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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Neunundneunzigstes Kapitel.
e) Die Reform der Bureaux.

Demselben Principe der figuranten Repräsentation ist es auch
wesentlich als Schuld zuzubürden, daß in den Bureaux so unge-
heuer viel Tinte und Papier vergeudet wird. Das Wort "Acten"
ist das große Losungswort des Tags in den Polizeibureaux, in
denen alles, hoch und niedrig, eifrig schreibt und schreibt, um
darzulegen, wie mächtig das wenige, was practisch geleistet ist,
gefaßt und der archivalen Unsterblichkeit übergeben wird. Alle
haben eine Beschäftigung, alle einen Druck, alle sind sich gleich:
alle schreiben und machen Acten, um durch Acten alle
gesunde, lebensvoll wirkende, frische, organische Thätigkeit zu
ersetzen!

Die Bureaux sind die wichtigen. Stätten, durch welche die
ganze polizeiliche Strömung geleitet wird, damit sie wie ein fri-
scher sprudelnder Born in das gesammte bürgerliche Verkehrsleben
fließe. Diese Strömung darf aber nicht in den Bureaux zur

controliren. Jn den schriftlichen Rapporten über die Ronden und Patrouillen
steht natürlich das viele nicht, was dem Gensdarm entgangen ist. Auch gibt
die Jsolirung der nicht durchgängig genau zu controlirenden Stationen Anlaß
zur Trägheit und bodenloser autokrater Grobheit, von der man erst dann
einen Begriff bekommt, wenn man einmal genauer danach forscht, warum
trotz der scharfen Polizeiaufsicht in den Städten noch immer so viele Vaganten
frei auf den Landesgrenzen umherlaufen. Der Gensdarm, dem es an Geschick
und Lust fehlt, einen angehaltenen Vaganten zu examiniren, oder an die weit
entfernte Hauptstation zu bringen, prügelt lieber den Vaganten über die
Grenze, und verläßt sich dabei auf die Discretion des Vaganten, der viel lie-
ber sich davonprügeln läßt, als daß er sich einer langwierigen Untersuchungs-
oder Strafhaft unterzieht. Solche schmähliche Roheiten fallen, trotz strenger
Verbote, trotz der hier und da eingeführten Capturprämien, vor, und sind lei-
der durchaus nicht abzuleugnen. Aehnliche Excesse kommen aber auch bei
andern Beamten vor, von denen man am wenigsten wirklichen Mangel an Er-
ziehung und Abgang alles Anstandes erwarten sollte, zu dessen Forderung min-
destens doch jeder Mann von Erziehung und Bildung durchaus berechtigt ist.
Zu dem Rufe der Polizei als Herd der Grobheit haben Viele Bausteine herbei-
getragen.
Neunundneunzigſtes Kapitel.
e) Die Reform der Bureaux.

Demſelben Principe der figuranten Repräſentation iſt es auch
weſentlich als Schuld zuzubürden, daß in den Bureaux ſo unge-
heuer viel Tinte und Papier vergeudet wird. Das Wort „Acten“
iſt das große Loſungswort des Tags in den Polizeibureaux, in
denen alles, hoch und niedrig, eifrig ſchreibt und ſchreibt, um
darzulegen, wie mächtig das wenige, was practiſch geleiſtet iſt,
gefaßt und der archivalen Unſterblichkeit übergeben wird. Alle
haben eine Beſchäftigung, alle einen Druck, alle ſind ſich gleich:
alle ſchreiben und machen Acten, um durch Acten alle
geſunde, lebensvoll wirkende, friſche, organiſche Thätigkeit zu
erſetzen!

Die Bureaux ſind die wichtigen. Stätten, durch welche die
ganze polizeiliche Strömung geleitet wird, damit ſie wie ein fri-
ſcher ſprudelnder Born in das geſammte bürgerliche Verkehrsleben
fließe. Dieſe Strömung darf aber nicht in den Bureaux zur

controliren. Jn den ſchriftlichen Rapporten über die Ronden und Patrouillen
ſteht natürlich das viele nicht, was dem Gensdarm entgangen iſt. Auch gibt
die Jſolirung der nicht durchgängig genau zu controlirenden Stationen Anlaß
zur Trägheit und bodenloſer autokrater Grobheit, von der man erſt dann
einen Begriff bekommt, wenn man einmal genauer danach forſcht, warum
trotz der ſcharfen Polizeiaufſicht in den Städten noch immer ſo viele Vaganten
frei auf den Landesgrenzen umherlaufen. Der Gensdarm, dem es an Geſchick
und Luſt fehlt, einen angehaltenen Vaganten zu examiniren, oder an die weit
entfernte Hauptſtation zu bringen, prügelt lieber den Vaganten über die
Grenze, und verläßt ſich dabei auf die Discretion des Vaganten, der viel lie-
ber ſich davonprügeln läßt, als daß er ſich einer langwierigen Unterſuchungs-
oder Strafhaft unterzieht. Solche ſchmähliche Roheiten fallen, trotz ſtrenger
Verbote, trotz der hier und da eingeführten Capturprämien, vor, und ſind lei-
der durchaus nicht abzuleugnen. Aehnliche Exceſſe kommen aber auch bei
andern Beamten vor, von denen man am wenigſten wirklichen Mangel an Er-
ziehung und Abgang alles Anſtandes erwarten ſollte, zu deſſen Forderung min-
deſtens doch jeder Mann von Erziehung und Bildung durchaus berechtigt iſt.
Zu dem Rufe der Polizei als Herd der Grobheit haben Viele Bauſteine herbei-
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[362/0374] Neunundneunzigſtes Kapitel. e) Die Reform der Bureaux. Demſelben Principe der figuranten Repräſentation iſt es auch weſentlich als Schuld zuzubürden, daß in den Bureaux ſo unge- heuer viel Tinte und Papier vergeudet wird. Das Wort „Acten“ iſt das große Loſungswort des Tags in den Polizeibureaux, in denen alles, hoch und niedrig, eifrig ſchreibt und ſchreibt, um darzulegen, wie mächtig das wenige, was practiſch geleiſtet iſt, gefaßt und der archivalen Unſterblichkeit übergeben wird. Alle haben eine Beſchäftigung, alle einen Druck, alle ſind ſich gleich: alle ſchreiben und machen Acten, um durch Acten alle geſunde, lebensvoll wirkende, friſche, organiſche Thätigkeit zu erſetzen! Die Bureaux ſind die wichtigen. Stätten, durch welche die ganze polizeiliche Strömung geleitet wird, damit ſie wie ein fri- ſcher ſprudelnder Born in das geſammte bürgerliche Verkehrsleben fließe. Dieſe Strömung darf aber nicht in den Bureaux zur 1) 1) controliren. Jn den ſchriftlichen Rapporten über die Ronden und Patrouillen ſteht natürlich das viele nicht, was dem Gensdarm entgangen iſt. Auch gibt die Jſolirung der nicht durchgängig genau zu controlirenden Stationen Anlaß zur Trägheit und bodenloſer autokrater Grobheit, von der man erſt dann einen Begriff bekommt, wenn man einmal genauer danach forſcht, warum trotz der ſcharfen Polizeiaufſicht in den Städten noch immer ſo viele Vaganten frei auf den Landesgrenzen umherlaufen. Der Gensdarm, dem es an Geſchick und Luſt fehlt, einen angehaltenen Vaganten zu examiniren, oder an die weit entfernte Hauptſtation zu bringen, prügelt lieber den Vaganten über die Grenze, und verläßt ſich dabei auf die Discretion des Vaganten, der viel lie- ber ſich davonprügeln läßt, als daß er ſich einer langwierigen Unterſuchungs- oder Strafhaft unterzieht. Solche ſchmähliche Roheiten fallen, trotz ſtrenger Verbote, trotz der hier und da eingeführten Capturprämien, vor, und ſind lei- der durchaus nicht abzuleugnen. Aehnliche Exceſſe kommen aber auch bei andern Beamten vor, von denen man am wenigſten wirklichen Mangel an Er- ziehung und Abgang alles Anſtandes erwarten ſollte, zu deſſen Forderung min- deſtens doch jeder Mann von Erziehung und Bildung durchaus berechtigt iſt. Zu dem Rufe der Polizei als Herd der Grobheit haben Viele Bauſteine herbei- getragen.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/374>, abgerufen am 25.11.2024.