Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Stagnation und fauligen Versumpfung gebracht werden, durch
deren trüben und ungesunden Niederschlag sich schädliche Miasmen
bilden, und zunächst die Beamtenschaft und durch die Berührung
mit dem Bürgerthum auch dieses in ein bedenkliches Siechthum
versetzen. Offenkundig wird die polizeiliche Regsamkeit in den
Bureaux durch das viele Schreiben und durch die massenhafte
Actenfabrikation gehemmt. Doch ist es gerade die polizeiliche
Thätigkeit selbst, welche am deutlichsten das Maß zeigt, wie weit
und wie viel geschrieben werden soll. Es ist unmöglich, über die
ganze täglich vorkommende Masse von Bagatellsachen förmliches
Protokoll zu führen. Den Anhaltspunkt gibt die einfache That-
sache, die einfache ganz kurze schriftliche Berichterstattung, an welche
und auf welcher der Vorgesetzte seine kurzen schriftlichen Notizen
mit dem Abspruch hinzufügt. 1) So viel und nicht mehr darf der
Jnhalt der Polizeiacten sein. Größere, schwerere und complicir-
tere Sachen werden selbstverständlich ausführlich und besonders
vom Chef oder seinen nächsten Mitarbeitern behandelt. Nur der

1) Diese herrliche Einfachheit ist eine der Grundlagen, auf welcher die
musterhafte Polizei in Hamburg so außerordentlich viel leistet. Jeder active
Subalterne hat über seine einzelnen Wahrnehmungen einen ganz kurzen Be-
richt -- ich habe Berichte von 5 bis 6 Zeilen gesehen -- auf einen gebro-
chenen Bogen zu schreiben, wobei auf Form und Stil nicht gesehen, sondern
nur die einfache klare Darstellung der Thatsache gefordert wird. Auf diesem
Berichte selbst, der die Grundlage der Verhandlung bildet, schreibt der Chef,
ohne Beisitzer und Protokollisten, selbst
seine kurzen Notizen während
der von ihm geleiteten Verhandlung, nebst dem Abspruch. Damit sind die
Acten erschöpft. Jn dieser ihrer Kürze liegt die ganze Verhandlung mit
lebendiger Behendigkeit ausgedrückt, welche durch keine noch so weitschichtige
Protokollirung auch nur annähernd erreicht werden kann. So sieht man mit
Bewunderung durch einen einzigen Mann die gesammte Polizei in einer Welt-
stadt voll ungeheuern Lebens und immer reger Bewegung gehandhabt. Der
Chef selbst, obschon Mitglied des höchsten Staatskörpers, lebt mitten in der
Polizei und mit ihren Beamten, denen er durch seine eigene geistige Belebung
eine Frische, Lebendigkeit und Rührigkeit mitten im bürgerlichen Verkehr zu
verschaffen weiß, welche auf den gesammten bürgerlichen Verkehr von dem
heilsamsten Einfluß und auf das ganze Polizeigetriebe und auch auf den Chef
selbst von glücklicher Rückwirkung ist.

Stagnation und fauligen Verſumpfung gebracht werden, durch
deren trüben und ungeſunden Niederſchlag ſich ſchädliche Miasmen
bilden, und zunächſt die Beamtenſchaft und durch die Berührung
mit dem Bürgerthum auch dieſes in ein bedenkliches Siechthum
verſetzen. Offenkundig wird die polizeiliche Regſamkeit in den
Bureaux durch das viele Schreiben und durch die maſſenhafte
Actenfabrikation gehemmt. Doch iſt es gerade die polizeiliche
Thätigkeit ſelbſt, welche am deutlichſten das Maß zeigt, wie weit
und wie viel geſchrieben werden ſoll. Es iſt unmöglich, über die
ganze täglich vorkommende Maſſe von Bagatellſachen förmliches
Protokoll zu führen. Den Anhaltspunkt gibt die einfache That-
ſache, die einfache ganz kurze ſchriftliche Berichterſtattung, an welche
und auf welcher der Vorgeſetzte ſeine kurzen ſchriftlichen Notizen
mit dem Abſpruch hinzufügt. 1) So viel und nicht mehr darf der
Jnhalt der Polizeiacten ſein. Größere, ſchwerere und complicir-
tere Sachen werden ſelbſtverſtändlich ausführlich und beſonders
vom Chef oder ſeinen nächſten Mitarbeitern behandelt. Nur der

1) Dieſe herrliche Einfachheit iſt eine der Grundlagen, auf welcher die
muſterhafte Polizei in Hamburg ſo außerordentlich viel leiſtet. Jeder active
Subalterne hat über ſeine einzelnen Wahrnehmungen einen ganz kurzen Be-
richt — ich habe Berichte von 5 bis 6 Zeilen geſehen — auf einen gebro-
chenen Bogen zu ſchreiben, wobei auf Form und Stil nicht geſehen, ſondern
nur die einfache klare Darſtellung der Thatſache gefordert wird. Auf dieſem
Berichte ſelbſt, der die Grundlage der Verhandlung bildet, ſchreibt der Chef,
ohne Beiſitzer und Protokolliſten, ſelbſt
ſeine kurzen Notizen während
der von ihm geleiteten Verhandlung, nebſt dem Abſpruch. Damit ſind die
Acten erſchöpft. Jn dieſer ihrer Kürze liegt die ganze Verhandlung mit
lebendiger Behendigkeit ausgedrückt, welche durch keine noch ſo weitſchichtige
Protokollirung auch nur annähernd erreicht werden kann. So ſieht man mit
Bewunderung durch einen einzigen Mann die geſammte Polizei in einer Welt-
ſtadt voll ungeheuern Lebens und immer reger Bewegung gehandhabt. Der
Chef ſelbſt, obſchon Mitglied des höchſten Staatskörpers, lebt mitten in der
Polizei und mit ihren Beamten, denen er durch ſeine eigene geiſtige Belebung
eine Friſche, Lebendigkeit und Rührigkeit mitten im bürgerlichen Verkehr zu
verſchaffen weiß, welche auf den geſammten bürgerlichen Verkehr von dem
heilſamſten Einfluß und auf das ganze Polizeigetriebe und auch auf den Chef
ſelbſt von glücklicher Rückwirkung iſt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0375" n="363"/>
Stagnation und fauligen Ver&#x017F;umpfung gebracht werden, durch<lb/>
deren trüben und unge&#x017F;unden Nieder&#x017F;chlag &#x017F;ich &#x017F;chädliche Miasmen<lb/>
bilden, und zunäch&#x017F;t die Beamten&#x017F;chaft und durch die Berührung<lb/>
mit dem Bürgerthum auch die&#x017F;es in ein bedenkliches Siechthum<lb/>
ver&#x017F;etzen. Offenkundig wird die polizeiliche Reg&#x017F;amkeit in den<lb/>
Bureaux durch das viele Schreiben und durch die ma&#x017F;&#x017F;enhafte<lb/>
Actenfabrikation gehemmt. Doch i&#x017F;t es gerade die polizeiliche<lb/>
Thätigkeit &#x017F;elb&#x017F;t, welche am deutlich&#x017F;ten das Maß zeigt, wie weit<lb/>
und wie viel ge&#x017F;chrieben werden &#x017F;oll. Es i&#x017F;t unmöglich, über die<lb/>
ganze täglich vorkommende Ma&#x017F;&#x017F;e von Bagatell&#x017F;achen förmliches<lb/>
Protokoll zu führen. Den Anhaltspunkt gibt die einfache That-<lb/>
&#x017F;ache, die einfache ganz kurze &#x017F;chriftliche Berichter&#x017F;tattung, an welche<lb/>
und auf welcher der Vorge&#x017F;etzte &#x017F;eine kurzen &#x017F;chriftlichen Notizen<lb/>
mit dem Ab&#x017F;pruch hinzufügt. <note place="foot" n="1)">Die&#x017F;e herrliche Einfachheit i&#x017F;t eine der Grundlagen, auf welcher die<lb/>
mu&#x017F;terhafte Polizei in Hamburg &#x017F;o außerordentlich viel lei&#x017F;tet. Jeder active<lb/>
Subalterne hat über &#x017F;eine einzelnen Wahrnehmungen einen ganz kurzen Be-<lb/>
richt &#x2014; ich habe Berichte von 5 bis 6 Zeilen ge&#x017F;ehen &#x2014; auf einen gebro-<lb/>
chenen Bogen zu &#x017F;chreiben, wobei auf Form und Stil nicht ge&#x017F;ehen, &#x017F;ondern<lb/>
nur die einfache klare Dar&#x017F;tellung der That&#x017F;ache gefordert wird. Auf die&#x017F;em<lb/>
Berichte &#x017F;elb&#x017F;t, der die Grundlage der Verhandlung bildet, &#x017F;chreibt der <hi rendition="#g">Chef,<lb/>
ohne Bei&#x017F;itzer und Protokolli&#x017F;ten, &#x017F;elb&#x017F;t</hi> &#x017F;eine kurzen Notizen während<lb/>
der von ihm geleiteten Verhandlung, neb&#x017F;t dem Ab&#x017F;pruch. Damit &#x017F;ind die<lb/>
Acten er&#x017F;chöpft. Jn die&#x017F;er ihrer Kürze liegt die ganze Verhandlung mit<lb/>
lebendiger Behendigkeit ausgedrückt, welche durch keine noch &#x017F;o weit&#x017F;chichtige<lb/>
Protokollirung auch nur annähernd erreicht werden kann. So &#x017F;ieht man mit<lb/>
Bewunderung durch einen einzigen Mann die ge&#x017F;ammte Polizei in einer Welt-<lb/>
&#x017F;tadt voll ungeheuern Lebens und immer reger Bewegung gehandhabt. Der<lb/>
Chef &#x017F;elb&#x017F;t, ob&#x017F;chon Mitglied des höch&#x017F;ten Staatskörpers, lebt mitten in der<lb/>
Polizei und mit ihren Beamten, denen er durch &#x017F;eine eigene gei&#x017F;tige Belebung<lb/>
eine Fri&#x017F;che, Lebendigkeit und Rührigkeit mitten im bürgerlichen Verkehr zu<lb/>
ver&#x017F;chaffen weiß, welche auf den ge&#x017F;ammten bürgerlichen Verkehr von dem<lb/>
heil&#x017F;am&#x017F;ten Einfluß und auf das ganze Polizeigetriebe und auch auf den Chef<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t von glücklicher Rückwirkung i&#x017F;t.</note> So viel und nicht mehr darf der<lb/>
Jnhalt der Polizeiacten &#x017F;ein. Größere, &#x017F;chwerere und complicir-<lb/>
tere Sachen werden &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich ausführlich und be&#x017F;onders<lb/>
vom Chef oder &#x017F;einen näch&#x017F;ten Mitarbeitern behandelt. Nur der<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[363/0375] Stagnation und fauligen Verſumpfung gebracht werden, durch deren trüben und ungeſunden Niederſchlag ſich ſchädliche Miasmen bilden, und zunächſt die Beamtenſchaft und durch die Berührung mit dem Bürgerthum auch dieſes in ein bedenkliches Siechthum verſetzen. Offenkundig wird die polizeiliche Regſamkeit in den Bureaux durch das viele Schreiben und durch die maſſenhafte Actenfabrikation gehemmt. Doch iſt es gerade die polizeiliche Thätigkeit ſelbſt, welche am deutlichſten das Maß zeigt, wie weit und wie viel geſchrieben werden ſoll. Es iſt unmöglich, über die ganze täglich vorkommende Maſſe von Bagatellſachen förmliches Protokoll zu führen. Den Anhaltspunkt gibt die einfache That- ſache, die einfache ganz kurze ſchriftliche Berichterſtattung, an welche und auf welcher der Vorgeſetzte ſeine kurzen ſchriftlichen Notizen mit dem Abſpruch hinzufügt. 1) So viel und nicht mehr darf der Jnhalt der Polizeiacten ſein. Größere, ſchwerere und complicir- tere Sachen werden ſelbſtverſtändlich ausführlich und beſonders vom Chef oder ſeinen nächſten Mitarbeitern behandelt. Nur der 1) Dieſe herrliche Einfachheit iſt eine der Grundlagen, auf welcher die muſterhafte Polizei in Hamburg ſo außerordentlich viel leiſtet. Jeder active Subalterne hat über ſeine einzelnen Wahrnehmungen einen ganz kurzen Be- richt — ich habe Berichte von 5 bis 6 Zeilen geſehen — auf einen gebro- chenen Bogen zu ſchreiben, wobei auf Form und Stil nicht geſehen, ſondern nur die einfache klare Darſtellung der Thatſache gefordert wird. Auf dieſem Berichte ſelbſt, der die Grundlage der Verhandlung bildet, ſchreibt der Chef, ohne Beiſitzer und Protokolliſten, ſelbſt ſeine kurzen Notizen während der von ihm geleiteten Verhandlung, nebſt dem Abſpruch. Damit ſind die Acten erſchöpft. Jn dieſer ihrer Kürze liegt die ganze Verhandlung mit lebendiger Behendigkeit ausgedrückt, welche durch keine noch ſo weitſchichtige Protokollirung auch nur annähernd erreicht werden kann. So ſieht man mit Bewunderung durch einen einzigen Mann die geſammte Polizei in einer Welt- ſtadt voll ungeheuern Lebens und immer reger Bewegung gehandhabt. Der Chef ſelbſt, obſchon Mitglied des höchſten Staatskörpers, lebt mitten in der Polizei und mit ihren Beamten, denen er durch ſeine eigene geiſtige Belebung eine Friſche, Lebendigkeit und Rührigkeit mitten im bürgerlichen Verkehr zu verſchaffen weiß, welche auf den geſammten bürgerlichen Verkehr von dem heilſamſten Einfluß und auf das ganze Polizeigetriebe und auch auf den Chef ſelbſt von glücklicher Rückwirkung iſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/375
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/375>, abgerufen am 19.05.2024.