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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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dung von Säuren und Alkalien vorgenommen wurden, mit Hülfe
derselben Wissenschaft, welche den Betrug bekämpft, die Fälschungs-
kunst auf einen solchen Standpunkt gebracht, daß sie mit der vollen
Sicherheit einer gewerblichen Kunst, mithin als wahre Gauner-
industrie, betrieben wird, und unzählige Fälschungen mit den ver-
schiedenartigsten Documenten vorgenommen, leider aber auch meistens
übersehen werden, da bei der Masse solcher umlaufenden Schrift-
stücke nur die wichtigern einer genauern Prüfung unterworfen
zu werden pflegen. 1)

Die Technik des Fleppenmelochnens erfordert viel Studium
und Uebung. Jede Handschrift hat, wenn auch schwerlich --
wie jetzt eine moderne Liebhaberei zu finden sucht -- eine zutreffende
Charakteristik der einzelnen Jndividualität aus ihrer Handschrift
gegeben werden kann, etwas specifisch Subjectives, auf dessen
Entäußerung es zunächst beim Fleppenmelochnen ankommt, um
desto behender und geschickter die graphische Ausdrucksform dritter
Personen objectiv genau aufzufassen und nachzubilden. Diese
Fertigkeit wird nicht durch kalligraphische Uebung, sondern durch
genaues Studium und scharfes objectives Auffassen fremder Hand-
schriften erworben. Daher findet man auch nur selten unter den
Fleppenmelochnern wirkliche Schreibmeister oder Schreibkünstler 2),

1) Ein Zeugniß von dem massenhaften Betriebe dieser Jndustrie gibt die
Menge von Untersuchungen wider Fälscher, welche, trotz aller schlauen Kunst
und Vorsicht, dennoch in die Hände der Polizei geriethen. So wurden in
Frankreich von 1825--31 nicht weniger als 2471 Jndividuen wegen Fäl-
schung zur Untersuchung gezogen und 1296 davon überführt. Jn England
wurden von 1820--31 nicht weniger als 477 Jndividuen wegen Fälschung
zum Tode verurtheilt und 64 wirklich hingerichtet. Jn Schottland wurden
von 64 zum Tode Verurtheilten 31, und in Jrland von 144 Verurtheilten
39 Personen innerhalb jenes Zeitraumes hingerichtet. Vgl. Westrumb,
a. a. O., I, 327, U.
2) Die Herbeiziehung von Schreibkünstlern zur Beurtheilung von
Handschriften ist daher nicht immer ein durchaus verlässiges Ueberführungs-
mittel. Der Schreibkünstler weiß vollkommen die Schönheit und Methode
einer Handschrift zu beurtheilen; die Ermittelung gefälschter Handschriften er-
fordert aber eine scharfe Beobachtung des Charakteristischen, Abweichenden und
Congruenten in den zu vergleichenden Handschriften, wobei gerade der Blick

dung von Säuren und Alkalien vorgenommen wurden, mit Hülfe
derſelben Wiſſenſchaft, welche den Betrug bekämpft, die Fälſchungs-
kunſt auf einen ſolchen Standpunkt gebracht, daß ſie mit der vollen
Sicherheit einer gewerblichen Kunſt, mithin als wahre Gauner-
induſtrie, betrieben wird, und unzählige Fälſchungen mit den ver-
ſchiedenartigſten Documenten vorgenommen, leider aber auch meiſtens
überſehen werden, da bei der Maſſe ſolcher umlaufenden Schrift-
ſtücke nur die wichtigern einer genauern Prüfung unterworfen
zu werden pflegen. 1)

Die Technik des Fleppenmelochnens erfordert viel Studium
und Uebung. Jede Handſchrift hat, wenn auch ſchwerlich —
wie jetzt eine moderne Liebhaberei zu finden ſucht — eine zutreffende
Charakteriſtik der einzelnen Jndividualität aus ihrer Handſchrift
gegeben werden kann, etwas ſpecifiſch Subjectives, auf deſſen
Entäußerung es zunächſt beim Fleppenmelochnen ankommt, um
deſto behender und geſchickter die graphiſche Ausdrucksform dritter
Perſonen objectiv genau aufzufaſſen und nachzubilden. Dieſe
Fertigkeit wird nicht durch kalligraphiſche Uebung, ſondern durch
genaues Studium und ſcharfes objectives Auffaſſen fremder Hand-
ſchriften erworben. Daher findet man auch nur ſelten unter den
Fleppenmelochnern wirkliche Schreibmeiſter oder Schreibkünſtler 2),

1) Ein Zeugniß von dem maſſenhaften Betriebe dieſer Jnduſtrie gibt die
Menge von Unterſuchungen wider Fälſcher, welche, trotz aller ſchlauen Kunſt
und Vorſicht, dennoch in die Hände der Polizei geriethen. So wurden in
Frankreich von 1825—31 nicht weniger als 2471 Jndividuen wegen Fäl-
ſchung zur Unterſuchung gezogen und 1296 davon überführt. Jn England
wurden von 1820—31 nicht weniger als 477 Jndividuen wegen Fälſchung
zum Tode verurtheilt und 64 wirklich hingerichtet. Jn Schottland wurden
von 64 zum Tode Verurtheilten 31, und in Jrland von 144 Verurtheilten
39 Perſonen innerhalb jenes Zeitraumes hingerichtet. Vgl. Weſtrumb,
a. a. O., I, 327, U.
2) Die Herbeiziehung von Schreibkünſtlern zur Beurtheilung von
Handſchriften iſt daher nicht immer ein durchaus verläſſiges Ueberführungs-
mittel. Der Schreibkünſtler weiß vollkommen die Schönheit und Methode
einer Handſchrift zu beurtheilen; die Ermittelung gefälſchter Handſchriften er-
fordert aber eine ſcharfe Beobachtung des Charakteriſtiſchen, Abweichenden und
Congruenten in den zu vergleichenden Handſchriften, wobei gerade der Blick
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[298/0310] dung von Säuren und Alkalien vorgenommen wurden, mit Hülfe derſelben Wiſſenſchaft, welche den Betrug bekämpft, die Fälſchungs- kunſt auf einen ſolchen Standpunkt gebracht, daß ſie mit der vollen Sicherheit einer gewerblichen Kunſt, mithin als wahre Gauner- induſtrie, betrieben wird, und unzählige Fälſchungen mit den ver- ſchiedenartigſten Documenten vorgenommen, leider aber auch meiſtens überſehen werden, da bei der Maſſe ſolcher umlaufenden Schrift- ſtücke nur die wichtigern einer genauern Prüfung unterworfen zu werden pflegen. 1) Die Technik des Fleppenmelochnens erfordert viel Studium und Uebung. Jede Handſchrift hat, wenn auch ſchwerlich — wie jetzt eine moderne Liebhaberei zu finden ſucht — eine zutreffende Charakteriſtik der einzelnen Jndividualität aus ihrer Handſchrift gegeben werden kann, etwas ſpecifiſch Subjectives, auf deſſen Entäußerung es zunächſt beim Fleppenmelochnen ankommt, um deſto behender und geſchickter die graphiſche Ausdrucksform dritter Perſonen objectiv genau aufzufaſſen und nachzubilden. Dieſe Fertigkeit wird nicht durch kalligraphiſche Uebung, ſondern durch genaues Studium und ſcharfes objectives Auffaſſen fremder Hand- ſchriften erworben. Daher findet man auch nur ſelten unter den Fleppenmelochnern wirkliche Schreibmeiſter oder Schreibkünſtler 2), 1) Ein Zeugniß von dem maſſenhaften Betriebe dieſer Jnduſtrie gibt die Menge von Unterſuchungen wider Fälſcher, welche, trotz aller ſchlauen Kunſt und Vorſicht, dennoch in die Hände der Polizei geriethen. So wurden in Frankreich von 1825—31 nicht weniger als 2471 Jndividuen wegen Fäl- ſchung zur Unterſuchung gezogen und 1296 davon überführt. Jn England wurden von 1820—31 nicht weniger als 477 Jndividuen wegen Fälſchung zum Tode verurtheilt und 64 wirklich hingerichtet. Jn Schottland wurden von 64 zum Tode Verurtheilten 31, und in Jrland von 144 Verurtheilten 39 Perſonen innerhalb jenes Zeitraumes hingerichtet. Vgl. Weſtrumb, a. a. O., I, 327, U. 2) Die Herbeiziehung von Schreibkünſtlern zur Beurtheilung von Handſchriften iſt daher nicht immer ein durchaus verläſſiges Ueberführungs- mittel. Der Schreibkünſtler weiß vollkommen die Schönheit und Methode einer Handſchrift zu beurtheilen; die Ermittelung gefälſchter Handſchriften er- fordert aber eine ſcharfe Beobachtung des Charakteriſtiſchen, Abweichenden und Congruenten in den zu vergleichenden Handſchriften, wobei gerade der Blick

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/310>, abgerufen am 19.04.2024.