Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

derblichen Unsinns durch die Masse alberner und abgeschmackter,
in immer neuen Auflagen von buchhändlerischer Speculation zum
Vorschein gebrachter Traumbücher, Punktirbücher, Wahrsagebücher
u. dgl. Je breiter aber sich der frivole Spott macht, desto mehr
blickt doch auch der Dämon hinter ihm hervor. Denn eben unsere
nivellirende Zeit ist es auch gerade, welche der Rhabdomantie
und dem Tischrücken eine Aufmerksamkeit und Anhänglichkeit be-
wiesen hat, vor der man erschrecken muß. So ist es denn nicht
zu verwundern, wenn der aufmerksame Blick der Polizei in den
zahlreichen Verstecken, in welchen besonders alte Kupplerinnen und
abgesetzte Lustdirnen die rohe Unwissenheit, den perennirenden
Aberglauben und die tolle Genußsucht ausbeuten 1), noch immer
die schmählichsten Betrügereien aufdeckt, durch welche schon viel-
fach der vollständige sittliche und bürgerliche Ruin und der Weg
in das Armenhaus, Zuchthaus und Jrrenhaus angebahnt, und
häufiger Selbstmord herbeigeführt wurde. Wo ist ein Polizeibe-
zirk in Deutschland, der z. B. infolge der schändlichen Prophe-
zeiung vom Weltuntergang am 13. Juni 1857 nicht mindestens
ein dem bürgerlichen oder geistigen Ruin verfallenes Opfer auf-
zuweisen hätte?

Nie ist das Jedionen zur specifischen Gaunerkunst geworden.
Das Gaunerthum selbst war niemals eine mystische, sondern im-
mer eine durchaus rationelle Kunst. Die rohe Unwissenheit und
Habgier des Volks drängte sich aber zu oft und arg, wie im
Bedürfniß zum Betruge, hervor, als daß die Gelegenheit zur
Ausbeutung vom Gaunerthum hätte verschmäht werden können.
So wird denn auch das specifische Jedionen niemals eine förm-
liche Gaunerkunst werden, aber doch unablässig seine Opfer suchen
und finden, sobald nicht wahre Aufklärung im Volke herbeigeführt,
die geheime Wahrsagerei überall scharf überwacht und bestraft,

1) Ein trauriges, aber schlagendes Kriterium dafür ist die Thatsache, daß
solche Wahrsagerinnen ihren Erben oft unerwartete Ersparnisse aus den Tri-
buten des Aberglaubens hinterlassen, obschon sie selbst in ihrer versteckten Be-
haglichkeit keineswegs sich Lebensgenüsse zu versagen pflegten.
Ave-Lallemant, Gaunerthum. II. 17

derblichen Unſinns durch die Maſſe alberner und abgeſchmackter,
in immer neuen Auflagen von buchhändleriſcher Speculation zum
Vorſchein gebrachter Traumbücher, Punktirbücher, Wahrſagebücher
u. dgl. Je breiter aber ſich der frivole Spott macht, deſto mehr
blickt doch auch der Dämon hinter ihm hervor. Denn eben unſere
nivellirende Zeit iſt es auch gerade, welche der Rhabdomantie
und dem Tiſchrücken eine Aufmerkſamkeit und Anhänglichkeit be-
wieſen hat, vor der man erſchrecken muß. So iſt es denn nicht
zu verwundern, wenn der aufmerkſame Blick der Polizei in den
zahlreichen Verſtecken, in welchen beſonders alte Kupplerinnen und
abgeſetzte Luſtdirnen die rohe Unwiſſenheit, den perennirenden
Aberglauben und die tolle Genußſucht ausbeuten 1), noch immer
die ſchmählichſten Betrügereien aufdeckt, durch welche ſchon viel-
fach der vollſtändige ſittliche und bürgerliche Ruin und der Weg
in das Armenhaus, Zuchthaus und Jrrenhaus angebahnt, und
häufiger Selbſtmord herbeigeführt wurde. Wo iſt ein Polizeibe-
zirk in Deutſchland, der z. B. infolge der ſchändlichen Prophe-
zeiung vom Weltuntergang am 13. Juni 1857 nicht mindeſtens
ein dem bürgerlichen oder geiſtigen Ruin verfallenes Opfer auf-
zuweiſen hätte?

Nie iſt das Jedionen zur ſpecifiſchen Gaunerkunſt geworden.
Das Gaunerthum ſelbſt war niemals eine myſtiſche, ſondern im-
mer eine durchaus rationelle Kunſt. Die rohe Unwiſſenheit und
Habgier des Volks drängte ſich aber zu oft und arg, wie im
Bedürfniß zum Betruge, hervor, als daß die Gelegenheit zur
Ausbeutung vom Gaunerthum hätte verſchmäht werden können.
So wird denn auch das ſpecifiſche Jedionen niemals eine förm-
liche Gaunerkunſt werden, aber doch unabläſſig ſeine Opfer ſuchen
und finden, ſobald nicht wahre Aufklärung im Volke herbeigeführt,
die geheime Wahrſagerei überall ſcharf überwacht und beſtraft,

1) Ein trauriges, aber ſchlagendes Kriterium dafür iſt die Thatſache, daß
ſolche Wahrſagerinnen ihren Erben oft unerwartete Erſparniſſe aus den Tri-
buten des Aberglaubens hinterlaſſen, obſchon ſie ſelbſt in ihrer verſteckten Be-
haglichkeit keineswegs ſich Lebensgenüſſe zu verſagen pflegten.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0269" n="257"/>
derblichen Un&#x017F;inns durch die Ma&#x017F;&#x017F;e alberner und abge&#x017F;chmackter,<lb/>
in immer neuen Auflagen von buchhändleri&#x017F;cher Speculation zum<lb/>
Vor&#x017F;chein gebrachter Traumbücher, Punktirbücher, Wahr&#x017F;agebücher<lb/>
u. dgl. Je breiter aber &#x017F;ich der frivole Spott macht, de&#x017F;to mehr<lb/>
blickt doch auch der Dämon hinter ihm hervor. Denn eben un&#x017F;ere<lb/>
nivellirende Zeit i&#x017F;t es auch gerade, welche der Rhabdomantie<lb/>
und dem Ti&#x017F;chrücken eine Aufmerk&#x017F;amkeit und Anhänglichkeit be-<lb/>
wie&#x017F;en hat, vor der man er&#x017F;chrecken muß. So i&#x017F;t es denn nicht<lb/>
zu verwundern, wenn der aufmerk&#x017F;ame Blick der Polizei in den<lb/>
zahlreichen Ver&#x017F;tecken, in welchen be&#x017F;onders alte Kupplerinnen und<lb/>
abge&#x017F;etzte Lu&#x017F;tdirnen die rohe Unwi&#x017F;&#x017F;enheit, den perennirenden<lb/>
Aberglauben und die tolle Genuß&#x017F;ucht ausbeuten <note place="foot" n="1)">Ein trauriges, aber &#x017F;chlagendes Kriterium dafür i&#x017F;t die That&#x017F;ache, daß<lb/>
&#x017F;olche Wahr&#x017F;agerinnen ihren Erben oft unerwartete Er&#x017F;parni&#x017F;&#x017F;e aus den Tri-<lb/>
buten des Aberglaubens hinterla&#x017F;&#x017F;en, ob&#x017F;chon &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t in ihrer ver&#x017F;teckten Be-<lb/>
haglichkeit keineswegs &#x017F;ich Lebensgenü&#x017F;&#x017F;e zu ver&#x017F;agen pflegten.</note>, noch immer<lb/>
die &#x017F;chmählich&#x017F;ten Betrügereien aufdeckt, durch welche &#x017F;chon viel-<lb/>
fach der voll&#x017F;tändige &#x017F;ittliche und bürgerliche Ruin und der Weg<lb/>
in das Armenhaus, Zuchthaus und Jrrenhaus angebahnt, und<lb/>
häufiger Selb&#x017F;tmord herbeigeführt wurde. Wo i&#x017F;t ein Polizeibe-<lb/>
zirk in Deut&#x017F;chland, der z. B. infolge der &#x017F;chändlichen Prophe-<lb/>
zeiung vom Weltuntergang am 13. Juni 1857 nicht minde&#x017F;tens<lb/>
ein dem bürgerlichen oder gei&#x017F;tigen Ruin verfallenes Opfer auf-<lb/>
zuwei&#x017F;en hätte?</p><lb/>
              <p>Nie i&#x017F;t das Jedionen zur &#x017F;pecifi&#x017F;chen Gaunerkun&#x017F;t geworden.<lb/>
Das Gaunerthum &#x017F;elb&#x017F;t war niemals eine my&#x017F;ti&#x017F;che, &#x017F;ondern im-<lb/>
mer eine durchaus rationelle Kun&#x017F;t. Die rohe Unwi&#x017F;&#x017F;enheit und<lb/>
Habgier des Volks drängte &#x017F;ich aber zu oft und arg, wie im<lb/><hi rendition="#g">Bedürfniß</hi> zum Betruge, hervor, als daß die Gelegenheit zur<lb/>
Ausbeutung vom Gaunerthum hätte ver&#x017F;chmäht werden können.<lb/>
So wird denn auch das &#x017F;pecifi&#x017F;che Jedionen niemals eine förm-<lb/>
liche Gaunerkun&#x017F;t werden, aber doch unablä&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;eine Opfer &#x017F;uchen<lb/>
und finden, &#x017F;obald nicht wahre Aufklärung im Volke herbeigeführt,<lb/>
die geheime Wahr&#x017F;agerei überall &#x017F;charf überwacht und be&#x017F;traft,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Avé-Lallemant,</hi> Gaunerthum. <hi rendition="#aq">II.</hi> 17</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0269] derblichen Unſinns durch die Maſſe alberner und abgeſchmackter, in immer neuen Auflagen von buchhändleriſcher Speculation zum Vorſchein gebrachter Traumbücher, Punktirbücher, Wahrſagebücher u. dgl. Je breiter aber ſich der frivole Spott macht, deſto mehr blickt doch auch der Dämon hinter ihm hervor. Denn eben unſere nivellirende Zeit iſt es auch gerade, welche der Rhabdomantie und dem Tiſchrücken eine Aufmerkſamkeit und Anhänglichkeit be- wieſen hat, vor der man erſchrecken muß. So iſt es denn nicht zu verwundern, wenn der aufmerkſame Blick der Polizei in den zahlreichen Verſtecken, in welchen beſonders alte Kupplerinnen und abgeſetzte Luſtdirnen die rohe Unwiſſenheit, den perennirenden Aberglauben und die tolle Genußſucht ausbeuten 1), noch immer die ſchmählichſten Betrügereien aufdeckt, durch welche ſchon viel- fach der vollſtändige ſittliche und bürgerliche Ruin und der Weg in das Armenhaus, Zuchthaus und Jrrenhaus angebahnt, und häufiger Selbſtmord herbeigeführt wurde. Wo iſt ein Polizeibe- zirk in Deutſchland, der z. B. infolge der ſchändlichen Prophe- zeiung vom Weltuntergang am 13. Juni 1857 nicht mindeſtens ein dem bürgerlichen oder geiſtigen Ruin verfallenes Opfer auf- zuweiſen hätte? Nie iſt das Jedionen zur ſpecifiſchen Gaunerkunſt geworden. Das Gaunerthum ſelbſt war niemals eine myſtiſche, ſondern im- mer eine durchaus rationelle Kunſt. Die rohe Unwiſſenheit und Habgier des Volks drängte ſich aber zu oft und arg, wie im Bedürfniß zum Betruge, hervor, als daß die Gelegenheit zur Ausbeutung vom Gaunerthum hätte verſchmäht werden können. So wird denn auch das ſpecifiſche Jedionen niemals eine förm- liche Gaunerkunſt werden, aber doch unabläſſig ſeine Opfer ſuchen und finden, ſobald nicht wahre Aufklärung im Volke herbeigeführt, die geheime Wahrſagerei überall ſcharf überwacht und beſtraft, 1) Ein trauriges, aber ſchlagendes Kriterium dafür iſt die Thatſache, daß ſolche Wahrſagerinnen ihren Erben oft unerwartete Erſparniſſe aus den Tri- buten des Aberglaubens hinterlaſſen, obſchon ſie ſelbſt in ihrer verſteckten Be- haglichkeit keineswegs ſich Lebensgenüſſe zu verſagen pflegten. Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/269
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/269>, abgerufen am 29.03.2024.