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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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unverständlicher machten durch weitläufige Bearbeitung in mysti-
schen verworrenen Formen, um demselben menschlichen Geiste Ge-
nüge zu leisten, der ebenso wol schon vom grauen Alterthum her,
in unbefangener Anschauung göttlicher und natürlicher Offenbarung,
nach höherer Erforschung strebte, wie er heutzutage der kahlen
Empirie der Naturwissenschaften, meist ohne wahres sittliches und
religiöses Streben, verfallen ist.

Daraus wird aber auch klar, daß, ungeachtet die zum Be-
truge ausgebeutete Wahrsagerei und Zauberei niemals gewerb-
lich,
sondern höchstens nur gelegentlich von dem Gaunerthum
betrieben wurde, dennoch so viele Gauner unter dem Schein der
Zauberei den schmählichen Hexentod sterben mußten. Ein kurzer
Blick auf die Ausbildung des deutschen Zauberwesens macht dies
noch deutlicher. Nicht allein die deutsch-heidnischen und christ-
lichen Ansichten waren die Grundlage zu dieser Ausbildung. Ein
sehr wesentlicher, schon vor dem Eingang des Christenthums auf
deutschem Boden erschienener und mit geheimem starken Nachdruck
wirkender Factor ist wesentlich übersehen oder mindestens nicht in
seiner vollen Bedeutsamkeit hervorgehoben worden: die jüdische
mystische Tradition, die Kabbala
. 1) Die Kabbala hat

1) [fremdsprachliches Material - fehlt], Tradition, geheime Lehre, von [fremdsprachliches Material - fehlt] (kobal), oder [fremdsprachliches Material - fehlt] (kibel),
er hat empfangen, angenommen; wovon das jüdisch-deutsche [fremdsprachliches Material - fehlt] (kablan)
und [fremdsprachliches Material - fehlt] (mekubol), der Kabbalist. Die Grundlage der Kabbala ist der
Sepher Jezirah ([fremdsprachliches Material - fehlt]), welcher, trotz der vielen Chaldäismen, sogar
dem Abraham zugeschrieben wird. Später legte der wegen seiner tiefen kabba-
listischen Weisheit als Wunderthäter gepriesene Rabbi Schimon Ben Jochai
mit seinem Sohne Eliasar den Grund zu jener höchst merkwürdigen kabbali-
stischen Auslegung der fünf Bücher Moses, dem Buche Sohar ([fremdsprachliches Material - fehlt], die
Läuterung). Zu bemerken ist übrigens, daß das Wort Kabale oder Cabale zur
Bezeichnung von Ränkeschmiedereien eine durchaus andere und zwar eine spe-
ciell historische Ableitung hat. Der Ausdruck Cabal ist aus den Anfangs-
buchstaben der fünf englischen Minister Clifford, Arlington, Buckingham, Ash-
ley und Lautendale unter Karl II. (+ 1685) zusammengesetzt. Nach dem
Sturze Clarendon's sah sich das Volk den Bedrückungen dieses verhaßten
"Cabalministeriums" ausgesetzt, und erfand den künstlichen Namen Cabal zur
Bezeichnung der Jntriguen und Ränke dieses Ministeriums. Vgl. Dittmar,
"Geschichte", Bd. 4, Thl. 1, S. 805.

unverſtändlicher machten durch weitläufige Bearbeitung in myſti-
ſchen verworrenen Formen, um demſelben menſchlichen Geiſte Ge-
nüge zu leiſten, der ebenſo wol ſchon vom grauen Alterthum her,
in unbefangener Anſchauung göttlicher und natürlicher Offenbarung,
nach höherer Erforſchung ſtrebte, wie er heutzutage der kahlen
Empirie der Naturwiſſenſchaften, meiſt ohne wahres ſittliches und
religiöſes Streben, verfallen iſt.

Daraus wird aber auch klar, daß, ungeachtet die zum Be-
truge ausgebeutete Wahrſagerei und Zauberei niemals gewerb-
lich,
ſondern höchſtens nur gelegentlich von dem Gaunerthum
betrieben wurde, dennoch ſo viele Gauner unter dem Schein der
Zauberei den ſchmählichen Hexentod ſterben mußten. Ein kurzer
Blick auf die Ausbildung des deutſchen Zauberweſens macht dies
noch deutlicher. Nicht allein die deutſch-heidniſchen und chriſt-
lichen Anſichten waren die Grundlage zu dieſer Ausbildung. Ein
ſehr weſentlicher, ſchon vor dem Eingang des Chriſtenthums auf
deutſchem Boden erſchienener und mit geheimem ſtarken Nachdruck
wirkender Factor iſt weſentlich überſehen oder mindeſtens nicht in
ſeiner vollen Bedeutſamkeit hervorgehoben worden: die jüdiſche
myſtiſche Tradition, die Kabbala
. 1) Die Kabbala hat

1) [fremdsprachliches Material – fehlt], Tradition, geheime Lehre, von [fremdsprachliches Material – fehlt] (kobal), oder [fremdsprachliches Material – fehlt] (kibel),
er hat empfangen, angenommen; wovon das jüdiſch-deutſche [fremdsprachliches Material – fehlt] (kablan)
und [fremdsprachliches Material – fehlt] (mekubol), der Kabbaliſt. Die Grundlage der Kabbala iſt der
Sepher Jezirah ([fremdsprachliches Material – fehlt]), welcher, trotz der vielen Chaldäismen, ſogar
dem Abraham zugeſchrieben wird. Später legte der wegen ſeiner tiefen kabba-
liſtiſchen Weisheit als Wunderthäter geprieſene Rabbi Schimon Ben Jochai
mit ſeinem Sohne Eliaſar den Grund zu jener höchſt merkwürdigen kabbali-
ſtiſchen Auslegung der fünf Bücher Moſes, dem Buche Sohar ([fremdsprachliches Material – fehlt], die
Läuterung). Zu bemerken iſt übrigens, daß das Wort Kabale oder Cabale zur
Bezeichnung von Ränkeſchmiedereien eine durchaus andere und zwar eine ſpe-
ciell hiſtoriſche Ableitung hat. Der Ausdruck Cabal iſt aus den Anfangs-
buchſtaben der fünf engliſchen Miniſter Clifford, Arlington, Buckingham, Aſh-
ley und Lautendale unter Karl II. († 1685) zuſammengeſetzt. Nach dem
Sturze Clarendon’s ſah ſich das Volk den Bedrückungen dieſes verhaßten
„Cabalminiſteriums“ ausgeſetzt, und erfand den künſtlichen Namen Cabal zur
Bezeichnung der Jntriguen und Ränke dieſes Miniſteriums. Vgl. Dittmar,
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[251/0263] unverſtändlicher machten durch weitläufige Bearbeitung in myſti- ſchen verworrenen Formen, um demſelben menſchlichen Geiſte Ge- nüge zu leiſten, der ebenſo wol ſchon vom grauen Alterthum her, in unbefangener Anſchauung göttlicher und natürlicher Offenbarung, nach höherer Erforſchung ſtrebte, wie er heutzutage der kahlen Empirie der Naturwiſſenſchaften, meiſt ohne wahres ſittliches und religiöſes Streben, verfallen iſt. Daraus wird aber auch klar, daß, ungeachtet die zum Be- truge ausgebeutete Wahrſagerei und Zauberei niemals gewerb- lich, ſondern höchſtens nur gelegentlich von dem Gaunerthum betrieben wurde, dennoch ſo viele Gauner unter dem Schein der Zauberei den ſchmählichen Hexentod ſterben mußten. Ein kurzer Blick auf die Ausbildung des deutſchen Zauberweſens macht dies noch deutlicher. Nicht allein die deutſch-heidniſchen und chriſt- lichen Anſichten waren die Grundlage zu dieſer Ausbildung. Ein ſehr weſentlicher, ſchon vor dem Eingang des Chriſtenthums auf deutſchem Boden erſchienener und mit geheimem ſtarken Nachdruck wirkender Factor iſt weſentlich überſehen oder mindeſtens nicht in ſeiner vollen Bedeutſamkeit hervorgehoben worden: die jüdiſche myſtiſche Tradition, die Kabbala. 1) Die Kabbala hat 1) _ , Tradition, geheime Lehre, von _ (kobal), oder _ (kibel), er hat empfangen, angenommen; wovon das jüdiſch-deutſche _ (kablan) und _ (mekubol), der Kabbaliſt. Die Grundlage der Kabbala iſt der Sepher Jezirah (_ ), welcher, trotz der vielen Chaldäismen, ſogar dem Abraham zugeſchrieben wird. Später legte der wegen ſeiner tiefen kabba- liſtiſchen Weisheit als Wunderthäter geprieſene Rabbi Schimon Ben Jochai mit ſeinem Sohne Eliaſar den Grund zu jener höchſt merkwürdigen kabbali- ſtiſchen Auslegung der fünf Bücher Moſes, dem Buche Sohar (_ , die Läuterung). Zu bemerken iſt übrigens, daß das Wort Kabale oder Cabale zur Bezeichnung von Ränkeſchmiedereien eine durchaus andere und zwar eine ſpe- ciell hiſtoriſche Ableitung hat. Der Ausdruck Cabal iſt aus den Anfangs- buchſtaben der fünf engliſchen Miniſter Clifford, Arlington, Buckingham, Aſh- ley und Lautendale unter Karl II. († 1685) zuſammengeſetzt. Nach dem Sturze Clarendon’s ſah ſich das Volk den Bedrückungen dieſes verhaßten „Cabalminiſteriums“ ausgeſetzt, und erfand den künſtlichen Namen Cabal zur Bezeichnung der Jntriguen und Ränke dieſes Miniſteriums. Vgl. Dittmar, „Geſchichte“, Bd. 4, Thl. 1, S. 805.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/263>, abgerufen am 26.11.2024.