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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Augen die Pupille sich gleich zusammenzieht. Das beschwerliche
und röchelnde Athemholen, meist mit bläulicher Auftreibung des
Gesichts gepaart, kann anhaltend nicht nachgeahmt werden, ebenso
wenig der Schaum vor dem Munde in einem gewissen Grade,
wenn nicht Seife dazu verwendet wird 1), und das Herzklopfen
mit dem kleinen unterdrückten Pulse. Bei den wahren Anfällen
ist eine ungewöhnliche Körperkraft zugegen, die Betrüger, wenn
sie nicht von Natur aus stark sind, nicht nachzuahmen vermögen.
Wenn Epileptische schreien, so geschieht dies vor dem Fallen, nach-
her tritt völliges Schweigen mit Bewußtlosigkeit und Verlust des
Gefühlsvermögens ein. Betrüger verstoßen sich oft hierbei, zu-
mal wenn ihnen Anlaß gegeben wird. Tritt namentlich auf An-
wendung von Kitzeln, Nießmitteln u. dgl. Reaction ein, so ist
Simulation als gewiß anzunehmen. Endlich unterscheidet sich
der gleich nach dem Anfall eintretende Zustand des Körpers und
Geistes bei simulirenden Epileptischen oft augenscheinlich von den
wirklich Epileptischen, indem erstere die als nothwendige Folge
dastehende Abspannung nicht zeigen, oder nicht nachhaltig genug."

Diese Unterscheidungen sind sehr wichtig und genau zu be-
achten, wenn man nicht nach stundenlangen Verhören gerade im
wichtigsten Moment durch den in die Enge getriebenen Gauner
mit seiner simulirten Epilepsie um die Resultate angestrengter
Mühe gebracht sein will. Es gibt Gauner, die schon vor dem
Ausbruch eine Schwäche simuliren und eine Prädisposition be-
merkbar zu machen wissen, nur um zu sondiren, ob der Jnquirent
ängstlich ist, wonach denn der epileptische Anfall entweder aus-
bleibt oder zum Vorschein kommt. 2) Sehr beachtenswerth aber

1) Vgl. Kap. 8 des Liber Vagatorum: "und nemen Seiffen in den
mund das jnen der scheim einer faust gros auff geet vnd stechen sich mit eim
halm jn die naßlocher das sie bluten werden, vnd ist Buben teiding". Der
obenerwähnte simulante Epileptiker, der seit Jahren durch Deutschland um-
herzieht, weiß durch rasches Saugen am gereizten Zahnfleisch Blut unter den
Schaum zu bringen; auch sind an den Seiten der Zunge deutliche Bißnarben
vorhanden.
2) Mehr als einmal habe ich bei solchen Sondirungen mich vor derglei-

Augen die Pupille ſich gleich zuſammenzieht. Das beſchwerliche
und röchelnde Athemholen, meiſt mit bläulicher Auftreibung des
Geſichts gepaart, kann anhaltend nicht nachgeahmt werden, ebenſo
wenig der Schaum vor dem Munde in einem gewiſſen Grade,
wenn nicht Seife dazu verwendet wird 1), und das Herzklopfen
mit dem kleinen unterdrückten Pulſe. Bei den wahren Anfällen
iſt eine ungewöhnliche Körperkraft zugegen, die Betrüger, wenn
ſie nicht von Natur aus ſtark ſind, nicht nachzuahmen vermögen.
Wenn Epileptiſche ſchreien, ſo geſchieht dies vor dem Fallen, nach-
her tritt völliges Schweigen mit Bewußtloſigkeit und Verluſt des
Gefühlsvermögens ein. Betrüger verſtoßen ſich oft hierbei, zu-
mal wenn ihnen Anlaß gegeben wird. Tritt namentlich auf An-
wendung von Kitzeln, Nießmitteln u. dgl. Reaction ein, ſo iſt
Simulation als gewiß anzunehmen. Endlich unterſcheidet ſich
der gleich nach dem Anfall eintretende Zuſtand des Körpers und
Geiſtes bei ſimulirenden Epileptiſchen oft augenſcheinlich von den
wirklich Epileptiſchen, indem erſtere die als nothwendige Folge
daſtehende Abſpannung nicht zeigen, oder nicht nachhaltig genug.“

Dieſe Unterſcheidungen ſind ſehr wichtig und genau zu be-
achten, wenn man nicht nach ſtundenlangen Verhören gerade im
wichtigſten Moment durch den in die Enge getriebenen Gauner
mit ſeiner ſimulirten Epilepſie um die Reſultate angeſtrengter
Mühe gebracht ſein will. Es gibt Gauner, die ſchon vor dem
Ausbruch eine Schwäche ſimuliren und eine Prädispoſition be-
merkbar zu machen wiſſen, nur um zu ſondiren, ob der Jnquirent
ängſtlich iſt, wonach denn der epileptiſche Anfall entweder aus-
bleibt oder zum Vorſchein kommt. 2) Sehr beachtenswerth aber

1) Vgl. Kap. 8 des Liber Vagatorum: „und nemen Seiffen in den
mund das jnen der ſcheim einer fauſt gros auff geet vnd ſtechen ſich mit eim
halm jn die naßlocher das ſie bluten werden, vnd iſt Buben teiding“. Der
obenerwähnte ſimulante Epileptiker, der ſeit Jahren durch Deutſchland um-
herzieht, weiß durch raſches Saugen am gereizten Zahnfleiſch Blut unter den
Schaum zu bringen; auch ſind an den Seiten der Zunge deutliche Bißnarben
vorhanden.
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[44/0056] Augen die Pupille ſich gleich zuſammenzieht. Das beſchwerliche und röchelnde Athemholen, meiſt mit bläulicher Auftreibung des Geſichts gepaart, kann anhaltend nicht nachgeahmt werden, ebenſo wenig der Schaum vor dem Munde in einem gewiſſen Grade, wenn nicht Seife dazu verwendet wird 1), und das Herzklopfen mit dem kleinen unterdrückten Pulſe. Bei den wahren Anfällen iſt eine ungewöhnliche Körperkraft zugegen, die Betrüger, wenn ſie nicht von Natur aus ſtark ſind, nicht nachzuahmen vermögen. Wenn Epileptiſche ſchreien, ſo geſchieht dies vor dem Fallen, nach- her tritt völliges Schweigen mit Bewußtloſigkeit und Verluſt des Gefühlsvermögens ein. Betrüger verſtoßen ſich oft hierbei, zu- mal wenn ihnen Anlaß gegeben wird. Tritt namentlich auf An- wendung von Kitzeln, Nießmitteln u. dgl. Reaction ein, ſo iſt Simulation als gewiß anzunehmen. Endlich unterſcheidet ſich der gleich nach dem Anfall eintretende Zuſtand des Körpers und Geiſtes bei ſimulirenden Epileptiſchen oft augenſcheinlich von den wirklich Epileptiſchen, indem erſtere die als nothwendige Folge daſtehende Abſpannung nicht zeigen, oder nicht nachhaltig genug.“ Dieſe Unterſcheidungen ſind ſehr wichtig und genau zu be- achten, wenn man nicht nach ſtundenlangen Verhören gerade im wichtigſten Moment durch den in die Enge getriebenen Gauner mit ſeiner ſimulirten Epilepſie um die Reſultate angeſtrengter Mühe gebracht ſein will. Es gibt Gauner, die ſchon vor dem Ausbruch eine Schwäche ſimuliren und eine Prädispoſition be- merkbar zu machen wiſſen, nur um zu ſondiren, ob der Jnquirent ängſtlich iſt, wonach denn der epileptiſche Anfall entweder aus- bleibt oder zum Vorſchein kommt. 2) Sehr beachtenswerth aber 1) Vgl. Kap. 8 des Liber Vagatorum: „und nemen Seiffen in den mund das jnen der ſcheim einer fauſt gros auff geet vnd ſtechen ſich mit eim halm jn die naßlocher das ſie bluten werden, vnd iſt Buben teiding“. Der obenerwähnte ſimulante Epileptiker, der ſeit Jahren durch Deutſchland um- herzieht, weiß durch raſches Saugen am gereizten Zahnfleiſch Blut unter den Schaum zu bringen; auch ſind an den Seiten der Zunge deutliche Bißnarben vorhanden. 2) Mehr als einmal habe ich bei ſolchen Sondirungen mich vor derglei-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/56>, abgerufen am 28.03.2024.