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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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marktschreierische Quacksalberei betreiben durften 1), Stadt und Land
mit ihren schlechten und schädlichen Medicamenten überschwemm-
ten 2), und nicht nur mit innern und äußern Mitteln, sondern
auch mit sympathetischen Curen die leichtgläubige Menge betrogen.

Mit den scharfen Verboten der neuern Zeit trat auch die
Medicinalpolizei als aufklärende Wissenschaft zur Bekämpfung des
vom Betruge mit den verderblichsten Folgen für das physische
und moralische Wohl des Bürgerthums verbreiteten und ausge-
beuteten schweren Uebels rasch und kräftig hervor. Doch ist diese
Wissenschaft noch zu neu, als daß sie schon, wie noth ist, ganz
populär sein könnte, um namentlich dem leicht zu betrügenden
und noch immer viel und arg betrogenen Landmanne hinreichend
Aufklärung und Schutz zu gewähren. Die Apotheken sind überall
einer weisen und strengen Controle unterworfen. Dagegen aber
fallen in dem stets seine volle Freiheit beanspruchenden Handel
die ärgsten Excesse gegen die Medicinalpolizei vor, und besonders
sind es jetzt die Droguisten und Materialisten, welche unter dem
Banner und Schutz des Handels ihre Waaren und Präparate
in Massen an Hausirer absetzen, welche damit in geheimem und
offenem Hausirhandel das alte Unheil immer wieder von neuem
verbreiten. Dazu kommt noch der äußerst fühlbare Mangel einer
Veterinärpharmakopöe und einer strengen Aufsicht der Veterinär-
praxis, welche in ihrem jetzigen Zustande noch immer nicht ver-
hindert, daß Scharfrichter und Schinder mit denselben Recepten,
mit denen sie das Vieh behandeln, auch wahre Pferdecuren mit
der ihnen zahlreich zuströmenden Menschenmenge vornehmen kön-
nen. Unglaublich groß ist das Ansehen und die Praxis solcher
Scharfrichter, nicht allein als Heilkünstler, sondern auch als Be-
sitzer geheimer sympathetischer und Zaubermittel, zu denen nicht

1) Vgl. Schäffer, "Abriß" S. 84 fg.
2) Die Medicamente bestanden gewöhnlich aus: Terpentin, Theriak, Skor-
pionöl, Glieder-, Lebens- und Nägelensbalsam, Schwefelbalsam, Magen-
tropfen, grüner, schwarzer und gelber Waldsalbe, allerlei Pulvern von Minium,
Blaustein und Gorcum, verschiedenen Wurzeln, Assa foetida, Rauch-
kerzen u. dgl.

marktſchreieriſche Quackſalberei betreiben durften 1), Stadt und Land
mit ihren ſchlechten und ſchädlichen Medicamenten überſchwemm-
ten 2), und nicht nur mit innern und äußern Mitteln, ſondern
auch mit ſympathetiſchen Curen die leichtgläubige Menge betrogen.

Mit den ſcharfen Verboten der neuern Zeit trat auch die
Medicinalpolizei als aufklärende Wiſſenſchaft zur Bekämpfung des
vom Betruge mit den verderblichſten Folgen für das phyſiſche
und moraliſche Wohl des Bürgerthums verbreiteten und ausge-
beuteten ſchweren Uebels raſch und kräftig hervor. Doch iſt dieſe
Wiſſenſchaft noch zu neu, als daß ſie ſchon, wie noth iſt, ganz
populär ſein könnte, um namentlich dem leicht zu betrügenden
und noch immer viel und arg betrogenen Landmanne hinreichend
Aufklärung und Schutz zu gewähren. Die Apotheken ſind überall
einer weiſen und ſtrengen Controle unterworfen. Dagegen aber
fallen in dem ſtets ſeine volle Freiheit beanſpruchenden Handel
die ärgſten Exceſſe gegen die Medicinalpolizei vor, und beſonders
ſind es jetzt die Droguiſten und Materialiſten, welche unter dem
Banner und Schutz des Handels ihre Waaren und Präparate
in Maſſen an Hauſirer abſetzen, welche damit in geheimem und
offenem Hauſirhandel das alte Unheil immer wieder von neuem
verbreiten. Dazu kommt noch der äußerſt fühlbare Mangel einer
Veterinärpharmakopöe und einer ſtrengen Aufſicht der Veterinär-
praxis, welche in ihrem jetzigen Zuſtande noch immer nicht ver-
hindert, daß Scharfrichter und Schinder mit denſelben Recepten,
mit denen ſie das Vieh behandeln, auch wahre Pferdecuren mit
der ihnen zahlreich zuſtrömenden Menſchenmenge vornehmen kön-
nen. Unglaublich groß iſt das Anſehen und die Praxis ſolcher
Scharfrichter, nicht allein als Heilkünſtler, ſondern auch als Be-
ſitzer geheimer ſympathetiſcher und Zaubermittel, zu denen nicht

1) Vgl. Schäffer, „Abriß“ S. 84 fg.
2) Die Medicamente beſtanden gewöhnlich aus: Terpentin, Theriak, Skor-
pionöl, Glieder-, Lebens- und Nägelensbalſam, Schwefelbalſam, Magen-
tropfen, grüner, ſchwarzer und gelber Waldſalbe, allerlei Pulvern von Minium,
Blauſtein und Gorcum, verſchiedenen Wurzeln, Assa foetida, Rauch-
kerzen u. dgl.
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[271/0283] marktſchreieriſche Quackſalberei betreiben durften 1), Stadt und Land mit ihren ſchlechten und ſchädlichen Medicamenten überſchwemm- ten 2), und nicht nur mit innern und äußern Mitteln, ſondern auch mit ſympathetiſchen Curen die leichtgläubige Menge betrogen. Mit den ſcharfen Verboten der neuern Zeit trat auch die Medicinalpolizei als aufklärende Wiſſenſchaft zur Bekämpfung des vom Betruge mit den verderblichſten Folgen für das phyſiſche und moraliſche Wohl des Bürgerthums verbreiteten und ausge- beuteten ſchweren Uebels raſch und kräftig hervor. Doch iſt dieſe Wiſſenſchaft noch zu neu, als daß ſie ſchon, wie noth iſt, ganz populär ſein könnte, um namentlich dem leicht zu betrügenden und noch immer viel und arg betrogenen Landmanne hinreichend Aufklärung und Schutz zu gewähren. Die Apotheken ſind überall einer weiſen und ſtrengen Controle unterworfen. Dagegen aber fallen in dem ſtets ſeine volle Freiheit beanſpruchenden Handel die ärgſten Exceſſe gegen die Medicinalpolizei vor, und beſonders ſind es jetzt die Droguiſten und Materialiſten, welche unter dem Banner und Schutz des Handels ihre Waaren und Präparate in Maſſen an Hauſirer abſetzen, welche damit in geheimem und offenem Hauſirhandel das alte Unheil immer wieder von neuem verbreiten. Dazu kommt noch der äußerſt fühlbare Mangel einer Veterinärpharmakopöe und einer ſtrengen Aufſicht der Veterinär- praxis, welche in ihrem jetzigen Zuſtande noch immer nicht ver- hindert, daß Scharfrichter und Schinder mit denſelben Recepten, mit denen ſie das Vieh behandeln, auch wahre Pferdecuren mit der ihnen zahlreich zuſtrömenden Menſchenmenge vornehmen kön- nen. Unglaublich groß iſt das Anſehen und die Praxis ſolcher Scharfrichter, nicht allein als Heilkünſtler, ſondern auch als Be- ſitzer geheimer ſympathetiſcher und Zaubermittel, zu denen nicht 1) Vgl. Schäffer, „Abriß“ S. 84 fg. 2) Die Medicamente beſtanden gewöhnlich aus: Terpentin, Theriak, Skor- pionöl, Glieder-, Lebens- und Nägelensbalſam, Schwefelbalſam, Magen- tropfen, grüner, ſchwarzer und gelber Waldſalbe, allerlei Pulvern von Minium, Blauſtein und Gorcum, verſchiedenen Wurzeln, Assa foetida, Rauch- kerzen u. dgl.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/283>, abgerufen am 28.03.2024.