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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Vierundsiebzigstes Kapitel.
z) Das Sefelgraben.

Jn der scharfen Beobachtung und Erkenntniß der nichtigen
Zaubermystik, sowie der Habgier und Leichtgläubigkeit des Volks,
faßte das Gaunerthum schon frühe die thatsächlich bewiesene
Möglichkeit auf, Schätze zu finden, welche durch Menschenhand
oder von ungefähr verborgen waren. Es bildete das Schatz-
graben als eine eigene, mit kümmerlichen und willkürlichen mysti-
schen Formeln staffirte Wissenschaft aus, welche es selbst in frivoler
Anerkenntniß ihrer Nichtigkeit und ihres Trugs mit dem frechen
Namen des Sefelgrabens 1) bezeichnete. Der Betrug geht auf
die Verleitung der durch den Schatzgräber von dem Dasein eines
Schatzes überredeten und zu dessen Hebung verlockten Personen,
welche zur Lösung des immer unter der Wache Belial's oder eines
bösen Geistes stehenden Schatzes, oft bedeutende Summen Geldes
zusammenschießen müssen, zum Opfern für den Geist, zur Zahlung
eines Honorars für Nachweisung und Hebung des Schatzes und
zur Herbeischaffung nothwendiger geheimnißvoller Zauber- und
Drudenbücher, besonders des Christophelesgebets 2) und der soge-
nannten Weimarischen Bibel von 1505 mit den sieben Büchern

lich. Ebenso mochte wol der Schlüssel eine mystische Allegorie sein für das
Aufschließen der Wahrheit. Erst vor wenig Jahren konnte ich mir in einer
Untersuchung mit vieler Mühe Aufschluß von einer betagten Jnculpatin ver-
schaffen, welche die Sache äußerst ernsthaft und geheimnißvoll behandelte.
1) Von [fremdsprachliches Material - fehlt] (sewel), Mist, Koth, Dreck, chaldäischer im Talmud häufig
gebrauchter Ausdruck, der sehr früh in das Jüdisch-Deutsche und in die deutsche
Gaunersprache übergegangen ist, wie denn auch der Liber Vagatorum und
die "Rotwelsche Grammatik", Kap. 25, schon der Seffer als "gemalt Sie-
chen
" erwähnt, und im "Vocabular" die Ausdrücke Sefel, Sefeln, Sefel-
boß,
anführt, denen die "Rotwelsche Grammatik" noch Sefelgräber als
Schatzgräber beifügt. Specifisch jüdisch-deutsch ist: Mesabel sein und das
auch gaunersprachlich gewordene Sefeln, die Nothdurft verrichten, und Be-
sefeln,
schmuziger Ausdruck für Betrügen. Endlich heißt im Jüdisch-Deutschen
noch Seffel ein schwacher charakterloser Mensch, Pinsel.
2) Mittels der Rufung des heiligen Christoph oder des sogenannten
Vierundſiebzigſtes Kapitel.
ζ) Das Sefelgraben.

Jn der ſcharfen Beobachtung und Erkenntniß der nichtigen
Zaubermyſtik, ſowie der Habgier und Leichtgläubigkeit des Volks,
faßte das Gaunerthum ſchon frühe die thatſächlich bewieſene
Möglichkeit auf, Schätze zu finden, welche durch Menſchenhand
oder von ungefähr verborgen waren. Es bildete das Schatz-
graben als eine eigene, mit kümmerlichen und willkürlichen myſti-
ſchen Formeln ſtaffirte Wiſſenſchaft aus, welche es ſelbſt in frivoler
Anerkenntniß ihrer Nichtigkeit und ihres Trugs mit dem frechen
Namen des Sefelgrabens 1) bezeichnete. Der Betrug geht auf
die Verleitung der durch den Schatzgräber von dem Daſein eines
Schatzes überredeten und zu deſſen Hebung verlockten Perſonen,
welche zur Löſung des immer unter der Wache Belial’s oder eines
böſen Geiſtes ſtehenden Schatzes, oft bedeutende Summen Geldes
zuſammenſchießen müſſen, zum Opfern für den Geiſt, zur Zahlung
eines Honorars für Nachweiſung und Hebung des Schatzes und
zur Herbeiſchaffung nothwendiger geheimnißvoller Zauber- und
Drudenbücher, beſonders des Chriſtophelesgebets 2) und der ſoge-
nannten Weimariſchen Bibel von 1505 mit den ſieben Büchern

lich. Ebenſo mochte wol der Schlüſſel eine myſtiſche Allegorie ſein für das
Aufſchließen der Wahrheit. Erſt vor wenig Jahren konnte ich mir in einer
Unterſuchung mit vieler Mühe Aufſchluß von einer betagten Jnculpatin ver-
ſchaffen, welche die Sache äußerſt ernſthaft und geheimnißvoll behandelte.
1) Von [fremdsprachliches Material – fehlt] (sewel), Miſt, Koth, Dreck, chaldäiſcher im Talmud häufig
gebrauchter Ausdruck, der ſehr früh in das Jüdiſch-Deutſche und in die deutſche
Gaunerſprache übergegangen iſt, wie denn auch der Liber Vagatorum und
die „Rotwelſche Grammatik“, Kap. 25, ſchon der Seffer als „gemalt Sie-
chen
“ erwähnt, und im „Vocabular“ die Ausdrücke Sefel, Sefeln, Sefel-
boß,
anführt, denen die „Rotwelſche Grammatik“ noch Sefelgräber als
Schatzgräber beifügt. Specifiſch jüdiſch-deutſch iſt: Meſabel ſein und das
auch gaunerſprachlich gewordene Sefeln, die Nothdurft verrichten, und Be-
ſefeln,
ſchmuziger Ausdruck für Betrügen. Endlich heißt im Jüdiſch-Deutſchen
noch Seffel ein ſchwacher charakterloſer Menſch, Pinſel.
2) Mittels der Rufung des heiligen Chriſtoph oder des ſogenannten
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[266/0278] Vierundſiebzigſtes Kapitel. ζ) Das Sefelgraben. Jn der ſcharfen Beobachtung und Erkenntniß der nichtigen Zaubermyſtik, ſowie der Habgier und Leichtgläubigkeit des Volks, faßte das Gaunerthum ſchon frühe die thatſächlich bewieſene Möglichkeit auf, Schätze zu finden, welche durch Menſchenhand oder von ungefähr verborgen waren. Es bildete das Schatz- graben als eine eigene, mit kümmerlichen und willkürlichen myſti- ſchen Formeln ſtaffirte Wiſſenſchaft aus, welche es ſelbſt in frivoler Anerkenntniß ihrer Nichtigkeit und ihres Trugs mit dem frechen Namen des Sefelgrabens 1) bezeichnete. Der Betrug geht auf die Verleitung der durch den Schatzgräber von dem Daſein eines Schatzes überredeten und zu deſſen Hebung verlockten Perſonen, welche zur Löſung des immer unter der Wache Belial’s oder eines böſen Geiſtes ſtehenden Schatzes, oft bedeutende Summen Geldes zuſammenſchießen müſſen, zum Opfern für den Geiſt, zur Zahlung eines Honorars für Nachweiſung und Hebung des Schatzes und zur Herbeiſchaffung nothwendiger geheimnißvoller Zauber- und Drudenbücher, beſonders des Chriſtophelesgebets 2) und der ſoge- nannten Weimariſchen Bibel von 1505 mit den ſieben Büchern 1) 1) Von _ (sewel), Miſt, Koth, Dreck, chaldäiſcher im Talmud häufig gebrauchter Ausdruck, der ſehr früh in das Jüdiſch-Deutſche und in die deutſche Gaunerſprache übergegangen iſt, wie denn auch der Liber Vagatorum und die „Rotwelſche Grammatik“, Kap. 25, ſchon der Seffer als „gemalt Sie- chen“ erwähnt, und im „Vocabular“ die Ausdrücke Sefel, Sefeln, Sefel- boß, anführt, denen die „Rotwelſche Grammatik“ noch Sefelgräber als Schatzgräber beifügt. Specifiſch jüdiſch-deutſch iſt: Meſabel ſein und das auch gaunerſprachlich gewordene Sefeln, die Nothdurft verrichten, und Be- ſefeln, ſchmuziger Ausdruck für Betrügen. Endlich heißt im Jüdiſch-Deutſchen noch Seffel ein ſchwacher charakterloſer Menſch, Pinſel. 2) Mittels der Rufung des heiligen Chriſtoph oder des ſogenannten 1) lich. Ebenſo mochte wol der Schlüſſel eine myſtiſche Allegorie ſein für das Aufſchließen der Wahrheit. Erſt vor wenig Jahren konnte ich mir in einer Unterſuchung mit vieler Mühe Aufſchluß von einer betagten Jnculpatin ver- ſchaffen, welche die Sache äußerſt ernſthaft und geheimnißvoll behandelte.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/278>, abgerufen am 28.03.2024.