Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.sondern zumeist solche Jndividuen, deren Beruf ihnen Gelegenheit des Schreibkünstlers, der nach bestimmter Methode lehrt und darin leicht be- fangen werden kann, nicht immer vollkommen ausreicht. Vortrefflich ist daher die ausdrückliche Bestimmung der Oesterreichischen Strafproceßordnung (§. 272, 274), daß der Richter "mit Rücksicht auf die übrigen Umstände zu ermessen habe, ob das Ergebniß der Schriftvergleichung den rechtlichen Beweis über die Echtheit der Urkunde herstelle". Vgl. die Criminalproceßordnung von Preußen §. 385, Würtemberg §. 323, Baden §. 257 u. a. 1) Darum sollte man die vorzüglich von Beamten und Kaufleuten bis
zur völligen Unleserlichkeit getriebenen sogenannten coulanten Namensunter- ſondern zumeiſt ſolche Jndividuen, deren Beruf ihnen Gelegenheit des Schreibkünſtlers, der nach beſtimmter Methode lehrt und darin leicht be- fangen werden kann, nicht immer vollkommen ausreicht. Vortrefflich iſt daher die ausdrückliche Beſtimmung der Oeſterreichiſchen Strafproceßordnung (§. 272, 274), daß der Richter „mit Rückſicht auf die übrigen Umſtände zu ermeſſen habe, ob das Ergebniß der Schriftvergleichung den rechtlichen Beweis über die Echtheit der Urkunde herſtelle“. Vgl. die Criminalproceßordnung von Preußen §. 385, Würtemberg §. 323, Baden §. 257 u. a. 1) Darum ſollte man die vorzüglich von Beamten und Kaufleuten bis
zur völligen Unleſerlichkeit getriebenen ſogenannten coulanten Namensunter- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0311" n="299"/> ſondern zumeiſt ſolche Jndividuen, deren Beruf ihnen Gelegenheit<lb/> gibt, eine Menge verſchiedenartiger Handſchriften zu ſehen und zu<lb/> ſtudiren, alſo Kupferſtecher, Steindrucker, Copiſten, Comptoiriſten,<lb/> Regiſtratoren u. dgl. Dabei iſt die eigene Handſchrift des Flep-<lb/> penmelochners ſelten ſchön, meiſtens aber von eigenthümlichem,<lb/> wenn auch ſehr verſchiedenem Ausdrucke, wie man ja denn über-<lb/> haupt in der Mehrzahl von Handſchriften bei weitem eher Geiſt<lb/> und Charakter, als Schönheit findet. Von Wichtigkeit iſt die<lb/> Wahrnehmung, daß die Nachahmung von Schriftzügen um ſo<lb/> leichter und beſſer gelingt, je weniger der Nachahmende die ein-<lb/> zelnen Schriftcha<supplied>rak</supplied>tere ihrer Bedeutung nach verſteht, oder je<lb/> mehr die Züge von ihm als bloßes materielles Bild, ohne ſein<lb/> eigenes ſubjectives Verſtändniß aufgefaßt, alſo blos mechaniſch<lb/> nachgebildet werden. Daher gelingt die Nachahmung von Schrift-<lb/> zügen, welche als dürres Spiegelbild aufgefaßt und nachgeahmt<lb/> werden, bei weitem beſſer und genauer, als in directer verſtänd-<lb/> licher Nachahmung ohne Spiegel, weshalb denn auch Kupferſtecher<lb/> und Lithographen außerordentlich leicht Handſchriften nachahmen<lb/> lernen. Noch deutlicher überzeugt man ſich, wenn man einen<lb/> Schreiber Schriftſätze oder Wörter aus fremden Sprachen mit<lb/> eigenthümlichen Buchſtaben, die er nicht kennt und verſteht, z. B.<lb/> Griechiſch, Hebräiſch, Jüdiſch-Deutſch (Syriſch) oder Ruſſiſch u. ſ. w.<lb/> copiren läßt. Man wird dabei die treffendſte Aehnlichkeit, ja man<lb/> kann ſagen, vollkommene Gleichheit beider Handſchriften finden,<lb/> und ſich davon überzeugen, wie wichtigen Einfluß die Entäuße-<lb/> rung der ſubjectiven Handſchrift mit ihrem ſubjectiven Verſtändniß<lb/> auf das Gelingen ſolcher Schriftnachahmungen hat <note xml:id="seg2pn_40_1" next="#seg2pn_40_2" place="foot" n="1)">Darum ſollte man die vorzüglich von Beamten und Kaufleuten bis<lb/> zur völligen Unleſerlichkeit getriebenen ſogenannten coulanten Namensunter-</note>, und wie<lb/><note xml:id="seg2pn_39_2" prev="#seg2pn_39_1" place="foot" n="2)">des Schreibkünſtlers, der nach beſtimmter Methode lehrt und darin leicht be-<lb/> fangen werden kann, nicht immer vollkommen ausreicht. Vortrefflich iſt daher<lb/> die ausdrückliche Beſtimmung der Oeſterreichiſchen Strafproceßordnung (§. 272,<lb/> 274), daß der Richter „<hi rendition="#g">mit Rückſicht auf die übrigen Umſtände</hi> zu<lb/> ermeſſen habe, ob das Ergebniß der Schriftvergleichung den rechtlichen Beweis<lb/> über die Echtheit der Urkunde herſtelle“. Vgl. die Criminalproceßordnung<lb/> von Preußen §. 385, Würtemberg §. 323, Baden §. 257 u. a.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [299/0311]
ſondern zumeiſt ſolche Jndividuen, deren Beruf ihnen Gelegenheit
gibt, eine Menge verſchiedenartiger Handſchriften zu ſehen und zu
ſtudiren, alſo Kupferſtecher, Steindrucker, Copiſten, Comptoiriſten,
Regiſtratoren u. dgl. Dabei iſt die eigene Handſchrift des Flep-
penmelochners ſelten ſchön, meiſtens aber von eigenthümlichem,
wenn auch ſehr verſchiedenem Ausdrucke, wie man ja denn über-
haupt in der Mehrzahl von Handſchriften bei weitem eher Geiſt
und Charakter, als Schönheit findet. Von Wichtigkeit iſt die
Wahrnehmung, daß die Nachahmung von Schriftzügen um ſo
leichter und beſſer gelingt, je weniger der Nachahmende die ein-
zelnen Schriftcharaktere ihrer Bedeutung nach verſteht, oder je
mehr die Züge von ihm als bloßes materielles Bild, ohne ſein
eigenes ſubjectives Verſtändniß aufgefaßt, alſo blos mechaniſch
nachgebildet werden. Daher gelingt die Nachahmung von Schrift-
zügen, welche als dürres Spiegelbild aufgefaßt und nachgeahmt
werden, bei weitem beſſer und genauer, als in directer verſtänd-
licher Nachahmung ohne Spiegel, weshalb denn auch Kupferſtecher
und Lithographen außerordentlich leicht Handſchriften nachahmen
lernen. Noch deutlicher überzeugt man ſich, wenn man einen
Schreiber Schriftſätze oder Wörter aus fremden Sprachen mit
eigenthümlichen Buchſtaben, die er nicht kennt und verſteht, z. B.
Griechiſch, Hebräiſch, Jüdiſch-Deutſch (Syriſch) oder Ruſſiſch u. ſ. w.
copiren läßt. Man wird dabei die treffendſte Aehnlichkeit, ja man
kann ſagen, vollkommene Gleichheit beider Handſchriften finden,
und ſich davon überzeugen, wie wichtigen Einfluß die Entäuße-
rung der ſubjectiven Handſchrift mit ihrem ſubjectiven Verſtändniß
auf das Gelingen ſolcher Schriftnachahmungen hat 1), und wie
2)
1) Darum ſollte man die vorzüglich von Beamten und Kaufleuten bis
zur völligen Unleſerlichkeit getriebenen ſogenannten coulanten Namensunter-
2) des Schreibkünſtlers, der nach beſtimmter Methode lehrt und darin leicht be-
fangen werden kann, nicht immer vollkommen ausreicht. Vortrefflich iſt daher
die ausdrückliche Beſtimmung der Oeſterreichiſchen Strafproceßordnung (§. 272,
274), daß der Richter „mit Rückſicht auf die übrigen Umſtände zu
ermeſſen habe, ob das Ergebniß der Schriftvergleichung den rechtlichen Beweis
über die Echtheit der Urkunde herſtelle“. Vgl. die Criminalproceßordnung
von Preußen §. 385, Würtemberg §. 323, Baden §. 257 u. a.
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