Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn er auch mit Leichtigkeit auf eine andere Erscheinung über-
springen kann, er durch den Wechsel doch seine Unverdächtigkeit
gefährdet, mithin auch seine Jndividualität bloßstellt. Daher das
übertrieben markirte und herrisch vornehme Wesen des angeblichen
Grafen, Barons, Offiziers, die heuchlerische Demuth und Ergeben-
heit des theologischen oder philosophischen Gelehrten, die Präten-
sion und nervöse ohnmächtelnde Gereiztheit der angeblichen Dame
von Rang und Bildung. Je schärfer diese Erscheinung vom Jn-
quisiten selbst in ihren Formen anerkannt und hervorgehoben wird,
als desto unechter tritt allmählich die Erscheinung hervor, und bietet
gerade dadurch dem durch Lebensverkehr und Erfahrung geschul-
ten gewandten Jnquirenten fast in jedem Momente Gelegen-
heit, dem Gauner die ganze Schwäche seiner Erscheinung abzu-
gewinnen, und ihn selbst von der Haltlosigkeit und Vergeblichkeit
seiner Prätension zu überzeugen. So kann der Jnquirent in die
vorgeschriebenen, vom Gauner schon vor vielen Behörden beant-
worteten und völlig unverfänglich scheinenden sogenannten Gene-
ralfragen ein Leben und eine geistige Gewalt hineinlegen, daß
schon durch diese geschickt angewandten und ausgebeuteten Fragen
der Gauner stutzig und selbst zuerst an der Glaubhaftigkeit seiner
zunächst prätendirten Erscheinung irre wird. 1) So geht schon oft
im ersten Verhör der vermeinte Baron allmählich vor der Ruhe
des Jnquirenten auf einen Seitenzweig seiner angeblichen Familie
oder zum desavouirten Mitgliede oder sogar Bastard über; die
Baronesse wird eine arme verstoßene Verwandte oder Milch-
schwester, Pflegeschwester oder zuletzt Gesellschafterin; der Professor

Frau begrüßte, worauf auch jene bereitwillig einging, freilich mit der Bemer-
kung auch ihrerseits, "daß ihr Niklas sich allerdings in den Jahren ein bis-
chen verändert habe".
1) Das geschieht fast immer, sobald nur der Jnquirent consequente Ruhe
beobachtet. Eine als Gräfin reisende Person, welche ich, nach ihren über ihre
Verhältnisse und Person gemachten Angaben, ruhig und beharrlich als "Frau
Gräfin" anredete, und die nach ihrer ganzen Haltung, Weise und Bildung
-- sie sprach unter anderm geläufig französisch und englisch -- wol die Rolle
einer Gräfin durchzuführen im Stande war, bat mich gleich in der ersten
Vernehmung, sie nicht mehr als "Gräfin" anzureden, die sie nicht sei u. s. w.

wenn er auch mit Leichtigkeit auf eine andere Erſcheinung über-
ſpringen kann, er durch den Wechſel doch ſeine Unverdächtigkeit
gefährdet, mithin auch ſeine Jndividualität bloßſtellt. Daher das
übertrieben markirte und herriſch vornehme Weſen des angeblichen
Grafen, Barons, Offiziers, die heuchleriſche Demuth und Ergeben-
heit des theologiſchen oder philoſophiſchen Gelehrten, die Präten-
ſion und nervöſe ohnmächtelnde Gereiztheit der angeblichen Dame
von Rang und Bildung. Je ſchärfer dieſe Erſcheinung vom Jn-
quiſiten ſelbſt in ihren Formen anerkannt und hervorgehoben wird,
als deſto unechter tritt allmählich die Erſcheinung hervor, und bietet
gerade dadurch dem durch Lebensverkehr und Erfahrung geſchul-
ten gewandten Jnquirenten faſt in jedem Momente Gelegen-
heit, dem Gauner die ganze Schwäche ſeiner Erſcheinung abzu-
gewinnen, und ihn ſelbſt von der Haltloſigkeit und Vergeblichkeit
ſeiner Prätenſion zu überzeugen. So kann der Jnquirent in die
vorgeſchriebenen, vom Gauner ſchon vor vielen Behörden beant-
worteten und völlig unverfänglich ſcheinenden ſogenannten Gene-
ralfragen ein Leben und eine geiſtige Gewalt hineinlegen, daß
ſchon durch dieſe geſchickt angewandten und ausgebeuteten Fragen
der Gauner ſtutzig und ſelbſt zuerſt an der Glaubhaftigkeit ſeiner
zunächſt prätendirten Erſcheinung irre wird. 1) So geht ſchon oft
im erſten Verhör der vermeinte Baron allmählich vor der Ruhe
des Jnquirenten auf einen Seitenzweig ſeiner angeblichen Familie
oder zum desavouirten Mitgliede oder ſogar Baſtard über; die
Baroneſſe wird eine arme verſtoßene Verwandte oder Milch-
ſchweſter, Pflegeſchweſter oder zuletzt Geſellſchafterin; der Profeſſor

Frau begrüßte, worauf auch jene bereitwillig einging, freilich mit der Bemer-
kung auch ihrerſeits, „daß ihr Niklas ſich allerdings in den Jahren ein bis-
chen verändert habe“.
1) Das geſchieht faſt immer, ſobald nur der Jnquirent conſequente Ruhe
beobachtet. Eine als Gräfin reiſende Perſon, welche ich, nach ihren über ihre
Verhältniſſe und Perſon gemachten Angaben, ruhig und beharrlich als „Frau
Gräfin“ anredete, und die nach ihrer ganzen Haltung, Weiſe und Bildung
— ſie ſprach unter anderm geläufig franzöſiſch und engliſch — wol die Rolle
einer Gräfin durchzuführen im Stande war, bat mich gleich in der erſten
Vernehmung, ſie nicht mehr als „Gräfin“ anzureden, die ſie nicht ſei u. ſ. w.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0395" n="383"/>
wenn er auch mit Leichtigkeit auf eine andere Er&#x017F;cheinung über-<lb/>
&#x017F;pringen kann, er durch den Wech&#x017F;el doch &#x017F;eine Unverdächtigkeit<lb/>
gefährdet, mithin auch &#x017F;eine Jndividualität bloß&#x017F;tellt. Daher das<lb/>
übertrieben markirte und herri&#x017F;ch vornehme We&#x017F;en des angeblichen<lb/>
Grafen, Barons, Offiziers, die heuchleri&#x017F;che Demuth und Ergeben-<lb/>
heit des theologi&#x017F;chen oder philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Gelehrten, die Präten-<lb/>
&#x017F;ion und nervö&#x017F;e ohnmächtelnde Gereiztheit der angeblichen Dame<lb/>
von Rang und Bildung. Je &#x017F;chärfer die&#x017F;e Er&#x017F;cheinung vom Jn-<lb/>
qui&#x017F;iten &#x017F;elb&#x017F;t in ihren Formen anerkannt und hervorgehoben wird,<lb/>
als de&#x017F;to unechter tritt allmählich die Er&#x017F;cheinung hervor, und bietet<lb/>
gerade dadurch dem durch Lebensverkehr und Erfahrung ge&#x017F;chul-<lb/>
ten gewandten Jnquirenten fa&#x017F;t in jedem Momente Gelegen-<lb/>
heit, dem Gauner die ganze Schwäche &#x017F;einer Er&#x017F;cheinung abzu-<lb/>
gewinnen, und ihn &#x017F;elb&#x017F;t von der Haltlo&#x017F;igkeit und Vergeblichkeit<lb/>
&#x017F;einer Präten&#x017F;ion zu überzeugen. So kann der Jnquirent in die<lb/>
vorge&#x017F;chriebenen, vom Gauner &#x017F;chon vor vielen Behörden beant-<lb/>
worteten und völlig unverfänglich &#x017F;cheinenden &#x017F;ogenannten Gene-<lb/>
ralfragen ein Leben und eine gei&#x017F;tige Gewalt hineinlegen, daß<lb/>
&#x017F;chon durch die&#x017F;e ge&#x017F;chickt angewandten und ausgebeuteten Fragen<lb/>
der Gauner &#x017F;tutzig und &#x017F;elb&#x017F;t zuer&#x017F;t an der Glaubhaftigkeit &#x017F;einer<lb/>
zunäch&#x017F;t prätendirten Er&#x017F;cheinung irre wird. <note place="foot" n="1)">Das ge&#x017F;chieht fa&#x017F;t immer, &#x017F;obald nur der Jnquirent con&#x017F;equente Ruhe<lb/>
beobachtet. Eine als Gräfin rei&#x017F;ende Per&#x017F;on, welche ich, nach ihren über ihre<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e und Per&#x017F;on gemachten Angaben, ruhig und beharrlich als &#x201E;Frau<lb/>
Gräfin&#x201C; anredete, und die nach ihrer ganzen Haltung, Wei&#x017F;e und Bildung<lb/>
&#x2014; &#x017F;ie &#x017F;prach unter anderm geläufig franzö&#x017F;i&#x017F;ch und engli&#x017F;ch &#x2014; wol die Rolle<lb/>
einer Gräfin durchzuführen im Stande war, bat mich gleich in der er&#x017F;ten<lb/>
Vernehmung, &#x017F;ie nicht mehr als &#x201E;Gräfin&#x201C; anzureden, die &#x017F;ie nicht &#x017F;ei u. &#x017F;. w.</note> So geht &#x017F;chon oft<lb/>
im <hi rendition="#g">er&#x017F;ten</hi> Verhör der vermeinte Baron allmählich vor der Ruhe<lb/>
des Jnquirenten auf einen Seitenzweig &#x017F;einer angeblichen Familie<lb/>
oder zum desavouirten Mitgliede oder &#x017F;ogar Ba&#x017F;tard über; die<lb/>
Barone&#x017F;&#x017F;e wird eine arme ver&#x017F;toßene Verwandte oder Milch-<lb/>
&#x017F;chwe&#x017F;ter, Pflege&#x017F;chwe&#x017F;ter oder zuletzt Ge&#x017F;ell&#x017F;chafterin; der Profe&#x017F;&#x017F;or<lb/><note xml:id="seg2pn_48_2" prev="#seg2pn_48_1" place="foot" n="1)">Frau begrüßte, worauf auch jene bereitwillig einging, freilich mit der Bemer-<lb/>
kung auch ihrer&#x017F;eits, &#x201E;daß ihr Niklas &#x017F;ich allerdings in den Jahren ein bis-<lb/>
chen verändert habe&#x201C;.</note><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[383/0395] wenn er auch mit Leichtigkeit auf eine andere Erſcheinung über- ſpringen kann, er durch den Wechſel doch ſeine Unverdächtigkeit gefährdet, mithin auch ſeine Jndividualität bloßſtellt. Daher das übertrieben markirte und herriſch vornehme Weſen des angeblichen Grafen, Barons, Offiziers, die heuchleriſche Demuth und Ergeben- heit des theologiſchen oder philoſophiſchen Gelehrten, die Präten- ſion und nervöſe ohnmächtelnde Gereiztheit der angeblichen Dame von Rang und Bildung. Je ſchärfer dieſe Erſcheinung vom Jn- quiſiten ſelbſt in ihren Formen anerkannt und hervorgehoben wird, als deſto unechter tritt allmählich die Erſcheinung hervor, und bietet gerade dadurch dem durch Lebensverkehr und Erfahrung geſchul- ten gewandten Jnquirenten faſt in jedem Momente Gelegen- heit, dem Gauner die ganze Schwäche ſeiner Erſcheinung abzu- gewinnen, und ihn ſelbſt von der Haltloſigkeit und Vergeblichkeit ſeiner Prätenſion zu überzeugen. So kann der Jnquirent in die vorgeſchriebenen, vom Gauner ſchon vor vielen Behörden beant- worteten und völlig unverfänglich ſcheinenden ſogenannten Gene- ralfragen ein Leben und eine geiſtige Gewalt hineinlegen, daß ſchon durch dieſe geſchickt angewandten und ausgebeuteten Fragen der Gauner ſtutzig und ſelbſt zuerſt an der Glaubhaftigkeit ſeiner zunächſt prätendirten Erſcheinung irre wird. 1) So geht ſchon oft im erſten Verhör der vermeinte Baron allmählich vor der Ruhe des Jnquirenten auf einen Seitenzweig ſeiner angeblichen Familie oder zum desavouirten Mitgliede oder ſogar Baſtard über; die Baroneſſe wird eine arme verſtoßene Verwandte oder Milch- ſchweſter, Pflegeſchweſter oder zuletzt Geſellſchafterin; der Profeſſor 1) 1) Das geſchieht faſt immer, ſobald nur der Jnquirent conſequente Ruhe beobachtet. Eine als Gräfin reiſende Perſon, welche ich, nach ihren über ihre Verhältniſſe und Perſon gemachten Angaben, ruhig und beharrlich als „Frau Gräfin“ anredete, und die nach ihrer ganzen Haltung, Weiſe und Bildung — ſie ſprach unter anderm geläufig franzöſiſch und engliſch — wol die Rolle einer Gräfin durchzuführen im Stande war, bat mich gleich in der erſten Vernehmung, ſie nicht mehr als „Gräfin“ anzureden, die ſie nicht ſei u. ſ. w. 1) Frau begrüßte, worauf auch jene bereitwillig einging, freilich mit der Bemer- kung auch ihrerſeits, „daß ihr Niklas ſich allerdings in den Jahren ein bis- chen verändert habe“.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/395
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/395>, abgerufen am 19.05.2024.