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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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gehende Belehrung wurde die Justiz befähigt und ermuthigt, aus
den verdumpften Gerichtsstuben wieder heller in das Volk hinein-
zublicken und selbst wieder in Begriff und That beweglicher zu
werden, von welcher Beweglichkeit die Untersuchungen gegen die
Banden des Nicol List zu Celle, des Lips Tullian zu Dresden,
des jüdischen Baldowers Emmanuel Heinemann zu Koburg die
ersten ehrenvollen Zeugnisse geben. Trotz dieser vielversprechenden
Anfänge sind die Gauneruntersuchungen dennoch sogar bis auf
die neueste Zeit immer als vereinzelte Unternehmungen stehen ge-
blieben, welche von der temporären Noth und von dem Muth der
Befähigung einzelner geboten und gewagt wurden. Ungeachtet
der reichen Resultate, welche alle diese vereinzelten Feldzüge gegen
das Gaunerthum erbracht haben, ist keine auch nur einigermaßen
der Schlüssigkeit der feindlichen Phalanx gleichkommende bündige
Organisation der Polizei dem Gaunerthum entgegengestellt wor-
den, das vom ganzen social-politischen Leben um so sicherer ge-
deckt wird, jemehr es der Polizei überhaupt versagt ist, in dies
Leben einzudringen. Dieser Umstand ist es besonders, welcher den
Jnquirenten die Lust und Neigung zu den Gauneruntersuchungen
verleidet und solche trostlose Ansichten und Wünsche laut werden
läßt, wie Wenmohs am Schlusse seines Werks "Ueber Gauner"
ausgesprochen hat.

Doch gibt es kaum etwas Jnteressanteres, als die rege geistige
Lebendigkeit in einer Gauneruntersuchung. Hier lernt man aber
erst recht begreifen, wie viel dazu gehört, sich als Polizeimann
und Jnquirent zur lebendig-wissenschaftlichen Jndividualität heran-
zubilden, wie viel Positives und Materielles dazu aus dem Leben
beobachtet, erkannt und wissenschaftlich verarbeitet werden muß,
um mit sicherer imponirender Haltung dem seit Jahrhunderten
fortwuchernden, fest geschlossenen, verbrecherischen Gewerbe ent-
gegenzutreten. Trotz der gleichen Kunst ist doch jeder Gauner
eine andere Jndividualität, jede Untersuchung eine andere neue
Lehrschule, ja jedes Verhör desselben Gauners eine andere Pro-
cedur und eine beständig neue reiche Belehrung, sodaß man durch
diese immer frische Neuheit erst recht die Vielseitigkeit der Gauner-

gehende Belehrung wurde die Juſtiz befähigt und ermuthigt, aus
den verdumpften Gerichtsſtuben wieder heller in das Volk hinein-
zublicken und ſelbſt wieder in Begriff und That beweglicher zu
werden, von welcher Beweglichkeit die Unterſuchungen gegen die
Banden des Nicol Liſt zu Celle, des Lips Tullian zu Dresden,
des jüdiſchen Baldowers Emmanuel Heinemann zu Koburg die
erſten ehrenvollen Zeugniſſe geben. Trotz dieſer vielverſprechenden
Anfänge ſind die Gaunerunterſuchungen dennoch ſogar bis auf
die neueſte Zeit immer als vereinzelte Unternehmungen ſtehen ge-
blieben, welche von der temporären Noth und von dem Muth der
Befähigung einzelner geboten und gewagt wurden. Ungeachtet
der reichen Reſultate, welche alle dieſe vereinzelten Feldzüge gegen
das Gaunerthum erbracht haben, iſt keine auch nur einigermaßen
der Schlüſſigkeit der feindlichen Phalanx gleichkommende bündige
Organiſation der Polizei dem Gaunerthum entgegengeſtellt wor-
den, das vom ganzen ſocial-politiſchen Leben um ſo ſicherer ge-
deckt wird, jemehr es der Polizei überhaupt verſagt iſt, in dies
Leben einzudringen. Dieſer Umſtand iſt es beſonders, welcher den
Jnquirenten die Luſt und Neigung zu den Gaunerunterſuchungen
verleidet und ſolche troſtloſe Anſichten und Wünſche laut werden
läßt, wie Wenmohs am Schluſſe ſeines Werks „Ueber Gauner“
ausgeſprochen hat.

Doch gibt es kaum etwas Jntereſſanteres, als die rege geiſtige
Lebendigkeit in einer Gaunerunterſuchung. Hier lernt man aber
erſt recht begreifen, wie viel dazu gehört, ſich als Polizeimann
und Jnquirent zur lebendig-wiſſenſchaftlichen Jndividualität heran-
zubilden, wie viel Poſitives und Materielles dazu aus dem Leben
beobachtet, erkannt und wiſſenſchaftlich verarbeitet werden muß,
um mit ſicherer imponirender Haltung dem ſeit Jahrhunderten
fortwuchernden, feſt geſchloſſenen, verbrecheriſchen Gewerbe ent-
gegenzutreten. Trotz der gleichen Kunſt iſt doch jeder Gauner
eine andere Jndividualität, jede Unterſuchung eine andere neue
Lehrſchule, ja jedes Verhör deſſelben Gauners eine andere Pro-
cedur und eine beſtändig neue reiche Belehrung, ſodaß man durch
dieſe immer friſche Neuheit erſt recht die Vielſeitigkeit der Gauner-

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[376/0388] gehende Belehrung wurde die Juſtiz befähigt und ermuthigt, aus den verdumpften Gerichtsſtuben wieder heller in das Volk hinein- zublicken und ſelbſt wieder in Begriff und That beweglicher zu werden, von welcher Beweglichkeit die Unterſuchungen gegen die Banden des Nicol Liſt zu Celle, des Lips Tullian zu Dresden, des jüdiſchen Baldowers Emmanuel Heinemann zu Koburg die erſten ehrenvollen Zeugniſſe geben. Trotz dieſer vielverſprechenden Anfänge ſind die Gaunerunterſuchungen dennoch ſogar bis auf die neueſte Zeit immer als vereinzelte Unternehmungen ſtehen ge- blieben, welche von der temporären Noth und von dem Muth der Befähigung einzelner geboten und gewagt wurden. Ungeachtet der reichen Reſultate, welche alle dieſe vereinzelten Feldzüge gegen das Gaunerthum erbracht haben, iſt keine auch nur einigermaßen der Schlüſſigkeit der feindlichen Phalanx gleichkommende bündige Organiſation der Polizei dem Gaunerthum entgegengeſtellt wor- den, das vom ganzen ſocial-politiſchen Leben um ſo ſicherer ge- deckt wird, jemehr es der Polizei überhaupt verſagt iſt, in dies Leben einzudringen. Dieſer Umſtand iſt es beſonders, welcher den Jnquirenten die Luſt und Neigung zu den Gaunerunterſuchungen verleidet und ſolche troſtloſe Anſichten und Wünſche laut werden läßt, wie Wenmohs am Schluſſe ſeines Werks „Ueber Gauner“ ausgeſprochen hat. Doch gibt es kaum etwas Jntereſſanteres, als die rege geiſtige Lebendigkeit in einer Gaunerunterſuchung. Hier lernt man aber erſt recht begreifen, wie viel dazu gehört, ſich als Polizeimann und Jnquirent zur lebendig-wiſſenſchaftlichen Jndividualität heran- zubilden, wie viel Poſitives und Materielles dazu aus dem Leben beobachtet, erkannt und wiſſenſchaftlich verarbeitet werden muß, um mit ſicherer imponirender Haltung dem ſeit Jahrhunderten fortwuchernden, feſt geſchloſſenen, verbrecheriſchen Gewerbe ent- gegenzutreten. Trotz der gleichen Kunſt iſt doch jeder Gauner eine andere Jndividualität, jede Unterſuchung eine andere neue Lehrſchule, ja jedes Verhör deſſelben Gauners eine andere Pro- cedur und eine beſtändig neue reiche Belehrung, ſodaß man durch dieſe immer friſche Neuheit erſt recht die Vielſeitigkeit der Gauner-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/388>, abgerufen am 26.11.2024.