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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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legerinnen selbst ausübt, daß diese nach und nach ihre Orakel
für das Resultat mystischer Offenbarung und für positive Gewiß-
heit halten, und dadurch fast durchgehends in eine wunderliche
geistige Zerfahrenheit gerathen, welche sich durch die auffälligsten
Kundgebungen im bürgerlichen Leben verräth, und vielfach mit
Jrrsinn oder Selbstmord der Kartenlegerin endet. 1) Die meistens
leichthin angesehenen und daher vernachlässigten Untersuchungen
gegen solche Kartenlegerinnen geben merkwürdige Bilder und Be-
weise von jener eigenthümlichen geistigen Zerfahrenheit, deren Er-
kennung zu den interessantesten, aber auch trübsten Erfahrungen
auf dem Gebiete polizeilicher Thätigkeit gehört.



Zweiundsiebzigstes Kapitel.
d) Das Schocher-majim.

Der weit durch das Volk verbreitete Drang nach positiven
Grundlagen in der Wahrsagerei griff, bei dem festen Abschluß der
geheimen Zauberwissenschaften und Künste, schon früh und viel-
fach zu den gewöhnlichsten und trivialsten Dingen, und sanctionirte
namentlich die so nahe gegebenen Gegenstände des täglichen Haus-
gebrauchs als Mittel zur Erforschung der Zukunft. Die schon
erwähnte "Goetie" Georg Pictor's gibt treffende Belege dafür.

1) Zu auffällig ist die Beobachtung, welche bei näherer Aufmerksamkeit
sich vielleicht auch noch anderweitig bestätigen wird, daß ich bei den vielen
von mir vorgenommenen Leichenbesichtigungen und Explorationen der Verhält-
nisse weiblicher Selbstmörder noch kein Frauenzimmer über funfzig Jahre aus den
untersten Volksschichten gefunden habe, welche nicht Kartenschlägerin, und
deren mindestens letzte Lebenszeit nicht von zwar meistens bürgerlich tadelfreier,
doch entschieden auffälliger Führung gewesen ist. Auch war der Tod, meistens
Wassertod, fast immer von höchst eigenthümlichen mystischen Vorbereitungen
begleitet. Entsprechende Erscheinungen bieten sich auch noch bei den Quack-
salbern und Wundärzten dar, von denen Kap. 75 noch weiter geredet werden
wird.

legerinnen ſelbſt ausübt, daß dieſe nach und nach ihre Orakel
für das Reſultat myſtiſcher Offenbarung und für poſitive Gewiß-
heit halten, und dadurch faſt durchgehends in eine wunderliche
geiſtige Zerfahrenheit gerathen, welche ſich durch die auffälligſten
Kundgebungen im bürgerlichen Leben verräth, und vielfach mit
Jrrſinn oder Selbſtmord der Kartenlegerin endet. 1) Die meiſtens
leichthin angeſehenen und daher vernachläſſigten Unterſuchungen
gegen ſolche Kartenlegerinnen geben merkwürdige Bilder und Be-
weiſe von jener eigenthümlichen geiſtigen Zerfahrenheit, deren Er-
kennung zu den intereſſanteſten, aber auch trübſten Erfahrungen
auf dem Gebiete polizeilicher Thätigkeit gehört.



Zweiundſiebzigſtes Kapitel.
δ) Das Schocher-majim.

Der weit durch das Volk verbreitete Drang nach poſitiven
Grundlagen in der Wahrſagerei griff, bei dem feſten Abſchluß der
geheimen Zauberwiſſenſchaften und Künſte, ſchon früh und viel-
fach zu den gewöhnlichſten und trivialſten Dingen, und ſanctionirte
namentlich die ſo nahe gegebenen Gegenſtände des täglichen Haus-
gebrauchs als Mittel zur Erforſchung der Zukunft. Die ſchon
erwähnte „Goetie“ Georg Pictor’s gibt treffende Belege dafür.

1) Zu auffällig iſt die Beobachtung, welche bei näherer Aufmerkſamkeit
ſich vielleicht auch noch anderweitig beſtätigen wird, daß ich bei den vielen
von mir vorgenommenen Leichenbeſichtigungen und Explorationen der Verhält-
niſſe weiblicher Selbſtmörder noch kein Frauenzimmer über funfzig Jahre aus den
unterſten Volksſchichten gefunden habe, welche nicht Kartenſchlägerin, und
deren mindeſtens letzte Lebenszeit nicht von zwar meiſtens bürgerlich tadelfreier,
doch entſchieden auffälliger Führung geweſen iſt. Auch war der Tod, meiſtens
Waſſertod, faſt immer von höchſt eigenthümlichen myſtiſchen Vorbereitungen
begleitet. Entſprechende Erſcheinungen bieten ſich auch noch bei den Quack-
ſalbern und Wundärzten dar, von denen Kap. 75 noch weiter geredet werden
wird.
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[261/0273] legerinnen ſelbſt ausübt, daß dieſe nach und nach ihre Orakel für das Reſultat myſtiſcher Offenbarung und für poſitive Gewiß- heit halten, und dadurch faſt durchgehends in eine wunderliche geiſtige Zerfahrenheit gerathen, welche ſich durch die auffälligſten Kundgebungen im bürgerlichen Leben verräth, und vielfach mit Jrrſinn oder Selbſtmord der Kartenlegerin endet. 1) Die meiſtens leichthin angeſehenen und daher vernachläſſigten Unterſuchungen gegen ſolche Kartenlegerinnen geben merkwürdige Bilder und Be- weiſe von jener eigenthümlichen geiſtigen Zerfahrenheit, deren Er- kennung zu den intereſſanteſten, aber auch trübſten Erfahrungen auf dem Gebiete polizeilicher Thätigkeit gehört. Zweiundſiebzigſtes Kapitel. δ) Das Schocher-majim. Der weit durch das Volk verbreitete Drang nach poſitiven Grundlagen in der Wahrſagerei griff, bei dem feſten Abſchluß der geheimen Zauberwiſſenſchaften und Künſte, ſchon früh und viel- fach zu den gewöhnlichſten und trivialſten Dingen, und ſanctionirte namentlich die ſo nahe gegebenen Gegenſtände des täglichen Haus- gebrauchs als Mittel zur Erforſchung der Zukunft. Die ſchon erwähnte „Goetie“ Georg Pictor’s gibt treffende Belege dafür. 1) Zu auffällig iſt die Beobachtung, welche bei näherer Aufmerkſamkeit ſich vielleicht auch noch anderweitig beſtätigen wird, daß ich bei den vielen von mir vorgenommenen Leichenbeſichtigungen und Explorationen der Verhält- niſſe weiblicher Selbſtmörder noch kein Frauenzimmer über funfzig Jahre aus den unterſten Volksſchichten gefunden habe, welche nicht Kartenſchlägerin, und deren mindeſtens letzte Lebenszeit nicht von zwar meiſtens bürgerlich tadelfreier, doch entſchieden auffälliger Führung geweſen iſt. Auch war der Tod, meiſtens Waſſertod, faſt immer von höchſt eigenthümlichen myſtiſchen Vorbereitungen begleitet. Entſprechende Erſcheinungen bieten ſich auch noch bei den Quack- ſalbern und Wundärzten dar, von denen Kap. 75 noch weiter geredet werden wird.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/273>, abgerufen am 25.04.2024.