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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Dichtung entwickelte sich vorzüglich im nördlichen Frankreich, wo
britische, normannische und fränkische Sagen zusammenflossen, und
verbreitete sich von da nach England. Die lyrische Kunstpoesie
hatte ihren Sitz in der Provence und ward an den Höfen der
Fürsten und auf den Burgen der Ritter gepflegt, welche Sammel-
plätze der kunstreichen Sänger (troubadours) waren. Von hier
verbreitete sich provenzalische Poesie über das nördliche Spanien
und Jtalien und wirkte auch auf das nördliche Frankreich (die
trouveres) und auf das benachbarte Deutschland ein.

Jn dieser Poesie des Ritterthums bildete sich eine Sprache
aus, welche, wie die heutige deutsche Sprache der Bildung
alle Dialekte in sich vereinigt, so aus allen Ländern des Rit-
terthums Wörter und Redeweisen wie analoge Dialekte des
Ritterthums in sich aufnahm, ohne jedoch die specifische Eigen-
thümlichkeit der Sprachbeiträge in ein fließendes nationales Gan-
zes vereinigen zu können. Mit den französischen Sagenstoffen,
wie z. B. dem Rolandslied des Pfaffen Konrad (1173--77),
dem Alexander des Pfaffen Lamprecht (1175), welche nach fran-
zösischen Originalen gedichtet sind 1), konnte sich um so leichter auch
die Sprache der ritterlichen Minne und höfischen Sitte mit denjeni-
gen Sprachen versetzen, welche den Stoff zur Dichtung selbst lie-
ferten. So mischt denn nun auch der Tanhuser, wie Genthe
S. 15 richtig bemerkt, "in seinem Streben nach zu großer Ga-
lanterie in der Sprache, in der Schaulegung seiner Studien und
Belesenheit, aus affectirter Urbanität und Courtoisie" in seine
deutschen Verse französische Wörter und Redensarten ein und spricht
unter andern von dem Riviere, der Planure und dem Dulzamys,
daß er habe parliren müssen, als die Nachtigall angefangen habe
zu toubiren; seine Dame sei gesessen bei der Fontane; ihre
Person sei schmal und ein lützel grande; da habe er erhoben
sein Parolle u. s. w. Diese widerlich süße unreine Sprache eines
der frischesten Dichter des 13. Jahrhunderts, welche sogar auch
den Stoff verunreinigte, wurde aber durchaus Ton, obschon sich

1) Schäfer, S. 21 und 22. Vilmar, I, 151.

Dichtung entwickelte ſich vorzüglich im nördlichen Frankreich, wo
britiſche, normanniſche und fränkiſche Sagen zuſammenfloſſen, und
verbreitete ſich von da nach England. Die lyriſche Kunſtpoeſie
hatte ihren Sitz in der Provence und ward an den Höfen der
Fürſten und auf den Burgen der Ritter gepflegt, welche Sammel-
plätze der kunſtreichen Sänger (troubadours) waren. Von hier
verbreitete ſich provenzaliſche Poeſie über das nördliche Spanien
und Jtalien und wirkte auch auf das nördliche Frankreich (die
trouvères) und auf das benachbarte Deutſchland ein.

Jn dieſer Poeſie des Ritterthums bildete ſich eine Sprache
aus, welche, wie die heutige deutſche Sprache der Bildung
alle Dialekte in ſich vereinigt, ſo aus allen Ländern des Rit-
terthums Wörter und Redeweiſen wie analoge Dialekte des
Ritterthums in ſich aufnahm, ohne jedoch die ſpecifiſche Eigen-
thümlichkeit der Sprachbeiträge in ein fließendes nationales Gan-
zes vereinigen zu können. Mit den franzöſiſchen Sagenſtoffen,
wie z. B. dem Rolandslied des Pfaffen Konrad (1173—77),
dem Alexander des Pfaffen Lamprecht (1175), welche nach fran-
zöſiſchen Originalen gedichtet ſind 1), konnte ſich um ſo leichter auch
die Sprache der ritterlichen Minne und höfiſchen Sitte mit denjeni-
gen Sprachen verſetzen, welche den Stoff zur Dichtung ſelbſt lie-
ferten. So miſcht denn nun auch der Tanhuſer, wie Genthe
S. 15 richtig bemerkt, „in ſeinem Streben nach zu großer Ga-
lanterie in der Sprache, in der Schaulegung ſeiner Studien und
Beleſenheit, aus affectirter Urbanität und Courtoiſie“ in ſeine
deutſchen Verſe franzöſiſche Wörter und Redensarten ein und ſpricht
unter andern von dem Riviere, der Planure und dem Dulzamys,
daß er habe parliren müſſen, als die Nachtigall angefangen habe
zu toubiren; ſeine Dame ſei geſeſſen bei der Fontane; ihre
Perſon ſei ſchmal und ein lützel grande; da habe er erhoben
ſein Parolle u. ſ. w. Dieſe widerlich ſüße unreine Sprache eines
der friſcheſten Dichter des 13. Jahrhunderts, welche ſogar auch
den Stoff verunreinigte, wurde aber durchaus Ton, obſchon ſich

1) Schäfer, S. 21 und 22. Vilmar, I, 151.
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[69/0103] Dichtung entwickelte ſich vorzüglich im nördlichen Frankreich, wo britiſche, normanniſche und fränkiſche Sagen zuſammenfloſſen, und verbreitete ſich von da nach England. Die lyriſche Kunſtpoeſie hatte ihren Sitz in der Provence und ward an den Höfen der Fürſten und auf den Burgen der Ritter gepflegt, welche Sammel- plätze der kunſtreichen Sänger (troubadours) waren. Von hier verbreitete ſich provenzaliſche Poeſie über das nördliche Spanien und Jtalien und wirkte auch auf das nördliche Frankreich (die trouvères) und auf das benachbarte Deutſchland ein. Jn dieſer Poeſie des Ritterthums bildete ſich eine Sprache aus, welche, wie die heutige deutſche Sprache der Bildung alle Dialekte in ſich vereinigt, ſo aus allen Ländern des Rit- terthums Wörter und Redeweiſen wie analoge Dialekte des Ritterthums in ſich aufnahm, ohne jedoch die ſpecifiſche Eigen- thümlichkeit der Sprachbeiträge in ein fließendes nationales Gan- zes vereinigen zu können. Mit den franzöſiſchen Sagenſtoffen, wie z. B. dem Rolandslied des Pfaffen Konrad (1173—77), dem Alexander des Pfaffen Lamprecht (1175), welche nach fran- zöſiſchen Originalen gedichtet ſind 1), konnte ſich um ſo leichter auch die Sprache der ritterlichen Minne und höfiſchen Sitte mit denjeni- gen Sprachen verſetzen, welche den Stoff zur Dichtung ſelbſt lie- ferten. So miſcht denn nun auch der Tanhuſer, wie Genthe S. 15 richtig bemerkt, „in ſeinem Streben nach zu großer Ga- lanterie in der Sprache, in der Schaulegung ſeiner Studien und Beleſenheit, aus affectirter Urbanität und Courtoiſie“ in ſeine deutſchen Verſe franzöſiſche Wörter und Redensarten ein und ſpricht unter andern von dem Riviere, der Planure und dem Dulzamys, daß er habe parliren müſſen, als die Nachtigall angefangen habe zu toubiren; ſeine Dame ſei geſeſſen bei der Fontane; ihre Perſon ſei ſchmal und ein lützel grande; da habe er erhoben ſein Parolle u. ſ. w. Dieſe widerlich ſüße unreine Sprache eines der friſcheſten Dichter des 13. Jahrhunderts, welche ſogar auch den Stoff verunreinigte, wurde aber durchaus Ton, obſchon ſich 1) Schäfer, S. 21 und 22. Vilmar, I, 151.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/103>, abgerufen am 21.11.2024.