in denen die beurkundende Behörde und der beurkundete Paß- inhaber mit voller Verlässigkeit beglaubigt ist. Dieser offenliegende Mangel hat schon lange im Gaunerthum eine eigene Kunst, das Fleppenmelochnen hervorgerufen, welche die vorhandenen Mängel so lange ausbeuten wird, bis sie durch entgegenwirkende Paßein- richtungen, mit welchen die neueste preußische Polizeigesetzgebung besonders glückliche Anfänge gemacht hat, paralysirt wird. Es wird von dieser Kunst und von den Mängeln, auf denen sie auf- gebaut ist, in einem eigenen Kapitel (88) geredet werden. Selbst bei der unzweifelhaften Echtheit und Unverfälschheit der Paß- urkunde und der völlig bewiesenen Berechtigung des Jnhabers zu ihrer Führung ist doch noch immer keine Sicherheit der Person, welche den Paß führt, gegeben, da nur die äußere Erscheinung, in welcher der Jnhaber auftritt, oder in welcher er der ausstel- lenden Behörde legitimirt oder bekannt ist, beglaubigt wird, wobei kaum in irgendeiner Weise oder durch ein Geheimzeichen die Ver- dächtigkeit eines Jndividuums angedeutet werden kann, ob nicht seine Erscheinung die bloße Larve einer ganz andern Jndividuali- tät ist. Diese große Schwierigkeit und Bedenklichkeit ist es, welche die scharfe und so überaus lästige Paßcontrole einigermaßen recht- fertigt, obschon es aber auch immer angemessener erscheint, auch den abgehenden Reisenden mindestens ebenso scharf zu contro- liren, wie den ankommenden. Die Ungleichheit dieser Con- trole wird recht unmittelbar an und neben den Eisenbahnen aus- gedrückt durch die Telegraphendrähte, die an ihrem Auslaufe un- zählige mal schon das gut gemacht haben, was bei ihrem An- fange verfehlt war.
Die Controle in der Heimat und die Unverdächtigkeit in der Ferne ist der Hauptanlaß, weshalb das Gaunerthum in steter Beweglichkeit ist, um unter dem bürgerlichen Scheine, fern von der hinderlichen Beobachtung, seiner verbrecherischen Thätigkeit nachzugehen. Wie trüglich der bürgerliche Schein ist, in welchem sogar ein Gauner mit dem andern unerkannt zusammentreffen kann, beweist das bei Thiele, a. a. O., II, 169, erzählte Beispiel des Schmulchen Frankfurter, der einmal im Gasthofe zu Helm-
in denen die beurkundende Behörde und der beurkundete Paß- inhaber mit voller Verläſſigkeit beglaubigt iſt. Dieſer offenliegende Mangel hat ſchon lange im Gaunerthum eine eigene Kunſt, das Fleppenmelochnen hervorgerufen, welche die vorhandenen Mängel ſo lange ausbeuten wird, bis ſie durch entgegenwirkende Paßein- richtungen, mit welchen die neueſte preußiſche Polizeigeſetzgebung beſonders glückliche Anfänge gemacht hat, paralyſirt wird. Es wird von dieſer Kunſt und von den Mängeln, auf denen ſie auf- gebaut iſt, in einem eigenen Kapitel (88) geredet werden. Selbſt bei der unzweifelhaften Echtheit und Unverfälſchheit der Paß- urkunde und der völlig bewieſenen Berechtigung des Jnhabers zu ihrer Führung iſt doch noch immer keine Sicherheit der Perſon, welche den Paß führt, gegeben, da nur die äußere Erſcheinung, in welcher der Jnhaber auftritt, oder in welcher er der ausſtel- lenden Behörde legitimirt oder bekannt iſt, beglaubigt wird, wobei kaum in irgendeiner Weiſe oder durch ein Geheimzeichen die Ver- dächtigkeit eines Jndividuums angedeutet werden kann, ob nicht ſeine Erſcheinung die bloße Larve einer ganz andern Jndividuali- tät iſt. Dieſe große Schwierigkeit und Bedenklichkeit iſt es, welche die ſcharfe und ſo überaus läſtige Paßcontrole einigermaßen recht- fertigt, obſchon es aber auch immer angemeſſener erſcheint, auch den abgehenden Reiſenden mindeſtens ebenſo ſcharf zu contro- liren, wie den ankommenden. Die Ungleichheit dieſer Con- trole wird recht unmittelbar an und neben den Eiſenbahnen aus- gedrückt durch die Telegraphendrähte, die an ihrem Auslaufe un- zählige mal ſchon das gut gemacht haben, was bei ihrem An- fange verfehlt war.
Die Controle in der Heimat und die Unverdächtigkeit in der Ferne iſt der Hauptanlaß, weshalb das Gaunerthum in ſteter Beweglichkeit iſt, um unter dem bürgerlichen Scheine, fern von der hinderlichen Beobachtung, ſeiner verbrecheriſchen Thätigkeit nachzugehen. Wie trüglich der bürgerliche Schein iſt, in welchem ſogar ein Gauner mit dem andern unerkannt zuſammentreffen kann, beweiſt das bei Thiele, a. a. O., II, 169, erzählte Beiſpiel des Schmulchen Frankfurter, der einmal im Gaſthofe zu Helm-
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[36/0048]
in denen die beurkundende Behörde und der beurkundete Paß-
inhaber mit voller Verläſſigkeit beglaubigt iſt. Dieſer offenliegende
Mangel hat ſchon lange im Gaunerthum eine eigene Kunſt, das
Fleppenmelochnen hervorgerufen, welche die vorhandenen Mängel
ſo lange ausbeuten wird, bis ſie durch entgegenwirkende Paßein-
richtungen, mit welchen die neueſte preußiſche Polizeigeſetzgebung
beſonders glückliche Anfänge gemacht hat, paralyſirt wird. Es
wird von dieſer Kunſt und von den Mängeln, auf denen ſie auf-
gebaut iſt, in einem eigenen Kapitel (88) geredet werden. Selbſt
bei der unzweifelhaften Echtheit und Unverfälſchheit der Paß-
urkunde und der völlig bewieſenen Berechtigung des Jnhabers
zu ihrer Führung iſt doch noch immer keine Sicherheit der Perſon,
welche den Paß führt, gegeben, da nur die äußere Erſcheinung,
in welcher der Jnhaber auftritt, oder in welcher er der ausſtel-
lenden Behörde legitimirt oder bekannt iſt, beglaubigt wird, wobei
kaum in irgendeiner Weiſe oder durch ein Geheimzeichen die Ver-
dächtigkeit eines Jndividuums angedeutet werden kann, ob nicht
ſeine Erſcheinung die bloße Larve einer ganz andern Jndividuali-
tät iſt. Dieſe große Schwierigkeit und Bedenklichkeit iſt es, welche
die ſcharfe und ſo überaus läſtige Paßcontrole einigermaßen recht-
fertigt, obſchon es aber auch immer angemeſſener erſcheint, auch
den abgehenden Reiſenden mindeſtens ebenſo ſcharf zu contro-
liren, wie den ankommenden. Die Ungleichheit dieſer Con-
trole wird recht unmittelbar an und neben den Eiſenbahnen aus-
gedrückt durch die Telegraphendrähte, die an ihrem Auslaufe un-
zählige mal ſchon das gut gemacht haben, was bei ihrem An-
fange verfehlt war.
Die Controle in der Heimat und die Unverdächtigkeit in
der Ferne iſt der Hauptanlaß, weshalb das Gaunerthum in ſteter
Beweglichkeit iſt, um unter dem bürgerlichen Scheine, fern von
der hinderlichen Beobachtung, ſeiner verbrecheriſchen Thätigkeit
nachzugehen. Wie trüglich der bürgerliche Schein iſt, in welchem
ſogar ein Gauner mit dem andern unerkannt zuſammentreffen
kann, beweiſt das bei Thiele, a. a. O., II, 169, erzählte Beiſpiel
des Schmulchen Frankfurter, der einmal im Gaſthofe zu Helm-
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/48>, abgerufen am 21.11.2024.
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