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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Von den vielen speciellen Künsten der Goetie machte sich beson-
ders noch die Cäromantie 1) geltend, bei welcher geschmolzenes
Wachs in kaltes Wasser gegossen und aus den durch die rasche
Erkaltung gebildeten Figuren die verschiedenartigste Deutung ge-
geben wurde. 2) Während die ganze Kunst, nur mit Veränderung
des Wachses in Blei, sich noch lange vollständig erhalten hat 3),
und sogar auch jetzt noch das Wachs bei gewissen Prophezeiungen,
z. B. bei der Bestimmung der Lebensdauer, als Material zu
brennenden Lichterchen verwandt, und mindestens in der Neujahrs-
nacht auch noch jetzt von abergläubischen Personen Blei gegossen
wird, gab der Zufall seit der Einführung des Kaffees 4), oder
vielmehr seitdem der Kaffee populär geworden ist, der Langeweile
und dem Betruge das nahe liegende und einfache Mittel an die
Hand, aus den Figuren, welche sich zufällig aus dem getrockne-
ten Kaffeesatz bilden, eine bestimmte Deutung zu ziehen, und auf
dieser harmlosen und wohlfeilen Basis eine neue Orakelkunst zu
begründen, welche bei dem ungemein großen und namentlich in
den untern Volksschichten noch weit mehr als in den höhern
Ständen stattfindenden Kaffeeconsum noch immer in großem Credit
bei dem gemeinen Manne steht, ungeachtet die Findung und

1) Vgl. Pictor, "Goetie", Kap. 21; "Agrippae ab Nettesheym opera"
(Leyden 1570), S. 484 fg.; Scheible, "Kloster", Bd. 3, Abth. 2, S. 618.
2) Von dem starken Gebrauch und Begehr des Wachses nicht nur zu ge-
weihten Kerzen, bei allen Krankheiten, Wochenbetten u. dgl. sondern auch zu
allem übrigen Hausgebrauch gibt auch schon der Liber Vagatorum Zeugniß,
z. B. Kap. 13 u. 15.
3) Jm russischen Volke hat sich das Gießen mit Wachs noch vollständig
erhalten. Besonders an den Weihnachts- und Neujahrsabenden suchen sich die
Mädchen, vorzüglich auf den Dörfern, durch Wachsgießen zu vergewissern, ob
[fremdsprachliches Material - fehlt] im nächsten Jahre verheirathet werden oder mindestens vorläufig einen
Bräutigam acquiriren. Auch schwangere Weiber erkennen in den Wachs-
figuren, ob sie einen Knaben oder ein Mädchen zur Welt bringen werden.
4) Der Kaffee ist erst weit nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts in
Deutschland populär geworden. Jm 17. Jahrhundert wurde er erst in Frank-
reich eingeführt, und erst zu Ende desselben Jahrhunderts in Deutschland, wo
1694 der erste Kaffee nach Leipzig kam und 1696 das erste Kaffeehaus zu
Nürnberg hinter dem Rathhause errichtet wurde.

Von den vielen ſpeciellen Künſten der Goetie machte ſich beſon-
ders noch die Cäromantie 1) geltend, bei welcher geſchmolzenes
Wachs in kaltes Waſſer gegoſſen und aus den durch die raſche
Erkaltung gebildeten Figuren die verſchiedenartigſte Deutung ge-
geben wurde. 2) Während die ganze Kunſt, nur mit Veränderung
des Wachſes in Blei, ſich noch lange vollſtändig erhalten hat 3),
und ſogar auch jetzt noch das Wachs bei gewiſſen Prophezeiungen,
z. B. bei der Beſtimmung der Lebensdauer, als Material zu
brennenden Lichterchen verwandt, und mindeſtens in der Neujahrs-
nacht auch noch jetzt von abergläubiſchen Perſonen Blei gegoſſen
wird, gab der Zufall ſeit der Einführung des Kaffees 4), oder
vielmehr ſeitdem der Kaffee populär geworden iſt, der Langeweile
und dem Betruge das nahe liegende und einfache Mittel an die
Hand, aus den Figuren, welche ſich zufällig aus dem getrockne-
ten Kaffeeſatz bilden, eine beſtimmte Deutung zu ziehen, und auf
dieſer harmloſen und wohlfeilen Baſis eine neue Orakelkunſt zu
begründen, welche bei dem ungemein großen und namentlich in
den untern Volksſchichten noch weit mehr als in den höhern
Ständen ſtattfindenden Kaffeeconſum noch immer in großem Credit
bei dem gemeinen Manne ſteht, ungeachtet die Findung und

1) Vgl. Pictor, „Goetie“, Kap. 21; „Agrippae ab Nettesheym opera
(Leyden 1570), S. 484 fg.; Scheible, „Kloſter“, Bd. 3, Abth. 2, S. 618.
2) Von dem ſtarken Gebrauch und Begehr des Wachſes nicht nur zu ge-
weihten Kerzen, bei allen Krankheiten, Wochenbetten u. dgl. ſondern auch zu
allem übrigen Hausgebrauch gibt auch ſchon der Liber Vagatorum Zeugniß,
z. B. Kap. 13 u. 15.
3) Jm ruſſiſchen Volke hat ſich das Gießen mit Wachs noch vollſtändig
erhalten. Beſonders an den Weihnachts- und Neujahrsabenden ſuchen ſich die
Mädchen, vorzüglich auf den Dörfern, durch Wachsgießen zu vergewiſſern, ob
[fremdsprachliches Material – fehlt] im nächſten Jahre verheirathet werden oder mindeſtens vorläufig einen
Bräutigam acquiriren. Auch ſchwangere Weiber erkennen in den Wachs-
figuren, ob ſie einen Knaben oder ein Mädchen zur Welt bringen werden.
4) Der Kaffee iſt erſt weit nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts in
Deutſchland populär geworden. Jm 17. Jahrhundert wurde er erſt in Frank-
reich eingeführt, und erſt zu Ende deſſelben Jahrhunderts in Deutſchland, wo
1694 der erſte Kaffee nach Leipzig kam und 1696 das erſte Kaffeehaus zu
Nürnberg hinter dem Rathhauſe errichtet wurde.
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[262/0274] Von den vielen ſpeciellen Künſten der Goetie machte ſich beſon- ders noch die Cäromantie 1) geltend, bei welcher geſchmolzenes Wachs in kaltes Waſſer gegoſſen und aus den durch die raſche Erkaltung gebildeten Figuren die verſchiedenartigſte Deutung ge- geben wurde. 2) Während die ganze Kunſt, nur mit Veränderung des Wachſes in Blei, ſich noch lange vollſtändig erhalten hat 3), und ſogar auch jetzt noch das Wachs bei gewiſſen Prophezeiungen, z. B. bei der Beſtimmung der Lebensdauer, als Material zu brennenden Lichterchen verwandt, und mindeſtens in der Neujahrs- nacht auch noch jetzt von abergläubiſchen Perſonen Blei gegoſſen wird, gab der Zufall ſeit der Einführung des Kaffees 4), oder vielmehr ſeitdem der Kaffee populär geworden iſt, der Langeweile und dem Betruge das nahe liegende und einfache Mittel an die Hand, aus den Figuren, welche ſich zufällig aus dem getrockne- ten Kaffeeſatz bilden, eine beſtimmte Deutung zu ziehen, und auf dieſer harmloſen und wohlfeilen Baſis eine neue Orakelkunſt zu begründen, welche bei dem ungemein großen und namentlich in den untern Volksſchichten noch weit mehr als in den höhern Ständen ſtattfindenden Kaffeeconſum noch immer in großem Credit bei dem gemeinen Manne ſteht, ungeachtet die Findung und 1) Vgl. Pictor, „Goetie“, Kap. 21; „Agrippae ab Nettesheym opera“ (Leyden 1570), S. 484 fg.; Scheible, „Kloſter“, Bd. 3, Abth. 2, S. 618. 2) Von dem ſtarken Gebrauch und Begehr des Wachſes nicht nur zu ge- weihten Kerzen, bei allen Krankheiten, Wochenbetten u. dgl. ſondern auch zu allem übrigen Hausgebrauch gibt auch ſchon der Liber Vagatorum Zeugniß, z. B. Kap. 13 u. 15. 3) Jm ruſſiſchen Volke hat ſich das Gießen mit Wachs noch vollſtändig erhalten. Beſonders an den Weihnachts- und Neujahrsabenden ſuchen ſich die Mädchen, vorzüglich auf den Dörfern, durch Wachsgießen zu vergewiſſern, ob _ im nächſten Jahre verheirathet werden oder mindeſtens vorläufig einen Bräutigam acquiriren. Auch ſchwangere Weiber erkennen in den Wachs- figuren, ob ſie einen Knaben oder ein Mädchen zur Welt bringen werden. 4) Der Kaffee iſt erſt weit nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Deutſchland populär geworden. Jm 17. Jahrhundert wurde er erſt in Frank- reich eingeführt, und erſt zu Ende deſſelben Jahrhunderts in Deutſchland, wo 1694 der erſte Kaffee nach Leipzig kam und 1696 das erſte Kaffeehaus zu Nürnberg hinter dem Rathhauſe errichtet wurde.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/274>, abgerufen am 26.04.2024.