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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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im 14. und 15. Jahrhundert auch das Niederdeutsche vordrängte,
und ungeachtet schon zu Ende des 15. Jahrhunderts die aus
hoch- und niederdeutschen Formen gemischte obersächsische Mund-
art in der Kanzleisprache der Höfe und Reichsstädte sowie in der
prosaischen Literatur sich geltend macht und neben der spätern Luther'-
schen Bibelsprache zur Grundlage der neuhochdeutschen Sprache
ward. Gerade diese Sprache schien die Folie sein zu sollen, auf
welcher mit dem Verfall des kräftigen Ritterthums, einfacher
Sitte an den Höfen der Fürsten und Edeln, sowie im Bereich der
von ihnen geförderten oder mit ihnen in Berührung stehenden Jn-
telligenz, trotz der Tabulaturen der Meistersänger, eine Sprache
als Sprache der höhern Bildung, Galanterie, höfischen Geistes
und diplomatischen Verkehrs sich zu jenem albernen, widerlichen,
unnatürlichen Sprachgeckenthum ausbilden konnte, welches durch
das Vordringen des Calvinismus und durch die Aufnahme der
großen Menge flüchtiger Hugenotten in Deutschland besonders mit
französischen Brocken sich übersättigte 1) und im Dreißigjährigen

1) Schon lange hatte im französischen Ritterthume und dessen Sprache,
zum großen Nachtheile beider, eins der seltsamsten Jnstitute, worauf je der
menschliche Geist verfallen ist, bestanden, die Cours d'amour, welche auch weit
und tief in Deutschland hineinwirkten. Man vgl. im zweiten Theil der schon
angeführten "Fabliaux" von Le Grand d'Aussy die Erzählung Hueline et
Eglantine
mit den Bemerkungen dazu. Die Nutzlosigkeit der Cours d'amour
an sich und die große Wichtigkeit, die man ihnen beilegte, machen sie zwie-
fach lächerlich. Und dennoch finden sich wenig Stiftungen, welche mit so viel
Ehrfurcht aufgenommen, mit geringern Mitteln unterhalten und von so ent-
schiedener Einwirkung auf die Sitten gewesen sind. Da die Streitigkeiten in
Veranlassung von Fragen aus der Casuistik der Liebe, die von den alten Lieder-
dichtern in ihren Jeux-parties aufgeworfen wurden, kein Ende nahmen, so
kam man, um sie in einer letzten Jnstanz zu entscheiden, auf den Gedanken,
eine eigene Art von souveränem Tribunal oder Gerichtshof zu errichten, wel-
chen man aus diesem Grunde Cour d'amour nannte. Die Glieder desselben
wurden aus Edelleuten, Frauen von Stande und Dichtern gewählt, welche
sich durch Weltkenntniß und lange Erfahrung für Dinge der Art die nöthige
Geschicklichkeit erworben hatten. Die Frauen unterließen nicht, für das An-
sehen von Tribunalen, wo alle Ehre auf sie bezogen ward, eifrigst besorgt zu
sein; die Zahl derselben wuchs auch erstaunlich, besonders in den südlichen
Provinzen, wo man fast keine andere Poesie kannte als Chansons, und wo

im 14. und 15. Jahrhundert auch das Niederdeutſche vordrängte,
und ungeachtet ſchon zu Ende des 15. Jahrhunderts die aus
hoch- und niederdeutſchen Formen gemiſchte oberſächſiſche Mund-
art in der Kanzleiſprache der Höfe und Reichsſtädte ſowie in der
proſaiſchen Literatur ſich geltend macht und neben der ſpätern Luther’-
ſchen Bibelſprache zur Grundlage der neuhochdeutſchen Sprache
ward. Gerade dieſe Sprache ſchien die Folie ſein zu ſollen, auf
welcher mit dem Verfall des kräftigen Ritterthums, einfacher
Sitte an den Höfen der Fürſten und Edeln, ſowie im Bereich der
von ihnen geförderten oder mit ihnen in Berührung ſtehenden Jn-
telligenz, trotz der Tabulaturen der Meiſterſänger, eine Sprache
als Sprache der höhern Bildung, Galanterie, höfiſchen Geiſtes
und diplomatiſchen Verkehrs ſich zu jenem albernen, widerlichen,
unnatürlichen Sprachgeckenthum ausbilden konnte, welches durch
das Vordringen des Calvinismus und durch die Aufnahme der
großen Menge flüchtiger Hugenotten in Deutſchland beſonders mit
franzöſiſchen Brocken ſich überſättigte 1) und im Dreißigjährigen

1) Schon lange hatte im franzöſiſchen Ritterthume und deſſen Sprache,
zum großen Nachtheile beider, eins der ſeltſamſten Jnſtitute, worauf je der
menſchliche Geiſt verfallen iſt, beſtanden, die Cours d’amour, welche auch weit
und tief in Deutſchland hineinwirkten. Man vgl. im zweiten Theil der ſchon
angeführten „Fabliaux“ von Le Grand d’Auſſy die Erzählung Huéline et
Eglantine
mit den Bemerkungen dazu. Die Nutzloſigkeit der Cours d’amour
an ſich und die große Wichtigkeit, die man ihnen beilegte, machen ſie zwie-
fach lächerlich. Und dennoch finden ſich wenig Stiftungen, welche mit ſo viel
Ehrfurcht aufgenommen, mit geringern Mitteln unterhalten und von ſo ent-
ſchiedener Einwirkung auf die Sitten geweſen ſind. Da die Streitigkeiten in
Veranlaſſung von Fragen aus der Caſuiſtik der Liebe, die von den alten Lieder-
dichtern in ihren Jeux-parties aufgeworfen wurden, kein Ende nahmen, ſo
kam man, um ſie in einer letzten Jnſtanz zu entſcheiden, auf den Gedanken,
eine eigene Art von ſouveränem Tribunal oder Gerichtshof zu errichten, wel-
chen man aus dieſem Grunde Cour d’amour nannte. Die Glieder deſſelben
wurden aus Edelleuten, Frauen von Stande und Dichtern gewählt, welche
ſich durch Weltkenntniß und lange Erfahrung für Dinge der Art die nöthige
Geſchicklichkeit erworben hatten. Die Frauen unterließen nicht, für das An-
ſehen von Tribunalen, wo alle Ehre auf ſie bezogen ward, eifrigſt beſorgt zu
ſein; die Zahl derſelben wuchs auch erſtaunlich, beſonders in den ſüdlichen
Provinzen, wo man faſt keine andere Poeſie kannte als Chanſons, und wo
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[70/0104] im 14. und 15. Jahrhundert auch das Niederdeutſche vordrängte, und ungeachtet ſchon zu Ende des 15. Jahrhunderts die aus hoch- und niederdeutſchen Formen gemiſchte oberſächſiſche Mund- art in der Kanzleiſprache der Höfe und Reichsſtädte ſowie in der proſaiſchen Literatur ſich geltend macht und neben der ſpätern Luther’- ſchen Bibelſprache zur Grundlage der neuhochdeutſchen Sprache ward. Gerade dieſe Sprache ſchien die Folie ſein zu ſollen, auf welcher mit dem Verfall des kräftigen Ritterthums, einfacher Sitte an den Höfen der Fürſten und Edeln, ſowie im Bereich der von ihnen geförderten oder mit ihnen in Berührung ſtehenden Jn- telligenz, trotz der Tabulaturen der Meiſterſänger, eine Sprache als Sprache der höhern Bildung, Galanterie, höfiſchen Geiſtes und diplomatiſchen Verkehrs ſich zu jenem albernen, widerlichen, unnatürlichen Sprachgeckenthum ausbilden konnte, welches durch das Vordringen des Calvinismus und durch die Aufnahme der großen Menge flüchtiger Hugenotten in Deutſchland beſonders mit franzöſiſchen Brocken ſich überſättigte 1) und im Dreißigjährigen 1) Schon lange hatte im franzöſiſchen Ritterthume und deſſen Sprache, zum großen Nachtheile beider, eins der ſeltſamſten Jnſtitute, worauf je der menſchliche Geiſt verfallen iſt, beſtanden, die Cours d’amour, welche auch weit und tief in Deutſchland hineinwirkten. Man vgl. im zweiten Theil der ſchon angeführten „Fabliaux“ von Le Grand d’Auſſy die Erzählung Huéline et Eglantine mit den Bemerkungen dazu. Die Nutzloſigkeit der Cours d’amour an ſich und die große Wichtigkeit, die man ihnen beilegte, machen ſie zwie- fach lächerlich. Und dennoch finden ſich wenig Stiftungen, welche mit ſo viel Ehrfurcht aufgenommen, mit geringern Mitteln unterhalten und von ſo ent- ſchiedener Einwirkung auf die Sitten geweſen ſind. Da die Streitigkeiten in Veranlaſſung von Fragen aus der Caſuiſtik der Liebe, die von den alten Lieder- dichtern in ihren Jeux-parties aufgeworfen wurden, kein Ende nahmen, ſo kam man, um ſie in einer letzten Jnſtanz zu entſcheiden, auf den Gedanken, eine eigene Art von ſouveränem Tribunal oder Gerichtshof zu errichten, wel- chen man aus dieſem Grunde Cour d’amour nannte. Die Glieder deſſelben wurden aus Edelleuten, Frauen von Stande und Dichtern gewählt, welche ſich durch Weltkenntniß und lange Erfahrung für Dinge der Art die nöthige Geſchicklichkeit erworben hatten. Die Frauen unterließen nicht, für das An- ſehen von Tribunalen, wo alle Ehre auf ſie bezogen ward, eifrigſt beſorgt zu ſein; die Zahl derſelben wuchs auch erſtaunlich, beſonders in den ſüdlichen Provinzen, wo man faſt keine andere Poeſie kannte als Chanſons, und wo

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/104>, abgerufen am 21.11.2024.