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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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städt in das Zimmer eines daselbst logirenden emigrirten hollän-
dischen Kanonikus brach und aus dem Koffer desselben 125 Louis-
dor nebst einer Menge Prätiosen stahl, im Koffer aber auch einige
Terzerols, eine zur Säge zugerichtete Uhrfeder, ein Brecheisen,
vier Ennevotennekästchen und mehrere bezeichnete Gelddüten acqui-
rirte, in welchem sich statt des notirten Geldes 46 sauber gearbeitete
Dietriche vorfanden. Diese Beweglichkeit und Trüglichkeit des
Gaunerthums rechtfertigt die strenge Controle der Wirthshäuser,
bei der jedoch die Wirthe leider in den wenigsten Fällen der Po-
lizei behülflich sind, bis sie für sich selbst Gefahr vom Gaste
wittern, oder schon von ihm hintergangen sind. Auch eludirt die
Polizei selbst ihre Fremdencontrole sehr wesentlich durch die Unter-
lassung einer auch auf die Bordells sich erstreckenden Gastcontrole.
Würden aus allen Wirthshäusern die Beobachtungen, welche die
Wirthe zu machen Gelegenheit haben, der Polizei kund, so würde
dem Gaunertreiben wesentlich mehr Einhalt gethan werden können.
So aber speculiren die Gauner mit Sicherheit auf die Erwerbs-
lust der Wirthe, und lassen gerade in Wirthshäusern so viel auf-
gehen, daß schon durch das Uebermaß der Verdacht rege werden
müßte. Je mehr die Controle auf den Eisenbahnhöfen gegen die
Ankommenden verschärft wird, desto mehr entzieht sich der Gauner
dieser Controle dadurch, daß er eine oder ein paar Stationen vor
dem Ausgangspunkt seiner Reise die Bahn verläßt, und im un-
scheinlichen Fuhrwerk 1), auch mit der vernachlässigten Fahr- oder
Omnibuspost einfährt, oder auch zu Fuß seinen Einzug hält. Der
Controle auf der Landstraße entgeht der verdächtige Gauner dadurch,
daß er den Weg ganz besonders auf oder neben den Eisenbahn-

1) Auch die ihren Ursprung wol von den Marketenderfahrzeugen der
letzten französischen Kriege datirenden Agolen, mit und ohne Michse (Plan),
kommen, bei der wesentlich auf die Bahnhöfe gerichteten Aufmerksamkeit der
Polizei, mehr als in der Zeit unmittelbar vor der Entstehung der Eisenbahnen,
wo sie nur noch sparsam gesehen wurden, wieder zum Vorschein. Auf meinen
amtlichen Fahrten in enclavirten Gebietstheilen habe ich des Nachts häufig
Gelegenheit gehabt, auf Wald- und Feldwegen den unheimlichen Fuhrwerken
zu begegnen, deren Führer in geheimnißvoller Geschäftigkeit vorüberfahren.

ſtädt in das Zimmer eines daſelbſt logirenden emigrirten hollän-
diſchen Kanonikus brach und aus dem Koffer deſſelben 125 Louis-
dor nebſt einer Menge Prätioſen ſtahl, im Koffer aber auch einige
Terzerols, eine zur Säge zugerichtete Uhrfeder, ein Brecheiſen,
vier Ennevotennekäſtchen und mehrere bezeichnete Gelddüten acqui-
rirte, in welchem ſich ſtatt des notirten Geldes 46 ſauber gearbeitete
Dietriche vorfanden. Dieſe Beweglichkeit und Trüglichkeit des
Gaunerthums rechtfertigt die ſtrenge Controle der Wirthshäuſer,
bei der jedoch die Wirthe leider in den wenigſten Fällen der Po-
lizei behülflich ſind, bis ſie für ſich ſelbſt Gefahr vom Gaſte
wittern, oder ſchon von ihm hintergangen ſind. Auch eludirt die
Polizei ſelbſt ihre Fremdencontrole ſehr weſentlich durch die Unter-
laſſung einer auch auf die Bordells ſich erſtreckenden Gaſtcontrole.
Würden aus allen Wirthshäuſern die Beobachtungen, welche die
Wirthe zu machen Gelegenheit haben, der Polizei kund, ſo würde
dem Gaunertreiben weſentlich mehr Einhalt gethan werden können.
So aber ſpeculiren die Gauner mit Sicherheit auf die Erwerbs-
luſt der Wirthe, und laſſen gerade in Wirthshäuſern ſo viel auf-
gehen, daß ſchon durch das Uebermaß der Verdacht rege werden
müßte. Je mehr die Controle auf den Eiſenbahnhöfen gegen die
Ankommenden verſchärft wird, deſto mehr entzieht ſich der Gauner
dieſer Controle dadurch, daß er eine oder ein paar Stationen vor
dem Ausgangspunkt ſeiner Reiſe die Bahn verläßt, und im un-
ſcheinlichen Fuhrwerk 1), auch mit der vernachläſſigten Fahr- oder
Omnibuspoſt einfährt, oder auch zu Fuß ſeinen Einzug hält. Der
Controle auf der Landſtraße entgeht der verdächtige Gauner dadurch,
daß er den Weg ganz beſonders auf oder neben den Eiſenbahn-

1) Auch die ihren Urſprung wol von den Marketenderfahrzeugen der
letzten franzöſiſchen Kriege datirenden Agolen, mit und ohne Michſe (Plan),
kommen, bei der weſentlich auf die Bahnhöfe gerichteten Aufmerkſamkeit der
Polizei, mehr als in der Zeit unmittelbar vor der Entſtehung der Eiſenbahnen,
wo ſie nur noch ſparſam geſehen wurden, wieder zum Vorſchein. Auf meinen
amtlichen Fahrten in enclavirten Gebietstheilen habe ich des Nachts häufig
Gelegenheit gehabt, auf Wald- und Feldwegen den unheimlichen Fuhrwerken
zu begegnen, deren Führer in geheimnißvoller Geſchäftigkeit vorüberfahren.
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[37/0049] ſtädt in das Zimmer eines daſelbſt logirenden emigrirten hollän- diſchen Kanonikus brach und aus dem Koffer deſſelben 125 Louis- dor nebſt einer Menge Prätioſen ſtahl, im Koffer aber auch einige Terzerols, eine zur Säge zugerichtete Uhrfeder, ein Brecheiſen, vier Ennevotennekäſtchen und mehrere bezeichnete Gelddüten acqui- rirte, in welchem ſich ſtatt des notirten Geldes 46 ſauber gearbeitete Dietriche vorfanden. Dieſe Beweglichkeit und Trüglichkeit des Gaunerthums rechtfertigt die ſtrenge Controle der Wirthshäuſer, bei der jedoch die Wirthe leider in den wenigſten Fällen der Po- lizei behülflich ſind, bis ſie für ſich ſelbſt Gefahr vom Gaſte wittern, oder ſchon von ihm hintergangen ſind. Auch eludirt die Polizei ſelbſt ihre Fremdencontrole ſehr weſentlich durch die Unter- laſſung einer auch auf die Bordells ſich erſtreckenden Gaſtcontrole. Würden aus allen Wirthshäuſern die Beobachtungen, welche die Wirthe zu machen Gelegenheit haben, der Polizei kund, ſo würde dem Gaunertreiben weſentlich mehr Einhalt gethan werden können. So aber ſpeculiren die Gauner mit Sicherheit auf die Erwerbs- luſt der Wirthe, und laſſen gerade in Wirthshäuſern ſo viel auf- gehen, daß ſchon durch das Uebermaß der Verdacht rege werden müßte. Je mehr die Controle auf den Eiſenbahnhöfen gegen die Ankommenden verſchärft wird, deſto mehr entzieht ſich der Gauner dieſer Controle dadurch, daß er eine oder ein paar Stationen vor dem Ausgangspunkt ſeiner Reiſe die Bahn verläßt, und im un- ſcheinlichen Fuhrwerk 1), auch mit der vernachläſſigten Fahr- oder Omnibuspoſt einfährt, oder auch zu Fuß ſeinen Einzug hält. Der Controle auf der Landſtraße entgeht der verdächtige Gauner dadurch, daß er den Weg ganz beſonders auf oder neben den Eiſenbahn- 1) Auch die ihren Urſprung wol von den Marketenderfahrzeugen der letzten franzöſiſchen Kriege datirenden Agolen, mit und ohne Michſe (Plan), kommen, bei der weſentlich auf die Bahnhöfe gerichteten Aufmerkſamkeit der Polizei, mehr als in der Zeit unmittelbar vor der Entſtehung der Eiſenbahnen, wo ſie nur noch ſparſam geſehen wurden, wieder zum Vorſchein. Auf meinen amtlichen Fahrten in enclavirten Gebietstheilen habe ich des Nachts häufig Gelegenheit gehabt, auf Wald- und Feldwegen den unheimlichen Fuhrwerken zu begegnen, deren Führer in geheimnißvoller Geſchäftigkeit vorüberfahren.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/49>, abgerufen am 26.04.2024.