Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

cationen zu bringen suchte, doch auf die Polizei ohne allen Ein-
fluß blieb, wiewol das Streben der Magistrate nach einer solchen
Klassification nicht zu verkennen ist. Die Polizei war als natür-
liche bürgerliche Ordnung in das bürgerliche Leben selbst hinein-
getragen, und wurde von dessen social-politischen Gruppen, be-
sonders von den verschiedenartigsten zünftischen Corporationen, ge-
handhabt und aufrecht erhalten, bis sie ganz mit diesem Leben
verwachsen war. Dieser Lebensproceß der deutschen Polizei im
deutschen Bürgerthum hat die schönsten eigenthümlichen Tugenden
desselben, Treue, Glauben, Offenheit und Arglosigkeit, bis zur
Unvorsichtigkeit, wesentlich erhalten und gefördert, welche sich jedoch
an Stelle des frühern, selbst den schneidigsten Polizeiordnungen
willig sich fügenden Gehorsams in Mistrauen und Abneigung bis
zum sittlichen Zürnen und offenen Widerstand umwandelten, sobald
die deutsche Polizei sich mit fremdartigen Elementen versetzte, und
durch ihre Ausbildung zur künstlich construirten Behörde sich von
dem bürgerlichen Leben mehr und mehr abschied.

Die Aufhebung dieser Scheidung und die Wiedervereinigung
der so unnatürlich getrennten Factoren, des Bürgerthums und der
Polizei, ist die dringendste und die wichtigste Aufgabe der Gegen-
wart. Jhr Aufschub hat alle Mislichkeit noch vergrößert, und ist
ganz besonders der Grund, daß das Gaunerthum überall in allen
social-politischen Schichten wuchert und die Polizei ihm dorthin
nicht nachzufolgen vermag. Die Polizei gesetzgebung, welche die
von Schäffer, Grolman, Rebmann, Falkenberg, Schwencken, Brill,
Stuhlmüller, Eberhardt, u. a. gemachten trefflichen Vorschläge
gegen das Gaunerthum berücksichtigt hat, ist so auffallend vorge-
schritten, daß außer den schon berührten Mängeln kaum noch
andere beseitigt werden zu müssen scheinen. Um so größer erscheint
aber auch hierin der Rückstand der Polizeipraxis, welche billig
sich zu bestreben hat, der trefflichen Polizeigesetzgebung
gleichzukommen,
welche ihr so weit vorangeschritten ist.



cationen zu bringen ſuchte, doch auf die Polizei ohne allen Ein-
fluß blieb, wiewol das Streben der Magiſtrate nach einer ſolchen
Klaſſification nicht zu verkennen iſt. Die Polizei war als natür-
liche bürgerliche Ordnung in das bürgerliche Leben ſelbſt hinein-
getragen, und wurde von deſſen ſocial-politiſchen Gruppen, be-
ſonders von den verſchiedenartigſten zünftiſchen Corporationen, ge-
handhabt und aufrecht erhalten, bis ſie ganz mit dieſem Leben
verwachſen war. Dieſer Lebensproceß der deutſchen Polizei im
deutſchen Bürgerthum hat die ſchönſten eigenthümlichen Tugenden
deſſelben, Treue, Glauben, Offenheit und Argloſigkeit, bis zur
Unvorſichtigkeit, weſentlich erhalten und gefördert, welche ſich jedoch
an Stelle des frühern, ſelbſt den ſchneidigſten Polizeiordnungen
willig ſich fügenden Gehorſams in Mistrauen und Abneigung bis
zum ſittlichen Zürnen und offenen Widerſtand umwandelten, ſobald
die deutſche Polizei ſich mit fremdartigen Elementen verſetzte, und
durch ihre Ausbildung zur künſtlich conſtruirten Behörde ſich von
dem bürgerlichen Leben mehr und mehr abſchied.

Die Aufhebung dieſer Scheidung und die Wiedervereinigung
der ſo unnatürlich getrennten Factoren, des Bürgerthums und der
Polizei, iſt die dringendſte und die wichtigſte Aufgabe der Gegen-
wart. Jhr Aufſchub hat alle Mislichkeit noch vergrößert, und iſt
ganz beſonders der Grund, daß das Gaunerthum überall in allen
ſocial-politiſchen Schichten wuchert und die Polizei ihm dorthin
nicht nachzufolgen vermag. Die Polizei geſetzgebung, welche die
von Schäffer, Grolman, Rebmann, Falkenberg, Schwencken, Brill,
Stuhlmüller, Eberhardt, u. a. gemachten trefflichen Vorſchläge
gegen das Gaunerthum berückſichtigt hat, iſt ſo auffallend vorge-
ſchritten, daß außer den ſchon berührten Mängeln kaum noch
andere beſeitigt werden zu müſſen ſcheinen. Um ſo größer erſcheint
aber auch hierin der Rückſtand der Polizeipraxis, welche billig
ſich zu beſtreben hat, der trefflichen Polizeigeſetzgebung
gleichzukommen,
welche ihr ſo weit vorangeſchritten iſt.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0382" n="370"/>
cationen zu bringen &#x017F;uchte, doch auf die Polizei ohne allen Ein-<lb/>
fluß blieb, wiewol das Streben der Magi&#x017F;trate nach einer &#x017F;olchen<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;ification nicht zu verkennen i&#x017F;t. Die Polizei war als natür-<lb/>
liche bürgerliche Ordnung in das bürgerliche Leben &#x017F;elb&#x017F;t hinein-<lb/>
getragen, und wurde von de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ocial-politi&#x017F;chen Gruppen, be-<lb/>
&#x017F;onders von den ver&#x017F;chiedenartig&#x017F;ten zünfti&#x017F;chen Corporationen, ge-<lb/>
handhabt und aufrecht erhalten, bis &#x017F;ie ganz mit die&#x017F;em Leben<lb/>
verwach&#x017F;en war. Die&#x017F;er Lebensproceß der deut&#x017F;chen Polizei im<lb/>
deut&#x017F;chen Bürgerthum hat die &#x017F;chön&#x017F;ten eigenthümlichen Tugenden<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben, Treue, Glauben, Offenheit und Arglo&#x017F;igkeit, bis zur<lb/>
Unvor&#x017F;ichtigkeit, we&#x017F;entlich erhalten und gefördert, welche &#x017F;ich jedoch<lb/>
an Stelle des frühern, &#x017F;elb&#x017F;t den &#x017F;chneidig&#x017F;ten Polizeiordnungen<lb/>
willig &#x017F;ich fügenden Gehor&#x017F;ams in Mistrauen und Abneigung bis<lb/>
zum &#x017F;ittlichen Zürnen und offenen Wider&#x017F;tand umwandelten, &#x017F;obald<lb/>
die deut&#x017F;che Polizei &#x017F;ich mit fremdartigen Elementen ver&#x017F;etzte, und<lb/>
durch ihre Ausbildung zur kün&#x017F;tlich con&#x017F;truirten Behörde &#x017F;ich von<lb/>
dem bürgerlichen Leben mehr und mehr ab&#x017F;chied.</p><lb/>
              <p>Die Aufhebung die&#x017F;er Scheidung und die Wiedervereinigung<lb/>
der &#x017F;o unnatürlich getrennten Factoren, des Bürgerthums und der<lb/>
Polizei, i&#x017F;t die dringend&#x017F;te und die wichtig&#x017F;te Aufgabe der Gegen-<lb/>
wart. Jhr Auf&#x017F;chub hat alle Mislichkeit noch vergrößert, und i&#x017F;t<lb/>
ganz be&#x017F;onders der Grund, daß das Gaunerthum überall in allen<lb/>
&#x017F;ocial-politi&#x017F;chen Schichten wuchert und die Polizei ihm dorthin<lb/>
nicht nachzufolgen vermag. Die Polizei <hi rendition="#g">ge&#x017F;etzgebung,</hi> welche die<lb/>
von Schäffer, Grolman, Rebmann, Falkenberg, Schwencken, Brill,<lb/>
Stuhlmüller, Eberhardt, u. a. gemachten trefflichen Vor&#x017F;chläge<lb/>
gegen das Gaunerthum berück&#x017F;ichtigt hat, i&#x017F;t &#x017F;o auffallend vorge-<lb/>
&#x017F;chritten, daß außer den &#x017F;chon berührten Mängeln kaum noch<lb/>
andere be&#x017F;eitigt werden zu mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;cheinen. Um &#x017F;o größer er&#x017F;cheint<lb/>
aber auch hierin der Rück&#x017F;tand der Polizei<hi rendition="#g">praxis,</hi> welche billig<lb/>
&#x017F;ich zu be&#x017F;treben hat, <hi rendition="#g">der trefflichen Polizeige&#x017F;etzgebung<lb/>
gleichzukommen,</hi> welche ihr &#x017F;o weit vorange&#x017F;chritten i&#x017F;t.</p>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[370/0382] cationen zu bringen ſuchte, doch auf die Polizei ohne allen Ein- fluß blieb, wiewol das Streben der Magiſtrate nach einer ſolchen Klaſſification nicht zu verkennen iſt. Die Polizei war als natür- liche bürgerliche Ordnung in das bürgerliche Leben ſelbſt hinein- getragen, und wurde von deſſen ſocial-politiſchen Gruppen, be- ſonders von den verſchiedenartigſten zünftiſchen Corporationen, ge- handhabt und aufrecht erhalten, bis ſie ganz mit dieſem Leben verwachſen war. Dieſer Lebensproceß der deutſchen Polizei im deutſchen Bürgerthum hat die ſchönſten eigenthümlichen Tugenden deſſelben, Treue, Glauben, Offenheit und Argloſigkeit, bis zur Unvorſichtigkeit, weſentlich erhalten und gefördert, welche ſich jedoch an Stelle des frühern, ſelbſt den ſchneidigſten Polizeiordnungen willig ſich fügenden Gehorſams in Mistrauen und Abneigung bis zum ſittlichen Zürnen und offenen Widerſtand umwandelten, ſobald die deutſche Polizei ſich mit fremdartigen Elementen verſetzte, und durch ihre Ausbildung zur künſtlich conſtruirten Behörde ſich von dem bürgerlichen Leben mehr und mehr abſchied. Die Aufhebung dieſer Scheidung und die Wiedervereinigung der ſo unnatürlich getrennten Factoren, des Bürgerthums und der Polizei, iſt die dringendſte und die wichtigſte Aufgabe der Gegen- wart. Jhr Aufſchub hat alle Mislichkeit noch vergrößert, und iſt ganz beſonders der Grund, daß das Gaunerthum überall in allen ſocial-politiſchen Schichten wuchert und die Polizei ihm dorthin nicht nachzufolgen vermag. Die Polizei geſetzgebung, welche die von Schäffer, Grolman, Rebmann, Falkenberg, Schwencken, Brill, Stuhlmüller, Eberhardt, u. a. gemachten trefflichen Vorſchläge gegen das Gaunerthum berückſichtigt hat, iſt ſo auffallend vorge- ſchritten, daß außer den ſchon berührten Mängeln kaum noch andere beſeitigt werden zu müſſen ſcheinen. Um ſo größer erſcheint aber auch hierin der Rückſtand der Polizeipraxis, welche billig ſich zu beſtreben hat, der trefflichen Polizeigeſetzgebung gleichzukommen, welche ihr ſo weit vorangeſchritten iſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/382
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/382>, abgerufen am 25.11.2024.