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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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der Menge die markirten Treffer geschickt aus dem Glückstopf zu
holen, und dafür wiederum beim Eingreifen eine Menge Nieten
in den Glückstopf zu prakticiren wissen, wie denn überhaupt die
gesammte Taschenspielerei gerade in den Glücksbuden am ärgsten
ihr verstecktes Wesen treibt.

Der Verkehr auf den Jahrmärkten und vor allem das stabile
Wirthshausleben, welchem leider die untern Stände bei weitem
mehr verfallen sind, als die höhern, fördert die Berührung des
Gaunerthums mit dem Bürgerthum in immer umfangreichere[r]
und bedenklicherer Weise. Es gibt kaum ein Spiel in den Wirths-
häusern, bei welchem das Gaunerthum mit seinem Betruge sich
nicht einzudrängen gewußt hätte. Die Habsucht der Wirthe wird
von den Betrügern durch eine starke Zeche, hohes Spielgeld und
einen erklecklichen Antheil am Gewinn befriedigt, und somit der
schon so sehr verfärbte, alte, hospitale, schützende und gemüthliche
Charakter des Wirthsthums mehr und mehr, bis zur gänzlichen
Ausmärzung verdorben. Wenn es Wirthe genug gibt, welche jede
Art gezinkter und gemollter Karten, gefälschte Würfel und sogar
falsche Wurfkugeln beim Kegelspiel 1) u. dgl. zur Hand haben, so
wird dadurch die Aufgabe der ahnenden oder wissenden Polizei
ungemein groß, schwierig und undankbar. Der Bürger sollte aber
bei dem Ernste der Sache nicht über "Verkümmerung seines un-
schuldigen Vergnügens und seiner harmlosen Erholung" sich be-

1) Selbst das so harmlose Kegelspiel wird, im Einverständnisse mit dem
Wirthe, von den Gaunern ausgebeutet, welche das Niveau der Bahn und alle
ihre Unregelmäßigkeiten genau kennen. Dabei halten sich manche Wirthe auch
eine oder ein paar Kugeln, welche an einer Seite ausgehöhlt und mit etwa
einem Pfund Blei ausgegossen sind. Nur dann, wenn die den Gaunern be-
kannte Bleistelle genau in der Mitte, oben oder unten, beim Wurfe gefaßt
wird, ist der Wurf sicher, während unausbleiblich ein Fehlwurf kommt, sobald
die Stelle beim Wurfe zur Seite sich befindet. Die Hauptperson ist jedoch
der mit dem Gauner einverstandene Aufsetzer, der unter Begünstigung des
blendenden Sonnenscheins oder eines Schlagschattens, vorzüglich abends beim
Lichte, die Kegel für jene sehr locker, oder schief, auf Bindfaden, und ungenau
auf die eisernen Spiegelstellen, oder für die Gegner einen schweren Reserve-
kegel an die Vorderecke setzen kann.

der Menge die markirten Treffer geſchickt aus dem Glückstopf zu
holen, und dafür wiederum beim Eingreifen eine Menge Nieten
in den Glückstopf zu prakticiren wiſſen, wie denn überhaupt die
geſammte Taſchenſpielerei gerade in den Glücksbuden am ärgſten
ihr verſtecktes Weſen treibt.

Der Verkehr auf den Jahrmärkten und vor allem das ſtabile
Wirthshausleben, welchem leider die untern Stände bei weitem
mehr verfallen ſind, als die höhern, fördert die Berührung des
Gaunerthums mit dem Bürgerthum in immer umfangreichere[r]
und bedenklicherer Weiſe. Es gibt kaum ein Spiel in den Wirths-
häuſern, bei welchem das Gaunerthum mit ſeinem Betruge ſich
nicht einzudrängen gewußt hätte. Die Habſucht der Wirthe wird
von den Betrügern durch eine ſtarke Zeche, hohes Spielgeld und
einen erklecklichen Antheil am Gewinn befriedigt, und ſomit der
ſchon ſo ſehr verfärbte, alte, hospitale, ſchützende und gemüthliche
Charakter des Wirthsthums mehr und mehr, bis zur gänzlichen
Ausmärzung verdorben. Wenn es Wirthe genug gibt, welche jede
Art gezinkter und gemollter Karten, gefälſchte Würfel und ſogar
falſche Wurfkugeln beim Kegelſpiel 1) u. dgl. zur Hand haben, ſo
wird dadurch die Aufgabe der ahnenden oder wiſſenden Polizei
ungemein groß, ſchwierig und undankbar. Der Bürger ſollte aber
bei dem Ernſte der Sache nicht über „Verkümmerung ſeines un-
ſchuldigen Vergnügens und ſeiner harmloſen Erholung“ ſich be-

1) Selbſt das ſo harmloſe Kegelſpiel wird, im Einverſtändniſſe mit dem
Wirthe, von den Gaunern ausgebeutet, welche das Niveau der Bahn und alle
ihre Unregelmäßigkeiten genau kennen. Dabei halten ſich manche Wirthe auch
eine oder ein paar Kugeln, welche an einer Seite ausgehöhlt und mit etwa
einem Pfund Blei ausgegoſſen ſind. Nur dann, wenn die den Gaunern be-
kannte Bleiſtelle genau in der Mitte, oben oder unten, beim Wurfe gefaßt
wird, iſt der Wurf ſicher, während unausbleiblich ein Fehlwurf kommt, ſobald
die Stelle beim Wurfe zur Seite ſich befindet. Die Hauptperſon iſt jedoch
der mit dem Gauner einverſtandene Aufſetzer, der unter Begünſtigung des
blendenden Sonnenſcheins oder eines Schlagſchattens, vorzüglich abends beim
Lichte, die Kegel für jene ſehr locker, oder ſchief, auf Bindfaden, und ungenau
auf die eiſernen Spiegelſtellen, oder für die Gegner einen ſchweren Reſerve-
kegel an die Vorderecke ſetzen kann.
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[293/0305] der Menge die markirten Treffer geſchickt aus dem Glückstopf zu holen, und dafür wiederum beim Eingreifen eine Menge Nieten in den Glückstopf zu prakticiren wiſſen, wie denn überhaupt die geſammte Taſchenſpielerei gerade in den Glücksbuden am ärgſten ihr verſtecktes Weſen treibt. Der Verkehr auf den Jahrmärkten und vor allem das ſtabile Wirthshausleben, welchem leider die untern Stände bei weitem mehr verfallen ſind, als die höhern, fördert die Berührung des Gaunerthums mit dem Bürgerthum in immer umfangreicherer und bedenklicherer Weiſe. Es gibt kaum ein Spiel in den Wirths- häuſern, bei welchem das Gaunerthum mit ſeinem Betruge ſich nicht einzudrängen gewußt hätte. Die Habſucht der Wirthe wird von den Betrügern durch eine ſtarke Zeche, hohes Spielgeld und einen erklecklichen Antheil am Gewinn befriedigt, und ſomit der ſchon ſo ſehr verfärbte, alte, hospitale, ſchützende und gemüthliche Charakter des Wirthsthums mehr und mehr, bis zur gänzlichen Ausmärzung verdorben. Wenn es Wirthe genug gibt, welche jede Art gezinkter und gemollter Karten, gefälſchte Würfel und ſogar falſche Wurfkugeln beim Kegelſpiel 1) u. dgl. zur Hand haben, ſo wird dadurch die Aufgabe der ahnenden oder wiſſenden Polizei ungemein groß, ſchwierig und undankbar. Der Bürger ſollte aber bei dem Ernſte der Sache nicht über „Verkümmerung ſeines un- ſchuldigen Vergnügens und ſeiner harmloſen Erholung“ ſich be- 1) Selbſt das ſo harmloſe Kegelſpiel wird, im Einverſtändniſſe mit dem Wirthe, von den Gaunern ausgebeutet, welche das Niveau der Bahn und alle ihre Unregelmäßigkeiten genau kennen. Dabei halten ſich manche Wirthe auch eine oder ein paar Kugeln, welche an einer Seite ausgehöhlt und mit etwa einem Pfund Blei ausgegoſſen ſind. Nur dann, wenn die den Gaunern be- kannte Bleiſtelle genau in der Mitte, oben oder unten, beim Wurfe gefaßt wird, iſt der Wurf ſicher, während unausbleiblich ein Fehlwurf kommt, ſobald die Stelle beim Wurfe zur Seite ſich befindet. Die Hauptperſon iſt jedoch der mit dem Gauner einverſtandene Aufſetzer, der unter Begünſtigung des blendenden Sonnenſcheins oder eines Schlagſchattens, vorzüglich abends beim Lichte, die Kegel für jene ſehr locker, oder ſchief, auf Bindfaden, und ungenau auf die eiſernen Spiegelſtellen, oder für die Gegner einen ſchweren Reſerve- kegel an die Vorderecke ſetzen kann.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/305>, abgerufen am 25.04.2024.