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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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einen ergiebigen Handel, vor allem den Pischtimhandel zu treiben,
bei welchem er an Genossen, Weib, Concubine und Kindern ge-
wandte und beredte Unterstützung findet. Aber nicht allein der
eigene Hausirhandel und Vertrieb des Schärfenspielers ist der
hauptsächlichste Abfluß: wie der Schärfenspieler die "handelnden"
Gauner in sklavischer Abhängigkeit von sich zu halten weiß, so
übt er auch gegen seine zahlreichen Abnehmer, gegen welche er
sich äußerlich als emsiger redlicher Handelsmann zu stellen weiß,
und welche seine verbrecherischen Verbindungen und Handlungen
nur ahnen, nicht aber nachweisen können, eine scharfe Despotie,
indem er sie durch Credit von sich abhängig macht, bei welchem
er sich stets zu sichern und schadlos zu halten versteht, selbst auch
wenn er durch Unglück oder Betrug eine Einbuße erleiden sollte.
So sind es denn auch nicht immer Betrüger, welche mit dem
schweren Hausirpacken in Wind und Wetter heimlich von Dorf
zu Dorf ziehen und ihre Waare feil bieten, sondern zum großen
Theil die unglücklichen Leibeigenen versteckter Verbrecher, welche,
um Weib und Kind durchzubringen, sich zu dieser Sklaverei her-
geben müssen, und um so elender daran sind, als bei dem Mangel
an augenblicklicher richtiger Unterscheidung der Schein, und somit
auch die Verfolgung und Gefahr des Verbrechens, mindestens
aber des schmuzigen und betrügerischen Schachers, auch auf sie
fällt. 1) Diese moralische Gewalt der Schärfenspieler ist so groß,
daß sie selbst gerade hinter jenem Schein vollen Schutz finden,
wie groß und schwer der Verdacht auch immer gegen sie selbst ist.
Jn wie vielen Fällen auch dieser Verdacht gegen bestimmte Per-
sonen gerechtfertigt erscheint, in so wenig Fällen darf doch der
Polizeimann wagen, den Verdacht auszusprechen. Nur scharfe,
lange und mühsame Beobachtungen können ihm nach und nach

1) Eins der am tiefsten ergreifenden Beispiele dieser furchtbaren morali-
schen Gewalt bleibt das in der "Sammlung merkwürdiger Rechtsfälle" (Nürn-
berg 1794), S. 222, dargestellte Beispiel des vom Hundssattler verführten
armen Leinewebers in Franken (s. die Literatur). Empörend ist die sklavische
Behandlung der Savoyardenjungen und Knechte, welche mit Drehorgeln in
Begleitung ihrer "Herren" durch die ganze Welt ziehen.

einen ergiebigen Handel, vor allem den Piſchtimhandel zu treiben,
bei welchem er an Genoſſen, Weib, Concubine und Kindern ge-
wandte und beredte Unterſtützung findet. Aber nicht allein der
eigene Hauſirhandel und Vertrieb des Schärfenſpielers iſt der
hauptſächlichſte Abfluß: wie der Schärfenſpieler die „handelnden“
Gauner in ſklaviſcher Abhängigkeit von ſich zu halten weiß, ſo
übt er auch gegen ſeine zahlreichen Abnehmer, gegen welche er
ſich äußerlich als emſiger redlicher Handelsmann zu ſtellen weiß,
und welche ſeine verbrecheriſchen Verbindungen und Handlungen
nur ahnen, nicht aber nachweiſen können, eine ſcharfe Despotie,
indem er ſie durch Credit von ſich abhängig macht, bei welchem
er ſich ſtets zu ſichern und ſchadlos zu halten verſteht, ſelbſt auch
wenn er durch Unglück oder Betrug eine Einbuße erleiden ſollte.
So ſind es denn auch nicht immer Betrüger, welche mit dem
ſchweren Hauſirpacken in Wind und Wetter heimlich von Dorf
zu Dorf ziehen und ihre Waare feil bieten, ſondern zum großen
Theil die unglücklichen Leibeigenen verſteckter Verbrecher, welche,
um Weib und Kind durchzubringen, ſich zu dieſer Sklaverei her-
geben müſſen, und um ſo elender daran ſind, als bei dem Mangel
an augenblicklicher richtiger Unterſcheidung der Schein, und ſomit
auch die Verfolgung und Gefahr des Verbrechens, mindeſtens
aber des ſchmuzigen und betrügeriſchen Schachers, auch auf ſie
fällt. 1) Dieſe moraliſche Gewalt der Schärfenſpieler iſt ſo groß,
daß ſie ſelbſt gerade hinter jenem Schein vollen Schutz finden,
wie groß und ſchwer der Verdacht auch immer gegen ſie ſelbſt iſt.
Jn wie vielen Fällen auch dieſer Verdacht gegen beſtimmte Per-
ſonen gerechtfertigt erſcheint, in ſo wenig Fällen darf doch der
Polizeimann wagen, den Verdacht auszuſprechen. Nur ſcharfe,
lange und mühſame Beobachtungen können ihm nach und nach

1) Eins der am tiefſten ergreifenden Beiſpiele dieſer furchtbaren morali-
ſchen Gewalt bleibt das in der „Sammlung merkwürdiger Rechtsfälle“ (Nürn-
berg 1794), S. 222, dargeſtellte Beiſpiel des vom Hundsſattler verführten
armen Leinewebers in Franken (ſ. die Literatur). Empörend iſt die ſklaviſche
Behandlung der Savoyardenjungen und Knechte, welche mit Drehorgeln in
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[320/0332] einen ergiebigen Handel, vor allem den Piſchtimhandel zu treiben, bei welchem er an Genoſſen, Weib, Concubine und Kindern ge- wandte und beredte Unterſtützung findet. Aber nicht allein der eigene Hauſirhandel und Vertrieb des Schärfenſpielers iſt der hauptſächlichſte Abfluß: wie der Schärfenſpieler die „handelnden“ Gauner in ſklaviſcher Abhängigkeit von ſich zu halten weiß, ſo übt er auch gegen ſeine zahlreichen Abnehmer, gegen welche er ſich äußerlich als emſiger redlicher Handelsmann zu ſtellen weiß, und welche ſeine verbrecheriſchen Verbindungen und Handlungen nur ahnen, nicht aber nachweiſen können, eine ſcharfe Despotie, indem er ſie durch Credit von ſich abhängig macht, bei welchem er ſich ſtets zu ſichern und ſchadlos zu halten verſteht, ſelbſt auch wenn er durch Unglück oder Betrug eine Einbuße erleiden ſollte. So ſind es denn auch nicht immer Betrüger, welche mit dem ſchweren Hauſirpacken in Wind und Wetter heimlich von Dorf zu Dorf ziehen und ihre Waare feil bieten, ſondern zum großen Theil die unglücklichen Leibeigenen verſteckter Verbrecher, welche, um Weib und Kind durchzubringen, ſich zu dieſer Sklaverei her- geben müſſen, und um ſo elender daran ſind, als bei dem Mangel an augenblicklicher richtiger Unterſcheidung der Schein, und ſomit auch die Verfolgung und Gefahr des Verbrechens, mindeſtens aber des ſchmuzigen und betrügeriſchen Schachers, auch auf ſie fällt. 1) Dieſe moraliſche Gewalt der Schärfenſpieler iſt ſo groß, daß ſie ſelbſt gerade hinter jenem Schein vollen Schutz finden, wie groß und ſchwer der Verdacht auch immer gegen ſie ſelbſt iſt. Jn wie vielen Fällen auch dieſer Verdacht gegen beſtimmte Per- ſonen gerechtfertigt erſcheint, in ſo wenig Fällen darf doch der Polizeimann wagen, den Verdacht auszuſprechen. Nur ſcharfe, lange und mühſame Beobachtungen können ihm nach und nach 1) Eins der am tiefſten ergreifenden Beiſpiele dieſer furchtbaren morali- ſchen Gewalt bleibt das in der „Sammlung merkwürdiger Rechtsfälle“ (Nürn- berg 1794), S. 222, dargeſtellte Beiſpiel des vom Hundsſattler verführten armen Leinewebers in Franken (ſ. die Literatur). Empörend iſt die ſklaviſche Behandlung der Savoyardenjungen und Knechte, welche mit Drehorgeln in Begleitung ihrer „Herren“ durch die ganze Welt ziehen.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/332>, abgerufen am 24.04.2024.