Wie jedes besondere Kennzeichen 1) an der Person des Gauners als Zinken angesehen und benannt wird, so geben auch besondere Kennzeichen, Fehler, Gebrechen, ja auch die besondere Herkunft oder besondere Ereignisse und Erlebnisse, Anlaß, jeden einzelnen Gauner mit einem eigenen Spitznamen zu zinkenen, von denen jeder Gauner mindestens einen hat. So hieß der zum Studiren bestimmte Damian Hessel das Studentchen oder Bocherle, bis eine ekle Krankheit ihm einen andern Schmuz- namen verschaffte; Matthias Weber von seiner bramarbasirenden Wildheit Fetzer; die beiden Schiffersöhne Franz und Jan Bor- beck het Scheppertje. So gibt es den Beinamen Parrach (Grindkopf), Einäugiger, Einohr, Dicker, Langer, Schiefbein, Kurz- arm, Schnut u. s. w. Auch werden, wie im gemeinen Leben, die Geburtsörter zur Namensbezeichnung gebraucht, z. B. Hamburger, Frankfurter, Dresdener, Lübecker, Moislinger, Berliner, Stutt- garter, Franzos, Pollack u. s. w. Auch ein bürgerliches Gewerbe dient zur Bezeichnung, z. B. der Schuster, Spengler, Scheren- schleifer, Keßler, Weber u. s. w. Die Kenntniß aller dieser Namen in Verbindung mit der Person, welche sie führt, ist für den Polizeimann von großer Wichtigkeit, da alle Gauner solche Spitz- namen führen, und hinter diesem Versteck ihre Person und Ante- cedentien zu verbergen suchen. Die Namen, unter denen die Gauner öffentlich auftreten, sind gewöhnlich falsch, so strenge auch die Gesetzgebungen die Führung eines falschen Namens zu be- strafen angefangen haben. So oft ein Gauner einen Paß auf einen andern Namen erschleichen, anfertigen, stehlen oder kaufen kann, verändert er den Namen nach diesem Paß. Solange dies nicht gelingt, solange führt er seinen einmal angegebenen Namen unfreiwillig fort. Auf die Namen, unter welchen die Gauner frei
1) Selbst das Brandmal (Chassime) wird zu den Zinken gerechnet.
Neunzehnles Kapitel. ζ) Die Gaunernamen.
Wie jedes beſondere Kennzeichen 1) an der Perſon des Gauners als Zinken angeſehen und benannt wird, ſo geben auch beſondere Kennzeichen, Fehler, Gebrechen, ja auch die beſondere Herkunft oder beſondere Ereigniſſe und Erlebniſſe, Anlaß, jeden einzelnen Gauner mit einem eigenen Spitznamen zu zinkenen, von denen jeder Gauner mindeſtens einen hat. So hieß der zum Studiren beſtimmte Damian Heſſel das Studentchen oder Bocherle, bis eine ekle Krankheit ihm einen andern Schmuz- namen verſchaffte; Matthias Weber von ſeiner bramarbaſirenden Wildheit Fetzer; die beiden Schifferſöhne Franz und Jan Bor- beck het Scheppertje. So gibt es den Beinamen Parrach (Grindkopf), Einäugiger, Einohr, Dicker, Langer, Schiefbein, Kurz- arm, Schnut u. ſ. w. Auch werden, wie im gemeinen Leben, die Geburtsörter zur Namensbezeichnung gebraucht, z. B. Hamburger, Frankfurter, Dresdener, Lübecker, Moislinger, Berliner, Stutt- garter, Franzos, Pollack u. ſ. w. Auch ein bürgerliches Gewerbe dient zur Bezeichnung, z. B. der Schuſter, Spengler, Scheren- ſchleifer, Keßler, Weber u. ſ. w. Die Kenntniß aller dieſer Namen in Verbindung mit der Perſon, welche ſie führt, iſt für den Polizeimann von großer Wichtigkeit, da alle Gauner ſolche Spitz- namen führen, und hinter dieſem Verſteck ihre Perſon und Ante- cedentien zu verbergen ſuchen. Die Namen, unter denen die Gauner öffentlich auftreten, ſind gewöhnlich falſch, ſo ſtrenge auch die Geſetzgebungen die Führung eines falſchen Namens zu be- ſtrafen angefangen haben. So oft ein Gauner einen Paß auf einen andern Namen erſchleichen, anfertigen, ſtehlen oder kaufen kann, verändert er den Namen nach dieſem Paß. Solange dies nicht gelingt, ſolange führt er ſeinen einmal angegebenen Namen unfreiwillig fort. Auf die Namen, unter welchen die Gauner frei
1) Selbſt das Brandmal (Chaſſime) wird zu den Zinken gerechnet.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0080"n="68"/><divn="4"><head><hirendition="#fr">Neunzehnles Kapitel.</hi><lb/>ζ) <hirendition="#fr">Die Gaunernamen.</hi></head><lb/><p>Wie jedes beſondere Kennzeichen <noteplace="foot"n="1)">Selbſt das Brandmal (Chaſſime) wird zu den Zinken gerechnet.</note> an der Perſon des Gauners<lb/>
als Zinken angeſehen und benannt wird, ſo geben auch beſondere<lb/>
Kennzeichen, Fehler, Gebrechen, ja auch die beſondere Herkunft<lb/>
oder beſondere Ereigniſſe und Erlebniſſe, Anlaß, jeden einzelnen<lb/>
Gauner mit einem eigenen <hirendition="#g">Spitznamen</hi> zu <hirendition="#g">zinkenen,</hi> von<lb/>
denen jeder Gauner mindeſtens <hirendition="#g">einen</hi> hat. So hieß der zum<lb/>
Studiren beſtimmte Damian Heſſel das <hirendition="#g">Studentchen</hi> oder<lb/><hirendition="#g">Bocherle,</hi> bis eine ekle Krankheit ihm einen andern Schmuz-<lb/>
namen verſchaffte; Matthias Weber von ſeiner bramarbaſirenden<lb/>
Wildheit <hirendition="#g">Fetzer;</hi> die beiden Schifferſöhne Franz und Jan Bor-<lb/>
beck <hirendition="#g">het Scheppertje.</hi> So gibt es den Beinamen Parrach<lb/>
(Grindkopf), Einäugiger, Einohr, Dicker, Langer, Schiefbein, Kurz-<lb/>
arm, Schnut u. ſ. w. Auch werden, wie im gemeinen Leben, die<lb/>
Geburtsörter zur Namensbezeichnung gebraucht, z. B. Hamburger,<lb/>
Frankfurter, Dresdener, Lübecker, Moislinger, Berliner, Stutt-<lb/>
garter, Franzos, Pollack u. ſ. w. Auch ein bürgerliches Gewerbe<lb/>
dient zur Bezeichnung, z. B. der Schuſter, Spengler, Scheren-<lb/>ſchleifer, Keßler, Weber u. ſ. w. Die Kenntniß aller dieſer Namen<lb/>
in Verbindung mit der Perſon, welche ſie führt, iſt für den<lb/>
Polizeimann von großer Wichtigkeit, da <hirendition="#g">alle</hi> Gauner ſolche Spitz-<lb/>
namen führen, und hinter dieſem Verſteck ihre Perſon und Ante-<lb/>
cedentien zu verbergen ſuchen. Die Namen, unter denen die<lb/>
Gauner öffentlich auftreten, ſind gewöhnlich falſch, ſo ſtrenge auch<lb/>
die Geſetzgebungen die Führung eines falſchen Namens zu be-<lb/>ſtrafen angefangen haben. So oft ein Gauner einen Paß auf<lb/>
einen andern Namen erſchleichen, anfertigen, ſtehlen oder kaufen<lb/>
kann, verändert er den Namen nach dieſem Paß. Solange dies<lb/>
nicht gelingt, ſolange führt er ſeinen einmal angegebenen Namen<lb/>
unfreiwillig fort. Auf die Namen, unter welchen die Gauner frei<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[68/0080]
Neunzehnles Kapitel.
ζ) Die Gaunernamen.
Wie jedes beſondere Kennzeichen 1) an der Perſon des Gauners
als Zinken angeſehen und benannt wird, ſo geben auch beſondere
Kennzeichen, Fehler, Gebrechen, ja auch die beſondere Herkunft
oder beſondere Ereigniſſe und Erlebniſſe, Anlaß, jeden einzelnen
Gauner mit einem eigenen Spitznamen zu zinkenen, von
denen jeder Gauner mindeſtens einen hat. So hieß der zum
Studiren beſtimmte Damian Heſſel das Studentchen oder
Bocherle, bis eine ekle Krankheit ihm einen andern Schmuz-
namen verſchaffte; Matthias Weber von ſeiner bramarbaſirenden
Wildheit Fetzer; die beiden Schifferſöhne Franz und Jan Bor-
beck het Scheppertje. So gibt es den Beinamen Parrach
(Grindkopf), Einäugiger, Einohr, Dicker, Langer, Schiefbein, Kurz-
arm, Schnut u. ſ. w. Auch werden, wie im gemeinen Leben, die
Geburtsörter zur Namensbezeichnung gebraucht, z. B. Hamburger,
Frankfurter, Dresdener, Lübecker, Moislinger, Berliner, Stutt-
garter, Franzos, Pollack u. ſ. w. Auch ein bürgerliches Gewerbe
dient zur Bezeichnung, z. B. der Schuſter, Spengler, Scheren-
ſchleifer, Keßler, Weber u. ſ. w. Die Kenntniß aller dieſer Namen
in Verbindung mit der Perſon, welche ſie führt, iſt für den
Polizeimann von großer Wichtigkeit, da alle Gauner ſolche Spitz-
namen führen, und hinter dieſem Verſteck ihre Perſon und Ante-
cedentien zu verbergen ſuchen. Die Namen, unter denen die
Gauner öffentlich auftreten, ſind gewöhnlich falſch, ſo ſtrenge auch
die Geſetzgebungen die Führung eines falſchen Namens zu be-
ſtrafen angefangen haben. So oft ein Gauner einen Paß auf
einen andern Namen erſchleichen, anfertigen, ſtehlen oder kaufen
kann, verändert er den Namen nach dieſem Paß. Solange dies
nicht gelingt, ſolange führt er ſeinen einmal angegebenen Namen
unfreiwillig fort. Auf die Namen, unter welchen die Gauner frei
1) Selbſt das Brandmal (Chaſſime) wird zu den Zinken gerechnet.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/80>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.