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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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kehrer 1) sind dagegen Straßenräuber, welche Fuhrwerke und
Personen auf der Landstraße anfallen und berauben.

Das Stradehandeln ist im Grunde nur die modernisirte
Wegelagerei. Die Raubritter des Mittelalters, welche vom Sattel
oder Stegreif lebten, hatten an den schlechten Wegen, die kaum
etwas anderes waren als unordentliche gewundene Fußsteige oder
Reitsteige, und bei den schlechten unbeholfenen Karren, welche lang-
sam und schwerfällig aus den schmalen und niedrigen Stadtthoren
auf den holperigen Wegen einherfuhren, allerdings eine leichtere
Arbeit, sich ganzer Waarenzüge zu bemächtigen und das bewaffnete
Geleite niederzuwerfen oder in die Flucht zu schlagen. Die schlech-
ten Wege in Deutschland haben dem Straßenraub sehr lange
Vorschub geleistet, und erklären auch die vielen Postberaubungen,
welche noch bis tief in das jetzige Jahrhundert hinein so verwe-
gen wie häufig unternommen wurden. Die sehr späte und wol

1) Vgl. oben beim Schränken das analog zusammengesetzte Schrende-
feger
(bei Pleitehandeln und Challe handeln, Kap. 45). Großes
Aufsehen hat die, freilich nur in Zeitungen erwähnte, bislang unerhörte Ver-
wegenheit einer Räuberbande gemacht, welche im November 1856 durch Auf-
ziehen der Halisignale einen von Rom kommenden Eisenbahnzug zum Stehen
gebracht und ausgeplündert haben soll; doch scheint die Geschichte wol nur
eine Zeitungsente gewesen zu sein. Noch andere schändliche Versuche sind
schon gemacht worden durch Auflegen von Balken und Steinen auf die Eisen-
bahnzüge, ohne daß bisjetzt ein vollständiges Gelingen der dabei gehegten Ab-
sichten erreicht worden wäre. Jedenfalls mahnen die bisher gemachten Er-
fahrungen dringend dazu, die Eisenbahnstrecken nicht ferner allein der unzurei-
chenden Aufsicht der Bahnwärter zu überlassen, sondern auch einer strengen poli-
zeilichen Ueberwachung zu unterstellen. Am 28. Febr. 1854, abends 61/2 Uhr,
wurde auf den Abendzug der Lübeck-Büchen-Hamburger Eisenbahn bei dem
lauenburgischen Orte Friedrichsruhe geschossen. Eine Kugel fuhr durch beide
Fensterscheiben eines Coupes hindurch, zum Glück ohne jemand zu verletzen.
Der Thäter konnte nicht ermittelt werden. Vereinzelte Raubanfälle auf Posten
kommen noch heute vor. So wurde z. B. am 24. Jan. 1857, abends 9 Uhr,
die von Verona nach Tirol abgehende Mallepost bei Parona von 14 bewaffneten
Räubern angefallen und um 40,000 Gulden beraubt. Die Räuber wurden
jedoch mit dem Raube bald von der trefflichen österreichischen Gensdarmerie
entdeckt und angehalten. Vgl. "Oesterreichisches Centralblatt", 1857, Nr. 383,
S. 13.

kehrer 1) ſind dagegen Straßenräuber, welche Fuhrwerke und
Perſonen auf der Landſtraße anfallen und berauben.

Das Stradehandeln iſt im Grunde nur die moderniſirte
Wegelagerei. Die Raubritter des Mittelalters, welche vom Sattel
oder Stegreif lebten, hatten an den ſchlechten Wegen, die kaum
etwas anderes waren als unordentliche gewundene Fußſteige oder
Reitſteige, und bei den ſchlechten unbeholfenen Karren, welche lang-
ſam und ſchwerfällig aus den ſchmalen und niedrigen Stadtthoren
auf den holperigen Wegen einherfuhren, allerdings eine leichtere
Arbeit, ſich ganzer Waarenzüge zu bemächtigen und das bewaffnete
Geleite niederzuwerfen oder in die Flucht zu ſchlagen. Die ſchlech-
ten Wege in Deutſchland haben dem Straßenraub ſehr lange
Vorſchub geleiſtet, und erklären auch die vielen Poſtberaubungen,
welche noch bis tief in das jetzige Jahrhundert hinein ſo verwe-
gen wie häufig unternommen wurden. Die ſehr ſpäte und wol

1) Vgl. oben beim Schränken das analog zuſammengeſetzte Schrende-
feger
(bei Pleitehandeln und Challe handeln, Kap. 45). Großes
Aufſehen hat die, freilich nur in Zeitungen erwähnte, bislang unerhörte Ver-
wegenheit einer Räuberbande gemacht, welche im November 1856 durch Auf-
ziehen der Haliſignale einen von Rom kommenden Eiſenbahnzug zum Stehen
gebracht und ausgeplündert haben ſoll; doch ſcheint die Geſchichte wol nur
eine Zeitungsente geweſen zu ſein. Noch andere ſchändliche Verſuche ſind
ſchon gemacht worden durch Auflegen von Balken und Steinen auf die Eiſen-
bahnzüge, ohne daß bisjetzt ein vollſtändiges Gelingen der dabei gehegten Ab-
ſichten erreicht worden wäre. Jedenfalls mahnen die bisher gemachten Er-
fahrungen dringend dazu, die Eiſenbahnſtrecken nicht ferner allein der unzurei-
chenden Aufſicht der Bahnwärter zu überlaſſen, ſondern auch einer ſtrengen poli-
zeilichen Ueberwachung zu unterſtellen. Am 28. Febr. 1854, abends 6½ Uhr,
wurde auf den Abendzug der Lübeck-Büchen-Hamburger Eiſenbahn bei dem
lauenburgiſchen Orte Friedrichsruhe geſchoſſen. Eine Kugel fuhr durch beide
Fenſterſcheiben eines Coupés hindurch, zum Glück ohne jemand zu verletzen.
Der Thäter konnte nicht ermittelt werden. Vereinzelte Raubanfälle auf Poſten
kommen noch heute vor. So wurde z. B. am 24. Jan. 1857, abends 9 Uhr,
die von Verona nach Tirol abgehende Mallepoſt bei Parona von 14 bewaffneten
Räubern angefallen und um 40,000 Gulden beraubt. Die Räuber wurden
jedoch mit dem Raube bald von der trefflichen öſterreichiſchen Gensdarmerie
entdeckt und angehalten. Vgl. „Oeſterreichiſches Centralblatt“, 1857, Nr. 383,
S. 13.
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[236/0248] kehrer 1) ſind dagegen Straßenräuber, welche Fuhrwerke und Perſonen auf der Landſtraße anfallen und berauben. Das Stradehandeln iſt im Grunde nur die moderniſirte Wegelagerei. Die Raubritter des Mittelalters, welche vom Sattel oder Stegreif lebten, hatten an den ſchlechten Wegen, die kaum etwas anderes waren als unordentliche gewundene Fußſteige oder Reitſteige, und bei den ſchlechten unbeholfenen Karren, welche lang- ſam und ſchwerfällig aus den ſchmalen und niedrigen Stadtthoren auf den holperigen Wegen einherfuhren, allerdings eine leichtere Arbeit, ſich ganzer Waarenzüge zu bemächtigen und das bewaffnete Geleite niederzuwerfen oder in die Flucht zu ſchlagen. Die ſchlech- ten Wege in Deutſchland haben dem Straßenraub ſehr lange Vorſchub geleiſtet, und erklären auch die vielen Poſtberaubungen, welche noch bis tief in das jetzige Jahrhundert hinein ſo verwe- gen wie häufig unternommen wurden. Die ſehr ſpäte und wol 1) Vgl. oben beim Schränken das analog zuſammengeſetzte Schrende- feger (bei Pleitehandeln und Challe handeln, Kap. 45). Großes Aufſehen hat die, freilich nur in Zeitungen erwähnte, bislang unerhörte Ver- wegenheit einer Räuberbande gemacht, welche im November 1856 durch Auf- ziehen der Haliſignale einen von Rom kommenden Eiſenbahnzug zum Stehen gebracht und ausgeplündert haben ſoll; doch ſcheint die Geſchichte wol nur eine Zeitungsente geweſen zu ſein. Noch andere ſchändliche Verſuche ſind ſchon gemacht worden durch Auflegen von Balken und Steinen auf die Eiſen- bahnzüge, ohne daß bisjetzt ein vollſtändiges Gelingen der dabei gehegten Ab- ſichten erreicht worden wäre. Jedenfalls mahnen die bisher gemachten Er- fahrungen dringend dazu, die Eiſenbahnſtrecken nicht ferner allein der unzurei- chenden Aufſicht der Bahnwärter zu überlaſſen, ſondern auch einer ſtrengen poli- zeilichen Ueberwachung zu unterſtellen. Am 28. Febr. 1854, abends 6½ Uhr, wurde auf den Abendzug der Lübeck-Büchen-Hamburger Eiſenbahn bei dem lauenburgiſchen Orte Friedrichsruhe geſchoſſen. Eine Kugel fuhr durch beide Fenſterſcheiben eines Coupés hindurch, zum Glück ohne jemand zu verletzen. Der Thäter konnte nicht ermittelt werden. Vereinzelte Raubanfälle auf Poſten kommen noch heute vor. So wurde z. B. am 24. Jan. 1857, abends 9 Uhr, die von Verona nach Tirol abgehende Mallepoſt bei Parona von 14 bewaffneten Räubern angefallen und um 40,000 Gulden beraubt. Die Räuber wurden jedoch mit dem Raube bald von der trefflichen öſterreichiſchen Gensdarmerie entdeckt und angehalten. Vgl. „Oeſterreichiſches Centralblatt“, 1857, Nr. 383, S. 13.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/248>, abgerufen am 25.04.2024.