Seitdem die Landespolizei anfing, selbständig aufzutreten und die besonders seit dem Dreißigjährigen Kriege mit offener Gewalt hausenden Räuberbanden ernstlich zu verfolgen, sieht man, wie das hart bedrohte und bedrängte Gaunerthum sich immer mehr von der offenen Räubergruppirung entfernt, dafür aber mitten in das Herz aller social-politischen Schichten eindringt, und in ihrem Scheine die offene Gewalt mit der geheimnißvollen Kunst ver- tauscht. Bezeichnend für diesen Wechsel und seine Zeit ist, daß gerade in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der eigene, freilich etymologisch rohe Kunstausdruck "link", im Gegensatz von rechts, recht, rechtlich, wahr, vom Gaunerthum erfunden wurde, um die versteckte Täuschung auszudrücken. So entstand Linker, der Fälscher, Täuscher, Gauner; Linke-Messumen, falsches Geld; Link-Chalfen oder Link-Wechsler, falscher Wechsler, Dieb beim Geldwechseln; linken, auf einen Betrug spähen, be- obachten, und die ganze Wortfamilie, die man im Lexikon findet. Je mehr die Polizei zur rationellen Wissenschaft hinstrebte, desto mehr unternahm dies auch das Gaunerthum mit solcher feinen Berechnung und mit solchem Erfolg, daß man nur durch die genaueste Berücksichtigung alles dessen, was in der historischen Ausbildung aller social-politischen Verhältnisse geschehen und ge- geben ist, sich erklären kann, woher die weite und tiefe Verbrei- tung des Gaunerthums in die heutigen Verhältnisse gekommen ist. Schon vor mehr als hundert Jahren zählte der wackere Hönn in seinem "Betrugslexikon" mit dem ganzen Eifer sittlicher Ent- rüstung dreihundert verschiedene Gewerbe und Lebensverhält- nisse auf, in denen die Versuchung lauert, und in denen Täuschung oder Betrug möglich ist. Jene Verhältnisse sind seitdem noch viel
Ave-Lallemant, Gaunerthum. II. 3
B. Das Geheimniß des Gaunerthums.
1) Das Geheimniß der Perſon.
Drittes Kapitel. a)Die gauneriſche Erſcheinung.
Seitdem die Landespolizei anfing, ſelbſtändig aufzutreten und die beſonders ſeit dem Dreißigjährigen Kriege mit offener Gewalt hauſenden Räuberbanden ernſtlich zu verfolgen, ſieht man, wie das hart bedrohte und bedrängte Gaunerthum ſich immer mehr von der offenen Räubergruppirung entfernt, dafür aber mitten in das Herz aller ſocial-politiſchen Schichten eindringt, und in ihrem Scheine die offene Gewalt mit der geheimnißvollen Kunſt ver- tauſcht. Bezeichnend für dieſen Wechſel und ſeine Zeit iſt, daß gerade in der erſten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der eigene, freilich etymologiſch rohe Kunſtausdruck „link“, im Gegenſatz von rechts, recht, rechtlich, wahr, vom Gaunerthum erfunden wurde, um die verſteckte Täuſchung auszudrücken. So entſtand Linker, der Fälſcher, Täuſcher, Gauner; Linke-Meſſumen, falſches Geld; Link-Chalfen oder Link-Wechsler, falſcher Wechsler, Dieb beim Geldwechſeln; linken, auf einen Betrug ſpähen, be- obachten, und die ganze Wortfamilie, die man im Lexikon findet. Je mehr die Polizei zur rationellen Wiſſenſchaft hinſtrebte, deſto mehr unternahm dies auch das Gaunerthum mit ſolcher feinen Berechnung und mit ſolchem Erfolg, daß man nur durch die genaueſte Berückſichtigung alles deſſen, was in der hiſtoriſchen Ausbildung aller ſocial-politiſchen Verhältniſſe geſchehen und ge- geben iſt, ſich erklären kann, woher die weite und tiefe Verbrei- tung des Gaunerthums in die heutigen Verhältniſſe gekommen iſt. Schon vor mehr als hundert Jahren zählte der wackere Hönn in ſeinem „Betrugslexikon“ mit dem ganzen Eifer ſittlicher Ent- rüſtung dreihundert verſchiedene Gewerbe und Lebensverhält- niſſe auf, in denen die Verſuchung lauert, und in denen Täuſchung oder Betrug möglich iſt. Jene Verhältniſſe ſind ſeitdem noch viel
Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 3
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B. Das Geheimniß des Gaunerthums.
1) Das Geheimniß der Perſon.
Drittes Kapitel.
a) Die gauneriſche Erſcheinung.
Seitdem die Landespolizei anfing, ſelbſtändig aufzutreten und
die beſonders ſeit dem Dreißigjährigen Kriege mit offener Gewalt
hauſenden Räuberbanden ernſtlich zu verfolgen, ſieht man, wie
das hart bedrohte und bedrängte Gaunerthum ſich immer mehr
von der offenen Räubergruppirung entfernt, dafür aber mitten in
das Herz aller ſocial-politiſchen Schichten eindringt, und in ihrem
Scheine die offene Gewalt mit der geheimnißvollen Kunſt ver-
tauſcht. Bezeichnend für dieſen Wechſel und ſeine Zeit iſt, daß
gerade in der erſten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der eigene,
freilich etymologiſch rohe Kunſtausdruck „link“, im Gegenſatz von
rechts, recht, rechtlich, wahr, vom Gaunerthum erfunden wurde,
um die verſteckte Täuſchung auszudrücken. So entſtand Linker,
der Fälſcher, Täuſcher, Gauner; Linke-Meſſumen, falſches
Geld; Link-Chalfen oder Link-Wechsler, falſcher Wechsler,
Dieb beim Geldwechſeln; linken, auf einen Betrug ſpähen, be-
obachten, und die ganze Wortfamilie, die man im Lexikon findet.
Je mehr die Polizei zur rationellen Wiſſenſchaft hinſtrebte, deſto
mehr unternahm dies auch das Gaunerthum mit ſolcher feinen
Berechnung und mit ſolchem Erfolg, daß man nur durch die
genaueſte Berückſichtigung alles deſſen, was in der hiſtoriſchen
Ausbildung aller ſocial-politiſchen Verhältniſſe geſchehen und ge-
geben iſt, ſich erklären kann, woher die weite und tiefe Verbrei-
tung des Gaunerthums in die heutigen Verhältniſſe gekommen
iſt. Schon vor mehr als hundert Jahren zählte der wackere Hönn
in ſeinem „Betrugslexikon“ mit dem ganzen Eifer ſittlicher Ent-
rüſtung dreihundert verſchiedene Gewerbe und Lebensverhält-
niſſe auf, in denen die Verſuchung lauert, und in denen Täuſchung
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/45>, abgerufen am 23.11.2024.
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