Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

und sich nicht scheute, seine eigenen Fehler zu begreifen und zu
bessern!



Einhundertstes Kapitel.
f) Die Beseitigung des Vigilantenwesens.

Eine nothwendige Folge des geistigen Erstickungstodes in den
Bureaux ist das vergeblich abgeleugnete, immer aber noch stark
umherwuchernde Vigilantenwesen. Der zum Wachen und Ent-
decken commandirte Subalterne, welcher mit, oder vielmehr trotz
seiner weitläufigen, tüchtig memorirten Jnstruction ahnet, daß
außer diesem dürftig inspirirenden Geiste noch ein anderer Geist
über der Sphäre der Jnstruction schwebt, den das berufene Talent
leicht begreift und dienstbar macht, will diesen Geist beschwören,
und greift nach der nächsten Erscheinung, die er sichtbar fassen
kann, nach dem Verbrechen selbst. Er provocirt an Verbrecher,
die unter dem schmachvollen Kunstnamen der Vigilanten zur zwie-
fachen Unthat des Verbrechens und des Verraths concessionirt
und bezahlt werden, unter dieser Aegide das Bürgerthum und die
Polizei sich unablöslich tributär machen und wiederum nach oben
hin das Feuilleton zu den geheimen Conduitenlisten liefern, welche
mit der Entlassung des unglücklichen Opfers der eigenen Unwissen-
heit und Taktlosigkeit abschließen. Das Vigilantenwesen ist die
dämonische Gewalt der Polizei. Sie beobachtet nicht einmal mehr
den äußern Schein der Dienstbarkeit, sondern beherrscht ihr Terrain
mit schamlosem Absolutismus. Sie spukt noch aus der französi-
schen Zeit in Deutschland umher, und hat so tief um sich gefressen,
daß man sie nachgerade öffentlich desavouirt, während der Geist
im geheimen doch noch immer als spiritus familiaris beschworen
und dabei doch viel mehr vom Gaunerthum beherrscht wird, als
von der Polizei, welche sich mit Entrüstung von diesem elenden
Behelfe abwenden sollte, der sie mit Schmach bedeckt, und ihr den
letzten Rest des Vertrauens beim Bürgerthum nimmt.



und ſich nicht ſcheute, ſeine eigenen Fehler zu begreifen und zu
beſſern!



Einhundertſtes Kapitel.
f) Die Beſeitigung des Vigilantenweſens.

Eine nothwendige Folge des geiſtigen Erſtickungstodes in den
Bureaux iſt das vergeblich abgeleugnete, immer aber noch ſtark
umherwuchernde Vigilantenweſen. Der zum Wachen und Ent-
decken commandirte Subalterne, welcher mit, oder vielmehr trotz
ſeiner weitläufigen, tüchtig memorirten Jnſtruction ahnet, daß
außer dieſem dürftig inſpirirenden Geiſte noch ein anderer Geiſt
über der Sphäre der Jnſtruction ſchwebt, den das berufene Talent
leicht begreift und dienſtbar macht, will dieſen Geiſt beſchwören,
und greift nach der nächſten Erſcheinung, die er ſichtbar faſſen
kann, nach dem Verbrechen ſelbſt. Er provocirt an Verbrecher,
die unter dem ſchmachvollen Kunſtnamen der Vigilanten zur zwie-
fachen Unthat des Verbrechens und des Verraths conceſſionirt
und bezahlt werden, unter dieſer Aegide das Bürgerthum und die
Polizei ſich unablöslich tributär machen und wiederum nach oben
hin das Feuilleton zu den geheimen Conduitenliſten liefern, welche
mit der Entlaſſung des unglücklichen Opfers der eigenen Unwiſſen-
heit und Taktloſigkeit abſchließen. Das Vigilantenweſen iſt die
dämoniſche Gewalt der Polizei. Sie beobachtet nicht einmal mehr
den äußern Schein der Dienſtbarkeit, ſondern beherrſcht ihr Terrain
mit ſchamloſem Abſolutismus. Sie ſpukt noch aus der franzöſi-
ſchen Zeit in Deutſchland umher, und hat ſo tief um ſich gefreſſen,
daß man ſie nachgerade öffentlich desavouirt, während der Geiſt
im geheimen doch noch immer als spiritus familiaris beſchworen
und dabei doch viel mehr vom Gaunerthum beherrſcht wird, als
von der Polizei, welche ſich mit Entrüſtung von dieſem elenden
Behelfe abwenden ſollte, der ſie mit Schmach bedeckt, und ihr den
letzten Reſt des Vertrauens beim Bürgerthum nimmt.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0378" n="366"/>
und &#x017F;ich nicht &#x017F;cheute, &#x017F;eine eigenen Fehler zu begreifen und zu<lb/>
be&#x017F;&#x017F;ern!</p>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#fr">Einhundert&#x017F;tes Kapitel.</hi><lb/> <hi rendition="#aq">f)</hi> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Die Be&#x017F;eitigung des Vigilantenwe&#x017F;ens</hi>.</hi> </head><lb/>
              <p>Eine nothwendige Folge des gei&#x017F;tigen Er&#x017F;tickungstodes in den<lb/>
Bureaux i&#x017F;t das vergeblich abgeleugnete, immer aber noch &#x017F;tark<lb/>
umherwuchernde Vigilantenwe&#x017F;en. Der zum Wachen und Ent-<lb/>
decken commandirte Subalterne, welcher mit, oder vielmehr <hi rendition="#g">trotz</hi><lb/>
&#x017F;einer weitläufigen, tüchtig memorirten Jn&#x017F;truction ahnet, daß<lb/>
außer die&#x017F;em dürftig in&#x017F;pirirenden Gei&#x017F;te noch ein anderer Gei&#x017F;t<lb/>
über der Sphäre der Jn&#x017F;truction &#x017F;chwebt, den das berufene Talent<lb/>
leicht begreift und dien&#x017F;tbar macht, will die&#x017F;en Gei&#x017F;t be&#x017F;chwören,<lb/>
und greift nach der näch&#x017F;ten Er&#x017F;cheinung, die er &#x017F;ichtbar fa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
kann, nach dem Verbrechen &#x017F;elb&#x017F;t. Er provocirt an Verbrecher,<lb/>
die unter dem &#x017F;chmachvollen Kun&#x017F;tnamen der Vigilanten zur zwie-<lb/>
fachen Unthat des Verbrechens und des Verraths conce&#x017F;&#x017F;ionirt<lb/>
und bezahlt werden, unter die&#x017F;er Aegide das Bürgerthum und die<lb/>
Polizei &#x017F;ich unablöslich tributär machen und wiederum nach oben<lb/>
hin das Feuilleton zu den geheimen Conduitenli&#x017F;ten liefern, welche<lb/>
mit der Entla&#x017F;&#x017F;ung des unglücklichen Opfers der eigenen Unwi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
heit und Taktlo&#x017F;igkeit ab&#x017F;chließen. Das Vigilantenwe&#x017F;en i&#x017F;t die<lb/>
dämoni&#x017F;che Gewalt der Polizei. Sie beobachtet nicht einmal mehr<lb/>
den äußern Schein der Dien&#x017F;tbarkeit, &#x017F;ondern beherr&#x017F;cht ihr Terrain<lb/>
mit &#x017F;chamlo&#x017F;em Ab&#x017F;olutismus. Sie &#x017F;pukt noch aus der franzö&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;chen Zeit in Deut&#x017F;chland umher, und hat &#x017F;o tief um &#x017F;ich gefre&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß man &#x017F;ie nachgerade öffentlich desavouirt, während der Gei&#x017F;t<lb/>
im geheimen doch noch immer als <hi rendition="#aq">spiritus familiaris</hi> be&#x017F;chworen<lb/>
und dabei doch viel mehr vom Gaunerthum beherr&#x017F;cht wird, als<lb/>
von der Polizei, welche &#x017F;ich mit Entrü&#x017F;tung von die&#x017F;em elenden<lb/>
Behelfe abwenden &#x017F;ollte, der &#x017F;ie mit Schmach bedeckt, und ihr den<lb/>
letzten Re&#x017F;t des Vertrauens beim Bürgerthum nimmt.</p>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[366/0378] und ſich nicht ſcheute, ſeine eigenen Fehler zu begreifen und zu beſſern! Einhundertſtes Kapitel. f) Die Beſeitigung des Vigilantenweſens. Eine nothwendige Folge des geiſtigen Erſtickungstodes in den Bureaux iſt das vergeblich abgeleugnete, immer aber noch ſtark umherwuchernde Vigilantenweſen. Der zum Wachen und Ent- decken commandirte Subalterne, welcher mit, oder vielmehr trotz ſeiner weitläufigen, tüchtig memorirten Jnſtruction ahnet, daß außer dieſem dürftig inſpirirenden Geiſte noch ein anderer Geiſt über der Sphäre der Jnſtruction ſchwebt, den das berufene Talent leicht begreift und dienſtbar macht, will dieſen Geiſt beſchwören, und greift nach der nächſten Erſcheinung, die er ſichtbar faſſen kann, nach dem Verbrechen ſelbſt. Er provocirt an Verbrecher, die unter dem ſchmachvollen Kunſtnamen der Vigilanten zur zwie- fachen Unthat des Verbrechens und des Verraths conceſſionirt und bezahlt werden, unter dieſer Aegide das Bürgerthum und die Polizei ſich unablöslich tributär machen und wiederum nach oben hin das Feuilleton zu den geheimen Conduitenliſten liefern, welche mit der Entlaſſung des unglücklichen Opfers der eigenen Unwiſſen- heit und Taktloſigkeit abſchließen. Das Vigilantenweſen iſt die dämoniſche Gewalt der Polizei. Sie beobachtet nicht einmal mehr den äußern Schein der Dienſtbarkeit, ſondern beherrſcht ihr Terrain mit ſchamloſem Abſolutismus. Sie ſpukt noch aus der franzöſi- ſchen Zeit in Deutſchland umher, und hat ſo tief um ſich gefreſſen, daß man ſie nachgerade öffentlich desavouirt, während der Geiſt im geheimen doch noch immer als spiritus familiaris beſchworen und dabei doch viel mehr vom Gaunerthum beherrſcht wird, als von der Polizei, welche ſich mit Entrüſtung von dieſem elenden Behelfe abwenden ſollte, der ſie mit Schmach bedeckt, und ihr den letzten Reſt des Vertrauens beim Bürgerthum nimmt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/378
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/378>, abgerufen am 25.11.2024.