Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

lichen Signalements einer hier zur Untersuchung gezogenen Gau-
nerin fanden sich Abweichungen zwischen der hier und auswärts
nach demselben Maßstabe gemessenen Körperlänge von 3--5 Zoll.
Die gewöhnlichen Toilettenkünste werden vom Gaunerthum in
vorzüglicher Weise vervollkommt. Die Färbung der Kopfhaare,
Augenbrauen, des Barts, die Befestigung falscher Haare geschieht
mit ausgezeichneter Fertigkeit. Auch habe ich Gauner gesehen,
welche mit defecten Zähnen signalisirt waren, mit so herrlichen
künstlichen, und so ausgezeichnet durch Schrauben in den Zahn-
wurzeln befestigten Zähnen, daß selbst sehr geschickte Aerzte damit
getäuscht wurden. Eine hier in Lübeck zur Untersuchung gezogene
Gaunerin hatte früher einmal in der Voraussicht, daß ihr doch
einmal des Entspringen gelingen werde, siebzehn Monate
lang
mit bewundernswürdiger Consequenz und Ausdauer eine
erhöhte Schulter und einen steifen Finger so geschickt simulirt, daß
sie selbst den Scharfblick des sehr erfahrenen Arztes täuschte, und
später nach zwei Jahren, als sie wirklich entsprang, in weiter Ent-
fernung entdeckt und nach jenen "besondern Kennzeichen" be-
schrieben wurde, die zu ihrer Captur requirirte auswärtige Behörde
so vollständig zu hintergehen wußte, daß sie auf freien Fuß bleiben
und sich davonmachen konnte. Dieselbe Person hatte ihre defecten
Haare und Zähne so ausgezeichnet ergänzt, wie es in ähnlicher
Vollkommenheit nicht leicht wieder nachgeahmt werden kann. 1)
Sehr häufig vorkommende, vorzüglich aber dann, wenn die zu sig-
nalisirende Person selbst darauf aufmerksam gemacht hat, ver-
dächtige, und daher genauer zu untersuchende, besondere Kenn-
zeichen
sind die vielfach absichtlich mit Höllenstein geätzten
Muttermale, Leberflecke u. dgl. an Gesicht und Händen, die sich
zur gelegenen Zeit ebenso leicht wieder entfernen lassen, wie sie

1) Vgl. den interessanten Fall 28, S. 90 u. 107, in Johann Ludw.
Kasper's herrlichem "Handbuch der gerichtlich medicinischen Leichen-Diagno-
stik. Nach eigenen Erfahrungen." Mit einem Atlas von neun colorirten
Tafeln (Berlin 1857). Besonders vgl. man überhaupt §. 29--33, S. 102 fg.
Das ganze Werk ist für Juristen und Polizeimänner überhaupt eine äußerst
reiche Quelle der mannichfachsten Belehrung.

lichen Signalements einer hier zur Unterſuchung gezogenen Gau-
nerin fanden ſich Abweichungen zwiſchen der hier und auswärts
nach demſelben Maßſtabe gemeſſenen Körperlänge von 3—5 Zoll.
Die gewöhnlichen Toilettenkünſte werden vom Gaunerthum in
vorzüglicher Weiſe vervollkommt. Die Färbung der Kopfhaare,
Augenbrauen, des Barts, die Befeſtigung falſcher Haare geſchieht
mit ausgezeichneter Fertigkeit. Auch habe ich Gauner geſehen,
welche mit defecten Zähnen ſignaliſirt waren, mit ſo herrlichen
künſtlichen, und ſo ausgezeichnet durch Schrauben in den Zahn-
wurzeln befeſtigten Zähnen, daß ſelbſt ſehr geſchickte Aerzte damit
getäuſcht wurden. Eine hier in Lübeck zur Unterſuchung gezogene
Gaunerin hatte früher einmal in der Vorausſicht, daß ihr doch
einmal des Entſpringen gelingen werde, ſiebzehn Monate
lang
mit bewundernswürdiger Conſequenz und Ausdauer eine
erhöhte Schulter und einen ſteifen Finger ſo geſchickt ſimulirt, daß
ſie ſelbſt den Scharfblick des ſehr erfahrenen Arztes täuſchte, und
ſpäter nach zwei Jahren, als ſie wirklich entſprang, in weiter Ent-
fernung entdeckt und nach jenen „beſondern Kennzeichen“ be-
ſchrieben wurde, die zu ihrer Captur requirirte auswärtige Behörde
ſo vollſtändig zu hintergehen wußte, daß ſie auf freien Fuß bleiben
und ſich davonmachen konnte. Dieſelbe Perſon hatte ihre defecten
Haare und Zähne ſo ausgezeichnet ergänzt, wie es in ähnlicher
Vollkommenheit nicht leicht wieder nachgeahmt werden kann. 1)
Sehr häufig vorkommende, vorzüglich aber dann, wenn die zu ſig-
naliſirende Perſon ſelbſt darauf aufmerkſam gemacht hat, ver-
dächtige, und daher genauer zu unterſuchende, beſondere Kenn-
zeichen
ſind die vielfach abſichtlich mit Höllenſtein geätzten
Muttermale, Leberflecke u. dgl. an Geſicht und Händen, die ſich
zur gelegenen Zeit ebenſo leicht wieder entfernen laſſen, wie ſie

1) Vgl. den intereſſanten Fall 28, S. 90 u. 107, in Johann Ludw.
Kasper’s herrlichem „Handbuch der gerichtlich mediciniſchen Leichen-Diagno-
ſtik. Nach eigenen Erfahrungen.“ Mit einem Atlas von neun colorirten
Tafeln (Berlin 1857). Beſonders vgl. man überhaupt §. 29—33, S. 102 fg.
Das ganze Werk iſt für Juriſten und Polizeimänner überhaupt eine äußerſt
reiche Quelle der mannichfachſten Belehrung.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0052" n="40"/>
lichen Signalements einer hier zur Unter&#x017F;uchung gezogenen Gau-<lb/>
nerin fanden &#x017F;ich Abweichungen zwi&#x017F;chen der hier und auswärts<lb/>
nach dem&#x017F;elben Maß&#x017F;tabe geme&#x017F;&#x017F;enen Körperlänge von 3&#x2014;5 Zoll.<lb/>
Die gewöhnlichen Toilettenkün&#x017F;te werden vom Gaunerthum in<lb/>
vorzüglicher Wei&#x017F;e vervollkommt. Die Färbung der Kopfhaare,<lb/>
Augenbrauen, des Barts, die Befe&#x017F;tigung fal&#x017F;cher Haare ge&#x017F;chieht<lb/>
mit ausgezeichneter Fertigkeit. Auch habe ich Gauner ge&#x017F;ehen,<lb/>
welche mit defecten Zähnen &#x017F;ignali&#x017F;irt waren, mit &#x017F;o herrlichen<lb/>
kün&#x017F;tlichen, und &#x017F;o ausgezeichnet durch Schrauben in den Zahn-<lb/>
wurzeln befe&#x017F;tigten Zähnen, daß &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ehr ge&#x017F;chickte Aerzte damit<lb/>
getäu&#x017F;cht wurden. Eine hier in Lübeck zur Unter&#x017F;uchung gezogene<lb/>
Gaunerin hatte früher einmal in der Voraus&#x017F;icht, daß ihr doch<lb/>
einmal des Ent&#x017F;pringen gelingen werde, <hi rendition="#g">&#x017F;iebzehn Monate<lb/>
lang</hi> mit bewundernswürdiger Con&#x017F;equenz und Ausdauer eine<lb/>
erhöhte Schulter und einen &#x017F;teifen Finger &#x017F;o ge&#x017F;chickt &#x017F;imulirt, daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t den Scharfblick des &#x017F;ehr erfahrenen Arztes täu&#x017F;chte, und<lb/>
&#x017F;päter nach zwei Jahren, als &#x017F;ie wirklich ent&#x017F;prang, in weiter Ent-<lb/>
fernung entdeckt und nach jenen &#x201E;be&#x017F;ondern Kennzeichen&#x201C; be-<lb/>
&#x017F;chrieben wurde, die zu ihrer Captur requirirte auswärtige Behörde<lb/>
&#x017F;o voll&#x017F;tändig zu hintergehen wußte, daß &#x017F;ie auf freien Fuß bleiben<lb/>
und &#x017F;ich davonmachen konnte. Die&#x017F;elbe Per&#x017F;on hatte ihre defecten<lb/>
Haare und Zähne &#x017F;o ausgezeichnet ergänzt, wie es in ähnlicher<lb/>
Vollkommenheit nicht leicht wieder nachgeahmt werden kann. <note place="foot" n="1)">Vgl. den intere&#x017F;&#x017F;anten Fall 28, S. 90 u. 107, in Johann Ludw.<lb/>
Kasper&#x2019;s herrlichem &#x201E;Handbuch der gerichtlich medicini&#x017F;chen Leichen-Diagno-<lb/>
&#x017F;tik. Nach eigenen Erfahrungen.&#x201C; Mit einem Atlas von neun colorirten<lb/>
Tafeln (Berlin 1857). Be&#x017F;onders vgl. man überhaupt §. 29&#x2014;33, S. 102 fg.<lb/>
Das ganze Werk i&#x017F;t für Juri&#x017F;ten und Polizeimänner überhaupt eine äußer&#x017F;t<lb/>
reiche Quelle der mannichfach&#x017F;ten Belehrung.</note><lb/>
Sehr häufig vorkommende, vorzüglich aber dann, wenn die zu &#x017F;ig-<lb/>
nali&#x017F;irende Per&#x017F;on &#x017F;elb&#x017F;t darauf aufmerk&#x017F;am gemacht hat, ver-<lb/>
dächtige, und daher genauer zu unter&#x017F;uchende, <hi rendition="#g">be&#x017F;ondere Kenn-<lb/>
zeichen</hi> &#x017F;ind die vielfach ab&#x017F;ichtlich mit Höllen&#x017F;tein geätzten<lb/>
Muttermale, Leberflecke u. dgl. an Ge&#x017F;icht und Händen, die &#x017F;ich<lb/>
zur gelegenen Zeit eben&#x017F;o leicht wieder entfernen la&#x017F;&#x017F;en, wie &#x017F;ie<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0052] lichen Signalements einer hier zur Unterſuchung gezogenen Gau- nerin fanden ſich Abweichungen zwiſchen der hier und auswärts nach demſelben Maßſtabe gemeſſenen Körperlänge von 3—5 Zoll. Die gewöhnlichen Toilettenkünſte werden vom Gaunerthum in vorzüglicher Weiſe vervollkommt. Die Färbung der Kopfhaare, Augenbrauen, des Barts, die Befeſtigung falſcher Haare geſchieht mit ausgezeichneter Fertigkeit. Auch habe ich Gauner geſehen, welche mit defecten Zähnen ſignaliſirt waren, mit ſo herrlichen künſtlichen, und ſo ausgezeichnet durch Schrauben in den Zahn- wurzeln befeſtigten Zähnen, daß ſelbſt ſehr geſchickte Aerzte damit getäuſcht wurden. Eine hier in Lübeck zur Unterſuchung gezogene Gaunerin hatte früher einmal in der Vorausſicht, daß ihr doch einmal des Entſpringen gelingen werde, ſiebzehn Monate lang mit bewundernswürdiger Conſequenz und Ausdauer eine erhöhte Schulter und einen ſteifen Finger ſo geſchickt ſimulirt, daß ſie ſelbſt den Scharfblick des ſehr erfahrenen Arztes täuſchte, und ſpäter nach zwei Jahren, als ſie wirklich entſprang, in weiter Ent- fernung entdeckt und nach jenen „beſondern Kennzeichen“ be- ſchrieben wurde, die zu ihrer Captur requirirte auswärtige Behörde ſo vollſtändig zu hintergehen wußte, daß ſie auf freien Fuß bleiben und ſich davonmachen konnte. Dieſelbe Perſon hatte ihre defecten Haare und Zähne ſo ausgezeichnet ergänzt, wie es in ähnlicher Vollkommenheit nicht leicht wieder nachgeahmt werden kann. 1) Sehr häufig vorkommende, vorzüglich aber dann, wenn die zu ſig- naliſirende Perſon ſelbſt darauf aufmerkſam gemacht hat, ver- dächtige, und daher genauer zu unterſuchende, beſondere Kenn- zeichen ſind die vielfach abſichtlich mit Höllenſtein geätzten Muttermale, Leberflecke u. dgl. an Geſicht und Händen, die ſich zur gelegenen Zeit ebenſo leicht wieder entfernen laſſen, wie ſie 1) Vgl. den intereſſanten Fall 28, S. 90 u. 107, in Johann Ludw. Kasper’s herrlichem „Handbuch der gerichtlich mediciniſchen Leichen-Diagno- ſtik. Nach eigenen Erfahrungen.“ Mit einem Atlas von neun colorirten Tafeln (Berlin 1857). Beſonders vgl. man überhaupt §. 29—33, S. 102 fg. Das ganze Werk iſt für Juriſten und Polizeimänner überhaupt eine äußerſt reiche Quelle der mannichfachſten Belehrung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/52
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/52>, abgerufen am 25.04.2024.