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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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auf das äußerste ankommen läßt, da er nicht nur die Strafe für
seine Simulation, sondern auch für das Vergehen zu fürchten hat,
welches er mit der Simulation zu verdecken suchte und für wel-
ches er durch diese ein bedeutendes Jndicium gegen sich selbst
vorbringt. Der Verlust dieses doppelten Spiels ist es aber auch,
der, wie kaum sonst in ähnlicher Weise, einen ganz eigenthümlichen
Eindruck auf den Jnquirenten macht, sobald der Simulant mit
einem mal die geläufige Sprache gewinnt und sich, im schneidenden
Contrast mit dem bisherigen simulirten beschränkten Wesen, urplötz-
lich als eine Jndividualität von freier, ja raffinirter Geistigkeit
hinstellt, in welcher er einen neuen frischen Kampf mit raschem
Angriff beginnt. Es ist wenig, den Simulanten zum Abstehen
der Simulation gebracht zu haben, wenn der Jnquirent nicht
seinen Triumph vollkommen zu unterdrücken, und kalt und nüchtern
die Beseitigung der Simulation ganz als Nebenwerk zu behandeln
und ruhig auf das gesteckte Ziel, auf die Entlarvung des Gauners,
weiter zu gehen weiß.



Neuntes Kapitel.
e) Die Schwerhörigkeit.

Wol die verdrießlichste Simulation, dem Jnquirenten gegen-
über, ist die simulirte Schwerhörigkeit, da sie meistens auf das
Chikaniren des Jnquirenten abgesehen ist. Der Gauner weiß
recht gut, daß die Schwerhörigkeit ihn keineswegs als arglosen
und unverdächtigen Menschen exculpirt, so wenig wie sie ihn bei
Verübung und Verhehlung seiner Gaunerei von irgendeinem

haupteten, er simulire, der Aetherisirung unterzogen. Beim Eintritt ihrer
Wirkungen begann er sogleich sehr geläufig französisch zu sprechen, obwol er
bei seiner Verhaftung in Holland vorgegeben hatte, nur deutsch zu verstehen.
Aus dem Aetherrausche erwacht, wollte er, wie früher, die Rolle eines taub-
stummen Blödsinnigen spielen, wurde aber nichtsdestoweniger schuldig er-
kannt und zu zehnjähriger Zwangsarbeit verurtheilt.

auf das äußerſte ankommen läßt, da er nicht nur die Strafe für
ſeine Simulation, ſondern auch für das Vergehen zu fürchten hat,
welches er mit der Simulation zu verdecken ſuchte und für wel-
ches er durch dieſe ein bedeutendes Jndicium gegen ſich ſelbſt
vorbringt. Der Verluſt dieſes doppelten Spiels iſt es aber auch,
der, wie kaum ſonſt in ähnlicher Weiſe, einen ganz eigenthümlichen
Eindruck auf den Jnquirenten macht, ſobald der Simulant mit
einem mal die geläufige Sprache gewinnt und ſich, im ſchneidenden
Contraſt mit dem bisherigen ſimulirten beſchränkten Weſen, urplötz-
lich als eine Jndividualität von freier, ja raffinirter Geiſtigkeit
hinſtellt, in welcher er einen neuen friſchen Kampf mit raſchem
Angriff beginnt. Es iſt wenig, den Simulanten zum Abſtehen
der Simulation gebracht zu haben, wenn der Jnquirent nicht
ſeinen Triumph vollkommen zu unterdrücken, und kalt und nüchtern
die Beſeitigung der Simulation ganz als Nebenwerk zu behandeln
und ruhig auf das geſteckte Ziel, auf die Entlarvung des Gauners,
weiter zu gehen weiß.



Neuntes Kapitel.
ε) Die Schwerhörigkeit.

Wol die verdrießlichſte Simulation, dem Jnquirenten gegen-
über, iſt die ſimulirte Schwerhörigkeit, da ſie meiſtens auf das
Chikaniren des Jnquirenten abgeſehen iſt. Der Gauner weiß
recht gut, daß die Schwerhörigkeit ihn keineswegs als argloſen
und unverdächtigen Menſchen exculpirt, ſo wenig wie ſie ihn bei
Verübung und Verhehlung ſeiner Gaunerei von irgendeinem

haupteten, er ſimulire, der Aetheriſirung unterzogen. Beim Eintritt ihrer
Wirkungen begann er ſogleich ſehr geläufig franzöſiſch zu ſprechen, obwol er
bei ſeiner Verhaftung in Holland vorgegeben hatte, nur deutſch zu verſtehen.
Aus dem Aetherrauſche erwacht, wollte er, wie früher, die Rolle eines taub-
ſtummen Blödſinnigen ſpielen, wurde aber nichtsdeſtoweniger ſchuldig er-
kannt und zu zehnjähriger Zwangsarbeit verurtheilt.
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[48/0060] auf das äußerſte ankommen läßt, da er nicht nur die Strafe für ſeine Simulation, ſondern auch für das Vergehen zu fürchten hat, welches er mit der Simulation zu verdecken ſuchte und für wel- ches er durch dieſe ein bedeutendes Jndicium gegen ſich ſelbſt vorbringt. Der Verluſt dieſes doppelten Spiels iſt es aber auch, der, wie kaum ſonſt in ähnlicher Weiſe, einen ganz eigenthümlichen Eindruck auf den Jnquirenten macht, ſobald der Simulant mit einem mal die geläufige Sprache gewinnt und ſich, im ſchneidenden Contraſt mit dem bisherigen ſimulirten beſchränkten Weſen, urplötz- lich als eine Jndividualität von freier, ja raffinirter Geiſtigkeit hinſtellt, in welcher er einen neuen friſchen Kampf mit raſchem Angriff beginnt. Es iſt wenig, den Simulanten zum Abſtehen der Simulation gebracht zu haben, wenn der Jnquirent nicht ſeinen Triumph vollkommen zu unterdrücken, und kalt und nüchtern die Beſeitigung der Simulation ganz als Nebenwerk zu behandeln und ruhig auf das geſteckte Ziel, auf die Entlarvung des Gauners, weiter zu gehen weiß. Neuntes Kapitel. ε) Die Schwerhörigkeit. Wol die verdrießlichſte Simulation, dem Jnquirenten gegen- über, iſt die ſimulirte Schwerhörigkeit, da ſie meiſtens auf das Chikaniren des Jnquirenten abgeſehen iſt. Der Gauner weiß recht gut, daß die Schwerhörigkeit ihn keineswegs als argloſen und unverdächtigen Menſchen exculpirt, ſo wenig wie ſie ihn bei Verübung und Verhehlung ſeiner Gaunerei von irgendeinem 1) 1) haupteten, er ſimulire, der Aetheriſirung unterzogen. Beim Eintritt ihrer Wirkungen begann er ſogleich ſehr geläufig franzöſiſch zu ſprechen, obwol er bei ſeiner Verhaftung in Holland vorgegeben hatte, nur deutſch zu verſtehen. Aus dem Aetherrauſche erwacht, wollte er, wie früher, die Rolle eines taub- ſtummen Blödſinnigen ſpielen, wurde aber nichtsdeſtoweniger ſchuldig er- kannt und zu zehnjähriger Zwangsarbeit verurtheilt.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/60>, abgerufen am 25.04.2024.