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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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wenig bei entstandenem Verdacht entscheidend sein darf, ob der
Verdächtige Schreiber von Fach ist oder nicht.

Das Fleppenmelochnen oder Kassiwemelochnen 1) ist die im
eigenen Jnteresse oder im Jnteresse dritter Personen entweder ganz
oder theilweise auf künstliche Art vorgenommene Aenderung oder
Tilgung des ursprünglichen Wortlautes oder Jnhaltes eines Do-
cuments (Fleppe). Die Documente können wiederum entweder
öffentliche, d. h. von einer öffentlichen Behörde ausgestellte
Urkunden, oder private, d. h. von Privatpersonen ausgestellte
Urkunden sein, wie Wechsel, Contracte, Schenkungen u. s. w.
Für die Gaunertechnik kommt jedoch dieser Unterschied nicht in
Betracht. Wichtiger ist die Unterscheidung zwischen allgemeinen
und partiellen Fälschungen, je nachdem dieselben den ganzen
Jnhalt oder nur einzelne Stellen eines Documents betreffen.

Vorweg ist zu bemerken, daß alles Papier, dessen man sich
zum Schreiben bedient, geleimt ist. Von dem sogenannten
Hand- oder Formenpapier wird jeder einzelne Bogen in eine
dünne Auflösung von Thierleim getaucht. Das sogenannte Ma-
schinenpapier wird schon bei der Mischung des sogenannten Zeugs
mit Stärke, Alaun und einer harzigen Seife leimig gemacht.
Deshalb kann der Leim aus dem Handpapier leichter als aus
dem Maschinenpapier ausgewaschen werden. Auch kann der Leim
im Handpapier ersetzt werden, nicht aber im Maschinenpapier. 2)

schriften ganz aufgeben, und zur festen Regel machen, die Namensunterschriften,
mit voller Beibehaltung der graphischen Eigenthümlichkeit, leserlich deutlich
zu schreiben, da sie sich so bei weitem schwerer nachahmen lassen, als das künst-
lichste Geschnörkel, und, falls nachgeahmt, doch leichter als Fälschung zu
charakterisiren sind.
1) Vgl. die Etymologie, Kap. 27 und 31. Von Kassiwer sind die Verstüm-
melungen Korsiwe und Korsiwerei jetzt die üblichsten, namentlich in der
Bedeutung von Paß und Wanderbuch.
2) Eben in diesem Umstande liegt, nach Westrumb, a. a. O., I, 319,
auch der Grund, weshalb jede durch Auswaschen des Maschinenpapiers her-
vorgebrachte Veränderung ungleich leichter sich nachweisen läßt, als dies beim
Handpapier der Fall ist. Mag nämlich die gewaschene Stelle mit einem
harzigen Leime wieder überleimt, oder dieselbe mit Gallertleim überleimt sein,

wenig bei entſtandenem Verdacht entſcheidend ſein darf, ob der
Verdächtige Schreiber von Fach iſt oder nicht.

Das Fleppenmelochnen oder Kaſſiwemelochnen 1) iſt die im
eigenen Jntereſſe oder im Jntereſſe dritter Perſonen entweder ganz
oder theilweiſe auf künſtliche Art vorgenommene Aenderung oder
Tilgung des urſprünglichen Wortlautes oder Jnhaltes eines Do-
cuments (Fleppe). Die Documente können wiederum entweder
öffentliche, d. h. von einer öffentlichen Behörde ausgeſtellte
Urkunden, oder private, d. h. von Privatperſonen ausgeſtellte
Urkunden ſein, wie Wechſel, Contracte, Schenkungen u. ſ. w.
Für die Gaunertechnik kommt jedoch dieſer Unterſchied nicht in
Betracht. Wichtiger iſt die Unterſcheidung zwiſchen allgemeinen
und partiellen Fälſchungen, je nachdem dieſelben den ganzen
Jnhalt oder nur einzelne Stellen eines Documents betreffen.

Vorweg iſt zu bemerken, daß alles Papier, deſſen man ſich
zum Schreiben bedient, geleimt iſt. Von dem ſogenannten
Hand- oder Formenpapier wird jeder einzelne Bogen in eine
dünne Auflöſung von Thierleim getaucht. Das ſogenannte Ma-
ſchinenpapier wird ſchon bei der Miſchung des ſogenannten Zeugs
mit Stärke, Alaun und einer harzigen Seife leimig gemacht.
Deshalb kann der Leim aus dem Handpapier leichter als aus
dem Maſchinenpapier ausgewaſchen werden. Auch kann der Leim
im Handpapier erſetzt werden, nicht aber im Maſchinenpapier. 2)

ſchriften ganz aufgeben, und zur feſten Regel machen, die Namensunterſchriften,
mit voller Beibehaltung der graphiſchen Eigenthümlichkeit, leſerlich deutlich
zu ſchreiben, da ſie ſich ſo bei weitem ſchwerer nachahmen laſſen, als das künſt-
lichſte Geſchnörkel, und, falls nachgeahmt, doch leichter als Fälſchung zu
charakteriſiren ſind.
1) Vgl. die Etymologie, Kap. 27 und 31. Von Kaſſiwer ſind die Verſtüm-
melungen Korſiwe und Korſiwerei jetzt die üblichſten, namentlich in der
Bedeutung von Paß und Wanderbuch.
2) Eben in dieſem Umſtande liegt, nach Weſtrumb, a. a. O., I, 319,
auch der Grund, weshalb jede durch Auswaſchen des Maſchinenpapiers her-
vorgebrachte Veränderung ungleich leichter ſich nachweiſen läßt, als dies beim
Handpapier der Fall iſt. Mag nämlich die gewaſchene Stelle mit einem
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[300/0312] wenig bei entſtandenem Verdacht entſcheidend ſein darf, ob der Verdächtige Schreiber von Fach iſt oder nicht. Das Fleppenmelochnen oder Kaſſiwemelochnen 1) iſt die im eigenen Jntereſſe oder im Jntereſſe dritter Perſonen entweder ganz oder theilweiſe auf künſtliche Art vorgenommene Aenderung oder Tilgung des urſprünglichen Wortlautes oder Jnhaltes eines Do- cuments (Fleppe). Die Documente können wiederum entweder öffentliche, d. h. von einer öffentlichen Behörde ausgeſtellte Urkunden, oder private, d. h. von Privatperſonen ausgeſtellte Urkunden ſein, wie Wechſel, Contracte, Schenkungen u. ſ. w. Für die Gaunertechnik kommt jedoch dieſer Unterſchied nicht in Betracht. Wichtiger iſt die Unterſcheidung zwiſchen allgemeinen und partiellen Fälſchungen, je nachdem dieſelben den ganzen Jnhalt oder nur einzelne Stellen eines Documents betreffen. Vorweg iſt zu bemerken, daß alles Papier, deſſen man ſich zum Schreiben bedient, geleimt iſt. Von dem ſogenannten Hand- oder Formenpapier wird jeder einzelne Bogen in eine dünne Auflöſung von Thierleim getaucht. Das ſogenannte Ma- ſchinenpapier wird ſchon bei der Miſchung des ſogenannten Zeugs mit Stärke, Alaun und einer harzigen Seife leimig gemacht. Deshalb kann der Leim aus dem Handpapier leichter als aus dem Maſchinenpapier ausgewaſchen werden. Auch kann der Leim im Handpapier erſetzt werden, nicht aber im Maſchinenpapier. 2) 1) 1) Vgl. die Etymologie, Kap. 27 und 31. Von Kaſſiwer ſind die Verſtüm- melungen Korſiwe und Korſiwerei jetzt die üblichſten, namentlich in der Bedeutung von Paß und Wanderbuch. 2) Eben in dieſem Umſtande liegt, nach Weſtrumb, a. a. O., I, 319, auch der Grund, weshalb jede durch Auswaſchen des Maſchinenpapiers her- vorgebrachte Veränderung ungleich leichter ſich nachweiſen läßt, als dies beim Handpapier der Fall iſt. Mag nämlich die gewaſchene Stelle mit einem harzigen Leime wieder überleimt, oder dieſelbe mit Gallertleim überleimt ſein, 1) ſchriften ganz aufgeben, und zur feſten Regel machen, die Namensunterſchriften, mit voller Beibehaltung der graphiſchen Eigenthümlichkeit, leſerlich deutlich zu ſchreiben, da ſie ſich ſo bei weitem ſchwerer nachahmen laſſen, als das künſt- lichſte Geſchnörkel, und, falls nachgeahmt, doch leichter als Fälſchung zu charakteriſiren ſind.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/312>, abgerufen am 21.11.2024.