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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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lähmend und bedenklich. Die Masse und Monotonie des Schrei-
bens hat auch auf die Jndividualität der Schreiber den nach-
theiligsten Einfluß, und macht die Polizeibureaux zu wahren Sie-
chenstuben, in denen man Kranke in allen Formen, vom stumpfen
Marasmus bis zur quicken Albernheit findet. Jeder Bureaulist
wird mit der Zeit vom Uebel inficirt. Jeder hat seine bestimmte
Jdiosynkrasie. Alle aber dünken sich mehr als sie sind, und jeder
hält sich für den Wichtigsten. Die Concepte des Untergeordneten
werden, um recht gründlich alle frische Natürlichkeit auszumerzen,
von den Vorgesetzten wie die Arbeiten eines Schulknaben corrigirt,
oft von einer Hand, welche nicht einmal selbst der Sprache und
Grammatik völlig mächtig ist. Wehe dem Untergebenen, der eine
richtige Correctur einer solchen falschen Correctur oder auch nur
eine bescheidene Bemerkung wagte. "Er hat sich gegen seinen
Vorgesetzten vergangen!!
" Das ist die stehende, mystische,
perfide, ekle Redensart, mit welcher alle rohe Gewalt der Vorge-
setzten gegen den Untergebenen beschönigt wird, und welche hin-
wiederum das infernale Minirsystem tückischer intriguanter Ser-
vilität gegen sich provocirt, die von unten nach oben kriecht. So-
lange nicht der Blick des Chefs mit ganzer und ununterbrochener
Aufmerksamkeit und scharfer Genauigkeit in die Bureaux fällt, so-
lange er nicht seine eigene volle freie und frische Geistigkeit und
Lebendigkeit in alle seine Bureaustuben hineinbringen kann, so
lange darf er auch nicht hoffen, daß das giftige Miasma vor einer
freiern Luftströmung weicht, daß der Bürger von verkommenen
Bureaulisten nicht mehr auf die insolenteste Weise behandelt wird,
daß der bei seinem elendkümmerlichen Gehalte der Bestechung
leicht zugängliche niedere Beamte nicht immer wieder eine Unzahl
heimlicher Pflichtwidrigkeiten begeht, und der verkappte Gauner
nicht nach wie vor seinen gefälschten Paß mit kaum verhehltem
Hohne den blöden Augen einer geistlosen Schreiberschar in den
Paßbureaux unangefochten zum Visiren vorlegt. Wie viel Besse-
rung, Belebung, Ermuthigung und Frische ließe sich in diese trü-
ben widerlichen Bureaux hineinbringen, wenn der Chef mit edler
offener Selbstverleugnung seine Einrichtungen gewissenhaft prüfte

lähmend und bedenklich. Die Maſſe und Monotonie des Schrei-
bens hat auch auf die Jndividualität der Schreiber den nach-
theiligſten Einfluß, und macht die Polizeibureaux zu wahren Sie-
chenſtuben, in denen man Kranke in allen Formen, vom ſtumpfen
Marasmus bis zur quicken Albernheit findet. Jeder Bureauliſt
wird mit der Zeit vom Uebel inficirt. Jeder hat ſeine beſtimmte
Jdioſynkraſie. Alle aber dünken ſich mehr als ſie ſind, und jeder
hält ſich für den Wichtigſten. Die Concepte des Untergeordneten
werden, um recht gründlich alle friſche Natürlichkeit auszumerzen,
von den Vorgeſetzten wie die Arbeiten eines Schulknaben corrigirt,
oft von einer Hand, welche nicht einmal ſelbſt der Sprache und
Grammatik völlig mächtig iſt. Wehe dem Untergebenen, der eine
richtige Correctur einer ſolchen falſchen Correctur oder auch nur
eine beſcheidene Bemerkung wagte. „Er hat ſich gegen ſeinen
Vorgeſetzten vergangen!!
“ Das iſt die ſtehende, myſtiſche,
perfide, ekle Redensart, mit welcher alle rohe Gewalt der Vorge-
ſetzten gegen den Untergebenen beſchönigt wird, und welche hin-
wiederum das infernale Minirſyſtem tückiſcher intriguanter Ser-
vilität gegen ſich provocirt, die von unten nach oben kriecht. So-
lange nicht der Blick des Chefs mit ganzer und ununterbrochener
Aufmerkſamkeit und ſcharfer Genauigkeit in die Bureaux fällt, ſo-
lange er nicht ſeine eigene volle freie und friſche Geiſtigkeit und
Lebendigkeit in alle ſeine Bureauſtuben hineinbringen kann, ſo
lange darf er auch nicht hoffen, daß das giftige Miasma vor einer
freiern Luftſtrömung weicht, daß der Bürger von verkommenen
Bureauliſten nicht mehr auf die inſolenteſte Weiſe behandelt wird,
daß der bei ſeinem elendkümmerlichen Gehalte der Beſtechung
leicht zugängliche niedere Beamte nicht immer wieder eine Unzahl
heimlicher Pflichtwidrigkeiten begeht, und der verkappte Gauner
nicht nach wie vor ſeinen gefälſchten Paß mit kaum verhehltem
Hohne den blöden Augen einer geiſtloſen Schreiberſchar in den
Paßbureaux unangefochten zum Viſiren vorlegt. Wie viel Beſſe-
rung, Belebung, Ermuthigung und Friſche ließe ſich in dieſe trü-
ben widerlichen Bureaux hineinbringen, wenn der Chef mit edler
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[365/0377] lähmend und bedenklich. Die Maſſe und Monotonie des Schrei- bens hat auch auf die Jndividualität der Schreiber den nach- theiligſten Einfluß, und macht die Polizeibureaux zu wahren Sie- chenſtuben, in denen man Kranke in allen Formen, vom ſtumpfen Marasmus bis zur quicken Albernheit findet. Jeder Bureauliſt wird mit der Zeit vom Uebel inficirt. Jeder hat ſeine beſtimmte Jdioſynkraſie. Alle aber dünken ſich mehr als ſie ſind, und jeder hält ſich für den Wichtigſten. Die Concepte des Untergeordneten werden, um recht gründlich alle friſche Natürlichkeit auszumerzen, von den Vorgeſetzten wie die Arbeiten eines Schulknaben corrigirt, oft von einer Hand, welche nicht einmal ſelbſt der Sprache und Grammatik völlig mächtig iſt. Wehe dem Untergebenen, der eine richtige Correctur einer ſolchen falſchen Correctur oder auch nur eine beſcheidene Bemerkung wagte. „Er hat ſich gegen ſeinen Vorgeſetzten vergangen!!“ Das iſt die ſtehende, myſtiſche, perfide, ekle Redensart, mit welcher alle rohe Gewalt der Vorge- ſetzten gegen den Untergebenen beſchönigt wird, und welche hin- wiederum das infernale Minirſyſtem tückiſcher intriguanter Ser- vilität gegen ſich provocirt, die von unten nach oben kriecht. So- lange nicht der Blick des Chefs mit ganzer und ununterbrochener Aufmerkſamkeit und ſcharfer Genauigkeit in die Bureaux fällt, ſo- lange er nicht ſeine eigene volle freie und friſche Geiſtigkeit und Lebendigkeit in alle ſeine Bureauſtuben hineinbringen kann, ſo lange darf er auch nicht hoffen, daß das giftige Miasma vor einer freiern Luftſtrömung weicht, daß der Bürger von verkommenen Bureauliſten nicht mehr auf die inſolenteſte Weiſe behandelt wird, daß der bei ſeinem elendkümmerlichen Gehalte der Beſtechung leicht zugängliche niedere Beamte nicht immer wieder eine Unzahl heimlicher Pflichtwidrigkeiten begeht, und der verkappte Gauner nicht nach wie vor ſeinen gefälſchten Paß mit kaum verhehltem Hohne den blöden Augen einer geiſtloſen Schreiberſchar in den Paßbureaux unangefochten zum Viſiren vorlegt. Wie viel Beſſe- rung, Belebung, Ermuthigung und Friſche ließe ſich in dieſe trü- ben widerlichen Bureaux hineinbringen, wenn der Chef mit edler offener Selbſtverleugnung ſeine Einrichtungen gewiſſenhaft prüfte

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/377>, abgerufen am 25.11.2024.