Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

nur der rohe ungebildete Haufe, sondern auch eine große Zahl
aus den sogenannten gebildeten Ständen noch immer seine Zu-
flucht nimmt.

Während so die Scharfrichter, Viehärzte und Hirten noch
immer die stabilen Vertreter der Quacksalberei sind, bilden die als
Olitätenhändler, Leichdornschneider, Zahnärzte, Jäger, Kammer-
jäger u. dgl. umherziehenden Rochlim die ambulante Jüngerschaft.
Nicht nur werden überhaupt ohne alle richtige Kenntniß der von
den Leidenden dargestellten Krankheit, und der Eigenschaft und
Wirkung der vom Händler dafür gegebenen Mittel, die gefähr-
lichsten drastischen Medicamente verkauft: es werden oft sogar
äußerliche Mittel als innerliche gegeben. Der auf die Unwissen-
heit und den Aberglauben des Volks sich stützende Betrug gibt
auch für schweres Geld häufig die nichtswürdigsten und ekelhaf-
testen Mittel, wie Seifenwasser mit Sandelholz gefärbt "zum
Reinigen des Geblüts", wie auch eben dazu Branntwein mit
Blaustein oder Guyak-, oder Franzosenholz oder Nägelein; ferner
mit einem Stück Placenta uterina gekochtes Bier zur Ordnung
der Menses; Hunde- und Katzenfett, Pillen und Latwergen aus
den ekelhaftesten Sachen 1), von denen man nur dann den rech-
ten Begriff bekommt, wenn man den Arzneikasten oder die Nieder-
lage eines Rauchel genau untersuchen läßt.

Die lediglich von den Droguisten und Materialisten, und aus
alten medicinischen und Zauberbüchern -- wie z. B. dem früher auf
allen Jahrmärkten feilgebotenen, bei Scheible, "Kloster", Bd. 3,
Abth. 2, S. 489 fg., abgedruckten Romanus-Büchlein -- in der
Heilkunst zunächst unterrichteten Rochlim bieten aber noch dadurch
eine desto gefährlichere Erscheinung dar, daß sie nach und nach
in den Besitz einer Menge roher und zusammenhangloser wissen-
schaftlicher Formeln und Floskeln gelangen, deren Geläufigkeit

1) Z. B. drei Pillen von Brotteig mit drei lebendigen Läusen gegen
das kalte Fieber; auf gedörrte Hundeexcremente abgezogenes Gurgelwasser,
welche Mittel in Norddeutschland (wie in Rußland) beim Volke sehr ange-
sehen sind.

nur der rohe ungebildete Haufe, ſondern auch eine große Zahl
aus den ſogenannten gebildeten Ständen noch immer ſeine Zu-
flucht nimmt.

Während ſo die Scharfrichter, Viehärzte und Hirten noch
immer die ſtabilen Vertreter der Quackſalberei ſind, bilden die als
Olitätenhändler, Leichdornſchneider, Zahnärzte, Jäger, Kammer-
jäger u. dgl. umherziehenden Rochlim die ambulante Jüngerſchaft.
Nicht nur werden überhaupt ohne alle richtige Kenntniß der von
den Leidenden dargeſtellten Krankheit, und der Eigenſchaft und
Wirkung der vom Händler dafür gegebenen Mittel, die gefähr-
lichſten draſtiſchen Medicamente verkauft: es werden oft ſogar
äußerliche Mittel als innerliche gegeben. Der auf die Unwiſſen-
heit und den Aberglauben des Volks ſich ſtützende Betrug gibt
auch für ſchweres Geld häufig die nichtswürdigſten und ekelhaf-
teſten Mittel, wie Seifenwaſſer mit Sandelholz gefärbt „zum
Reinigen des Geblüts“, wie auch eben dazu Branntwein mit
Blauſtein oder Guyak-, oder Franzoſenholz oder Nägelein; ferner
mit einem Stück Placenta uterina gekochtes Bier zur Ordnung
der Menses; Hunde- und Katzenfett, Pillen und Latwergen aus
den ekelhafteſten Sachen 1), von denen man nur dann den rech-
ten Begriff bekommt, wenn man den Arzneikaſten oder die Nieder-
lage eines Rauchel genau unterſuchen läßt.

Die lediglich von den Droguiſten und Materialiſten, und aus
alten mediciniſchen und Zauberbüchern — wie z. B. dem früher auf
allen Jahrmärkten feilgebotenen, bei Scheible, „Kloſter“, Bd. 3,
Abth. 2, S. 489 fg., abgedruckten Romanus-Büchlein — in der
Heilkunſt zunächſt unterrichteten Rochlim bieten aber noch dadurch
eine deſto gefährlichere Erſcheinung dar, daß ſie nach und nach
in den Beſitz einer Menge roher und zuſammenhangloſer wiſſen-
ſchaftlicher Formeln und Floskeln gelangen, deren Geläufigkeit

1) Z. B. drei Pillen von Brotteig mit drei lebendigen Läuſen gegen
das kalte Fieber; auf gedörrte Hundeexcremente abgezogenes Gurgelwaſſer,
welche Mittel in Norddeutſchland (wie in Rußland) beim Volke ſehr ange-
ſehen ſind.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0284" n="272"/>
nur der rohe ungebildete Haufe, &#x017F;ondern auch eine große Zahl<lb/>
aus den &#x017F;ogenannten gebildeten Ständen noch immer &#x017F;eine Zu-<lb/>
flucht nimmt.</p><lb/>
              <p>Während &#x017F;o die Scharfrichter, Viehärzte und Hirten noch<lb/>
immer die &#x017F;tabilen Vertreter der Quack&#x017F;alberei &#x017F;ind, bilden die als<lb/>
Olitätenhändler, Leichdorn&#x017F;chneider, Zahnärzte, Jäger, Kammer-<lb/>
jäger u. dgl. umherziehenden Rochlim die ambulante Jünger&#x017F;chaft.<lb/>
Nicht nur werden überhaupt ohne alle richtige Kenntniß der von<lb/>
den Leidenden darge&#x017F;tellten Krankheit, und der Eigen&#x017F;chaft und<lb/>
Wirkung der vom Händler dafür gegebenen Mittel, die gefähr-<lb/>
lich&#x017F;ten dra&#x017F;ti&#x017F;chen Medicamente verkauft: es werden oft &#x017F;ogar<lb/>
äußerliche Mittel als innerliche gegeben. Der auf die Unwi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
heit und den Aberglauben des Volks &#x017F;ich &#x017F;tützende Betrug gibt<lb/>
auch für &#x017F;chweres Geld häufig die nichtswürdig&#x017F;ten und ekelhaf-<lb/>
te&#x017F;ten Mittel, wie Seifenwa&#x017F;&#x017F;er mit Sandelholz gefärbt &#x201E;zum<lb/>
Reinigen des Geblüts&#x201C;, wie auch eben dazu Branntwein mit<lb/>
Blau&#x017F;tein oder Guyak-, oder Franzo&#x017F;enholz oder Nägelein; ferner<lb/>
mit einem Stück <hi rendition="#aq">Placenta uterina</hi> gekochtes Bier zur Ordnung<lb/>
der <hi rendition="#aq">Menses;</hi> Hunde- und Katzenfett, Pillen und Latwergen aus<lb/>
den ekelhafte&#x017F;ten Sachen <note place="foot" n="1)">Z. B. drei Pillen von Brotteig mit drei lebendigen Läu&#x017F;en gegen<lb/>
das kalte Fieber; auf gedörrte Hundeexcremente abgezogenes Gurgelwa&#x017F;&#x017F;er,<lb/>
welche Mittel in Norddeut&#x017F;chland (wie in Rußland) beim Volke &#x017F;ehr ange-<lb/>
&#x017F;ehen &#x017F;ind.</note>, von denen man nur dann den rech-<lb/>
ten Begriff bekommt, wenn man den Arzneika&#x017F;ten oder die Nieder-<lb/>
lage eines Rauchel genau unter&#x017F;uchen läßt.</p><lb/>
              <p>Die lediglich von den Drogui&#x017F;ten und Materiali&#x017F;ten, und aus<lb/>
alten medicini&#x017F;chen und Zauberbüchern &#x2014; wie z. B. dem früher auf<lb/>
allen Jahrmärkten feilgebotenen, bei Scheible, &#x201E;Klo&#x017F;ter&#x201C;, Bd. 3,<lb/>
Abth. 2, S. 489 fg., abgedruckten Romanus-Büchlein &#x2014; in der<lb/>
Heilkun&#x017F;t zunäch&#x017F;t unterrichteten Rochlim bieten aber noch dadurch<lb/>
eine de&#x017F;to gefährlichere Er&#x017F;cheinung dar, daß &#x017F;ie nach und nach<lb/>
in den Be&#x017F;itz einer Menge roher und zu&#x017F;ammenhanglo&#x017F;er wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftlicher Formeln und Floskeln gelangen, deren Geläufigkeit<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0284] nur der rohe ungebildete Haufe, ſondern auch eine große Zahl aus den ſogenannten gebildeten Ständen noch immer ſeine Zu- flucht nimmt. Während ſo die Scharfrichter, Viehärzte und Hirten noch immer die ſtabilen Vertreter der Quackſalberei ſind, bilden die als Olitätenhändler, Leichdornſchneider, Zahnärzte, Jäger, Kammer- jäger u. dgl. umherziehenden Rochlim die ambulante Jüngerſchaft. Nicht nur werden überhaupt ohne alle richtige Kenntniß der von den Leidenden dargeſtellten Krankheit, und der Eigenſchaft und Wirkung der vom Händler dafür gegebenen Mittel, die gefähr- lichſten draſtiſchen Medicamente verkauft: es werden oft ſogar äußerliche Mittel als innerliche gegeben. Der auf die Unwiſſen- heit und den Aberglauben des Volks ſich ſtützende Betrug gibt auch für ſchweres Geld häufig die nichtswürdigſten und ekelhaf- teſten Mittel, wie Seifenwaſſer mit Sandelholz gefärbt „zum Reinigen des Geblüts“, wie auch eben dazu Branntwein mit Blauſtein oder Guyak-, oder Franzoſenholz oder Nägelein; ferner mit einem Stück Placenta uterina gekochtes Bier zur Ordnung der Menses; Hunde- und Katzenfett, Pillen und Latwergen aus den ekelhafteſten Sachen 1), von denen man nur dann den rech- ten Begriff bekommt, wenn man den Arzneikaſten oder die Nieder- lage eines Rauchel genau unterſuchen läßt. Die lediglich von den Droguiſten und Materialiſten, und aus alten mediciniſchen und Zauberbüchern — wie z. B. dem früher auf allen Jahrmärkten feilgebotenen, bei Scheible, „Kloſter“, Bd. 3, Abth. 2, S. 489 fg., abgedruckten Romanus-Büchlein — in der Heilkunſt zunächſt unterrichteten Rochlim bieten aber noch dadurch eine deſto gefährlichere Erſcheinung dar, daß ſie nach und nach in den Beſitz einer Menge roher und zuſammenhangloſer wiſſen- ſchaftlicher Formeln und Floskeln gelangen, deren Geläufigkeit 1) Z. B. drei Pillen von Brotteig mit drei lebendigen Läuſen gegen das kalte Fieber; auf gedörrte Hundeexcremente abgezogenes Gurgelwaſſer, welche Mittel in Norddeutſchland (wie in Rußland) beim Volke ſehr ange- ſehen ſind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/284
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/284>, abgerufen am 24.11.2024.