammenliegen mit den Brüdern oder Er-
wachsenen andern Geschlechts und durch die fortgesetzt vor den
Augen stehenden schmuzigen Beispiele und Erlebnisse früh geweckten
Reizen ihr Glück versuchen. 1)

Diese trübe Skizze dieser einen Seite der gesellschaftlichen
Gaunerverhältnisse zeigt vor allem das Weib und die Ehe mit
ihrer Bedeutsamkeit und ihren Zwecken tief in den Staub getreten.
Sie verliert nicht an innerer Wahrheit, wenn derjenige, der nicht
hochmüthig negirt, wo das Unheil so sichtlich aus dem Boden her-
vorwuchert, in den meisten Zügen dieser Skizze auch das Elend
unserer untersten Volksschichten überhaupt gezeichnet findet, die,
in Noth und Unwissenheit befangen, immer dicht neben dem Ver-
brechen einhergehen.

Mit dem ganzen Geheimniß und mit der ganzen Kunst seines
Wesens verdeckt aber der Gauner sein sittliches Elend als un-
mittelbare Folge und Verrath seiner Verbrechen, und dies Bestreben
bringt jene innige Verbindung hervor, die, des Namens der
Freundschaft und Verbrüderung unwerth, vom schmuzigsten Egois-
mus geschaffen, von Verfolgung und Tod bewacht, seit Jahr-
hunderten, wie ein geheimnißvolles Räthsel, überall sichtbar und

1) Von den zahllosen Zügen weiblicher Roheit und Schamlosigkeit nur
ein Beispiel, das bei Grolman, a. a. O., S. 409, erzählt wird: "Von der
Wetterauer Bande hatten die beiden Werner mit Ludwig Vielmetter
und dessen lediger Schwester Anna Margaretha im März 1810 die Kirche
zu Herren-Haag erbrochen, um die Kirchenglocke zu stehlen, welche jedoch nicht
zu lösen war, weshalb sich die Diebe mit dem Schwengel behalfen. Darauf
wurde die Orgel zerstört und deren Windladen zerschnitten. Dabei wurde ein
Pfarrermantel, zwei Leichentücher, der Klingbeutel und zwei Gesangbücher
entwendet, jedes Glockenseil abgeschnitten und der Altar umgeworfen. Einer
verrichtete von der Kanzel seine Nothdurft, während er mit umgehängtem
Mantel den Prediger affectirte, und während die andern die Zoten und Läster-
reden anhörten und sämmtlich den Koth in der Kirche ließen -- unter ihnen
eine ledige Dirne mit ihrem Bruder!" Welchem Polizeimann kommen aber
nicht ähnliche Züge von Roheit vor, die man zu erzählen gerechtes Bedenken
tragen muß!

zum Baldowern und Torfdrucken reif ſind und in die Genoſſen-
ſchaft der Männer eintreten, die Mädchen mit ihren noch kind-
lichen, aber durch das Zuſammenliegen mit den Brüdern oder Er-
wachſenen andern Geſchlechts und durch die fortgeſetzt vor den
Augen ſtehenden ſchmuzigen Beiſpiele und Erlebniſſe früh geweckten
Reizen ihr Glück verſuchen. 1)

Dieſe trübe Skizze dieſer einen Seite der geſellſchaftlichen
Gaunerverhältniſſe zeigt vor allem das Weib und die Ehe mit
ihrer Bedeutſamkeit und ihren Zwecken tief in den Staub getreten.
Sie verliert nicht an innerer Wahrheit, wenn derjenige, der nicht
hochmüthig negirt, wo das Unheil ſo ſichtlich aus dem Boden her-
vorwuchert, in den meiſten Zügen dieſer Skizze auch das Elend
unſerer unterſten Volksſchichten überhaupt gezeichnet findet, die,
in Noth und Unwiſſenheit befangen, immer dicht neben dem Ver-
brechen einhergehen.

Mit dem ganzen Geheimniß und mit der ganzen Kunſt ſeines
Weſens verdeckt aber der Gauner ſein ſittliches Elend als un-
mittelbare Folge und Verrath ſeiner Verbrechen, und dies Beſtreben
bringt jene innige Verbindung hervor, die, des Namens der
Freundſchaft und Verbrüderung unwerth, vom ſchmuzigſten Egois-
mus geſchaffen, von Verfolgung und Tod bewacht, ſeit Jahr-
hunderten, wie ein geheimnißvolles Räthſel, überall ſichtbar und

1) Von den zahlloſen Zügen weiblicher Roheit und Schamloſigkeit nur
ein Beiſpiel, das bei Grolman, a. a. O., S. 409, erzählt wird: „Von der
Wetterauer Bande hatten die beiden Werner mit Ludwig Vielmetter
und deſſen lediger Schweſter Anna Margaretha im März 1810 die Kirche
zu Herren-Haag erbrochen, um die Kirchenglocke zu ſtehlen, welche jedoch nicht
zu löſen war, weshalb ſich die Diebe mit dem Schwengel behalfen. Darauf
wurde die Orgel zerſtört und deren Windladen zerſchnitten. Dabei wurde ein
Pfarrermantel, zwei Leichentücher, der Klingbeutel und zwei Geſangbücher
entwendet, jedes Glockenſeil abgeſchnitten und der Altar umgeworfen. Einer
verrichtete von der Kanzel ſeine Nothdurft, während er mit umgehängtem
Mantel den Prediger affectirte, und während die andern die Zoten und Läſter-
reden anhörten und ſämmtlich den Koth in der Kirche ließen — unter ihnen
eine ledige Dirne mit ihrem Bruder!“ Welchem Polizeimann kommen aber
nicht ähnliche Züge von Roheit vor, die man zu erzählen gerechtes Bedenken
tragen muß!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0024" n="12"/>
zum Baldowern und Torfdrucken reif &#x017F;ind und in die Geno&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaft der Männer eintreten, die Mädchen mit ihren noch kind-<lb/>
lichen, aber durch das Zu&#x017F;ammenliegen mit den Brüdern oder Er-<lb/>
wach&#x017F;enen andern Ge&#x017F;chlechts und durch die fortge&#x017F;etzt vor den<lb/>
Augen &#x017F;tehenden &#x017F;chmuzigen Bei&#x017F;piele und Erlebni&#x017F;&#x017F;e früh geweckten<lb/>
Reizen ihr Glück ver&#x017F;uchen. <note place="foot" n="1)">Von den zahllo&#x017F;en Zügen weiblicher Roheit und Schamlo&#x017F;igkeit nur<lb/>
ein Bei&#x017F;piel, das bei Grolman, a. a. O., S. 409, erzählt wird: &#x201E;Von der<lb/>
Wetterauer Bande hatten die beiden <hi rendition="#g">Werner</hi> mit <hi rendition="#g">Ludwig Vielmetter</hi><lb/>
und de&#x017F;&#x017F;en lediger Schwe&#x017F;ter <hi rendition="#g">Anna Margaretha</hi> im März 1810 die Kirche<lb/>
zu Herren-Haag erbrochen, um die Kirchenglocke zu &#x017F;tehlen, welche jedoch nicht<lb/>
zu lö&#x017F;en war, weshalb &#x017F;ich die Diebe mit dem Schwengel behalfen. Darauf<lb/>
wurde die Orgel zer&#x017F;tört und deren Windladen zer&#x017F;chnitten. Dabei wurde ein<lb/>
Pfarrermantel, zwei Leichentücher, der Klingbeutel und zwei Ge&#x017F;angbücher<lb/>
entwendet, jedes Glocken&#x017F;eil abge&#x017F;chnitten und der Altar umgeworfen. Einer<lb/>
verrichtete von der Kanzel &#x017F;eine Nothdurft, während er mit umgehängtem<lb/>
Mantel den Prediger affectirte, und während die andern die Zoten und Lä&#x017F;ter-<lb/>
reden anhörten und &#x017F;ämmtlich den Koth in der Kirche ließen &#x2014; unter ihnen<lb/>
eine ledige Dirne mit ihrem Bruder!&#x201C; Welchem Polizeimann kommen aber<lb/>
nicht ähnliche Züge von Roheit vor, die man zu erzählen gerechtes Bedenken<lb/>
tragen muß!</note></p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e trübe Skizze die&#x017F;er einen Seite der ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen<lb/>
Gaunerverhältni&#x017F;&#x017F;e zeigt vor allem das Weib und die Ehe mit<lb/>
ihrer Bedeut&#x017F;amkeit und ihren Zwecken tief in den Staub getreten.<lb/>
Sie verliert nicht an innerer Wahrheit, wenn derjenige, der nicht<lb/>
hochmüthig negirt, wo das Unheil &#x017F;o &#x017F;ichtlich aus dem Boden her-<lb/>
vorwuchert, in den mei&#x017F;ten Zügen die&#x017F;er Skizze auch das Elend<lb/>
un&#x017F;erer unter&#x017F;ten Volks&#x017F;chichten überhaupt gezeichnet findet, die,<lb/>
in Noth und Unwi&#x017F;&#x017F;enheit befangen, immer dicht neben dem Ver-<lb/>
brechen einhergehen.</p><lb/>
            <p>Mit dem ganzen Geheimniß und mit der ganzen Kun&#x017F;t &#x017F;eines<lb/>
We&#x017F;ens verdeckt aber der Gauner &#x017F;ein &#x017F;ittliches Elend als un-<lb/>
mittelbare Folge und Verrath &#x017F;einer Verbrechen, und dies Be&#x017F;treben<lb/>
bringt jene innige Verbindung hervor, die, des Namens der<lb/>
Freund&#x017F;chaft und Verbrüderung unwerth, vom &#x017F;chmuzig&#x017F;ten Egois-<lb/>
mus ge&#x017F;chaffen, von Verfolgung und Tod bewacht, &#x017F;eit Jahr-<lb/>
hunderten, wie ein geheimnißvolles Räth&#x017F;el, überall &#x017F;ichtbar und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0024] zum Baldowern und Torfdrucken reif ſind und in die Genoſſen- ſchaft der Männer eintreten, die Mädchen mit ihren noch kind- lichen, aber durch das Zuſammenliegen mit den Brüdern oder Er- wachſenen andern Geſchlechts und durch die fortgeſetzt vor den Augen ſtehenden ſchmuzigen Beiſpiele und Erlebniſſe früh geweckten Reizen ihr Glück verſuchen. 1) Dieſe trübe Skizze dieſer einen Seite der geſellſchaftlichen Gaunerverhältniſſe zeigt vor allem das Weib und die Ehe mit ihrer Bedeutſamkeit und ihren Zwecken tief in den Staub getreten. Sie verliert nicht an innerer Wahrheit, wenn derjenige, der nicht hochmüthig negirt, wo das Unheil ſo ſichtlich aus dem Boden her- vorwuchert, in den meiſten Zügen dieſer Skizze auch das Elend unſerer unterſten Volksſchichten überhaupt gezeichnet findet, die, in Noth und Unwiſſenheit befangen, immer dicht neben dem Ver- brechen einhergehen. Mit dem ganzen Geheimniß und mit der ganzen Kunſt ſeines Weſens verdeckt aber der Gauner ſein ſittliches Elend als un- mittelbare Folge und Verrath ſeiner Verbrechen, und dies Beſtreben bringt jene innige Verbindung hervor, die, des Namens der Freundſchaft und Verbrüderung unwerth, vom ſchmuzigſten Egois- mus geſchaffen, von Verfolgung und Tod bewacht, ſeit Jahr- hunderten, wie ein geheimnißvolles Räthſel, überall ſichtbar und 1) Von den zahlloſen Zügen weiblicher Roheit und Schamloſigkeit nur ein Beiſpiel, das bei Grolman, a. a. O., S. 409, erzählt wird: „Von der Wetterauer Bande hatten die beiden Werner mit Ludwig Vielmetter und deſſen lediger Schweſter Anna Margaretha im März 1810 die Kirche zu Herren-Haag erbrochen, um die Kirchenglocke zu ſtehlen, welche jedoch nicht zu löſen war, weshalb ſich die Diebe mit dem Schwengel behalfen. Darauf wurde die Orgel zerſtört und deren Windladen zerſchnitten. Dabei wurde ein Pfarrermantel, zwei Leichentücher, der Klingbeutel und zwei Geſangbücher entwendet, jedes Glockenſeil abgeſchnitten und der Altar umgeworfen. Einer verrichtete von der Kanzel ſeine Nothdurft, während er mit umgehängtem Mantel den Prediger affectirte, und während die andern die Zoten und Läſter- reden anhörten und ſämmtlich den Koth in der Kirche ließen — unter ihnen eine ledige Dirne mit ihrem Bruder!“ Welchem Polizeimann kommen aber nicht ähnliche Züge von Roheit vor, die man zu erzählen gerechtes Bedenken tragen muß!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/24
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/24>, abgerufen am 03.12.2024.