Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Deutung der Figuren das Platteste und Geistloseste ist, was es
geben kann. Es scheint beinahe, als ob die ganze trügerische
Albernheit sich lediglich hinter dem Geheimniß aufrecht erhalten
hat, das von keiner Wahrsagerin verrathen wird, weil der Grundsatz
oben ansteht, "daß die ganze Prophetengabe verloren geht, wenn
sie einem andern, der nicht Kunstaspirant ist, offenbart wird";
wobei denn die meisten Wahrsagerinnen vorgeben, das Geheimniß
bei Verlust der Prophetengabe beschworen zu haben.

Die platte Operation und die Auslegung dabei verdient kaum
eine oberflächliche Andeutung: der Kaffee 1) wird nicht filtrirt,
sondern gekocht. Das Kaffeemehl muß fein gemahlen sein. Die
Prophetin trinkt aus einer gefüllten Tasse den Kaffee bis auf den
geringen Satzrest ab, und gießt diesen Rest in die leere Tasse des
Orakelsuchenden, welcher dreimal in die Tasse hauchen muß.
Dann schwenkt die Wahrsagerin den Kaffee in der Tasse umher,
daß sich der Satz möglichst weit vom Boden aus in der Tasse
verbreitet und stürzt dann die Tasse um in die Unterschale. Nach
einiger Zeit trocknet der an den innern Wänden der Tasse herab-
gelaufene Kaffeesatz fest. Die Tasse wird umgekehrt, und die durch
das Abtriefen der Feuchtigkeit angetrockneten Ueberbleibsel bilden
nun allerlei Figuren, aus denen sowol die alberne Phantasie wie
der nüchterne Betrug eine Menge verschiedenartiger Figuren heraus-
zudeuten weiß. Das ganze lange Verzeichniß dieser abgeschmack-
ten und sinnlosen Figuren und Deutungen findet man bei Peuschel,
a. a. O., S. 340 fg., aufgeführt. 2) Die Haupteintheilung basirt

1) Jn etymologischer Hinsicht ist zu merken: Schocher-majim,
[fremdsprachliches Material - fehlt], jüdisch-deutsch eigentlich schwarzes Wasser, Kaffee, auch kurzweg
Schocher, deutsch-gaunerisch: Schwärzling, beides für ungekochten (Bohne)
und gekochten Kaffee. Mischke, [fremdsprachliches Material - fehlt] von [fremdsprachliches Material - fehlt], sinken, versinken; hebräisch
der Ort, wo sich das Wasser gesetzt hat; im jüdisch-deutschen Sprachgebrauch der
Satz, Bodensatz. Schocher Mischke, der schwarze Satz, Kaffeesatz. Scho-
chersroll,
Kaffeemühle, bei Grolman. Schochersgordel, Kaffeekessel. Für
Kaffeetasse hat Grolman Schokerts-Dinkets, ein Ausdruck, der nur bei ihm
allein vorkommt; der gewöhnliche Ausdruck für Kaffeetasse ist Schocherfin-
chen
oder Schwärzlingsfinchen. Vgl. Bischoff, "Choch. Loschen", S. 69.
2) Z. B. Vögel = gute Freunde; Hunde = gute Botschaften; Füchse =

Deutung der Figuren das Platteſte und Geiſtloſeſte iſt, was es
geben kann. Es ſcheint beinahe, als ob die ganze trügeriſche
Albernheit ſich lediglich hinter dem Geheimniß aufrecht erhalten
hat, das von keiner Wahrſagerin verrathen wird, weil der Grundſatz
oben anſteht, „daß die ganze Prophetengabe verloren geht, wenn
ſie einem andern, der nicht Kunſtaſpirant iſt, offenbart wird“;
wobei denn die meiſten Wahrſagerinnen vorgeben, das Geheimniß
bei Verluſt der Prophetengabe beſchworen zu haben.

Die platte Operation und die Auslegung dabei verdient kaum
eine oberflächliche Andeutung: der Kaffee 1) wird nicht filtrirt,
ſondern gekocht. Das Kaffeemehl muß fein gemahlen ſein. Die
Prophetin trinkt aus einer gefüllten Taſſe den Kaffee bis auf den
geringen Satzreſt ab, und gießt dieſen Reſt in die leere Taſſe des
Orakelſuchenden, welcher dreimal in die Taſſe hauchen muß.
Dann ſchwenkt die Wahrſagerin den Kaffee in der Taſſe umher,
daß ſich der Satz möglichſt weit vom Boden aus in der Taſſe
verbreitet und ſtürzt dann die Taſſe um in die Unterſchale. Nach
einiger Zeit trocknet der an den innern Wänden der Taſſe herab-
gelaufene Kaffeeſatz feſt. Die Taſſe wird umgekehrt, und die durch
das Abtriefen der Feuchtigkeit angetrockneten Ueberbleibſel bilden
nun allerlei Figuren, aus denen ſowol die alberne Phantaſie wie
der nüchterne Betrug eine Menge verſchiedenartiger Figuren heraus-
zudeuten weiß. Das ganze lange Verzeichniß dieſer abgeſchmack-
ten und ſinnloſen Figuren und Deutungen findet man bei Peuſchel,
a. a. O., S. 340 fg., aufgeführt. 2) Die Haupteintheilung baſirt

1) Jn etymologiſcher Hinſicht iſt zu merken: Schocher-majim,
[fremdsprachliches Material – fehlt], jüdiſch-deutſch eigentlich ſchwarzes Waſſer, Kaffee, auch kurzweg
Schocher, deutſch-gauneriſch: Schwärzling, beides für ungekochten (Bohne)
und gekochten Kaffee. Miſchke, [fremdsprachliches Material – fehlt] von [fremdsprachliches Material – fehlt], ſinken, verſinken; hebräiſch
der Ort, wo ſich das Waſſer geſetzt hat; im jüdiſch-deutſchen Sprachgebrauch der
Satz, Bodenſatz. Schocher Miſchke, der ſchwarze Satz, Kaffeeſatz. Scho-
chersroll,
Kaffeemühle, bei Grolman. Schochersgordel, Kaffeekeſſel. Für
Kaffeetaſſe hat Grolman Schokerts-Dinkets, ein Ausdruck, der nur bei ihm
allein vorkommt; der gewöhnliche Ausdruck für Kaffeetaſſe iſt Schocherfin-
chen
oder Schwärzlingsfinchen. Vgl. Biſchoff, „Choch. Loſchen“, S. 69.
2) Z. B. Vögel = gute Freunde; Hunde = gute Botſchaften; Füchſe =
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0275" n="263"/>
Deutung der Figuren das Platte&#x017F;te und Gei&#x017F;tlo&#x017F;e&#x017F;te i&#x017F;t, was es<lb/>
geben kann. Es &#x017F;cheint beinahe, als ob die ganze trügeri&#x017F;che<lb/>
Albernheit &#x017F;ich lediglich hinter dem <hi rendition="#g">Geheimniß</hi> aufrecht erhalten<lb/>
hat, das von keiner Wahr&#x017F;agerin verrathen wird, weil der Grund&#x017F;atz<lb/>
oben an&#x017F;teht, &#x201E;daß die ganze Prophetengabe verloren geht, wenn<lb/>
&#x017F;ie einem andern, der nicht Kun&#x017F;ta&#x017F;pirant i&#x017F;t, offenbart wird&#x201C;;<lb/>
wobei denn die mei&#x017F;ten Wahr&#x017F;agerinnen vorgeben, das Geheimniß<lb/>
bei Verlu&#x017F;t der Prophetengabe <hi rendition="#g">be&#x017F;chworen</hi> zu haben.</p><lb/>
              <p>Die platte Operation und die Auslegung dabei verdient kaum<lb/>
eine oberflächliche Andeutung: der Kaffee <note place="foot" n="1)">Jn etymologi&#x017F;cher Hin&#x017F;icht i&#x017F;t zu merken: <hi rendition="#g">Schocher-majim,</hi><lb/><gap reason="fm" unit="words"/>, jüdi&#x017F;ch-deut&#x017F;ch eigentlich &#x017F;chwarzes Wa&#x017F;&#x017F;er, Kaffee, auch kurzweg<lb/><hi rendition="#g">Schocher,</hi> deut&#x017F;ch-gauneri&#x017F;ch: <hi rendition="#g">Schwärzling,</hi> beides für ungekochten (Bohne)<lb/>
und gekochten Kaffee. <hi rendition="#g">Mi&#x017F;chke,</hi> <gap reason="fm" unit="words"/> von <gap reason="fm" unit="words"/>, &#x017F;inken, ver&#x017F;inken; hebräi&#x017F;ch<lb/>
der Ort, wo &#x017F;ich das Wa&#x017F;&#x017F;er ge&#x017F;etzt hat; im jüdi&#x017F;ch-deut&#x017F;chen Sprachgebrauch der<lb/>
Satz, Boden&#x017F;atz. <hi rendition="#g">Schocher Mi&#x017F;chke,</hi> der &#x017F;chwarze Satz, Kaffee&#x017F;atz. <hi rendition="#g">Scho-<lb/>
chersroll,</hi> Kaffeemühle, bei Grolman. <hi rendition="#g">Schochersgordel,</hi> Kaffeeke&#x017F;&#x017F;el. Für<lb/>
Kaffeeta&#x017F;&#x017F;e hat Grolman <hi rendition="#g">Schokerts-Dinkets,</hi> ein Ausdruck, der nur bei ihm<lb/>
allein vorkommt; der gewöhnliche Ausdruck für Kaffeeta&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t <hi rendition="#g">Schocherfin-<lb/>
chen</hi> oder <hi rendition="#g">Schwärzlingsfinchen</hi>. Vgl. Bi&#x017F;choff, &#x201E;Choch. Lo&#x017F;chen&#x201C;, S. 69.</note> wird nicht filtrirt,<lb/>
&#x017F;ondern gekocht. Das Kaffeemehl muß fein gemahlen &#x017F;ein. Die<lb/>
Prophetin trinkt aus einer gefüllten Ta&#x017F;&#x017F;e den Kaffee bis auf den<lb/>
geringen Satzre&#x017F;t ab, und gießt die&#x017F;en Re&#x017F;t in die leere Ta&#x017F;&#x017F;e des<lb/>
Orakel&#x017F;uchenden, welcher dreimal in die Ta&#x017F;&#x017F;e hauchen muß.<lb/>
Dann &#x017F;chwenkt die Wahr&#x017F;agerin den Kaffee in der Ta&#x017F;&#x017F;e umher,<lb/>
daß &#x017F;ich der Satz möglich&#x017F;t weit vom Boden aus in der Ta&#x017F;&#x017F;e<lb/>
verbreitet und &#x017F;türzt dann die Ta&#x017F;&#x017F;e um in die Unter&#x017F;chale. Nach<lb/>
einiger Zeit trocknet der an den innern Wänden der Ta&#x017F;&#x017F;e herab-<lb/>
gelaufene Kaffee&#x017F;atz fe&#x017F;t. Die Ta&#x017F;&#x017F;e wird umgekehrt, und die durch<lb/>
das Abtriefen der Feuchtigkeit angetrockneten Ueberbleib&#x017F;el bilden<lb/>
nun allerlei Figuren, aus denen &#x017F;owol die alberne Phanta&#x017F;ie wie<lb/>
der nüchterne Betrug eine Menge ver&#x017F;chiedenartiger Figuren heraus-<lb/>
zudeuten weiß. Das ganze lange Verzeichniß die&#x017F;er abge&#x017F;chmack-<lb/>
ten und &#x017F;innlo&#x017F;en Figuren und Deutungen findet man bei Peu&#x017F;chel,<lb/>
a. a. O., S. 340 fg., aufgeführt. <note xml:id="seg2pn_33_1" next="#seg2pn_33_2" place="foot" n="2)">Z. B. Vögel = gute Freunde; Hunde = gute Bot&#x017F;chaften; Füch&#x017F;e =</note> Die Haupteintheilung ba&#x017F;irt<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0275] Deutung der Figuren das Platteſte und Geiſtloſeſte iſt, was es geben kann. Es ſcheint beinahe, als ob die ganze trügeriſche Albernheit ſich lediglich hinter dem Geheimniß aufrecht erhalten hat, das von keiner Wahrſagerin verrathen wird, weil der Grundſatz oben anſteht, „daß die ganze Prophetengabe verloren geht, wenn ſie einem andern, der nicht Kunſtaſpirant iſt, offenbart wird“; wobei denn die meiſten Wahrſagerinnen vorgeben, das Geheimniß bei Verluſt der Prophetengabe beſchworen zu haben. Die platte Operation und die Auslegung dabei verdient kaum eine oberflächliche Andeutung: der Kaffee 1) wird nicht filtrirt, ſondern gekocht. Das Kaffeemehl muß fein gemahlen ſein. Die Prophetin trinkt aus einer gefüllten Taſſe den Kaffee bis auf den geringen Satzreſt ab, und gießt dieſen Reſt in die leere Taſſe des Orakelſuchenden, welcher dreimal in die Taſſe hauchen muß. Dann ſchwenkt die Wahrſagerin den Kaffee in der Taſſe umher, daß ſich der Satz möglichſt weit vom Boden aus in der Taſſe verbreitet und ſtürzt dann die Taſſe um in die Unterſchale. Nach einiger Zeit trocknet der an den innern Wänden der Taſſe herab- gelaufene Kaffeeſatz feſt. Die Taſſe wird umgekehrt, und die durch das Abtriefen der Feuchtigkeit angetrockneten Ueberbleibſel bilden nun allerlei Figuren, aus denen ſowol die alberne Phantaſie wie der nüchterne Betrug eine Menge verſchiedenartiger Figuren heraus- zudeuten weiß. Das ganze lange Verzeichniß dieſer abgeſchmack- ten und ſinnloſen Figuren und Deutungen findet man bei Peuſchel, a. a. O., S. 340 fg., aufgeführt. 2) Die Haupteintheilung baſirt 1) Jn etymologiſcher Hinſicht iſt zu merken: Schocher-majim, _ , jüdiſch-deutſch eigentlich ſchwarzes Waſſer, Kaffee, auch kurzweg Schocher, deutſch-gauneriſch: Schwärzling, beides für ungekochten (Bohne) und gekochten Kaffee. Miſchke, _ von _ , ſinken, verſinken; hebräiſch der Ort, wo ſich das Waſſer geſetzt hat; im jüdiſch-deutſchen Sprachgebrauch der Satz, Bodenſatz. Schocher Miſchke, der ſchwarze Satz, Kaffeeſatz. Scho- chersroll, Kaffeemühle, bei Grolman. Schochersgordel, Kaffeekeſſel. Für Kaffeetaſſe hat Grolman Schokerts-Dinkets, ein Ausdruck, der nur bei ihm allein vorkommt; der gewöhnliche Ausdruck für Kaffeetaſſe iſt Schocherfin- chen oder Schwärzlingsfinchen. Vgl. Biſchoff, „Choch. Loſchen“, S. 69. 2) Z. B. Vögel = gute Freunde; Hunde = gute Botſchaften; Füchſe =

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/275
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/275>, abgerufen am 18.04.2024.