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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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mengelegten Karten stillschweigends von Sieben bis zum Daus
gezählt. Die beim Aufschlagen zutreffenden Blätter werden nach
der Reihenfolge, ohne Unterschied der Farbe, nebeneinander hin-
gelegt, und die übrig gebliebenen Karten immer aufs neue durch-
gezählt und aufgeschlagen, bis alle zweiunddreißig Karten auf-
liegen, worauf nun der Anhalt zur Beantwortung der gestellten
Fragen gegeben ist.

Um dieses Grundthema dreht sich eine Menge willkürlicher
Variationen bis nahe zur völligen Unkenntlichkeit der Grundlage.
Der Anhalt an die alte positive Geltung und Bedeutung der ein-
zelnen Farben und Karten hat noch die ganze Kartenwahrsagerei
aus dem Ruin der zaubermystischen Wissenschaften gerettet, aber
damit auch einen wesentlichen Theil der Zaubermystik selbst auf-
recht erhalten, und somit dem Aberglauben und Betruge das Feld
offen gelassen, auf welchem die Habgier und Thorheit noch im-
mer arg ausgebeutet wird. Aber nicht nur der sittliche und bür-
gerliche Ruin der Betrogenen ist das Beklagenswerthe 1) bei dem
schmählichen Gewerbe: wer in die Verstecke und Geheimnisse
jener Priesterinnen des Aberglaubens näher eingedrungen ist, dem
kann die Wahrnehmung nicht entgangen sein, daß der positive
Anhalt, den jene in der feststehenden Bedeutung der Karten fin-
den, eine so unheimliche Gewalt auf die Jndividualität der Karten-

1) Bei weitem weniger ist der Verlust an Hab und Gut, als die Stö-
rung des gemüthlichen und geistigen Lebens dabei in Anrechnung zu bringen,
welche die viel häufigere und schlimmere Folge der unseligen Propheterei ist.
So wurde noch Ende August 1858 eine Kartenlegerin vom Polizeiamt in
Lübeck gestraft, welche (für Geld) einem jungen Mädchen aus der Nachbar-
schaft (welches hier conditionirte und Braut eines wackern jungen Mannes
war) prophezeit hatte, sie werde fort und auf Reisen gehen müssen, worüber
das lebensfrische beklagenswerthe Geschöpf in Tiefsinn gerieth. Mag es die
unwillkürliche historische Erinnerung oder die eitle Hoffnung von der Zukunft
sein: immer liegt etwas Dämonisches in der Wahrsagerei, das unheimlich faßt
und verderblich wirkt, weshalb man denn auch die Wahrsagerei nicht einmal
im geselligen Scherz treiben, und weshalb man auch die jährlich neu über das
Volk strömende Flut von Wahrsager-, Traum- und Punktirbüchern strenge
überwachen und einschränken sollte.

mengelegten Karten ſtillſchweigends von Sieben bis zum Daus
gezählt. Die beim Aufſchlagen zutreffenden Blätter werden nach
der Reihenfolge, ohne Unterſchied der Farbe, nebeneinander hin-
gelegt, und die übrig gebliebenen Karten immer aufs neue durch-
gezählt und aufgeſchlagen, bis alle zweiunddreißig Karten auf-
liegen, worauf nun der Anhalt zur Beantwortung der geſtellten
Fragen gegeben iſt.

Um dieſes Grundthema dreht ſich eine Menge willkürlicher
Variationen bis nahe zur völligen Unkenntlichkeit der Grundlage.
Der Anhalt an die alte poſitive Geltung und Bedeutung der ein-
zelnen Farben und Karten hat noch die ganze Kartenwahrſagerei
aus dem Ruin der zaubermyſtiſchen Wiſſenſchaften gerettet, aber
damit auch einen weſentlichen Theil der Zaubermyſtik ſelbſt auf-
recht erhalten, und ſomit dem Aberglauben und Betruge das Feld
offen gelaſſen, auf welchem die Habgier und Thorheit noch im-
mer arg ausgebeutet wird. Aber nicht nur der ſittliche und bür-
gerliche Ruin der Betrogenen iſt das Beklagenswerthe 1) bei dem
ſchmählichen Gewerbe: wer in die Verſtecke und Geheimniſſe
jener Prieſterinnen des Aberglaubens näher eingedrungen iſt, dem
kann die Wahrnehmung nicht entgangen ſein, daß der poſitive
Anhalt, den jene in der feſtſtehenden Bedeutung der Karten fin-
den, eine ſo unheimliche Gewalt auf die Jndividualität der Karten-

1) Bei weitem weniger iſt der Verluſt an Hab und Gut, als die Stö-
rung des gemüthlichen und geiſtigen Lebens dabei in Anrechnung zu bringen,
welche die viel häufigere und ſchlimmere Folge der unſeligen Propheterei iſt.
So wurde noch Ende Auguſt 1858 eine Kartenlegerin vom Polizeiamt in
Lübeck geſtraft, welche (für Geld) einem jungen Mädchen aus der Nachbar-
ſchaft (welches hier conditionirte und Braut eines wackern jungen Mannes
war) prophezeit hatte, ſie werde fort und auf Reiſen gehen müſſen, worüber
das lebensfriſche beklagenswerthe Geſchöpf in Tiefſinn gerieth. Mag es die
unwillkürliche hiſtoriſche Erinnerung oder die eitle Hoffnung von der Zukunft
ſein: immer liegt etwas Dämoniſches in der Wahrſagerei, das unheimlich faßt
und verderblich wirkt, weshalb man denn auch die Wahrſagerei nicht einmal
im geſelligen Scherz treiben, und weshalb man auch die jährlich neu über das
Volk ſtrömende Flut von Wahrſager-, Traum- und Punktirbüchern ſtrenge
überwachen und einſchränken ſollte.
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[260/0272] mengelegten Karten ſtillſchweigends von Sieben bis zum Daus gezählt. Die beim Aufſchlagen zutreffenden Blätter werden nach der Reihenfolge, ohne Unterſchied der Farbe, nebeneinander hin- gelegt, und die übrig gebliebenen Karten immer aufs neue durch- gezählt und aufgeſchlagen, bis alle zweiunddreißig Karten auf- liegen, worauf nun der Anhalt zur Beantwortung der geſtellten Fragen gegeben iſt. Um dieſes Grundthema dreht ſich eine Menge willkürlicher Variationen bis nahe zur völligen Unkenntlichkeit der Grundlage. Der Anhalt an die alte poſitive Geltung und Bedeutung der ein- zelnen Farben und Karten hat noch die ganze Kartenwahrſagerei aus dem Ruin der zaubermyſtiſchen Wiſſenſchaften gerettet, aber damit auch einen weſentlichen Theil der Zaubermyſtik ſelbſt auf- recht erhalten, und ſomit dem Aberglauben und Betruge das Feld offen gelaſſen, auf welchem die Habgier und Thorheit noch im- mer arg ausgebeutet wird. Aber nicht nur der ſittliche und bür- gerliche Ruin der Betrogenen iſt das Beklagenswerthe 1) bei dem ſchmählichen Gewerbe: wer in die Verſtecke und Geheimniſſe jener Prieſterinnen des Aberglaubens näher eingedrungen iſt, dem kann die Wahrnehmung nicht entgangen ſein, daß der poſitive Anhalt, den jene in der feſtſtehenden Bedeutung der Karten fin- den, eine ſo unheimliche Gewalt auf die Jndividualität der Karten- 1) Bei weitem weniger iſt der Verluſt an Hab und Gut, als die Stö- rung des gemüthlichen und geiſtigen Lebens dabei in Anrechnung zu bringen, welche die viel häufigere und ſchlimmere Folge der unſeligen Propheterei iſt. So wurde noch Ende Auguſt 1858 eine Kartenlegerin vom Polizeiamt in Lübeck geſtraft, welche (für Geld) einem jungen Mädchen aus der Nachbar- ſchaft (welches hier conditionirte und Braut eines wackern jungen Mannes war) prophezeit hatte, ſie werde fort und auf Reiſen gehen müſſen, worüber das lebensfriſche beklagenswerthe Geſchöpf in Tiefſinn gerieth. Mag es die unwillkürliche hiſtoriſche Erinnerung oder die eitle Hoffnung von der Zukunft ſein: immer liegt etwas Dämoniſches in der Wahrſagerei, das unheimlich faßt und verderblich wirkt, weshalb man denn auch die Wahrſagerei nicht einmal im geſelligen Scherz treiben, und weshalb man auch die jährlich neu über das Volk ſtrömende Flut von Wahrſager-, Traum- und Punktirbüchern ſtrenge überwachen und einſchränken ſollte.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/272>, abgerufen am 26.04.2024.